Der Lohn des Mutes
August 1979
In den folgenden Tagen war Narzissa von einem aufwühlenden Gefühlschaos beherrscht. Es war eine Mischung aus Hoffnung, Unsicherheit und Angst. Hoffnung darauf, dass sich ihr Schicksal endlich ändern würde, Unsicherheit darüber, ob sie wirklich das Richtige getan hatte und Angst vor den Konsequenzen, wenn Lucius davon erfuhr.
Immer wieder musste sie an ihre Unterhaltung mit Gwendolyn denken und daran, was sie hätte besser machen können. Es war zwar zu spät, doch die Gedanken verfolgten sie trotzdem.
Während die Wochen verstrichen, ohne dass Narzissa eine spürbare Änderung wahrnahm, begann ihre Hoffnung zu welken. Sie verbrachte viel Zeit im Garten, arrangierte die Blumenrabatte neu und ergänzte einige Sitzgelegenheiten. Während sie unter einem Fliederbusch Probe saß, beobachte Narzissa wehmütig ein weißes Pfauenpaar, das zwischen den Buchsbäumen nach Insekten scharrte. Als sie gesättigt waren, stolzierte der Hahn mit aufgerichtetem Rad den Weg entlang. Die Sonne glitzerte in seinen zarten weißen Federn, ließ sie transparent erscheinen und perlend schimmern.
Er war wunderschön.
Ihm folgte die Henne mit gediegenen Schritten und nach und nach, kamen auch drei größere Küken aus der dichten Bepflanzung des Rabatts hervor.
Narzissa sah ihnen traurig nach. Sie schienen nun die einzige Familie in Malfoy Manor zu sein.
Ihr Blick fiel auf die hohen Bäume am Rande des Anwesens und plötzlich beschloss sie, auch in der Ruhestätte der Malfoys nach dem Rechten zu sehen.
Das schmiedeeiserne Tor, das den Bereich zum Garten trennte, war offen. Sie wunderte sich, dachte jedoch nicht weiter darüber nach. Die alten Bäume spendeten kühlen Schatten und Narzissa genoss die friedvolle Ruhe des Ortes. als sie näher an die Familiengruft kam, sah sie Lucius auf einem der schlichten Marmorbänke sitzen.
Seine Gestalt wirkte auf eine wundersame Weise verloren auf sie und er schien in Gedanken vertieft zu sein. In den Händen hielt er etwas, das Narzissa nicht sofort erkennen konnte und sie zögerte zunächst, überwand dann jedoch ihre Hemmungen und ging zu ihm hinüber. Stumm setzte sie sich neben ihn und betrachtete den im Schatten liegenden Eingang der Gruft.
Lucius hob nur den Kopf, sagte aber ebenfalls nichts, sondern betrachtete weiterhin die Pfauenfeder, die er gedankenverloren in seiner Hand drehte. Eine ganze Weile saßen sie einfach da und lauschten den Klängen der Natur. Der Wind rauschte in den Blättern der Bäume, einige Vögel sangen und Insekten summten emsig. Als Narzissa die Stille unangenehm wurde, sagte sie leise: »Geht es dir gut?«
Lucius seufzte und strich sich eine Strähne seiner blonden Haare aus dem Gesicht. »Es geht mir ... wie immer«, erwiderte er tonlos.
Die geborene Black senkte enttäuscht den Kopf und versuchte, dem Stich in ihrer Brust keine Aufmerksamkeit zu schenken. Einen kurzen Moment lang rang Narzissa nach Worten, verschluckte sie beinahe, entschloss sich jedoch dafür, dass genug Schweigen zwischen ihnen geherrscht hatte.
»Lucius«, sagte sie leise, »ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe ... egal was geschieht und egal, was geschehen ist ... Ich werde dich immer lieben ...«
Auch darauf antwortete er nicht und Narzissa wagte es nicht, in sein Gesicht zu blicken. Sie hoffte nur auf ein paar tröstende Worte. Auf Worte, die ihr vernarbtes Herz heilen würden. Als Lucius schließlich sprach, hielt sie gebannt den Atem an.
»Mein Vater«, begann er mit einem Hauch Melancholie in der Stimme, »war ein Mann von strenger Disziplin und klaren Vorstellungen davon, wie die Dinge sein sollten. Doch auch er hatte Schwächen.« Er pausierte einen Moment, sichtlich in seinen Erinnerungen verloren, bevor er fortfuhr. »Eine davon erweichte sein Herz und es brachte ihn sogar manches Mal zum Lächeln.« Lucius hob die Feder in seiner Hand kurz in die Höhe und Narzissa sah darauf. »Es waren die Pfauen, die er züchtete, die ihn auf eine besondere Weise beeindruckten. Noch immer laufen sie frei in den Gärten unseres Anwesens herum. Mein Vater mochte diese Tiere sehr, nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern wegen ihrer Anmut und Stolz, die er bewunderte.«
Narzissa wagte einen Blick in das Gesicht ihres Mannes. Darin lag ein kaum erkennbares Lächeln. Ein Lächeln, dass sie so gerne auf seinem Gesicht sah.
»Er verbrachte oft Stunden damit, ihnen zuzusehen – wie sie königlich durch die Gärten stolzierten«, fuhr er fort. »Er pflegte zu sagen, dass sie ihm eine gewisse Gelassenheit und Ruhe gaben, die er in seinem sonst so hektischen Leben selten fand. Sie waren für ihn mehr als nur Tiere, sie waren Symbole für Freiheit und Eleganz, Eigenschaften, die er bewunderte und respektierte. In ihren Augen liegt etwas, das mich Menschlichkeit erinnert, an unsere Sehnsucht nach Schönheit und Freiheit.«
Nachdenklich betrachtete Narzissa die Pfauenfeder in der Hand ihres Mannes und war überwältig von seinen Worten. Vielleicht war es nur eine kleine Anekdote, doch für Narzissa bedeutete diese Unterhaltung viel mehr.
»Eine solche Sensibilität hätte ich deinem Vater nie zugeschrieben«, sagte Narzissa leise, als er geendet hat.
Lucius schnaubte amüsiert und nickte.
»Seine Aura war von Härte uns Strenge überschattet«, erzählte Narzissa plötzlich. »Ich fürchtete mich bis zu jenem Moment, da er mir den ersten Einblick in seine Seele gewährte. Etwas, das mein Vater niemals tat.« Narzissa sog die Luft ein, bei der Erinnerung und sah zu Lucius hinüber. »Bei euch habe ich erst erfahren, was ›Familie‹ wirklich bedeutet.«
Er hob plötzlich den Kopf und erwiderte ihren Blick. Narzissa war so überrumpelt, dass sie kurz auswich. Ein Hauch von Traurigkeit huschte über ihr Gesicht, als seine blau-grauen Augen sie nur stumm ansahen.
»Nimm das«, sagte Lucius leise und reichte sie ihr die Pfauenfeder, »als Symbol meiner eigenen Schwäche.«
Narzissa nahm die Feder mit zittrigen Fingern entgegen. Dann erhob sich Lucius und ging fort. Die geborne Black lauschte mit klopfenden Herzen, den sich entfernen Schritten. Fassungslos betrachtete sie die wunderschöne Feder in ihren Händen.
Vielleicht war da doch etwas, das sich zu verändern schien.
Es waren subtile Anzeichen, die sie zunächst kaum wahrnahm. Kleinigkeiten, die sich jedoch zu einem unübersehbaren Muster zusammenfügten. Lucius war nicht mehr so distanziert, seine Blicke weniger kalt. Er schien wieder häufiger in ihrer Nähe zu sein, und selbst seine Unterhaltungen mit ihr waren freundlicher, wenn auch oberflächlich.
Narzissa schwankte zwischen Hoffnung und Skepsis. Hatte ihr Gespräch mit Gwendolyn tatsächlich etwas bewirkt? Oder war Lucius durch die zunehmende Belastung des Dunklen Lords einfach mürbe geworden?
Die Antwort kam unerwartet und doch so deutlich wie ein Schockzauber.
Das Gespräch mit Gwendolyn lag bereits einige Wochen zurück. Als Narzissa an jenem Morgen in den Speisesaal trat, um zu frühstücken, lag auf ihrem Teller ein Pergamentumschlag.
Hastig und mit pochendem Herzen öffnete sie ihn und zog den Brief mit saphirblauer Tinte hervor.
Liebe Narzissa,
ich weiß nicht, wie ich beginnen soll, aber ich glaube, dass es an der Zeit ist, ehrlich zu sein. Unsere Verbindung war nicht einfach, und ich kann nicht leugnen, dass ich einen Teil der Verantwortung dafür trage.
Ich habe mich bemüht. Das tut mir leid. Du hast immer alles gegeben, um unsere Familie zusammenzuhalten, und ich habe das nicht genug gewürdigt.
Ich weiß, dass Worte allein nicht ausreichen, um die Schäden zu reparieren, aber ich möchte es in Zukunft versuchen. Ich möchte, dass mehr vor uns liegt außer Verantwortung und Pflichten, und ich hoffe, dass du das noch genauso siehst.
Ab imo pectore,
Lucius
Ihre Brust schien ein einengendes Band zu sprengen. Tränen der Erleichterung und des Glücks strömten über Narzissas Wangen, als sie den Brief zum wiederholten Male las. Sie wusste, dass es Zeit brauchen würde, um das Vertrauen zwischen ihnen wiederherzustellen. Doch jetzt, da auch Lucius dazu bereit war, gab es endlich Aussichten auf Erfolg.
Als Lucius an diesem Abend nach Hause kam, empfing Narzissa ihn bereits im Eingangsbereich. Sie nahm ihm den Reiseumhang ab und brachte ihn zur Garderobe. Als sie sich umwandte, trat Lucius auf sie zu und nahm ihre Hände in seine und hauchte einen Kuss darauf.
Narzissa konnte ihr Glück kaum fassen, und sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.
»Danke«, flüsterte sie heiser.
Lucius nickte nur.
»Das Abendessen steht bereit«, sagte sie dann.
Gemeinsam gingen sie zum Speisesaal und in diesem Moment wusste Narzissa, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
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