XII; [remember winter days]

"Hast du wieder etwas versehentlich gestohlen?!", kam es wie aus der Pistole der Schwester geschossen, als kurz Ruhe zwischen den beiden geherrscht hat. Ryoyu hielt den Atem an und begann erst einmal nachzudenken, wie Yuka auf diesen Gedanken gekommen war.

Er schloss kurz seine Augen und schluckte den letzten Rest Frust, der wie ein Brocken in seinem Hals steckte.

"Ich habe nichts gestohlen", schnaubte er und fuhr mit einer Hand energisch durch seine Stirnfransen. Doch je länger dieser Satz in seinem Kopf nachhalte, desto mehr kam es ihm wie eine Lüge vor. In weiter, weiter Hinsicht hat er etwas gestohlen; und ihm wurde etwas gestohlen.

Etwas, dass er nie gedacht hatte in seinem Körper existent zu sein.

"Was dann Brüderchen", hörte man die leichte Verzweiflung der Schwester, die sich hörbar keinen Grund im Kopf zusammenreimen konnte, weswegen Ryoyu sie anrief. Meist tat er dies in einer ihm unausweichlich schweren Entscheidung oder bei einem Streit zwischen Junshiro und ihm.

Nun kam wieder dieser Moment, indem Ryoyu lieber seine Schwester nicht angerufen hätte. Eigentlich wusste er selbst nicht einmal, was los ist.

Er kratzte sich an der Wange und fletschte nachdenklich die Zähne. Mit einer schnellen Beinbewegung drehte er sich, samt der Bettdecke auf seinem Körper, um 90 Grad nach links, um mit den Kopf über die Bettkante hängen zu lassen. Die schwarzen Strähnen streckten sich sanft dem Boden entgegen und sein Kiefer entspannte sich wieder. Jedoch begann sein Kopf bereits jetzt schon vom Blutstau zu pochen, worauf er sich wieder an seine ursprüngliche Position zurückdrehte.

"Ich hab' ein Problem."

"Hast du mit Junshiro gesprochen?", versuchte Yuka sich mit dieser Frage ein Bild der Lage zu machen. Ryoyu spürte, wie das angestaute Blut in seinem Kopf zurück zu seinen Füßen sackte. Seine Schwester hat ihn nun auf eine Problematik aufmerksam gemacht, die es mit Vorsicht zu genießen galt.

"Ähm", reizte er damit die tiefsten Lagen seiner Stimme aus und wurde somit mit einem rauen Unterton verzerrt.

"Hast du mit ihm gestritten?"

Das werde ich aber noch, dachte sich der jüngere und räusperte sich. Erneut ließ er seine Beine arbeiten und wanderte mit dem Kopf schwungvoll an das Fußende des Bettes, um den pochenden Kopf zu beruhigen.

"Es geht um ein Thema, dass ich mit ihm nicht bereden werde", hauchte Ryoyu leise und dennoch mit kräftigem Unterton, dass es Yuka verstand. Sie schwieg für mehrere Sekunden und Kobayashi wusste dies nicht einzuteilen. Während eines Telefonates hat seine Schwester noch nie wirklich geschwiegen, weder noch sich lange Zeit gelassen, nachzudenken.

"Was hast du angestellt Ryoyu", begann sie leise und baute ihre Stimme mit einem tiefen Atemzug auf. "Bist du verrückt geworden Ryoyu?!"

Kobayashi wäre fast das Smartphone aus der Hand gefallen, da sich keinesfalls so eine Antwort erwartet hatte. Er wusste, mit Yuka konnte er über alles sprechen ohne dass es gleich an die Eltern oder seine Geschwister verraten wurde. Auch wenn Ryoyu immer geglaubt hat, Yuka als Schwester zu haben war langweilig und nur seine Brüder zum Spaß haben da, ist sie in heutiger Hinsicht ein Segen für sein manchmal chaotisches Leben, in dem er selbst ohne Hilfe keine Ordnung mehr finden konnte.

"Yuka?", fragte er unsicher und ohne eine Lücke für ein weiteres Wort zu haben, begann seine Schwester auf ihn einzureden, als wäre er ein Kindergartenkind.

Welch unbeschreiblicher Idiot er doch sei und dass sie nun wusste weswegen er in der gestrigen Qualifikation disqualifiziert worden war.

"Yuka!", machte Ryoyu seinen Standpunkt nochmals deutlich und riss damit seine Schwester aus ihrer Rede. Sie schnaubte ein wenig verärgert auf der anderen Seite und gab somit Ryoyu das Zeichen, dass er nun reden konnte.

"Ich dope nicht Yuka. Deswegen bin ich nicht disqualifiziert worden, sondern wegen meinem Reißverschluss."

Wenn es ein Thema gab, dass bei der Familie Kobayashi heikel wurde, dann war es Doping. Der Jahrgang Ryoyus war dafür bekannt gewesen, hin und wieder bei kleinen unbedeutsamen Wettkämpfen sich einen Vorteil zu verschaffen und Lücken in den Regeln zu finden. Ryoyu war einmal Opfer geworden, indem er die gleich aussehenden Trinkflaschen eines seiner Mitstreiter vertauscht und somit hochkantig suspendiert worden war, für mehrere Monate. Junshiro war der erste, der vom Lehrer damals zur Rechenschaft gezogen worden war, weswegen sein kleiner Bruder so etwas machen sollte.

"Ach so", hauchte sie leise und er hörte im Hintergrund das Verschieben eines Sessels, auf den sich Yuka niederlassen müsste. "Entschuldige."

Er schüttelte leicht den Kopf und sah zu seine Zehenspitzen herab, die in Socken gesteckt unter der Bettdecke hervorlugten.

"Kennst du das wenn...", tippte er nervös auf seinem Bauch herum und starrte an die Zimmerdecke. "...wenn man so ein komisches Kribbeln im Bauch hat."

Yuka hat seit einem guten Jahr einen Freunde und Ryoyu hoffte durch sie vielleicht herauszufinden, in welche Kategorien er welche Emotionen einstufen musste. Er hatte schlichtweg keinen Plan, wie er sonst das Thema anpacken sollte.

"Ryoyu", erhob sich ihre Stimme in eine höhere Lage und sah in seinem Kopf das Bild, wie sie sich nach vor lehnte um ihre Freude kurzerhand aus sich herausplatzen zu lassen. "Hast du dich verliebt?"

Er lächelte kurz, aus welchen Grund auch immer sein Kopf ihn dazu veranlasste und begann mit einer Haarsträhne zu spielen.

"Kannst du mir bitte erklären, was das ist - verliebt sein", runzelte er die Stirn als müsste ihm eine Lehrerin das Multiplizieren erklären. Doch dieses Thema war um einiges komplizierter und sah dennoch so einfach aus.

Yuka kicherte und holte tief Luft, um viele Minuten voller Weisheiten und Erfahrungswerten mit ihrem Bruder auszutauschen, der ihr nur aufmerksam zuhören wird.

"Du fühlst dich angezogen zu jemanden und du willst ihm immer sehen; in jeder freien Minute die du Zeit hast."

Ryoyu grübelte kurz und musste diese Frage mit einem Kopfschütteln für sich beantworten. So stark war nun dieses Angezogenfühlen zu Mona auch wieder nicht.

"Du fühlst ein Kribbeln im Bauch, wenn du an die Person denkst oder sie siehst."

Auch dies wurde mit einem Kopfschütteln verneint. Er fühlte sich wohl neben Mona, dennoch begann sein Magen nicht zu rumoren, wenn er an sie dachte.

"Sagst du jetzt endlich etwas?", klang seine Schwester fast ein wenig eingeschnappt und Ryoyu riss sich selbst aus seinen Gedanken. Als wäre dort ein Fangnetz in seinem Kopf, verfing er sich in jeder unachtsamen Minute.

"Entschuldige Yuka, ich..."

So schnell Roy kaum handeln konnte, wurde die Tür schier aus ihren Angeln gerissen und eine Person stürmte hörbar in den Raum. Eine Sekunde darauf fiel diese im Eiltempo wieder zu und Ryoyu saß pfeilgerade im Bett. Sein Smartphone war ihm abhanden hinter das Bett gekommen und sein Kopf flog zur Seite.

Junshiro stand im Hotelzimmer.
Die Haare, nasse dicke Strähnen als wäre er gerade erst aus der Dusche gestiegen.
Seine Ohren leicht rötlich und die Augen zu schwarzen Teufelsknöpfen gebildet.

Ryoyu erhob sich langsam aus dem Bett, ohne auch daran zu denken, dass die Decke nun vor seinen Fußen auf den Boden fiel.

"Hast du eigentlich völlig den Verstand verloren?", knurrte Junshiro zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sein Blick war eisern und trug einen Hauch von Traurigkeit in sich.

Der jüngere wusste kaum wie ihm gerade geschah und sein Bruder hatte offenbar etwas dagegen.

Junshiro war oft auf ihn böse gewesen; nicht zuletzt wo er ohne Erlaubnis die Ski ausgeborgt hatte und noch so einige Male in der Kindheit. Doch niemals, wirklich niemals hat der älteste des Kobayashiclans den vorletzten Sprössling in unterster Manier beleidigt, was Ryoyu jetzt auch nicht erwartete.

"Junshiro was...", hauchte er in seiner Überwältigung hervor und erntete nur einen Schritt den der ältere auf den jüngeren zuging; langsam und gleichmäßig bis nur noch wenige Zentimeter deren beider Nase von einander trennte.

Je näher Junshiro Ryoyu kam, desto mehr sah er Enttäuschung in den Augen spiegeln die sich sonst immer emotionslos parteiisch hielten. Jedoch wusste er nicht, was sein wirklicher Grund war, für so ein Auftreten.

"Frag mich jetzt nicht was ich meine", hauchte er hervor und Ryoyu hat nun beschlossen, nichts mehr zu sagen, bis sein Bruder das Zimmer verlassen hat. Er scheint in keinem diskussionsbereiten Zustand zu sein.

"Was fällt dir eigentlich ein einen Fan in dein Leben zu lassen, hm?!"

Ryoyu zuckte erschrocken einen Schritt zurück und spürte wie Tränen langsam seine Augen füllten. Sein Herz, welches vorhin aufgeregt zum Hals pochte, verkroch sich nun im hintersten Eck seiner Zehenspitzen. Er verspürte Angst in einer komplett anderen Form. Er hatte nicht Angst vor Junshiro, eher, dass er ihm etwas verbat was Ryoyu unterbewusst heilig geworden war. Die Hände erstarrten in einer Position, die vorhin noch nervös miteinander gespielt haben. Die Augen flogen von einem Punkt zum anderen den er anvisieren wollte, doch er nicht in die Augen seines Bruders sehen konnte.

"Hast du dich verliebt?! Hat sie dich um den Finger gewickelt?!"

Der jüngere versuchte den erneut angestauten Kloß hinunterzuschlucken, doche s fühlte sich an, als würde er fast daran ersticken. Auch die Tränen versuchte er durch Blinzeln zu vertreiben. Jedoch den Schweiß auf seiner Stirn konnte er nicht vernichten, da sein Körper jegliche Arbeit verwehrte.

Junshiro ging noch einen Schritt weiter und packte, da Ryoyu keine Antwort von sich gegeben hat, ihn mit einem festen Griff an der Schulter.

Langsam begann sich der Hals wie mit einem Knoten zuzuschnüren und sogar die Atmung wurde ihm verwehrt; jedoch nicht durch die Fremdeinwirkung von Junshiro.

Ryoyu konnte nicht leugnen, keinen Respekt vor Junshiro zu haben; und zu den Taten zu denen er fähig war. Es war nicht schon einmal vorgekommen, dass er sich im Rauschzustand mit drei gleichzeitig angelegt hatte; jedoch selbst nur mit einem blauen Fleck davon gekommen war.
Doch Familie war wieder etwas anderes.

Die beiden starrten sich tief in die Augen, als würden sie versuchen antworten zu finden, auf die Fragen von einander.

"Hast du dich in sie verliebt?!", schrie Junshiro, dass es nur so durch den Raum hallte und Ryoyu schüttelte den Kopf.

Die Hände an seinem T-Shirt lockerten sich, die zweite Hand wanderte an seine andere Schulter. Junshiro nickte nur und brachte Worte hervor, für die Ryoyu keine Aufmerksamkeit mehr aufbrachte. Er nickte nur höflichst und hauchte, dass er doch recht habe. In seinen Inneren widersprach jede noch so kleine Zelle dem gesprochenen.

Junshiro verließ das Zimmer und unmittelbar nachdem die Tür geschlossen war, brach Ryoyu in einem Hustenreiz aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hat seine Lunge den Dienst quittiert und ihm seine Angst in einer Weise gezeigt, wie er sie noch nie gespürt hat.

Schier leise schlich Kento in das Zimmer, als würde Ryoyu sein schlechtes Gewissen sowieso nicht spüren. Kobayashi schluckte hart und fühlte sich wie vor eine Wand gefahren. In seinem Kopf herrschte eine Leere, die mit nichts zu beschreiben war.

Er wusste nicht zu fühlen, er wusste kaum wie er darauf reagieren sollte.

Jedoch würdigte er Kento keines Blickes und reagierte auch nicht auf seine Fragen, als er sich hinkniete und ein Handtuch schnappte, um sich danach im Badezimmer zu verkriechen, damit sein Zimmerkollege seine Tränen nicht beobachten konnte.


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