10. Infernale

Infernale (ital.): teuflisch, höllisch

Er hatte Silvester bei Moriarty verbracht. Es war ihr erstes gemeinsames Fest gewesen, ohne dass jemand vom Netzwerk anwesend gewesen war. Um Mitternacht hatte er James in den Arm genommen und ihn hinter verschlossenen Vorhängen geküsst. Dann waren sie gemeinsam im Bett gelandet und es war das erste Mal, dass Sebastian eingeschlafen war. Glücklicherweise war auch der erste Januar ein Feiertag und niemand hatte etwas von dem Professor gewollt, sodass sie nebeneinander aufgewacht waren und als er in James dunkle Augen gesehen hatte, wusste er, dass er nie wieder so glücklich würde sein können.

Sie hatten gefrühstückt und es hatte sich angefühlt, als sei es das normalste der Welt. Es war fast wie in allen anderen Haushalten gewesen, in denen die Familie oder die Eheleute morgens am Tisch saßen, Brot aßen und Tee tranken. Sebastian hatte sich der Illusion hingegeben und für einen Moment vergessen, dass ihre Liebe in England ungewollt war.

Das Jahr knüpfte dort an, wo das letzte geendet hatte und so mehrten sich die wichtigen und vor allem gut bezahlten Aufträge. Einer der Aufträge kam sogar aus dem weit entfernten Amerika. Es war lange das Land aus Sebastians Träumen gewesen, doch als sie den Auftrag erhielten, war dieser ebenso dreckig wie alle, die aus dem Vereinigten Königreich stammten.

Ein gewisser Ted Baldwin bat Moriarty einen Mann namens Birdy Edwards ausfindig zu machen, der aller Annahmen nach unter falschen Namen in England lebte. Es ging um eine sehr alte Rechnung, die es zu begleichen galt und Moriartys Ruhm war inzwischen weit in der Unterwelt vorgedrungen.

Tatsächlich gelang es Moriarty innerhalb weniger Wochen den Gesuchten aufzustöbern. Birdy Edwards nannte sich Mr. Douglas und lebte in Birlestone. Moriarty organisierte Baldwin eine Überfahrt nach England und schickte diesem Adresse und genauere Angaben zu Douglas Wohnsituation.

Es war eine Woche bevor Baldwin in England anlegte, dass Inspector McDonald Moriarty aufsuchte. Sebastian erfuhr von dem Besuch erst einen Tag später und kurz packte ihn die Panik, dann grinste James und erklärte ihm, dass er sich mit dem guten Inspector über Eklipsen unterhalten habe. Natürlich habe McDonalds sich von ihm einlullen lassen und am Ende habe er dem Inspector eine Hand auf die Schulter gelegt, ihm ins Gesicht gesehen und gewusst, dass der Mann keine Gefahr darstelle.

Vor Erleichterung drückte Sebastian James einen Kuss auf die Stirn und dann stießen sie mit Whiskey auf einen guten Monat und das Verbrechen an.
In diesem Moment war Sebastian fest davon überzeugt, dass alles immer gut gehen würde. Dass das Glück auf ihrer Seite stand und nie von dieser abweichen würde, denn wer, wenn nicht sie, hatte die Sonnenseite des Lebens mehr verdient?

Das Gefühl hielt genau zwei Wochen. Es war eine seltsame Nachricht, die sie aus Birlestone erreichte. Mr. Douglas oder Birdy Edwards hatte überlebt, Ted Baldwin war Tod. Edwards hatte ihm anscheinend den Kopf weggepustet, sodass anfangs nicht zu erkennen war, um wem es sich bei dem Opfer handelte. Ein gewisser Sherlock Holmes hatte das Rätsel gelöst und Moriarty tobte bei der Erwähnung des Namens.

Es dauerte zwei Monate, bis es Mr. Douglas erneut in die Schlagzeilen schaffte. James war nicht ganz unschuldig an diesem kleinen Zwischenfall, der sich an Bord eines Schiffes auf dem Weg nach Amerika ereignete. Ein Mann, dessen Zeit schon vor Monaten abgelaufen war, landete auf dem Grund des Meeres und in London wurde diese Nachricht von ihnen mit einem Glas Sekt gefeiert.

Der kleine Dämpfer hätte Sebastians Laune und seinem unerschütterlichen Glauben an das Glück, welches sie umgab, sicher keinen Abbruch getan, hätte sich nicht Wochen nach diesem Ereignis ein viel Schlimmeres zu getragen, dessen vollen Tragkraft ihnen erst drei Jahre später bewusstwerden sollte.

Es war Ende August und eine schwüle Hitze hatte von London Besitz ergriffen. Die Luft flimmerte und unangenehme Gerüche hielten sich ungewöhnlich lange, sodass die ganze Stadt ein wenig nach Fäkalien und Verdorbenen roch. Am liebsten blieb Sebastian dieser Tage in seiner Wohnung, in welcher er selten von James und des Öfteren von Mary Ann besucht wurde. Es hatte sich die letzten Monate über eingebürgert, dass sie sich mindestens einmal die Woche trafen, um gemeinsam zu kochen. So auch an diesem Abend, an dem Sebastian eine Flasche Wein besorgt hatte, die sie nun gemeinsam leerten.

Mary Ann blickte nachdenklich auf ihr Weinglas. Sie hatte bislang nur einen Schluck getrunken, während Sebastian bereits beim dritten Glas angekommen war. Ihm fiel auf, dass sie stiller war als sonst, fast als sei sie in Gedanken an einem ganz anderen Ort.

„Woran denkst du?", er nahm einen weiteren Schluck. Inzwischen spürte er den Alkohol, der sich wie Watte um sein Gehirn gelegt hatte. Sie sah ihn einige Sekunden lang an, dann lächelte sie traurig.

„Vorgestern war Joes Todestag", ihre Stimme brach weg und Tränen stiegen ihr in die Augen, „Verdammt, Seb, ich vermisse ihn. Es ist zwei Jahr her und es tut so verdammt weh. Ich meine, ich kann doch nicht die einzige sein, der noch immer so wehtut."

Sebastian widerstand dem Drang sie in den Arm zu nehmen. Er war nicht der Mann, nach dem sie sich sehnte. „Ich vermisse ihn auch."

„Wirklich?", sie sah auf und er konnte die feine Spur erkennen, die die Tränen auf ihrem Gesicht hinterlassen hatten, „Du wirkst immer so... ich weiß nicht. Glücklich. Ja, seit deiner Lungenentzündung bist du irgendwie gelöster."

„Du hast Recht, ich bin glücklich. Aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht vermisse."

Sie nickte und kurz entstand ein Moment der Stille zwischen ihnen, dann seufzte sie. „Darf ich dich was fragen, Seb?"

„Was immer du willst."
„Was ist das eigentlich zwischen dir und dem Boss?"

Fast wäre Sebastian am Wein erstickt, doch so hustete er nur und fühlte sich dabei unglaublich dumm. Unauffälliger ging es kaum noch.

„Was soll mit uns sein?", presste er zwischen zwei Huster hervor.

„Du bist praktisch andauernd bei ihm. Ich meine Joe war auch häufig bei ihm, aber du bringst das Ganze auf ein neues Level. Ich will mich in nichts einmischen, es geht mich auch nichts an, aber ich habe Augen im Kopf und bin nicht dumm. Du bist glücklich und der Boss ist... naja nicht glücklich, aber glücklicher."

„Du hast Recht, es geht dich nichts an."

„Seb, ich habe nicht vor irgendwem irgendwas zu sagen. Es ist mir auch egal, was ihr tut. Ehrlich ich freue mich einfach nur für dich", ihr Lächeln war ehrlich, obwohl es nicht ihre Augen erreichte, „Es tut nur manchmal weh, dich so glücklich zu sehen und zu wissen, dass Joe und ich dasselbe hätten haben können. Ich war einfach zu feige und das hier ist meine Strafe."

„Es war nicht deine Schuld, dass Joe sterben musste", er dachte an James und an seine eigene Schuld.

„Es fühlt sich an als wäre es meine."
„Du hast weder veranlasst, dass er getötet wird, noch hast du ihn getötet. Wie soll es deine Schuld sein?"

Sie zuckte mit den Schultern und sah noch immer so verloren aus, dass Sebastian nun tatsächlich aufstand, um sie in den Arm zu nehmen.

„Es war eine Tropische Krankheit und wie ich vermute eine unheilbare", flüsterte er. Dass sie sich kurz in seinen Armen versteifte bekam er nicht mit.

„Am Anfang war es nur Fieber. Wie bei einer Grippe", sie hatte sich von ihm abgestoßen und blickte ihn an, „Der Boss hat Dr. Smith vorbei geschickt und der hat Joe eine Spritze gegeben. Er hat gesagt, es würde besser werden, aber es ist schlimmer geworden, Sebastian."

Sie nahm ihr Weinglas, stellte es zurück und ging zwei hastige Schritte auf und ab. Mary Ann begann auf ihrer Unterlippe zu kauen und Sebastian wusste, dass sie in Gedanken war. Er wollte etwas sagen, doch sie begann wieder umher zu tigern. Dann blieb sie abrupt stehen.

„Bist du sauer, wenn ich nicht zum Abendessen bleibe?", ihre plötzliche Unruhe machte ihn nervös, „Mir ist... ich muss etwas überprüfen."

Ohne eine Antwort abzuwarten, rauschte sie an ihm vorbei aus der Wohnung. Perplex sah er ihr nach, zuckte dann mit den Schultern und wandte sich dem Auflauf im Ofen zu, der so gut wie fertig war. Er leerte sein und ihr Glas, dann holte er den Auflauf aus dem Ofen und fühlte ihn in ein Gefäß um, das er gut tragen konnte.

Mit dem Gefäß unterm Arm machte er sich auf den Weg nach draußen, wo er die erstbeste Droschke anhielt und den Fahrer zur Villa des Professor Moriarty dirigierte. Es waren gerade mal fünf Minuten Fahrzeit und hätte Sebastian das Essen nicht dabeigehabt, wäre er sicher zu Fuß gegangen.

James öffnete ihm beinahe augenblicklich. Sebastian hielt die Dose mit dem Auflauf hoch und lächelte, als der Professor zur Seite trat, um ihn rein zu lassen.

„Ich dachte, du und Mary Ann haben donnerstags immer euren gemeinsamen Kochabend", sagte James, während sie in die Küche gingen, wo er sich daran machte zwei Teller aus dem Schrank zu holen. Sebastian stellte währenddessen das Essen auf den Tisch und holte zwei Gläser rausholte und mit Wasser füllte.

„Wir haben auch zusammengekocht, aber dann musste sie plötzlich weg", murmelte er und befüllte ihre Teller, „Und da ich weiß, dass du selbst nie kochst, dachte ich, dass ich vorbeikomme. Ehrlich gesagt freue ich mich auf das Dessert am meisten."

James ignorierte den letzten Teil seiner Bemerkung, doch Sebastian war sich sicher, dass ein leichtes Grinsen über sein Gesicht gehuscht war. Eine Weile aßen sie stillschweigen und Sebastian dachte, dass er sich für das gelungene Essen wirklich auf die Schulter klopfen konnte.

„Warum musste Mary denn so plötzlich weg?", fragte James, als er seinen Teller geleert hatte.

„Keine Ahnung. Wir haben über Joe geredet und über seine Krankheit. Ich habe ihr gesagt, dass es nicht ihre Schuld ist, dass er tot ist."

„Was genau hast du ihr gesagt?"
„Warum willst du das wissen?"

„Weil ich Mary Ann sehr gut kenne und ich noch nie eine klügere Frau in meinem Leben getroffen habe", James wirkte nervös, „Wir wissen, dass Joes Tod nicht ihre Schuld war, er ist wegen uns gestorben. Sebastian, ich muss wissen, was du ihr gesagt hast."

Spätestens nun wurde Sebastian klar, dass das Dessert ausfallen würde. „Ich weiß es nicht mehr so genau. Ich hatte ein paar Gläser Wein. Kann sein, dass ich eine Tropenkrankheit erwähnt habe und sie dann irgendwas von einem Dr. Smith erzählt hat. Und dass es erst nur Grippe war."

„Wie kann man nur so dumm sein?", wie aus dem Nichts hatte James seine Stimme gehoben.

„Du hast mir nie erzählt, was du damals getan hast, um Joe zu töten. Ein bisschen mehr Informationen und ich hätte gewusst, was ich hätte sagen können", verteidigte sich Sebastian, der ebenfalls lauter als notwendig sprach.

„Ein bisschen weniger Alkohol und du hättest es gewusst", fauchte James und die Worte hinterließen ein unangenehmes Gefühl in Sebastians Magengegend, „Mann, Sebastian. Du wolltest es gar nicht so genau wissen, aber gut, dann erzähle ich es dir nun. Und nur damit du es weißt, Joes Tod ist deine Schuld. Culverton Smith, der Arzt, ist Experte auf dem Gebiet der tropischen Krankheiten. Ich habe seine Dienste in Anspruch genommen. Erst schien es, als würde Joes Körper mit der Krankheit klarkommen, vermutlich hat Culverton sich verschätzt, dann habe ich ihn vorbeigeschickt und er hat Joe noch einen anderen Erreger gespritzt. Es war ärgerlich, weil sich sein Tod so unnötig hingezogen hat und Miller sehr leiden musste, aber es war es wert."

„Na wenigstens hat es sich gelohnt", es klang sarkastisch und Sebastian wusste, dass er unfair wurde. Zwei Jahre lang hatte er von Joes Tod profitiert, war manchmal beinahe dankbar gewesen, dass James ihm einen solchen Liebesbeweis erbracht hatte.

„Das hat es. Für uns beide, wenn du ehrlich bist", es war beinahe seltsam wie sanft James Stimme auf einmal wieder klang. Süßes Gift, dem Sebastian nie würde widerstehen können. Er blickte auf, in die dunklen Augen des Geliebten und wusste, dass er recht hatte. Es gab kein zurück mehr und selbst wenn es das gegeben hätte, wäre er nicht zurückgekehrt.

„Ja. Es tut mir leid", er überlegte, „Wenn Mary Ann es nun weiß... sie wird doch nichts tun, oder? Ich meine, sie weiß auch von uns, aber..."

„Das zwischen uns ist ihr egal. Aber du vergisst, dass sie Joe Miller wirklich geliebt hat, dass sie es immer noch tut. Wenn sie wirklich weiß, dass wir ihn umgebracht haben, dann haben wir ein riesiges Problem, Sebastian. Es gibt niemanden, der gefährlicher ist als eine zutiefst verletzte Frau, denn sie hat nichts mehr zu verlieren."

„Im Gegensatz zu uns. Wir könnten eine ganze Menge verlieren."

[...✴...]

So langsam nimmt die Sache Fahrt auf, was meint ihr?

Und ahnt ihr schon worauf es hinausläuft?

Ich habe nur noch drei Kapitel auf Lager und muss dummerweise gestehen, dass ich mich ein wenig in eine Schreibblockaden hineinmanövriert habe.

Ich hoffe sehr, dass ich nach der Klausurenphase frischen Wind in den Segeln habe, um weiter zu schreiben.
Aber erstmal haben die Klausuren Vorrang.

Wie dem auch sei, wir lesen uns,
A.S.

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