6- Koffeinhaltige Statistiken
,,Wie trinkst du deinen Kaffee?", fragt er und läuft hinter die Theke.
,,Schwarz. Und Zucker brauche ich nicht, da ich süß genug bin", versuche ich locker rüber zu kommen. Mit Erfolg.
Mit einem herzhaften Lacher zieht Liam einen Schein aus seiner Hosentasche und legt ihn in die Kasse. ,,Das geht auf mich. Ich arbeite hier ab und zu."
Ich ziehe einen Stuhl zurück, setze mich an die Theke und lege den Bücherstapel neben mich.
,,Danke."
,,Immer wieder gern." Er zwinkert einmal, bevor er weiter mit den Gerätschaften herumhantiert.
Es gibt Menschen, die dieses Zwinkern einfach drauf haben. Bei mir würde es eher aussehen, als hätte ich etwas im Auge und das ganz verzweifelt.
Mein Blick wandert im großen Saal umher.
Die Ingenieure gehören gelobt und umarmt dafür, dass sie ein Café innerhalb der Bibliothek eingeplant haben. Und natürlich ist auch die Person, die für die Einrichtung zuständig war, genial. Es ist zwar schlicht gehalten mit einigen Tischen, Stühlen und zwei großen Couchen, aber nichtsdestotrotz mit so viel Wärme eingerichtet, dass es einladend wirkt. Überall sind Menschen verteilt, die sich entweder angeregt unterhalten oder über ein Buch gebeugt sind.
,,Voilà." Klirrend werden zwei Becher vor mir abgestellt. Ich ziehe einen an mich heran und die Wärme des Gefäßes brennt wohltuend an meinen Fingern.
Es ist merkwürdig. Wir verstehen uns auf Anhieb auf einer Ebene, in der die Ruhe nicht unerwünscht ist. Ich bin erleichtert, dass er nicht zu der Sorte Mensch gehört, die aus Prinzip unsicher lachen, um die Stille zu füllen. Vielleicht hat das etwas mit Charakterstärke und Selbstbewusstsein zu tun. Wobei zu bedenken ist, dass mein Selbstbewusstsein meistens in der Ecke hockt und weint. Wer weiß das schon, es ist nicht Tag der Antworten.
Mit wenigen Schritten läuft er um die Theke und setzt sich neben mich.
,,In deinem Becher ist nur Wasser."
,,Meine Begeisterung für Getränke aller Art hält sich in Grenzen", entgegnet er knapp.
Ich rutsche auf meinem Stuhl etwas herum, denke nach, wähle die Worte mit sorgfalt. ,,Also, was machst du, wenn du mal nicht hier arbeitest?"
,,Wenn ich mal nicht zum Arbeiten hierherkomme, bin ich zum Lesen da", schmunzelt er. ,,Aber bis vor drei Monaten habe ich noch studiert. Biologie und Ethik auf Lehramt."
,,Insofern hast du entweder abgebrochen oder bist fertig?"
,,Nicht wirklich. Nehme mir eine ein-jährige Pause aus persönlichen Gründen und so."
Ich nicke. Nach seinen persönlichen Gründen frage ich lieber nicht, da es mir unberechtigt vorkommt. Das ist das zweite Mal, dass ich ihn treffe und bereits beim ersten bin ich mit meiner Tür ins Schloss gefallen. Es ist mehr als angebracht, einen Schritt zurückzugehen. Oder zwei.
,,Aber genug von mir. Womit beschäftigst du dich in der Freizeit?
,,Ich liebe es, zu blasphemieren."
,,Ich weiß noch nicht mal, was dieses Wort bedeutet." Das wusste bisher niemand, weswegen meine Antwort prompt folgt.
,,Gotteslästerung."
Er reißt die Augen auf. Sprachlosigkeit und Entsetzen versetzen seiner üblich gefassten Gestalt einen Tritt ins Gesicht.
Diese Reaktion hab ich nicht erwartet, ich weiß nicht ganz, was ich erwartet habe. Nichts. Ich hätte mir das verkneifen sollen, da ich ihn kaum kenne. Im Grunde ist es selbstverständlich, dass manche Menschen sehr sensibel sind bei so ziemlich allem, was Gott anbelangt.
,,Ich bin gläubig." Verdammt. Meine Verdammnis zum Quadrat. ,,Ist das dein Ernst?", setzt er nach.
,,Natürlich nicht." Ich nehme einen Schluck Kaffee, um das ausklingen zu lassen. Eine bittere, heiße Brühe.
,,An dieser Stelle grüßt mein hervorragender Humor." Mein Herzschlag geht schneller. Womöglich dank dem Kaffee, ich hoffe es.
Sein betroffener Ausdruck entspannt sich. ,,Das hättest du nicht wissen können. Alles gut! Das war etwas aufgespielt von mir."
,,Verzeih. In mir fließt atheistisches Blut."
,,Jedem das seine. Mach dir keine Sorgen." Wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, nimmt er es wirklich mit Humor.
,,Also, was tust du wirklich?", gibt er sich interessiert.
,,Aufgrund der Uni bleibt nicht viel Zeit für anderes übrig. Meistens lese ich oder wenn es eine sehr stressende Phase ist, noch nicht mal das." Ich nehme einen weiteren Schluck. Es brennt so gut auf der Zunge.
,,Dann liege ich nur faul auf meinem Bett und tue das, was ich am besten kann. Nämlich nichts."
,,Das kenne ich zu gut." Sein Lachen erklingt so natürlich und unbekümmert. Ich verschweige lieber, dass das kein Scherz ist.
,,Schreiben", ich versuche festzulegen, wie viel ich von mir preisgeben soll. Davon kann ich ihm noch erzählen, obwohl ich schon lange nichts mehr verfasst habe.
,,Das Schreiben ist schon immer eine Leidenschaft von mir gewesen."
,,Geht mir genauso." Mein Blick schnellt von meinen Händen hoch zu ihm. Jetzt wenn er es erwähnt, passt die Vorstellung irgendwie. Er in einer Ecke mit Stift und Papier, Buchstabe und Zeichen, Wort und Satz. Daran hab ich gar nicht gedacht, aber bisher überrascht er mich fortwährend.
,,Wie lang schreibst du schon?"
,,Seit der ersten Klasse. Die Worte waren schon immer da, aber das Alphabet hat gefehlt", fallen die Wörter direkt aus seinem Mund heraus. ,,Diese Phrase hab ich mir mal zu Recht gelegt, sollte man mir diese Frage stellen."
Meine Mundwinkel wandern nach oben. ,,Interessant."
Wörter haben eine Tiefe, an der ich manchmal zu ertrinken drohe. Und trotzdem können sie der Schlüssel des Käfigs sein und einen befreien.
,,Soll ich dir etwas sagen, Liam?"
Ich lehne mich etwas weiter vor zu ihm und flüstere:,,Gefühle sind die Essenz des Schreibens. Sie bilden eine Materie für sich. Und der Drang diesen Teil, die Essenz von mir abzuspalten, erschafft die Tinte, die ich an die Wände dieser Welt klatsche." Schrecklich formuliert, zu schrecklich wichtig, um es nicht auszusprechen.
Verwunderung ziert sein Gesicht. Die Augenbrauen hochgezogen und der Mund leicht geöffnet, eine gute Verwunderung.
Zufrieden lehne ich mich wieder zurück. ,,Ich kann auch poetisch sein, wenn ich will", grinse ich ihn an und spiele auf das Gruppengespräch beim ersten Mal an.
,,Um genau zu sein, ein möchtegern Poet." Wie wahr. Das muss wohl der Punkt sein, an dem wir beide in Gelächter ausbrechen. Es fühlt sich richtig an, sich mit ihm zu unterhalten. Seit einer gefühlten Ewigkeit habe ich eine einfache, gute Albernheit empfunden bei Menschen. Die Meisten saugen einem die verbleibende Energie aus, sodass man sich nach dem Kontakt nur schlechter fühlt.
,,Harkins. An die Arbeit!", ruft eine Frau mittleren Alters aus dem hinteren Teil des Cafés.
,,Komme gleich! Die Schicht beginnt doch erst in zehn Minuten." Liam dreht sich kurz um und antwortet um einiges sanfter als die Dame.
,,Du lebst riskant. Deinen Job könntest du schneller los sein, als du es mit 'Tut mir leid, kommt nicht wieder vor' versuchen kannst." Mit den Fingern setze ich das eine in Anführungszeichen.
,,Da stimme ich dir zu. Ich lebe so unglaublich riskant. Wusstest du, dass statisch gesehen, der sicherste Platz in einem Auto, der in der Mitte ist? Trotzdem streite ich mich mit meiner Schwester um den ganz außen." Sein Vergnügen ist offensichtlich und meins ist keineswegs zu leugnen.
,,Risiko auf höchstem Niveau. Wie beeindruckend", pruste ich los.
,,So bin ich halt." Er zuckt mit den Schultern. ,,Also, wie lauten deine Pläne für heute, außer faul im Bett zu liegen?"
,,Ich habe später noch einen Termin."
,,Muss ich dich erst auffordern oder erzählst du noch von selbst darüber? Wir wollen doch wegkommen vom Smalltalk." Genau.
,,Ein Arzttermin." Ich hoffe inständig, dass er nicht weiter nachfragt. Nur ungern möchte ich lügen. Ehrlichkeit ist schon immer für mich eine wichtige Komponente bei menschlichen Interaktionen gewesen. Allerdings gibt es nun mal bestimmte Grenzen. Eine davon ist, dass niemand von den Operationen und Chirurgen wissen darf.
,,Tatsächlich? Mein Vater ist Arzt. Ich kenne mich auf dem Gebiet super aus." Er greift nach seinem Becher. ,,Zu wem gehst du?"
Ich zucke zusammen. Soll ich ihm einfach den Namen nennen und hoffen, dass er ihn und seine Fachrichtung nicht kennt oder mir lieber Etwas ausdenken?"
,,Dr. John Geppert." Spontan entscheide ich mich für die Wahrheit. Bekanntlich währt diese am längsten. Ohne Frage können wir gerne das Thema fallen lassen, wenn mir etwas besseres einfällt. Vielleicht Erderwärmung?
,,Ist das hier im Umkreis?" Ich bejahe daraufhin. Warum fällt mir nichts besseres ein als Klimawandel?
,,Komisch", überlegt er laut und eine Falte legt sich auf seiner Stirn, ,,Eigentlich kenne ich alle. Mindestens vom Namen."
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Aber da fragt er schon nach der Straße.
,,Ich treffe ihn außerhalb der Praxis an. Bisher haben wir alles nur telefonisch geklärt. Er möchte es neutral halten. Um mich über alles genau aufzuklären, die übliche Prozedur halt."
,,Für was? Sexualkunde?" Ich möchte die Hand heben, um sie vor meinem offenen Mund zu halten, ich möchte den Kopf schütteln oder einfach verneinen. Ein Rauschen in meinen Ohren. Ich vermute, sie glühen rot auf wie der Rest meines Körpers.
Anscheinend spricht mein Blick Bände. Er greift nach meiner Hand und ich lasse es zu. ,,Es tut mir leid, so war das nicht gemeint. Es klingt nur ziemlich merkwürdig."
,,Kein Problem. Daran hab ich selbst noch gar nicht gedacht." Sogar ich selbst, nehme das Zittern in meiner Stimme wahr. Sein Gedankengang verunsichert mich. Am liebsten möchte ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen, da ich so dermaßen blind durch die Welt laufe und nie weiter nachdenke.
,,Woher hast du seine Nummer und wo trefft ihr euch überhaupt?"
,,Die stand im Internet. Bannelson Street 43", gebe ich kleinlaut zu. Am liebsten möchte ich aufspringen und schreien, dass er der einzige Arzt ist, der mir zugesagt hat. Ich stelle es mir so unglaublich befriedigend vor. Stattdessen bleibe ich sitzen und fühle mich erdrückt.
,,Das ist doch die Gegend mit den Häusern oder?"
,,Keine Ahnung. Kann sein." Das Unwohlsein steigert sich ins Unermessliche. Wie konnte dieses Thema unser lockeres Gespräch so in Besitz nehmen und ins kalte Wasser schmeißen?
,,Ist es wenigstens tagsüber?" Zu viel Fragen. Viel zu viele.
,,Halb acht." Erleichterung legt sich über ihn und seine Schultern entspannen sich sofort. ,,Abends." Beim letzten Wort verlässt die Ruhe ihn. Ich könnte einfach aufstehen und gehen. Dabei könnte ich auch noch in den Tisch einritzen, dass es Liam nichts angeht. Damit er es nicht vergisst oder verdrängt. Denn Tatsache ist, es geht ihn nichts an, was ich tue und mit wem.
,,Das klingt von hinten bis vorne verdächtig. So läuft das nie ab. Ich kann dir versprechen", er bricht mitten im Satz ab. ,,Warte. Worum geht es überhaupt?"
,,Eine persönliche Angelegenheit." Auf keinen Fall werde ich mehr dazu sagen.
,,Also frage ich lieber nicht nach, was diese persönliche Sache ist", stellt er kritisch fest.
,,Ja, gut so."
Die Stirnfalte löst sich einfach nicht auf. Nachdenklich starrt er in seinen Becher. Mir reichte es, das geht zu weit, wir gehen zu weit.
,,Klimawandel!", platzt es aus mir heraus.
,,Was?" Irritiert wendet er sich wieder zu mir. Nach nur kurzer Zeit habe ich es geschafft, dass er mich für gestört hält. Das Verschrecken von Menschen muss ein Talent sein, das ich in meiner nächsten Bewerbung unbedingt angeben sollte.
,,Nichts. Nur ein Gedanke."
Er schüttelt grinsend den Kopf.
,,Violet, du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank. Aber ich mag dich."
Auf meinen Wangen entfachtet sich Feuer.
,,Klar. Eine Tasse halte ich ja gerade in der Hand." Der Witz ist flacher als ein Blatt Papier, aber das führt uns noch weiter weg vom vorherigem Thema.
Entschlossen stehe ich auf, bevor er etwas antworten kann, aber seine Mimik genügt mir als Antwort. ,,Mein Thron in der Hölle wartet auf mich. Ich muss los."
,,Lass diese Witze gefälligst sein!" Dennoch drückt sein Lachen etwas anderes aus. Meine Mundwinkel wandern nach oben, während ich die Hand zum Abschied hochhebe.
,,Warte noch bitte." Ich bleibe stehen und drehe der Tür meinen Rücken zu. ,,Kommst du zum nächsten Treffen?"
,,Um ehrlich zu sein, ich weiß es noch nicht ganz. Vermutlich ja. Und nochmals Danke für deine Minuten. Es war schön mit dir."
,,Mit dir auch." Ich stoße die Tür auf, lasse ihn und die letzte Stunde der Vergangenheit angehören und ziehe die Zukunft durch meine Lungen.
Verzeiht mir, dass ihr so lange auf dieses Kapitel warten musstet. Aber mit dem Stichwort Schule kann bestimmt jeder viel anfangen? Es war so stressig argh :q
Ich bin so unzufrieden mit dem Kapitel, aber besser krieg ich das jetzt auch nicht hin. Aber für die nächste Handlung ist es unglaublich wichtig bzw. sogar unverzichtbar.
Mögt ihr Liam? Wie findet ihr ihn? xD
Dialoge schreiben ist nicht einer meiner Stärken, aber bei Vie und Liam macht es echt Spaß! Ich feier deren Humor hahaha :D (weil es meiner ist xD )
Und zu guter Letzt:
MERRY XMAS :)
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