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Mit dem heißen Kaffeebecher in der Hand laufe ich die Treppen des Eingangsbereiches der University of Toronto hoch.

Wie jeden Montagmorgen mache ich mich direkt auf den Weg zum Vorlesungssaal, indem die erste Veranstaltung stattfindet. Anorganische Chemie. Alleine der Name bringt mich zum Kotzen.

Naomi wartet bereits vor dem Raum. ,,Alles gute zum Geburtstag, du Alte!", rufe ich der Schwarzhaarigen grinsend entgegen. Bei ihr angekommen, ziehe ich sie in eine stürmische Umarmung, wobei mir fast mein Kaffee aus der Hand fällt.

Naomi ist in den sechs Monaten, in denen ich sie kenne, zu meiner besten Freundinnen geworden. Sie studiert ebenfalls Pharmazie.

,,Danke! Das bedeutet mir echt viel.", antwortet Naomi mit ihrer sanften Stimme und lächelt breit. Gemeinsam betreten wir dann den Raum, um uns die interessante Vorlesung von Mr. Briggs anzuschauen. Vielleicht schaffe ich es dieses Mal sogar, nicht einzuschlafen.

Kaum haben wir den Vorlesungssaal verlassen, kommt Lucas angerannt. "Naomi!", er zieht das I extra lang. "Herzlichen Glückwunsch zum Zwanzigsten!" Der Riese springt ihr förmlich entgegen und drückt sie fest, weshalb sie aufschreit.

Lucas habe ich durch Naomi kennengelernt. Die beiden kannten sich bereits aus der Schulzeit. Als wir uns kennengelernt haben, waren sie sogar seit einem Jahr zusammen.

Kurz nachdem ich Lucas kennengelernt hatte, haben sie sich getrennt. Sie haben gemerkt, dass die romantischen Gefühle für den anderen verschwunden sind, sind aber gute Freunde geblieben.

"Du kannst mich loslassen, sonst ersticke ich noch." presst Naomi heraus und haut Lucas auf den Kopf, woraufhin dieser sein Gesicht verzieht und sie loslässt. ,,Vollidiot." murmelt Naomi.

Ich wiederum lache. ,,Ihr beide seid echt verrückt", gebe ich von mir wieder, woraufhin mich beide ausdruckslos angucken.

Sie tauschen einen kurzen Blick aus und fangen an mich zu kitzeln. Mr. Briggs, kommt gerade aus dem Raum gelaufen, schaut mich an und runzelt die Stirn. Dann läuft er kopfschüttelnd weg. Ich hingegen kann wegen den Fingern an meinem Bauch nur lachen.

,,Hast du heute etwas geplant?", frage ich Naomi, als wir gerade die Cafeteria betreten. ,,Ich würde vorschlagen ins Kino zugehen. Aktuell läuft noch ,König der Löwen'. Was sagt ihr?", antwortet sie. ,,Den gucken wir!", bestimmt Lucas. Ich stimme nur mit einem kurzen Summen zu.

An der Theke bestellen wir unser Essen und setzen uns an unseren Stammtisch, an dem ich Naomi kennengelernt habe. Seitdem wir befreundet sind, sitzen wir jeden Tag an diesem Tisch. Er steht in der Nähe der Eingangstür.

Mit einem Lächeln im Gesicht denke ich an den Tag zurück.Erstmals getroffen haben wir uns am ersten Unterrichtstag. Wir hatten beide noch niemanden kennengelernt. Als ich sie dann alleine an einem Tisch sitzen sah, dachte ich nicht viel nach, sondern setzte mich direkt zu ihr.

Seitdem sind wir unzertrennlich.

Lucas' wackelnde Hand vor meinem Gesicht holt mich wieder in die Realität. ,,Erde an Jasmin. Bist du noch am Leben?"

Jasmin ist der Name, der auf meinem gefälschten Ausweis steht, den ich mir sofort nach meinem Umzug besorgt habe. Meine Freunde wissen nicht, dass ich in Wirklichkeit Rania heiße. Nur meine Familie und Freunde in New York kennen diesen Namen. Und zu denen habe ich keinen Kontakt mehr.

Mich kennt hier zwar keiner als Rania, aber falls jemand aus meiner Familie auf die Idee kommt mich zu suchen, bin ich ein wenig sicherer.

,,Was hast du gesagt?", frage ich Lucas. ,,Ich hole dich heute um 18 Uhr ab." antwortet er und fährt sich mit der Hand durch das blonde Haar. "Passt dir das?" Ich erwidere ein kurzes Ja und das Thema ist abgehackt.

Gerade läuft Jessica - oder auch die Barbie, wie ich sie gerne nenne - mit ihrer ,,Gang" an unserem Tisch vorbei und betrachtet mich und Naomi abschätzig. Sie wirft ihre langen, blonden Haare mit einer dramatischen Bewegung nach hinten. Mit den Augen fokussiert sie dabei Lucas und zwinkert ihm zu.

Dieser steckt sich hingegen den Finger in den Mund und ahmt Würgegeräusche nach, wodurch Naomi und ich in Gelächter ausbrechen.

Jessica fällt die Kinnlade herunter und starrt Lucas daraufhin böse an. Wortlos stolziert sie dann in die andere Richtung. Ihre Handlanger schenken Lucas noch einen wütenden Blick, ehe auch sie verschwinden.

,,Sie hat angeblich schon wieder einen Neuen." erzählt Naomi. Überrascht verschlucke ich mich an meinem Getränk und beginne zu husten.

,,Was? Sie hat doch erst letzte Woche mit Juan Schluss gemacht.", erwidert Lucas fassungslos.

Wie viele Beziehungen will das Mädchen noch führen? Das ist ihre Zweite in diesem Semester. Und das Semester hat erst vor einigen Wochen angefangen. Nicht, dass ich etwas gegen One Night Stands hätte, aber ich führe nicht mit jedem, mit dem ich Rummache, eine feste Beziehung. Jessica hat wohl einen anderen Standpunkt.

,,So langsam glaube ich, sie wechselt ihren Partner öfter als ihre Unterwäsche." sagt Lucas und rollt mit den Augen, weshalb wir erneuert in Gelächter ausbrechen.

Jessica ist nicht hässlich. Ganz im Gegenteil. Ich finde sie wirklich hübsch. Mit ihrer blonden Mähne, den grünen Augen und der schwarzen Kleidung, die für sie schon zum Markenzeichen geworden ist, sieht sie wirklich schön aus.

Viele Jungs in der Uni und sogar einige Professoren haben – wenn man Jessica glauben kann – schon etwas mit ihr gehabt.

Vor meinem Kleiderschrank stehend, suche ich nach dem perfekten Outfit für später. Weil ich mir sicher bin, dass wir nach dem Kinobesuch feiern gehen, brauche ich etwas schickes.

Ich ziehe ein rotes und ein schwarzes Kleid aus meinem Schrank. Sobald ich beide einmal anprobiert habe, entscheide ich mich für das schwarze Kleid. Das Kleid liegt eng an und geht nur bis kurz über die Knie.

Ich werde später vermutlich erfrieren, jedoch ist mir das egal. Ich möchte an Naomis Geburtstag nicht in meiner normalen Kleidung auftreten, auch wenn mir dann warm wäre. So wie ich sie kenne, zieht sie bestimmt auch ein kurzes Kleid an.

Plötzlich klingelt es an der Tür. Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Meine dunklen Haar fallen in Wellen bis zu meinen Schulterblättern. Ein Kopftuch trage ich schon seit längerer Zeit nicht mehr.

Ich war nie wirklich religiös. Das Kopftuch habe ich nur getragen, weil mein Vater mich dazu verpflichtet hat.

Mit meiner Handtasche in der Hand öffne ich die Tür und sehe Lucas vor mir stehen. In seiner schwarzen Jeans, dem T-Shirt und der schwarzen Lederjacke sieht er verdammt heiß aus. Das weiße T-Shirt liegt eng an seiner Haut an, wodurch seine Brustmuskeln deutlich werden.

Ich kann durchaus verstehen, was Naomi an ihm gut gefunden hat.

,,Könntest du aufhören, mich anzustarren und rauskommen? Wir müssen noch Naomi abholen. Außerdem ist mir kalt." sagt er und betont den Teil mit dem Anstarren besonders. Sofort steigt mir die Röte ins Gesicht und ich blicke zu Boden.

Bevor ich das Haus verlassen habe, fällt mir ein, dass ich das Geschenk für Naomi in meinem Zimmer vergessen habe. Ich entschuldige mich bei Lucas und renne in mein Zimmer, um die rosa Tüte zu holen.

Im Anschluss laufe ich zum Auto von Lucas, in das er sich schon reingesetzt hat.

Obwohl er ebenfalls Student ist, hat er mehr als genug Geld. Seine Eltern verdienen sehr gut.

Dadurch, dass ich es kaum abwarten kann, Naomi ihr Geschenk zugeben, erhält sie es schon im Auto. Kaum hat sie sich reingesetzt, strecke ich ihr den Arm mit dem Geschenk entgegen und sage: ,,Das ist von mir und Lucas."

Eilig zerreißt sie das Geschenkpapier und zum Vorschein kommt eine rote Schachtel, in der drei Karten für die ,,Inner Monologue Tour" von Julia Michales liegen.

,,Oh mein Gott, ich liebe euch!" ruft sie und bedankt sich mehrere Male.

Sie schwärmt seit mehreren Wochen nur noch von Julia Michaels' neuem Album. Lucas und ich dachten uns dann, dass sich die Tickets für ein Konzert super als Geschenk anbieten würden. Wie es aussieht, lagen wir richtig.

,,Wir gehen da definitiv gemeinsam hin." sagt Naomi in einem festen Ton. Lucas und ich waren uns von vorne herein sicher, dass Naomi uns beide mitnehmen wollen würde. Deshalb haben wir ihr auch drei Karten gekauft.

Im Kino angekommen nehme ich den Geruch von frischen Popcorn war. Der in rot dekorierte Raum wird durch einige Deckenleuchten erhellt und der weiße Boden glänzt. Meine Schuhe quietschen bei jedem Schritt, weshalb mir Naomi einen genervten Blick zu wirft.

Lucas besorgt die Karten. Naomi und ich stellen uns an die Schlange der Snackbar an, um die Getränke und das Popcorn zu kaufen.

Sobald wir alles gekauft haben, setzen wir uns an die Tische auf der anderen Seite des riesigen Raumes. Einige Minuten später, gesellt sich Lucas mit den Karten in der Hand zu uns. Er reicht Naomi ihr Portemonnaie zurück, da sie darauf bestanden hat zu bezahlen.

Obwohl ich mich zunächst gesträubt habe, Naomi alles bezahlen zu lassen, hat sie sich durchgesetzt. Sie hat gemeint es wäre ihr Geburtstag und sie würde nicht aufhören mich zu nerven, bis sie bezahlen dürfe. Schließlich habe ich nichts mehr eingewendet.

In meiner Magengegend macht sich ein komisches Gefühl breit.

Schon seitdem wir uns an den Tisch gesetzt haben, fühle ich mich beobachtet. Ein Blick durch den Raum belegt meine Vermutung. Am Nebentisch sitzt nämlich Jessica mit einem braunhaarigen Jungen – ich nehme an es ist ihr neuer Lover – der mich mit hochgezogenen Augenbrauen anschaut.

Das ist das erste richtige Kapitel von ,,Patience". Ich hoffe sehr, dass es euch gefällt.

Ich war gestern abend kurz davor, die ganze Idee für den Anfang zu ändern, habe mich aber doch umentschieden und das Kapitel so gelassen. 🙈

Übrigens habe ich den Klappentext noch einmal überarbeitet, weil ich finde, dass der neue etwas besser passt.

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