Was ist neu in Baltimore

Baltimore, Maryland.

Es war lange her, dass er hier gewesen war, aber da das Buch in Charm City spielte, ergab es nur Sinn, dass sein Redakteur ihn für eine Buchsignierung zurückschickte.

Alles war genau hier.

Das kleine Café.

Der in die Wand eingebaute Pub.

Die Tattoobude, wo sie sich aufeinander abgestimmte Tattoos stechen lassen hatten.

Der hervorragende Second-Hand-Shop.

Der Plattenladen.

All die Orte, die seine Erinnerungen beinhalteten, Erinnerungen von der glücklichsten Zeit seines Lebens.

Er war seither nicht mehr so glücklich gewesen.

Als er den wunderschönen steampunkartigen Barnes & Noble am Harborplace betrat, konnte Castiel Novak das Gefühl nicht loswerden, dass sich der Kreis nun geschlossen hatte.

Das Gebäude war gerammelt voll und es gab lauten Applaus, als er hineinkam. Er wurde durch die gläserne Rolltreppe ins Obergeschoss gebracht und nahm währenddessen die verkupferten Kamine in sich auf, die zu einem ehemaligen Kraftwerk gehörten. Als er ein Kind gewesen war, um die acht oder zehn oder so, hatte die erste Renovierung des Kraftwerks einen seltsamen kleinen Rummel beziehungsweise Freizeitpark beinhaltet. Er erinnerte sich an diesen einen Teil der Ausstellung - seine Erinnerung war nicht ganz klar, aber er enthielt einen riesigen Sarkophag, mehr wie eine gigantische Büchse der Pandora, und gruselige Musik, und dann waren animierte Geister und Kobolde durch den Raum gefegt.

Es war unheimlich. Der ganze Ort war unheimlich.

Der Buchladen war viel besser.

Beeindruckend hohe Decken und übersichtlich angeordnete Regale, helle Beleuchtung und echtes antikes Zubehör. Natürlich auch das notwendige Starbucks. Dieser besondere Barnes & Noble war großartig, und er spürte, wie eine Welle der Aufregung über ihn hinwegrauschte.

Das war immer noch seine Heimatstadt. Wo er aufgewachsen und zum College gegangen war und seine ersten Freundschaften mit Erwachsenen geschlossen hatte, wo er sich verliebt hatte und...

Er ließ diesen Gedanken ziemlich schnell fallen.

Cas wurde zu einem großen Bereich geführt, wo besetzte Stühle ordentlich in Reih und Glied standen und ein Tisch mit seinem Buch, Painted Angels, aufgestellt war. Als die Menge ihn erblickte, gab es eine weitere Runde Applaus und die Managerin des Ladens hob ihre Hände zur Ruhe.

,,Es ist mir ein Vergnügen und Privileg, den Maryland-Einheimischen Castiel Novak vorzustellen, Autor des New York Times Bestsellers Painted Angels. Wir freuen uns unglaublich, ihn heute hier zu haben. Castiel wird Fragen zu dem Buch beantworten und nachher Exemplare signieren. Also begrüßt bitte herzlich und ohne weitere Umschweife Castiel Novak!"

Es gab eine weitere Runde Applaus und Castiel lächelte seinem Publikum zu.

Er war nicht überrascht, so viele gleichgeschlechtliche Paare in der Menge zu sehen; immerhin war sein Buch der erste gleichgeschlechtliche Liebesroman mit solch hohem Bruttoumsatz und totalem Crossover-Erfolg. Es war ein Film in Planung, und einige sagten voraus, er würde ein genauso großer Erfolg werden wie Brokeback Mountain.

Cas las einen kurzen Ausschnitt aus dem Buch vor und eröffnete dann die Fragerunde.

Ein hübsches Mädchen mit pinken Dreads hob in der ersten Reihe ihre Hand. Cas lächelte und zeigte auf sie. ,,Ja, Miss?"

,,Hi, ich habe mich gefragt, wer Dean ist?"

Das Blut wich ihm aus dem Gesicht. In den anderen Städten auf seiner Lesereise hatte er keine Probleme damit gehabt, diese Frage zu beantworten, da sie immer gestellt wurde. Er wusste nicht, warum es ihn jetzt störte. Vielleicht war es die Nähe zu seinem alten Leben.

Die Widmung am Anfang des Buches lautete Für Dean, Immer, also fragte zwangsläufig auf jeder Signierung jemand, wer er war. Aber hier, nur einen Hauch von seinen Erinnerungen entfernt, bemerkte Cas, dass die Worte in seinem Hals stecken blieben. Er nahm einen tiefen Atemzug und spannte seine Schultern an.

,,Dean ist, war, die Inspiration für den Charakter von David in dem Buch. Ich war die Inspiration für Carver. Das Buch basiert auf einer Beziehung, die ich auf dem College hatte."

Eine andere Hand hob sich. ,,Sind Sie beide noch zusammen?"

Castiel seufzte. ,,Nein. Carver und David haben ihr glückliches Ende bekommen. Dean und Castiel nicht."

,,Was ist passiert?"

,,Ähm... Naja, Dean... Er hatte einige persönliche Probleme...mit der Beziehung und äh...Dean war nicht... Er war nicht in der Lage, um..." Cas verstummte und starrte für einen Moment vor sich hin. ,,Es tut mir leid, ich würde ehrlich gesagt lieber nicht darüber reden."

Im Hintergrund hob sich eine weitere Hand. ,,War der wahre Dean auch ein Maler?"

,,Ja. Ein extrem talentierter. Er wurde mit einem Vollstipendium an dem Maryland Institut aufgenommen. Seine Spezialität, wie Davids in dem Buch, bestand aus unglaublichen, massiven Gemälden von Engeln aus verschiedenen Materialien. Als ich ihn traf, arbeitete er gerade an vier Teilen, jedes 90 cm hoch mal 150 cm breit. Jedes von ihnen stellte einen Erzengel dar; Michael, Gabriel, Lucifer und Raphael. Er vermischte Farbe mit unüblichen, gefundenen Gegenständen wie Autoteilen, Nägeln, Glas, zerbrochenen Stücken von Fliesen und Holz. Ich erinnere mich, dass er Michaels Heiligenschein aus einer Radkappe gemacht hatte. Sie waren...verblüffend. Hervorragend. Bis heute habe ich keine wie diese gesehen." Cas konnte den wehmütigen Ton in seiner Stimme nicht unterdrücken.

,,Sind all die Schauplätze in dem Buch reale Orte? Existieren diese Personen wirklich?"

Cas lächelte und erinnerte sich an freundliche Plätze und geliebte Gesichter. Menschen, die er seit Jahren nicht gesehen hatte. ,,Ja. Ich habe die Namen der Personen und Orte geändert, aber wenn man ein erprobter und wahrer 'Bawlmer' Einheimischer ist, kann man vermutlich herausfinden, um welche Gegend es sich handelt."

,,Haben Sie Dean seither gesehen?"

,,Nein, habe ich nicht. Ich bezweifle, dass er mich sehen will."

,,Okay, ich denke, das sind vorläufig genug Fragen." Die selbstbewusste Managerin lächelte die Menge an. ,,Lasst uns weitermachen und die Buchsignierung starten!"

Während der nächsten Stunde signierte Cas und posierte für Fotos mit den Fans. Er hörte viele ermutigende Geschichten darüber, wie Davids Charakter anderen geholfen hatte, mit ihrer eigenen Sexualität klarzukommen, wie das Buch den Eltern einer jungen Lesbe geholfen hatte, sie und ihre feste Freundin als Paar zu akzeptieren. Es waren Geschichten wie diese, die Cas zum Lächeln brachten. Als er angefangen hatte, Painted Angels zu schreiben, hatte er sich nie vorstellen können, dass das Buch solch einen Effekt haben würde.

Er signierte und signierte und signierte. Gegen Ende der Stunde war sein Starbucksbecher leer, seine rechte Hand leicht verkrampft und er sah nicht mehr wirklich zu jedem hoch, der an seinen Tisch kam.

Die letzte Person der Schlange trug Jeans und eine grüne Jeansjacke. Ein unglaublich zerfleddertes Exemplar des Buches wurde vor ihm hingelegt. Es war auf der Widmungsseite geöffnet.

Cas las den Text. Das vertraute Für Dean, Immer verursachte einen Stich in seiner Magengrube. ,,An wen stelle ich es aus?", fragte er, unfähig, seinen Blick von den Worten loszureißen.

Die Stimme war tief, aber leise, zögerlich, und die Antwort war simpel.

,,An Dean."

_____

Er war an diesem Samstagmorgen dreimal fast umgedreht.

Draußen war es kalt, er hing hinter seinen Lehrplänen für die kommende Woche her, und es gab Dinge, die er daheim erledigen musste. Er fand immer mehr und mehr Entschuldigungen, aber gegen Mittag erwischte sich Dean Winchester dabei, wie er den Impala in einem Parkhaus im Stadtzentrum parkte, über die Pratt Street lief und den Buchladen betrat.

Er folgte der Spur von aufgeregtem Gerede ins Obergeschoss und kam gerade rechtzeitig um die Ecke, um seine Stimme zu hören. Derselbe raue Tonfall, der ihn immer noch in seinen Träumen heimsuchte. Dean umklammerte mit verschwitzten Handflächen sein zerfleddertes Exemplar von Painted Angels.

Die Luft blieb in seinen Lungen stecken.

Zwölf Jahre später, und er konnte sich immer noch daran erinnern, wie diese Lippen schmeckten.

Cas sah in dem schwarzen Pullover mit V-Ausschnitt über einem olivfarben kariertem Hemd und einer engen, schwarzen Jeans unglaublich aus. Sein Gesicht war vielleicht ein wenig älter, aber er war genauso wunderschön, wie Dean in Erinnerung hatte.

Seine Wangen röteten sich bei dem Gedanken. Er verspürte erneut den Drang wegzulaufen, doch stattdessen zwang er sich auf einen Sitz im Hintergrund der Menge. Dean zog sich sein Chevy-Basecap bis über die Augen herunter und betete, dass Cas ihn hier hinten nicht bemerken würde.

Dean wäre ein paarmal beinahe aufgestanden und gegangen. Seine Wangen fingen mehrmals Feuer, während er Castiel beim Reden über ihre Beziehung und dann der zunehmenden Poetik über seine Gemälde zuhörte.

Er malte nicht mehr. Nicht so. Hatte es genau genommen seit langer Zeit nicht getan.

Dann zogen sich alle an und die Leute stellten sich für Autogramme in einer Reihe an. Sein Magen hüpfte, Schmetterlinge tanzten wilden Fandango. Dean fühlte sich, als ob er brechen würde. Er rannte los, fand ein Klo und versteckte sich dort für fünfundvierzig Minuten. Dann schlich er um die Regale in der Nähe des Autogrammtisches herum.

Schließlich war nur noch eine Person in der Reihe übrig.

Er nahm all seinen Mut zusammen, rutschte hinter ihr in die Reihe und öffnete sein Buch bei der Seite. Dieser Seite. Diese eine, wo sein Name lebte, die Seite, die der ganzen Welt sagte...

Verdammt.

Beinahe verließ er die Reihe, doch dann war er dran. Er war der Einzige, der noch übrig war.

Cas blickte nicht auf. Dean schob das Buch mit zitternden Händen auf den Tisch, griff dann hoch und nahm das Basecap ab.

,,An wen stelle ich es aus?", fragte Cas leise, Müdigkeit in seiner Stimme.

Er holte tief Luft und antwortete: ,,An Dean."

_____

Er sah exakt genauso aus. Dieselben Sommersprossen. Dieselben üppigen, vollen Lippen. Dieselben strahlend grünen Augen.

Er hatte sich in diesen Augen einmal verloren. In den Winkeln waren jetzt Falten, aber das Alter war nett gewesen. Cas konnte nichts anderes tun, als zu ihm hochzustarren.

,,Dean...", flüsterte Cas. Er konnte den Blick nicht von ihm losreißen. Der andere Mann lächelte leicht schüchtern.

,,Hey, Cas", antwortete er leise.

,,Warte, warte, warte, ist er das? Ist das der Dean?", kreischte Castiels Agentin Becky Rosen in sein Ohr.

,,Ja, das ist der Dean."

Auf Deans Wangenknochen breiteten sich rosane Flecken aus. Gott, Castiel hatte vergessen, dass er leicht errötete.

Inzwischen war Becky um den Tisch herumgekommen und schüttelte praktisch Deans Hand ab. ,,Oh mein Gott, ich freue mich so, Sie zu treffen, ich habe so viel von Ihnen gehört, aber Sie sehen nicht so aus, wie er David in dem Buch beschrieben hat, aber das ist okay, Sie sind trotzdem attraktiv, obwohl David in dem Buch mehr mein Typ ist, aber oh mein Gott, Sie sind hier, Sie sind wirklich hier..."

,,Becky!"

,,Ja, Cas?"

,,Tief einatmen."

Sie kicherte. ,,Tut mir leid. Ich bin nur aufgeregt."

Castiel lächelte sie gutmütig an und schloss Deans Buch. ,,Dean", sagte er, als er aufstand. ,,Lass mich dir eine Tasse Kaffee kaufen. Wenn das okay ist?"

,,Ja", sagte der andere Mann, die Wangen erneut rosa, ,,das wäre cool."

,,Ist Starbucks in Ordnung?", fragte er und gab das Buch zurück.

,,Sicher. Es liegt günstig, richtig?" Dean schmunzelte. Er nahm das Buch, drehte sich um und ging davon, in Richtung des Starbucks in dem Geschäft. Während Cas ihm beim Gehen zusah, konnte er nicht anders, als sich an das erste Mal zu erinnern, als er ihn getroffen hatte.

_____

August, 2000

Castiel Novak stand vor der ehemaligen Feuerwache und checkte erneut das Stück Papier in seiner Hand. Die großen Türen waren weit geöffnet und Led Zeppelins Travelin' Riverside Blues trieb heraus auf die Straße. Robert Plant flehte jemanden an, er solle seine Zitrone ausdrücken, und darüber konnte man eine weitere Stimme hören, die mit ihm sang.

Er überprüfte die Adresse, stellte fest, ja, er war am richtigen Ort, und trat durch den offenen Eingang ein.

Ein großes Gerüst war an der hinteren Wand entlang von etwas aufgebaut, das irgendwann einmal die Fahrzeughalle gewesen sein musste. An einer Wand lehnte eine riesige Leinwand. Ein Mann stand auf dem Gerüst, der Ursprung der Stimme, die bei der Schallplatte mitsang, welche Cas auf einem Plattenspieler auf einem chaotischen Arbeitstisch erspähte.

Er trug nichts außer eine schäbige, mit Farbe bekleckerte Jeans und ein rotes Bandana um seinen Kopf. Schweiß tropfte an den sommersprossigen Flächen seines Rückens herunter. Ein Paar Flügel war dort tätowiert, die Federn liefen seinen Rücken und seinen Armen bis zu seinen Handgelenken entlang. Sie bewegten sich mit den Muskeln seines Rückens und Arms. Es gab noch mehr tätowierte Motive, die sich in seine Jeans hineinschlängelten. Castiels Mund wurde bei dem Gedanken trocken, diesen Mustern runter in seine Hose zu folgen.

Es schien Castiels Anwesenheit anscheinend überhaupt nicht wahrzunehmen, während er sang und mit der bloßen Hand Streifen roter Farbe oben über seine Leinwand wischte.

Castiel war fasziniert.

,,Castiel?", rief eine tiefe Stimme in der Nähe. Ein junger, schwarzer Mann trat aus dem Treppenhaus zu seiner Linken, ein Lächeln auf dem Gesicht. ,,Vic Henriksen. Du bist wegen der Mitbewohneranzeige hier?" Er bot seine Hand an und Castiel nahm sie, erwiderte den herzlichen Händedruck.

,,Ja. Freut mich, dich kennenzulernen."

,,Ganz meinerseits, Mann. Übrigens-", sagte er und deutete abwesend über seine Schulter, ,,das ist Dean, aber er ist gedanklich gerade nicht hier, also werden wir später mit ihm reden. Er hört keinen verdammten Ton, wenn er im Malmodus ist. Komm mit hoch und ich führe dich herum."

,,Okay", sagte Castiel nur und warf einen letzten Blick zu dem Mann auf dem Gerüst, bevor er Vic die Treppe hochfolgte.

Das Obergeschoss der Feuerwache war groß und geräumig. Es gab eine Industrieküche mit einer Frühstücksbar, einen riesigen Fernseher an einer Wand und ein hochmodernes Stereosystem. Eine große Couchgarnitur und ein paar Fernsehsessel waren davor abgestellt. Ein kleiner Flügel stand unter einem Fenster und wurde von einigen Gitarren flankiert.

,,Also das ist das Hauptzimmer, wurde früher als Raum für die Etagenbetten und die Küche in der Feuerwache genutzt. Es gibt drei Schlafzimmer, das mittlere ist Deans." Vic zeigte auf das ganz linke. ,,Das ist meins, und das dort vorne wäre deins. Außerdem teilen wir uns alle das Badezimmer, welches auch riesig ist, weil, du weißt schon, Feuerwehrmänner. Dean und ich haben jeweils eine Klokabine beansprucht und du kannst das auch machen. Unten gibt es noch ein Badezimmer, aber es besteht nur aus ein paar Toiletten und einem Waschbecken."

,,Es ist ein riesiges Gebäude", sagte Castiel und nahm alles in sich auf. Er spähte in das Schlafzimmer, von dem Vic angedeutet hatte, es würde seins sein. Es war geräumig und luftig. Da waren große Fenster an der Stirnwand der Feuerwache und eingebaute Bücherregale mit einem geräumigen Wandschrank auf der linken Seite. Es war verdammt nahe dran an Perfektion. ,,Bist du sicher, dass die Miete nur 350 Dollar pro Monat beträgt?"

,,Jap. Dean hat letztes Jahr eine große Sammlung Gemälde verkauft und eine Menge Geld damit gemacht, also hat er diesen Platz sofort gekauft. Er holt sich Mitbewohner dazu, weil er es nicht wirklich mag, alleine zu sein, und die Miete greift ihm bei seinen Nebenkosten und Malsachen unter die Arme. Er ist mit einem Vollstipendium auf dem MICA, von daher macht er sich keine Sorge wegen der Bezahlung für die Schule oder so."

,,Wow."

Vic seufzte. ,,Da ist noch eine Sache. Mit Dean zu wohnen ist nicht ganz so einfach."

,,Wieso?"

,,Naja... Er kann irgendwie...komisch sein. Er ist ein Künstler, weißt du? Er kommt in diesem verrückten Zustand, wo er seine Gemälde isst, atmet und schläft. Himmel, manchmal schläft oder isst er überhaupt nicht. Ich habe ihn ein paar Tage ohne Schlaf verbringen sehen, nur malen, malen, malen. Und seine Kunstrichtung ist ungewöhnlich. Er ist ein Künstler, der verschiedene Materialien verwendet, also bringt er schrägen Scheiß nach Hause. Er ist laut. Er mag seine Musik. Und manchmal bäckt er aus Stress. Dann spielt er die ganze Nacht Klavier. Er ist ein komischer Kerl. Wir hatten Probleme, die Mitbewohner zu behalten. Mich stört er überhaupt nicht, ich bin an ihn gewöhnt, aber..."

,,Ein Künstler, der aus Stress backt und Musik macht? Wo liegt das Problem? Ich habe vier Brüder. Sie sind alle komisch. Ich kann mit Deans Verrücktheit umgehen, glaub mir. Das Gebäude ist fantastisch, die Miete ist gut und es ist in der Nähe des Campus. Ich bin dabei."

Ein breites Lächeln erhellte Vics Gesicht. ,,Super. Das ist super!"

,,Wann kann ich einziehen?"

,,Erste Monatsrente, Alter, und wann immer du mal 'ne Minute Zeit hast. Das Zimmer ist bereit, und verdammt, wir werden dir helfen, das Zeug die Stufen hochzutragen."

,,Perfekt. Ich werde dir das Geld morgen bringen und würde gerne Samstag einziehen, wenn das okay ist?"

,,Okay? Das ist super! Alter, willkommen in Remington!"

,,Remington?"

,,Ja, Mann, dieser Teil von Baltimore wird Remington oder Mount Vernon genannt, aber wir bleiben bei Remington. Bist du nicht aus Maryland?"

,,Doch, aber von dort oben um Hereford herum, in der Nähe der Grenze von Pennsylvania. Meine Familie hat sich nie besonders für die Stadt interessiert."

,,Oh, Mann. Naja, wir werden dich in den Feinheiten des Stadtlebens unterrichten müssen."

,,Hört sich gut an."

,,Jap." Vic ging auf das Treppenhaus zu. ,,Lass uns runtergehen. Ich werde versuchen, dich unserem furchtlosen Anführer vorzustellen, wenn ich ihn für eine Minute aus dem Picasso-Modus rausreißen kann."

Zurück in der Fahrzeughalle nahm Castiel die Umgebung in sich auf. Er konnte die Tür zum Badezimmer sehen, aber alles andere war eindeutig Deans Atelier.

In einer Ecke befanden sich einige große Holzkisten, die scheinbar allerlei Autoteile enthielten; Radkappen, Verzierungen von Motorhauben und anderes Zeug. Da war eine Rubbermaid-Box voll mit zerbrochenem Glas, eine andere voller zerbrochener Fliesenstücken und noch eine mit Steinen von unterschiedlicher Größe. Es gab Metallteile, die an den Wänden lehnten. Seltsames Zubehör und architektonische Elemente waren über den Boden verteilt.

Näher zur Vordertür hin bedeckte ein riesiges, hellbraunes Tuch etwas Großes und Autoförmiges. Castiel konnte darunter einen Reifen und ein Blitzen von Chrom sehen.

Die Musik hatte gewechselt, ein lauter E-Gitarren Riff, und Jimi Hendrixs Foxy Lady hallte von den Betonwänden wider. Dean stand auf dem Gerüst eine Ebene tiefer. Seine Hand war mit hochroter Farbe bedeckt und hinterließ Klekse und Striche auf der Leinwand.

,,Hey, Dean!", rief Vic. Dean zuckte leicht zusammen und drehte sich um.

Castiels Atem blieb in seinem Hals stecken.

Der wunderschönste Mann, den er je gesehen hatte, starrte zu ihm und Vic herunter. Grasgrüne Augen funkelten in dem reflektierten Sonnenlicht, volle, pinke Lippen waren zu einem mürrischen Ausdruck gezogen. Er hatte einen Strich roter Farbe über seiner rechten Augenbraue.

,,Was? Ich bin beschäftigt."

,,Nein wirklich, Arschloch, aber dieser Typ hier hat gerade zugestimmt, unser neuer Mitbewohner zu sein. Dachte, du könntest dich für eine Minute wie ein Mensch benehmen?"

Deans Blick glitt über Castiel und verursachte glühende Hitze in seinem gesamten Körper. Er ergriff einen Lappen und wischte sich die rote Farbe von der Hand, dann machte er einen eleganten Sprung vom Gerüst, packte mitten in der Luft die vermessingte Rutschstange und glitt mühelos zu Boden.

,,Angeber", murmelte Vic.

Er schritt auf sie zu. Seine Bewegungen waren so locker und lässig, ein auffälliges Stolzieren in seinem Gang, aber es sah nicht gezwungen aus, sondern schien bei ihm einfach nur natürlich.

Dean streckte seine Hand aus, und Castiel bemerkte, dass da immer noch etwas rote Farbe dran war, doch es kümmerte ihn nicht. Er nahm sie trotzdem. ,,Dean Winchester, mir gehört dieser künstlerische Zirkus." Vic schnaubte und Dean starrte ihn an. ,,Halt die Klappe, Victor."

,,Meinetwegen. Das ist Castiel Novak, Dean."

Grüne Augen leuchteten auf. ,,Castiel? Das ist ein Engelsname, richtig? Engel des Donnerstags?"

,,Ja", antwortete Cas, augenblicklich beeindruckt. ,,Woher hast du das gewusst?" Sein Blick glitt über Deans nackte Brust, nahm noch weitere Tattoos auf. Eins davon befand sich auf dem oberen Teil seiner linken Brust: ein Stern, der von Flammen umgeben war.

,,Alter, Engel sind irgendwie, keine Ahnung, mein Ding." Er zeigte auf die Leinwände hinter sich. ,,Das ist Lucifer. Er ist Teil einer Reihe, ich mache die Erzengel. Lucifer, Michael, Gabriel und Raphael."

Castiel konnte nicht an sich halten. Er schnaubte. Dean wirbelte zu ihm zurück, ein wütender Ausdruck auf seinem Gesicht.

,,Warum ist das witzig?", verlangte er.

,,Nein, ist es nicht, nicht wirklich. Es ist nur so, dass meine Eltern unglaublich religiös sind. Ich habe Brüder mit diesen Namen."

Dean starrte ihn einen Moment an, als ob er herauszufinden versuchte, ob Castiel ihn verarschte oder nicht. ,,Alter, deine Familie ist komisch", sagte er schließlich.

,,Erzähl mir etwas, das ich noch nicht weiß", erwiderte Castiel mit einem Lächeln.

Dean warf den Kopf zurück und lachte. ,,Du bist in Ordnung, Cas. Du bist in Ordnung."

Drei Tage später wurde Castiel ein Teil von Deans Welt und sein Leben änderte sich für immer.

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