Sonnenschein und Schatten
November, 2000
Sie bewegten sich von der Tür zum Bett. Dean federte auf der Matratze, als Cas ihn hinunterstieß, ihm folgte und seinen Körper mit seinem eigenen bedeckte. Castiel glitt mit einer Hand unter sein Shirt und schob den Stoff zu Deans Brust hoch. Seine Fingerspitzen waren kühl und hartnäckig, während seine Lippen seinen Hals fanden und daran saugten und ihn küssten.
,,Cas..."
,,Geht es dir zu schnell?"
,,Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich will."
,,Warum lässt du es mich dir nicht einfach zeigen?" Er vergrub erneut die Nase in Deans Hals. ,,Wir müssen nichts tun, weißt du? Wir könnten einfach knutschen. Nur hier liegen und reden. Das hat keine Eile, Dean."
Dean drehte den Kopf zu Cas, kam ihm auf halbem Wege entgegen. Er presste ihre Lippen sanft, aber drängend zusammen. Cas fuhr mit einer Hand um Deans Nacken, zog ihn noch weiter zu sich heran und leckte seinen Mund entlang. Dean öffnete ihn und ließ seine Zunge hinein. Der Geschmack von Cas war berauschend.
Als sie sich trennten, atmete Dean schwer. ,,Wow. Ich könnte... Ich könnte das die ganze Nacht lang machen."
,,Fühlt sich besser mit Haut an Haut an. Willst du das ausprobieren?"
Dean schluckte. ,,Sicher."
Cas grinste, fuhr mit der Hand zu Deans Brust und schob sein Shirt hoch. Dean setzte sich auf und ließ zu, dass Cas ihm das T-Shirt über den Kopf zog. Er drückte Dean zurück in die Kissen und setzte sich rittlings auf ihn, kurz unter seinen Schritt.
Seine Finger glitten Deans Brust hinab und fuhren leicht die Linien seiner Tattoos entlang. ,,Die sind alle so wunderschön", murmelte er. ,,Ich wollte sie seit dem Tag berühren, an dem wir uns getroffen haben." Er strich über Deans rechte Schulter. ,,It's time to ramble on... Zeppelin?"
,,Ja. Und die Rosen und der Dolch... Weil es mein erstes war und ich ein wandelndes Klischee bin."
,,Nein, ein Klischee ist das Logo und der Schriftzug der Winchester Arms hier Ihre Seite entlang, Mr. Winchester. Den eigenen Namen auf sich selbst tätowieren zu lassen ist wirklich klischeehaft." Cas grinste, während er seine Finger Deans Flanke hinunterzog. Der Kontakt ließ ihn leicht erschaudern. ,,Was ist das für eins?" Seine Finger glitten über Deans Bauch.
,,Äh, das ist ein Colt. Mein Vater hatte einen, als ich klein war."
,,Was bedeutet der Schriftzug?"
,,Non timebo mala... Ich werde das Böse nicht fürchten."
,,Cool. Und das da?" Seine Hand fuhr Deans rechten Arm hoch.
,,Der Eremit. Er ist eine Tarot-Figur, aber ich habe ihn mir machen lassen, weil er sich im Zentrum des Zep IV Albumcovers befindet."
Cas summte. Seine Finger wanderten Deans Arm hoch und über sein Schlüsselbein. ,,Das?", fragte er, während seine Finger einen Kreis um das Tattoo auf Dean linker Brust fuhren. ,,Es sieht okkultistisch aus."
,,Hab's in einem Buch gefunden. Es ist eine Anti-Besessenheits-Sigille. Hält die Dämonen draußen." Er hob seinen linken Unterarm hoch. Die Haut dort war mit orangenen, gelben und roten Flammen bedeckt. ,,Das hier ist für Sammy. Weil ich ihn in der Nacht rausgetragen habe, als unser Haus gebrannt hat. Die Initialen sind so gemacht, dass sie aussehen wie die, die er in das Holz unter dem Vorleger im Impala geritzt hat. Das Datum ist sein Geburtstag."
,,Mir gefällt es. Du meintest, Pam habe deine ganzen Verzierungen gemacht?"
,,Ja, sie ist wirklich gut."
,,Kannst du dich umdrehen, damit ich die Flügel sehen kann?"
,,Sicher."
Cas erhob sich von Deans Hüften und gestattete ihm, sich auf den Bauch zu legen. Er spürte Cas' Lippen seine Flügel entlangstreifen, als der jede einzelne Feder küsste. ,,Wunderschön", stieß er hervor und folgte dem Pfad von Federn hinab zur Gürtellinie von Deans Jeans. ,,Mir gefällt auch das dort unten", sagte er. Seine Finger fuhren die Umrisse des Tattoos an Deans unterem Rücken nach. ,,Peace when you are done, und Rosen. Die Klinge ist ungewöhnlich."
,,Das ist die Darstellung meiner Artistin, wie ein Engelsschwert aussehen könnte. Ich denke, die meisten Menschen würden annehmen, dass ein Engel etwas Langes mit sich führen würde, zum Beispiel ein Flammenschwert oder ein Breitschwert, doch meiner Meinung nach würde ein Engel etwas Glattes und Tödliches tragen, etwas, das sie leicht verstecken könnten..." Er verstummte, wieder einmal verlegen wegen seiner Leidenschaft für die ganzen Engelssachen.
,,Ich liebe es. Unglaublich." Cas küsste den unteren Teil von Deans Wirbelsäule und machte sich dann auf den Weg nach oben. Als er eine Reihe von Küssen auf seinen Nacken presste, war Dean verloren. Er schwitze, war angeturnt und mit Lust erfüllt.
,,Cas..."
,,Schh, lass mich einfach machen, Dean. Lass mich." Cas glitt mit der Hand unter Deans Körper, seine Finger fanden den Hosenstall seiner Jeans. Dean hob leicht sein Becken, um einfacheren Zugriff zu gewähren. Cas öffnete seine Jeans, setzte sich dann auf und schob sie von seinen Hüften runter. Er rutschte vom Bett, beseitigte die Hose, zog ihm die Socken aus und warf sie beiseite.
,,Ist das wirklich ein Impala-Logo auf deinem Knöchel?"
Dean errötete. ,,Ja."
Cas hob sein anderes Bein. Seine Finger strichen über seine Wade und das Tattoo dort. ,,No damn cat, and no damn cradle. Du bist ein Fan von Vonnegut? Ich bin beeindruckt."
Dean spürte Lippen an seinem Knöchel, und Hände glitten über die Haut seiner Beine. Cas küsste sich seinen Weg Deans Körper hoch, nahm sich genüsslich Zeit, wie er so jeden verfügbaren Zentimeter von Deans Haut küsste und leicht in sie biss.
,,Cas, du bringst mich hier um."
,,Mmm", summte Cas. ,,Bisher habe ich nicht einmal wirklich etwas gemacht." Er hakte seine Finger in Deans Boxershorts. Dean hielt den Atem an. ,,Bist du damit einverstanden?"
,,Ja, mach."
Cas zog sie herunter und das war's. Er war nackt. Er war einhundert Prozent nackt, lag auf seinem Bauch auf Cas' Bett. Sein Schwanz war hart und tropfte auf die weiche Daunendecke. Dean war angeturnter, als er es je in seinem Leben gewesen war, und er konnte nicht anders, als seine Hüften in das Bett zu stoßen.
,,Da ist ein Kleeblatt auf deinem Po, Dean."
,,Ja. Ähm. Ich bin kein Ire. Zumindest soweit ich weiß. St. Patrick's letztes Jahr. Gib Benny die Schuld."
,,Lass uns nicht über Benny reden." Finger strichen über seine Poritze. Ungewollt stieß er seine Hüften erneut in die Matratze, dieses Mal mit einem rauchigen Cas. ,,Sieh dich an. Total angeturnt, nicht wahr", flüsterte Cas in sein Ohr.
Zu irgendeinem Zeitpunkt hatte der andere Mann seine Klamotten verloren und presste sich in einer langen Linie aus Hitze gegen Deans Rücken. Härte drückte in seine Hüfte, während Cas' Atem heiß auf seinen Nacken und sein Ohr fiel. Seine Hand glitt langsam nach oben, Finger fuhren durch seine Haare. ,,Dreh dich um, Baby", schnurrte Cas.
Dean gehorchte und starrte dann in Cas' blaue Augen. Das Zimmer war immer noch voll beleuchtet, beide Lampen auf Cas' Nachttisch waren an. Als er hochsah, lächelte Cas ihn an. Seine Augen waren fast schwarz vor Lust.
,,So wunderschön", murmelte Cas und senkte den Kopf, um ihn zu küssen. Seine Lippen waren hartnäckig, seine Zunge zwang sich erneut ihren Weg hinein. Deans Körper erinnerte sich endlich, wie er funktionierte. Er streckte seine Arme aus, um Cas näher heranzuziehen, stellte ein Bein über seins. Dean stöhnte in Cas' Mund, als sich ihre Erektionen berührten. Ein sofortiger Erregungsrausch verursachte ein Schaudern am ganzen Körper.
Heilige Scheiße, es hatte sich noch nie zuvor so gut angefühlt, obwohl sie kaum etwas gemacht hatten.
Cas grinste. ,,Halt mich auf, wenn ich etwas tue, was du nicht magst, okay?"
Dean nickte.
Immer noch grinsend küsste Cas ihn erneut und rutschte seinen Hals hinab. Er hielt inne, um an Deans Nippeln zu saugen, bevor er mit seinen trägen, herabwandernden Küssen den Weg zu seiner Brust fortfuhr. Cas war fast da, als Dean realisierte, was er da tat.
,,Oh Gott", wimmerte er, als Cas' Mund ihn fand. Hitze durchflutete ihn. Er schloss den Mund um Deans bestes Stück, leckte an der Spitze und schluckte ihn bis zur Basis. Cas wand seine Zunge durch Deans Spalt, senkte dann wieder seinen Kopf und nahm so viel von ihm auf, wie er konnte. Deans Rücken krümmte sich über der Matratze. Cas streckte seinen freien Arm aus, legte ihn über Deans Hüften und nagelte ihn so am Bett fest.
Seine andere Hand weigerte sich, an einer Stelle zu bleiben. Während er damit beschäftigt war, Deans Gehirn durch seinen Schwanz herauszusaugen, glitten seine Finger nach unten und fanden Deans Eier.
,,Ahh, scheiße", zischte Dean, als Cas seine Hoden mit geschickten Fingern bearbeitete. Sein Mund war beharrlich, nahm seinen Schwanz immer wieder auf. Er war bereits so nahe dran, da war nicht mehr viel nötig. Verlangen und Hitze vereinigten sich in seinem Bauch, und Gott, er war einfach so verdammt nahe dran.
Cas blickte auf und starrte ihn mit diesen gottverdammten wunderschönen blauen Augen an. Das war's. Das war alles, was es benötigte.
Deans kompletter Körper spannte sich an, seine Hüften zuckten hilflos nach oben. Cas saugte weiterhin an ihm und summte, als er kam.
Er war benommen und sah leicht gleichgültig zu, wie Cas wieder auf ihn kletterte und sich rittlings auf ihn setzte. Dean konnte nichts weiter tun als gebannt dort zu liegen, während Cas' Hand seinen eigenen Schwanz hoch und runter glitt. Seine Hüften stießen in seinem Schoß vor und zurück, und dann kam der andere Mann komplett auf ihm. Dicke Tropfen von Sperma waren über seiner Brust verteilt, seine Tattoos waren mit der Flüssigkeit bedeckt.
,,Heilige Scheiße", flüsterte Dean. ,,Heilige Scheiße."
Cas grinste zu ihm hinab, wunderschön errötet. Ein selbstgefälliger Ausdruck lag auf seinem hinreißenden Gesicht. ,,Hast du es genossen?"
,,Ja, ging einfach nur...so verdammt schnell."
,,Es ist allerdings nicht so, als ob wir es nicht wiederholen könnten, richtig?"
Dean nickte hilflos. Cas lachte über ihn und beugte sich für einen Kuss nach unten.
,,Das ist erst der Anfang, Winchester. Erst der Anfang."
_____
Sonnenstrahlen strömten durch das Fenster und erwärmten sein Gesicht. Da war eine sogar noch wärmere Hitzequelle an seinem Rücken, und ein Arm lag träge über seiner Hüfte. Cas verlagerte sein Gewicht und drehte sich auf die Seite. Deans Gesicht war halb in seinem Kissen vergraben, ein friedlicher Ausdruckt auf dem kleinen Stück, das er sehen konnte.
Er hörte Sam in der Küche herumklappern. Der Geruch von Kaffee lag in der Luft, doch er hatte gar keine Lust aufzustehen. Nein, wenn es nach ihm ginge, würde er den ganzen Tag hierbleiben, von einem wunderschönen Mann umschlugen, der gerade in seinem Bett schlief.
Letzte Nacht hatte ihn überrascht. Er hätte sich nie vorstellen können, dass, als er aus Benny's gestürmt war, das blonde Mädchen praktisch auf Deans Schoß, er mit Dean in seinem Bett landen würde, warm und nackt, dicht an sich gedrückt.
Cas' Finger fuhren die Seite seines Gesichts hinab. Er lächelte, als Dean das Gesicht verzog und seine Stirn leicht runzelte. Er machte ein leises Geräusch und vergrub sich tiefer in Cas, suchte in der frühmorgendlichen Kühle der Feuerwache unbewusst nach der Wärme eines anderen Körpers.
Es klopfte leise an der Tür. Cas überprüfte zuerst, dass sie auch wirklich vollständig bedeckt waren, bevor er leise rief: ,,Komm rein."
Sam steckte den Kopf durch die Tür, ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. ,,Die Dinge sind also geklärt?", fragte er leise, während sein Blick auf seinen friedlich schlafenden Bruder fiel.
,,Allerdings." Cas lächelte.
,,Cool. Jedenfalls wollt ich euch Jungs nur wissen lassen, dass ich jetzt weg bin. Ellen nimmt mich mit ins Kaufhaus, um ein paar Sachen für die Schule zu holen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich adoptiert."
,,Das tut sie. Viel Spaß. Ich werde Dean Bescheid geben."
,,Okay." Er begann die Tür zuzuziehen, steckte seinen Kopf dann aber wieder hinein. ,,Ich freue mich für euch", sagte er.
,,Ich mich auch. Geh, Sam, amüsiere dich. Wir sehen uns später."
Sam nickte, winkte und zog die Tür zu.
Irgendwann später wachte Cas erneut auf. Er war sich nicht einmal bewusst, dass er wieder eingeschlafen war. Im anderen Raum konnte er leise Klaviermusik hören, und er war enttäuscht, das Bett leer vorzufinden. Er warf die Laken zurück, zog sich schnell eine Jogginghose und einen Pulli an, riss die Daunendecke vom Bett, wickelte sich darin ein und tapste ins Wohnzimmer.
Er ließ sich neben Dean auf die Klavierbank plumpsen und schlang die Decke um sie beide. Dean hörte zu spielen auf und drehte sich mit einem Lächeln und einem Kuss zu Cas.
,,Morgen, Engel."
,,Guten Morgen, Dean."
Castiel lächelte ihn an und rutsche auf der Bank hinüber. Dean ließ von den Klaviertasten ab und vergrub seine kalten Hände stattdessen in Cas' Sweatshirt. ,,Mhh, du bist warm."
,,Die Feuerwache ist eine Kühlanlage."
,,Macht nichts. Ich kann dich warm halten." Dean schwang ein Bein über die Bank, setzte sich rittlings darauf und zog Cas auf seinen Schoß. Er nahm sein Kinn in seine Handfläche und zog ihn in einen tiefen Kuss, während er den anderen Arm um seine Taille schlang. ,,Ich kann uns beide warm halten."
,,Ich bin mit dem Plan einverstanden, aber ich würde dich gerne mit ins Bett zurücknehmen."
,,Kein Problem."
Die Klamotten, die Cas angezogen hatte, verschwanden, als sie wieder in sein Schlafzimmer taumelten. Während sie ihr Bestes gaben, in der Senkrechten zu bleiben, trennten sich ihre Lippen nie. Dean trat die Tür hinter ihnen zu, und sie stürzten aufs Bett.
,,Uns also warmhalten? Irgendeine Idee?"
Dean grinste. Seine grünen Augen leuchteten und strahlten.
,,Oh, ich denke, ich habe da ein paar."
_____
Jetzt
Irgendwie ergab es Sinn, dass Dean nach seiner Flucht aus dem Kaufhaus bei der Feuerwache landete. Nach all seinen Protesten, nirgendwo in der Nähe von Remington sein zu wollen, schien es leider vorhersehbar gewesen zu sein, dass er hier gelandet war. Dean zog die großen Doppeltüren hinter dem Impala zu und lehnte sich gegen sie. Die Stabilität war beruhigend, während er sein Herz dazu zwang, mit dem Hämmern gegen sein Brustbein aufzuhören. Er stand für eine ganze Weile an den Türen und hörte dem Ticken des Impalas zu, als er abkühlte.
In der Feuerwache war es kalt und die Luft roch abgestanden. Als seine Augen sich an das Halbdunkel der Fahrzeughalle gewöhnt hatten, ließ er den Blick über die mit Blasen bedeckten Leinwände schweifen, die auf dem Boden verstreut lagen. Das Gerüst stand an Ort und Stelle, Staub lag auf den Brettern. Die vermessingte Rutschstange hatte durch die Jahre, die sie nicht benutzt worden war, viel von ihrem Glanz verloren. Staub haftete an jeder flachen Oberfläche und Spinnenweben hingen von den ungeschützten Balken und Leuchtkörpern.
Eine hohe Leinwand stand hinter dem Gerüst, komplett von einem weißen Stofflaken bedeckt. Er war erleichtert, dass er sie nicht sehen konnte, dass er das Thema nicht sehen konnte. Die ganzen alten Lattenkisten und Behälter voll mit Fundsachen waren genau da, wo er sie zurückgelassen hatte.
Nichts hatte sich wirklich verändert. Wie sollte es auch, wenn er sich weigerte, das Gebäude auszuräumen, sich weigerte, es zum Verkauf anzubieten, sich weigerte, dieses letzte Stück seiner Vergangenheit loszulassen?
Dean seufzte und stieß sich von den Türen ab. Er wanderte durch die Fahrzeughalle, während seine Finger durch den Staub strichen und kleine Spuren hinterließen, berührten und fühlten, Dinge hochhoben und sie beiseite stellten.
Ein ausgeblichener, rostroter Klecks befand sich auf dem Betonboden in der Nähe einer Kiste mit alten Verzierungen von Motorhauben. Er erschauderte, als er realisierte, dass es Blut war. Sein Blut. Dean verdrängte die Erinnerung, die damit einherging, und ging zu einem weiteren Bereich der Halle.
Er fand sich unter dem Gerüst wieder. Seine Finger spielten mit der Ecke des Stoffes, der die hohe Leinwand bedeckte. Es würde nicht viel nötig sein, es herunterzuziehen und es sich anzusehen. Er wollte nur nicht. Sein Arbeitstisch war staubig, ein paar Boxen standen übereinander darauf. Sein Plattenspieler und seine Schallplattenkollektion befanden sich in diesen Boxen. Led Zeppelin, Pink Floyd, Hendrix, The Doors, Derek and the Dominos, The Beatles – Alben, die der ganze Stolz seiner Mutter gewesen waren, die er heimlich von seinem Vater gestohlen hatte, als er von zu Hause weggegangen war. Es war Jahre her, seit er sich eins davon angehört hatte.
Seufzend ging Dean vom Gerüst weg und wanderte langsam auf das Treppenhaus zu. Sein Blick fiel auf einen matten Schein roter Farbe. Cas' Fahrrad. Er hatte es zurückgelassen, als er gegangen war.
Dean starrte es für einen Moment an, dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte ins Treppenhaus.
Das Obergeschoss ähnelte einem Zimmer voller Geister, jedes Möbelstück war in weiße Abdeckplanen gehüllt. Zuerst lief er in Sams altes Zimmer. Das Bett und die Kommode waren mit denselben weißen Tüchern bedeckt. Ein Buch lag in der Mitte des Bettes, Vonneguts Schlachthaus 5. Das Cover wurde teilweise von einem dünnen Staubfilm verdunkelt.
Sein Zimmer sah im Wesentlichen genauso aus, Abdeckplanen und Boxen voller Mist, die in Annas perfektem kleinem Haus keinen Platz hatten. Dean öffnete die Schranktür. Er fuhr mit den Fingern über die dort hängende alte Lederjacke, die, die er nicht loswerden konnte, aber es kaum noch ertrug, sie anzusehen. Er schloss die Tür und ging vom Schrank weg. Seine Fingerspitzen glitten über die Reihen von kunstgeschichtlichen Texten und Romanen, und er starrte träge auf die staubigen Spuren, die zurückblieben.
Er wanderte langsam in den Hauptbereich der Feuerwache zurück und zitterte ein wenig in der Kühle. Dean hatte die Temperatur den Winter über nur auf fünfzig Grad eingestellt, gerade warm genug, damit die Rohre nicht einfroren, wenn es kalt wurde.
Die Sonne war hinter eine Wolke geglitten. Es war dämmrig in der Feuerwache. Tiefe Schatten trafen auf die weißen Abdeckplanen und ließen die Umgebung ziemlich unheimlich erscheinen.
Da war noch eine weitere Tür. Ein weiteres Schlafzimmer. Wie benebelt drückte Dean sie langsam auf.
Nichts hatte sich verändert, und aus einem guten Grund. Er hatte diese Tür geschlossen, nachdem er realisiert hatte, dass Cas nicht zurückkommen würde. Seither hatte er sie nicht mehr geöffnet. Die Luft war abgestanden, dickere Staubschichten lagen auf den Oberflächen darin.
Die Bücherregale waren immer noch fast komplett gefüllt. Da waren Kleidungsstücke im Schrank. Das Bett war noch immer teilweise gemacht, eine Ecke der Daunendecke heruntergezogen, als ob sie jederzeit einen Bewohner erwartete. Bücher stapelten sich auf jeder Oberfläche. Ein verkrustetes Glas stand auf dem Nachttisch, ein Notizbuch und ein Stift lagen daneben.
Ein schäbiger hellbrauner Trenchcoat lag über dem Bett, eine stille Anklage des Versagens.
Dean biss sich auf die Unterlippe. Er stand für eine ganze Weile in der Türöffnung und starrte auf den Trenchcoat, während seine Augen brannten.
Sein Versagen. Alles seins.
Cas war gegangen, doch Dean hatte ihn dazu gebracht. Sein Verhalten hatte ihn zum Gehen gebracht. Und er konnte wieder und wieder versuchen, sich zu überzeugen, dass es nicht seine Schuld war, sondern die Schuld bei Cas lag, aber Dean kannte die Wahrheit. Er hatte Cas vergrault, hatte ihn zum Gehen gebracht, sein Verhalten hatte ihn fortgeschickt.
Er konnte Cas' Zimmer nicht mehr ansehen. Dean zog die Tür zu und ging rückwärts durch die Feuerwache, wobei er geistesabwesend mit dem Rücken gegen etwas Hartes stieß. Er drehte sich um und fuhr mit einer Hand über das mit einem Laken bedeckte Klavier. Die Feuerwache war jetzt komplett dunkel, nur der orangene Schimmer einer Straßenlaterne lieferte Licht.
Seine Hand glitt über die Oberseite des Klaviers und ergriff die Abdeckplane. Mit einem schnellen Ruck und einer scheußlichen Staubwolke enthüllte Dean das Instrument. Das schwarze Holz war immer noch glänzend und einladend. Er ließ sich seufzend auf die Bank plumpsen und strich mit einer Hand über den Deckel.
Es war Jahre her. Er hob den Deckel trotzdem hoch, bewegte seine Finger und streckte seine Hände aus. Die erste Berührung seiner Fingerspitzen mit dem Elfenbein zeigte, dass einige Töne verstimmt waren, doch nichts klang schrill. Er spielte ein paar Tonleiter, die schwarzen und weißen Tasten rauf und runter. Sein motorisches Gedächtnis setzte ein. Musik klimperte durch die leere Feuerwache.
Dean begann, einzelne Noten auszuwählen. Unzusammenhängende Töne formten sich zu Melodien, und von da aus zu einem Lied. Er ließ sich von der Musik davontragen. Led Zeppelin, Mozart, Richard Marx, Chopin, Metallica, Coldplay, Pearl Jam, John Williams, sie trieb ihn davon und er ließ zu, dass sie ihn ergriff.
Hey Jude entkam, dann Wonderwall. Er wusste nicht, wann er zu weinen begonnen hatte, nur, dass er es tat. Sein Gesicht war nass; da waren Klecke auf seiner Jeansjacke, sogar nasse Flecken auf den Tasten und seinen Fingern.
Dean weinte und konnte nicht aufhören. Er stoppte auch sein Stück nicht, sondern ging einfach in einen anderen Song über. In My Life floss vom Klavier.
Etwas brach in ihm. Etwas zersprang. Eine Mauer, die er sorgfältig aufgebaut hatte, jeder Ziegel handverlegt, verstärkt mit dem besten Mörtel und versiegelt mit seinem eigenen Schmerz und Blut.
Dean konnte das Klavier nicht mehr sehen, aber die Töne kamen weiterhin, flossen weiterhin von den Saiten und den Hämmern, und er war unfähig, den Strom aufzuhalten. Er schluchzte jetzt, und es tat weh. Es tat so verdammt weh.
Arme schlangen sich um ihn, warme Arme. Sie zogen ihn vom Klavier auf die mit einem Laken bedeckte Couch und schaukelten ihn sanft, während er schluchzte. Weiche Lippen drückten sich gegen seine Stirn, und Ellen flüsterte leise Worte in sein Ohr.
Er weinte und weinte, ließ sich so gehen, wie er es seit Jahren nicht getan hatte. Ellen hielt ihn fest, während er auseinanderbrach.
Und durch all seinen Schmerz, all seinen Kummer, gestand sich Dean schließlich das ein, wogegen er seit dem Moment anzukämpfen versuchte, als er Cas in dem Buchladen gesehen hatte.
Er war immer noch komplett, offensichtlich, eindeutig in Cas verliebt.
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