Old No. 7
Freitagmorgen wachte Dean mit einem Magen auf, der komplett zu Knoten verdreht war. Es war so schlimm, dass er sein Handy nahm und die Nummer der Schule wählte. Eigentlich wollte er anrufen, doch dann realisierte es, wie kindisch er sich benahm. Mit einem Seufzer legte er auf und schleppte seinen lahmen Arsch aus dem Bett und in die Dusche.
Heute war der Abend, der große Abend, der mit-Cas-essen-gehen-Abend. Er war so nervös, schon Stunden bevor es stattfand, dass er keine Ahnung hatte, wie zum Teufel er es durch das Essen an sich schaffen sollte.
Anna war in der Küche und machte Kaffee, als es Dean schließlich gelang, sich nach unten zu schleppen. In dem hellgrünen Pullover und dem langen Jeansrock sah sie wunderschön aus. Sie lächelte und überreichte ihm eine Tasse, die er dankbar annahm.
,,Du siehst völlig erschöpft aus."
,,Hab nicht gut geschlafen."
,,Tut mir leid, Babe. Wünschte, ich könnte dableiben und dir Frühstück machen, aber ich muss los. Wir sehen uns später. Hoffentlich wird dein Tag besser als deine Nacht."
,,Ja, hoffentlich." Dean folgte ihr ins Wohnzimmer und sah zu, wie sie ihre ganzen Sachen aufsammelte. Sie lehnte sich vor und küsste seine Wange.
,,Wir sehen uns heute Abend. Ich bin wirklich gespannt, deinen Freund kennenzulernen", fügte sie hinzu und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie drehte sich um und öffnete die Tür.
,,Anna..."
,,Ja?", fragte sie und wandte sich ihm zu. Das Sonnenlicht, das durch die offene Tür strömte, verwandelte ihr rotes Haar in Flammen.
,,Ich kann absagen."
Für einen Moment schien sie das zu bedenken. ,,Nein, ist schon gut. Ich möchte ihn kennenlernen. Wir sehen uns später", sagte sie, trat auf die Veranda hinaus und schloss die Tür, brachte seine Proteste wirkungsvoll zum Verstummen.
Etliche Stunden später hatte er Mittagspause. Der Klassenraum war leer, und er sah die fertiggestellten Stillleben durch, die die Kinder in seinem Kurs Bildende Kunst eingereicht hatten. Die meisten davon waren fantastisch. Die Schüler in Bildende Kunst waren da, weil sie wollten, und eigentlich alle von ihnen waren unglaublich talentiert.
Er begutachtete gerade genau die Schatteneffekte, die Kevin Tran benutzt hatte, als ein Buch laut auf seinem Tisch fallen gelassen wurde. Dean zuckte zusammen.
Charlie kicherte.
,,Verdammt nochmal, Charlie, was hab ich dir hinsichtlich des Heranschleichens an mich gesagt?"
,,Es ist so einfach, Winchester. Da kann ich nicht widerstehen."
Dean erfasste ihr dämliches Grinsen und seufzte. ,,Was willst du, Bradbury?"
,,Wer sagt, dass ich irgendetwas will?", fragte sie und täuschte Kränkung vor.
Er hob eine Augenbraue.
,,Okay, gut, du hast mich erwischt. Also heute ist der große Abend, richtig?"
,,Charlie..."
,,Was? Abendessen mit dem verträumten Castiel Novak. Das ist aufregend."
Dean verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Er schob seinen Stuhl vom Tisch zurück und stand auf. ,,Ich brauche etwas zum Mittag."
,,Oh, ich auch, ich komme mit!", rief sie.
,,Klasse."
,,Komm schon, es ist Freitag, Pizza-Tag, einer der wenigen Tage, an denen ich in diesem beschissenen Loch Mittagessen kaufe." Sie zog ihr Handy heraus und begann darauf herumzudrücken, während sie ein leises ,,Verdammt!" von sich gab.
,,Was?", fragte er und winkte Pete Evans, einem der Sportlehrer, zu.
,,Verdammter Sam! Es gibt keine Möglichkeit, ihn bei Words With Friends zu schlagen! Ich hätte niemals zustimmen sollen, mit ihm zu spielen."
Dean lachte und hielt die Kantinentür für sie auf, während sie einen wütenden Text an seinen Bruder schickte.
,,Ich gebe auf! Ich brauche ein neues Spiel."
,,Man kann einen überqualifizierten Bigfoot nicht schlagen. Kommen Sie, Ihre Hoheit, lasst uns etwas Pizza holen."
Während sie durch die Kantine gingen, riefen viele Schüler seinen Namen und winkten. Charlie erhielt genauso viel Aufmerksamkeit. Ein schlaksiger Junge namens Garth zog sie sogar beiseite, um ihr etwas auf seinem iPad zu zeigen. Als sie Dean einholte, hatte der sich und ihr bereits Mittagessen gekauft und reichte ihr ein Tablett.
Zurück in seinem Klassenzimmer stellte er sein kleines Radio auf 100.7 ein und sie machten es sich bequem, um ihr Mittag zu genießen. Def Leppards Rock of Ages trieb durch den Raum.
,,Hast du Hard-Rock nicht langsam mal satt?", fragte Charlie mit dem Mund voller Pizza.
,,Hast du es nicht satt, mit vollem Mund zu reden?", schoss Dean zurück. Sie streckte ihre Zunge heraus. ,,Oh ja, Bradbury, sehr erwachsen."
Für eine Weile kauten sie schweigsam, während die Musik zu Pink Floyds Another Brick in the Wall wechselte. Dean räumte sein Mittagessen auf und sang leise vor sich hin. Er nahm den Haufen Zeichnungen und richtete ihn zu einem ordentlichen Stapel. Dann bewegte er den Stapel Stillleben zu seiner Mappe und packte ihn vorsichtig ein, damit er ihn mit nach Hause nehmen und bewerten konnte.
,,Da ist etwas sehr Ironisches dran, wenn ein Lehrer ,We don't need no education' singt."
,,Halt die Klappe." Er grinste.
,,Also, bist du aufgeregt?", fragte Charlie.
,,Ja, schätze schon."
Mehr sagte er nicht, und sie studierte ihn genau. ,,Du bist nervös, Mann, sieh dich an."
,,Ich bin nicht nervös", höhnte Dean.
,,Oh, bist du. Definitiv. Du hast Angst, dass du über den Tisch krabbeln und Mr. Engel des Donnerstags direkt vor Anna anbaggern wirst." Charlies Augen funkelten unheilvoll.
,,Du gehst mir auf die Nerven, weißt du das?"
,,Naja, ich sag's ja nur. Wenn dieses Buch irgendeinen wahren Anteil besitzt", Dean stöhnte laut, aber sie fuhr fort, ,,dann hattet ihr Jungs damals ein paar ziemlich heiße Zeiten, richtig?"
Er sank in seinen Stuhl zurück und vergrub den Kopf in seinen Armen. ,,Oh Gott, hör bitte auf."
,,Ich meine, etwas von dem Zeug, worüber er geschrieben hat, ich meine, Alter, du warst ihm verfallen. Verfallen."
,,Charlie..."
,,Und ich weiß, dass ich Dorothy nicht zu einem Abendessen mit Gilda mitnehmen würde, weißt du, was ich meine? Das ist gruselig. Und wahrscheinlich unangebracht."
,,Soll das als Rat gemeint sein?", fragte er, setzte sich auf und starrte sie an. ,,Weil der irgendwie scheiße ist."
,,Sieh mal, ich versuche nur realistisch zu sein." Sie stand vom Stuhl auf und begann, durch den Klassenraum zu schreiten. ,,Erstens war Cas anscheinend deine erste wirklich, wirklich ernsthafte Beziehung. So steht das zumindest im Buch."
,,Fiktion, Charlie", erinnerte er sie, doch sie fuhr fort:
,,Zweitens war er während ein paar ziemlich verrückter Zeiten deines Lebens da, wenn ich die Ereignisse richtig zusammengefügt habe. Aber dann bin ich mir wegen des Ganzen nicht mehr sicher, weil David und Carver ein ziemlich glückliches Ende haben und ihr Jungs eindeutig nicht, und..."
,,Charlie, bitte", sagte Dean leise. ,,Bitte hör auf."
Sie erstarrte, hielt im Herumschreiten inne und drehte sich mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck zu ihm um. ,,Oh", murmelte sie. ,,Tut mir leid. Ich bin ziemlich gut darin, mich über etwas auszulassen, stimmt's?"
,,Ist schon okay. Ich..."
,,Du hast ihn geliebt, nicht wahr?"
Dean starrte auf seinen Tisch hinab. ,,Ja", flüsterte er.
,,Es tut mir leid, Dean. Ich hätte nicht... Ich konnte mich nicht mehr bremsen."
Er nickte steif.
,,Ich sollte gehen", sagte sie leise. ,,Dean... Ich wollte nicht..."
,,Ich weiß."
Charlie seufzte, sammelte ihre Tabletts ein und verließ den Raum.
Gott, was würde er nicht geben, wenn es schon Samstag gewesen wäre.
_____
November, 2000
Cas fuhr mit dem Fahrrad durch Remington, war durch den Regen, der vom wütenden, grauen Himmel herunterkam, bereits durchnässt. Er konnte nicht schnell genug zur Feuerwache gelangen, und als er schließlich da war, war er bestürzt, die Tür verschlossen vorzufinden. Cas murmelte einen Fluch, während er seinen Rucksack zu Boden sinken ließ, ihn durchwühlte und schnell den Schlüssel fand. Er schloss die Tür auf, stieß dagegen und warf seinen Rucksack hindurch. Dann packte er sein Fahrrad und schob es auch hinein.
Im Inneren der Feuerwache war es genauso dunkel wie Draußen. Es war nach acht, aber nach den Standards der Feuerwache war das nicht wirklich spät. Er hatte gedacht, dass er Dean bei seiner Arbeit an der Raphael-Leinwand finden würde. Der andere Mann hatte sich am Tag zuvor darüber beschwert und geklagt, dass er es noch nicht begonnen hatte.
Während Castiel im Laufen seinen Rucksack griff und die Treppe hocheilte, erinnerte er sich daran, was Vic über Dean und den 2. November gesagt hatte. Wenn Dean noch nicht zu Hause war, würde er sich beeilen und irgendeine Art von Abendessen zubereiten. Dean schienen die selbstgemachten Spaghetti von gestern wirklich geschmeckt zu haben, und er wusste, dass er die Zutaten für etliche andere Gerichte im Kühlschrank hatte. Cas hatte auch die Lebensmittel gekauft, die er für den Süßkartoffelkuchen seiner Mutter benötigte. Er freute sich bereits darauf, Dean damit zu überraschen, vor allem da er wusste, was er für Kuchen empfand.
Das Obergeschoss war dunkel und still. Castiel wurde bestätigt, dass Dean nicht da zu sein schien. Er stellte den Rucksack in seinem Schlafzimmer ab, zog seinen Mantel, den Hoodie und seine nasse Jeans aus und eine schäbige, schwarze Jogginghose und einen trockenen UMBC-Hoodie an.
Zurück in der Küche holte er Bratentopf hervor, stellte ihn auf die Kochplatte und drehte den Herd auf mittlere Stufe. Danach suchte Cas ein Hühnchen, Sellerie, Karotten und eine Zwiebel heraus und begann, alle Zutaten zu zerhacken. Draußen war es nass, kalt und ekelhaft. Ein Tag wie dieser rief nach Trostessen. Er hoffte, dass Dean sein Hühnchen und die Klöße schmecken würden.
Kurz bevor er das Hühnchen in den Topf tat, hörte er ein seltsames Geräusch aus dem Badezimmer. Castiel runzelte die Stirn und drehte die Hitze herab. Im Badezimmer schaltete er das Licht an.
Der Raum schien leer zu sein. Seine und Deans Kabinentüren hingen auf und der Duschvorhang war zurückgezogen. Er schaltete das Licht aus und ging in den Hauptbereich zurück.
Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Dean hätte bereits zu Hause sein sollen. Sein Unterricht ging nicht bis nach drei und diesen Abend war er nicht für die Arbeit eingeteilt. Castiel nahm sein Handy zur Hand und rief Dean an. Es wählte einmal und ging dann zur Mailbox über. Er runzelte die Stirn, unterbrach die Verbindung und wählte aus dem Gedächtnis heraus die Nummer vom Roadhouse.
,,Roadhouse", antwortete Jos gelangweilte Stimme.
,,Hallo, Jo. Hier ist Castiel. Ich habe mich gefragt, ob du Dean gesehen hast?"
,,Ne", sagte sie schroff. ,,Versuch's bei Benny."
,,Okay, danke."
,,Jap."
Er trennte die Verbindung und wählte Bennys Nummer.
,,Benny's Sitz", erklang die langgezogene Antwort mit honigsüßer Stimme.
,,Benny, hier ist Castiel. Hast du Dean gesehen?"
,,Sicher nicht. Hast du das Roadhouse gecheckt?"
,,Ja, sie haben ihn auch nicht gesehen."
,,Komisch. Keine Ahnung, Kumpel. Wenn ich ihn sehe, sag ich ihm, dass du nach ihm suchst."
,,Okay, danke."
,,Kein Problem, Schätzchen."
Cas legte das Handy auf die Theke und realisierte, dass er wirklich ziemlich besorgt um seinen Freund war. Er wusste nicht, was er deswegen tun sollte, und entschied, einfach weiterzumachen und das Abendessen zu beenden. Eine halbe Stunde später blubberte der Topf und ein großartiger Geruch erfüllte die Küche.
Allerdings war es nun nach neun und immer noch keine Spur von Dean. Castiel runzelte die Stirn, als er auf die Uhr sah. Er versuchte erneut, Deans Handy anzurufen, doch er wurde wieder direkt zur Mailbox weitergeleitet. Er überprüfte Deans Zimmer und Vics altes, sogar sein eigenes. Immer noch kein Dean.
Nun begann er sich wirklich Sorgen zu machen.
Das Abendessen war fertig. Er drehte die Hitze auf ein Minimum herab und bedeckte den Topf. Castiel machte sich erneut auf den Weg ins Badezimmer, um seinem natürlichen Bedürfnis nachzugehen. Er ging gerade wieder hinaus, als er ein seltsames, schniefendes Geräusch hörte.
Cas drehte sich langsam um. Ein eigenartiger Schauer lief seinen Rücken hinab, während er zurück in das Badezimmer starrte. Da war niemand; die ersten drei Kabinen waren leer, ihre Türen hingen auf. Er trat weiter in den Raum hinein, nach hinten, wo der Wäschebereich war und die alten Schließfächer standen.
Castiel fand Dean.
Sein Freund lag flach auf dem Rücken in einer Pfütze von Erbrochenem, sein Handy neben ihm. Ein Pillenfläschchen und eine 750ml Jack Daniels lagen leer auf dem Boden.
,,Oh mein Gott", flüsterte Cas und stürmte auf ihn zu. Er schlug neben Deans Schultern mit den Knien auf und zog dessen Kopf vorsichtig in seinen Schoß. ,,Dean. Dean, wach auf. Dean!" Deans Kopf lag schlaff in seinem Schoß. ,,Dean, bitte. Gott, bitte wach auf. Bitte." Cas schüttelte ihn sanft, doch Dean zuckte nicht, antwortete nicht.
Castiel legte seine Finger auf Deans Hals und suchte nach einem Puls. Er war erleichtert, als er einen fand. Cas hatte Deans Handy in der Hand und wollte gerade die 911 wählen, als Deans Hand hochschoss und sein Handgelenk packte.
,,Nicht", krächzte er. ,,Ich hab alles ausgebrochen. Ruf nicht an, bitte, Cas." Seine Stimme war schwach und rau, doch seine Augen waren offen. Ein blutunterlaufenes Grün starrte zu ihm hoch. ,,Sie werden meinen Vater anrufen und mich wegsperren. Gott... Bitte ruf nicht an, Cas."
Cas zögerte, das Handy noch immer in seinen Händen. Deans Blick war verzweifelt, flehend. Er seufzte und legte das Handy auf dem sauberen Teil des Bodens ab. ,,Wider besseren Wissens...okay. Aber wir werden dich saubermachen. Und dann wirst du mir erzählen, warum du so viel Alkohol getrunken hast, kombiniert mit...", Castiel hob das Pillenfläschchen hoch, ,,Schlaftabletten? Himmel, Dean, was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?"
,,Keine Ahnung...", murmelte er.
Cas schüttelte den Kopf. ,,Komm schon, hoch mit dir." Er stand auf, streckte Dean den Arm hin und half ihm auf die Füße. Der andere Mann schwankte, schaffte es aber, aufrecht zu bleiben. ,,Zieh dich aus. Ich werde das Wasser aufdrehen und dann hier saubermachen, während du duschst. Lass deine Klamotten auf dem Boden liegen."
Er ließ Dean in der Umkleide zurück und ging zur Dusche, drehte das heiße Wasser an und ließ den Dampf den Raum füllen. Cas lehnte sich gegen die Wand und fuhr sich mit einer Hand über sein Gesicht. Seine Hände zitterten. Dean so vorzufinden – das war eins der erschreckendsten Dinge, die ihm je passiert waren.
Dean kam in seiner Boxer um die Ecke, ein verlegener Ausdruck auf seinem Gesicht.
,,Geh rein", befahl Cas.
Dean nickte, stieg in die Dusche, zog den Vorhang zu und warf seine Boxer hinaus. Castiel nahm sie, ging in die Umkleide zurück und startete die Waschmaschine am hinteren Ende des Raumes. Er kippte eine großzügige Menge an Seife in die Trommel. Während er Deans Klamotten einsammelte, zog er dessen Portemonnaie aus seiner schmutzigen Jeans und stopfte den ganzen Haufen in die Maschine. Cas benutzte mehrere Handtücher, um das Erbrochene aufzuwischen, die er dann auch hineinsteckte.
Er schlug den Deckel zu, lehnte sich gegen die Waschmaschine und unterdrückte ein Schluchzen. Er ließ seinen Tränen freien Lauf, doch er würde nicht zulassen, dass Dean ihn weinen hörte.
Wie aufs Stichwort stoppte das Wasser und eine kratzige Stimme rief seinen Namen. Castiel nahm ein weiteres frisches Handtuch und ging zur Dusche zurück. ,,Hier", sagte er und schob es durch den Vorhang.
,,Danke", murmelte Dean. Einen Moment später zog er den Vorhang beiseite. Seine Haut war durch die Hitze der Dusche gerötet und ein beschämter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Cas versuchte nicht allzu genau auf die ganze nasse, tätowierte, zur Schau gestellte Haut zu gucken.
,,Zieh dich an. Ich hab Essen gemacht."
,,Okay", sagte Dean leise. Im Türrahmen hielt er inne. ,,Cas? Hör mal, ich..." Er verstummte und starrte zu Boden.
,,Zieh dich einfach an", sagte Cas mit schwacher Stimme.
Dean nickte und verließ den Raum.
_____
Es war ein sehr stiller Abend. Castiel sprach das Ereignis im Badezimmer nicht an. Überhaupt nicht. Er wickelte Dean einfach in eine Decke und stationierte ihn mit einer Schüssel Hühnchen und Klößen auf der Couch. Die Mahlzeit war lecker, warm und beruhigend, doch Dean brachte nichts herunter. Er schob das Essen in der Schüssel nur hin und her. Schließlich gab er auf und stellte sie auf den Kaffeetisch.
Castiels Blick folgte der größtenteils vollen Schüssel, aber er sagte nichts, als Dean sie wegstellte.
Er stellte keine Fragen, verlangte keine Erklärung, und das machte Dean verrückt. Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er sich erklären, wollte Castiel alles erzählen. Sie aßen schweigend. Castiel drückte ihn auf die Couch zurück, als er versuchte, ihm beim Aufräumen zu helfen. ,,Bleib einfach sitzen. Ich schaff das."
Also saß Dean einfach nur da. Er starrte aus dem Fenster, sah dem Regen zu und zuckte zusammen, als ein besonders naher Donnerschlag die Fenster klappern ließ.
Dean blickte auf sein Handy, das harmlos auf dem Kaffeetisch lag. Ein Anruf, und er hätte fast das Undenkbare getan. Er hatte es fast beendet. Hätte es auch, wenn dieser Körper nicht die Kontrolle übernommen hätte. Was hatte er sich dabei gedacht? Was hätte Sam getan, wenn es ihm gelungen wäre? Gott, war er wirklich so schwach?
Er bemerkte nicht einmal, dass er weinte, bis sich Cas ihm gegenüber auf den Kaffeetisch setzte und ihm mit dem Daumen ein paar Tränen von seiner Wange wischte. Die Geste war so vertraulich, so liebevoll, dass sie Dean überrumpelte. Als Nächstes war er von Cas' Armen umgeben. Schluchzend und zitternd klammerte sich mit allem, was er hatte, an Cas fest.
,,Dean was ist, was ist los? Bitte rede mit mir." Cas rutschte auf die Couch, ließ ihn nicht los, und Dean klammerte sich noch fester an ihn. ,,Was ist passiert, Dean?"
,,Wer sagt sowas? Wer sagt sowas zu seinem eigenen Kind?", schluchzte Dean.
,,Sagt was? Was ist passiert?" Cas' hellblaue Augen waren geweitet und besorgt. ,,Bitte rede mit mir, Dean." Dean schüttelte den Kopf, warf die Decke ab, drückte Cas weg und stand auf. ,,Dean?"
,,Ich kann nicht. Ich kann nicht", flüsterte er. Er lief über den Flur, stellte sich ans Fenster und blickte die Remington Avenue entlang. Dean sah zu, wie der Platzregen auf die Straße klatschte, zu schnell für die Abflüsse.
Die Tränen rannen immer noch seine Wangen herunter und er wischte sie verärgert weg. ,,Cas, wenn du ein Kind hättest, würdest du..." Er verstummte, wollte seinen verworrenen und verdrehten Gedanken keinen freien Lauf lassen.
Eine Hand landete auf seiner Schulter. ,,Rede mit mir. Vielleicht hilft das."
Dean drehte sich. ,,Ich weiß, was helfen würde", murmelte er, streckte die Arme nach Cas aus, ergriff mit beiden Händen seinen Hoodie und zog ihn näher heran. Er presste ihre Münder zusammen, leckte Cas' Lippen entlang und versuchte den anderen Mann dazu zu bringen, seinen Mund zu öffnen.
Cas zog sich zurück, drückte ihn von sich weg. ,,Was tust du da?", knurrte er.
,,Als ob du das nicht wollen würdest", zischte Dean und wollte Castiel wieder zu sich heranziehen.
,,Nicht so", sagte er bestimmt und drückte Dean fort. ,,Nicht, wenn du so durcheinander bist, dass du nicht einmal weißt, was du tust!" Castiel trat von Dean weg. ,,Ich versuche dir zu helfen. Das wird dir nicht helfen."
,,Woher zur Hölle willst du das wissen? Woher willst du wissen, was ich brauche? Vielleicht brauche ich nur jemanden, der mich über den Tisch beugt und mich fickt! Vielleicht brauche ich nur einmal das verdammte Gefühl, dass mich jemand braucht! Vielleicht brauche ich nur jemanden, der sich für zwei Minuten für mich interessiert!"
,,Mir bist du wichtig! Deshalb lasse ich nicht zu, dass du das tust! Ich werde dich nicht auf diese Weise ausnutzen, Dean!"
Wut flammte in ihm auf. Dean griff nach dem ersten Gegenstand, den seine Hände fanden, und schleuderte ihn gegen die Wand. Seine 1959 Les Paul Gibson Gitarre kam hart auf. Der Hals trennte sich vom Körper, und Dean sah entsetzt zu, wie sie auf dem Boden aufkam. Der ganze Zorn wich mit einem Schlag aus ihm heraus.
Er sank an Ort und Stelle auf die Knie, Schluchzer erbebten seinen Körper. Cas war sofort bei ihm. Seine starken Arme schlangen sich fest um ihn. ,,Es ist okay, Dean, was auch immer los ist, das wird schon wieder."
,,Oh Gott, Cas, die gehörte meiner Mutter! Ich habe die Gitarre meiner Mutter zerstört." Dean vergrub seine Hände in Cas' Hoodie und schluchzte. ,,Was zur Hölle ist los mit mir?", schrie er.
,,Du bist durcheinander, weil heute der Todestag deiner Mutter ist und du einen schlechten Tag hast. Aber etwas ist passiert. Bitte sag mir, was passiert ist. Bitte, Dean."
Dean schniefte und versteckte sein Gesicht in Cas' Hoodie. ,,Wer sagt zu seinem verdammten Kind, er wünsche, es wäre tot? Wer sagt sowas, Cas?" Dean zitterte erneut. Die Erinnerung an die Wörter seines Vaters schwirrte in seinem Kopf umher.
Es spielte keine Rolle, dass der Mann betrunken gewesen war. Dean wusste, dass John Winchester jedes Wort so gemeint hatte.
,,Dein Vater hat angerufen", sagte Cas ausdruckslos. ,,Und das hat er zu dir gesagt? Dass er wünschte, du wärst tot?"
Dean nickte.
,,Das ist... Das ist einfach... Das ist unglaublich beschissen." Er verstärkte seinen Griff um Dean und hielt ihn so nahe bei sich, wie er konnte. ,,Deshalb hast du den Whiskey mit den Tabletten getrunken? Du wolltest ihm das geben, was er wollte?"
,,Ja. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe."
,,Du hast nicht gedacht. Gott, Dean. Ich hätte heute mit dir zu Hause bleiben sollen. Ich habe darüber nachgedacht. Victor hat mich gestern gewarnt, dass der heutige Tag hart für dich sein würde. Ich hätte zu Hause bleiben sollen."
Dean schniefte. ,,Schon okay. Nicht deine Schuld."
,,Es ist aber auch nicht deine Schuld, weißt du? Das Feuer? Es ist nicht deine Schuld, dass du überlebt hast und deine Mutter nicht."
,,Es fühlt sich an, als ob ich schuld bin. Er vermittelt mir das Gefühl, ich wäre schuld." Dean schniefte.
,,Bist du nicht. Du warst praktisch selbst noch ein Baby. Weißt du, was für ein Wunder es ist, dass du Sam und dich da rausbekommen hast? Du hast deinen Bruder gerettet, Dean. Das ist ein Wunder."
Er sagte nichts weiter, sondern hielt Dean einfach weiterhin fest und schaukelte ihn leicht. Irgendwann hörte Dean auf zu weinen. Cas half ihm vom Boden hoch und zurück auf die Couch, wo er wieder die Decke um ihn wickelte. Dean ließ sich von Castiel in die Arme nehmen.
Sie saßen für eine lange Zeit so da, während Dean sich langsam beruhigte. Er lehnte sich gegen Cas, sein Kopf auf seiner Schulter, und stellte sich vor, dass er den Trost aufnehmen konnte, den Cas anbot.
,,Es tut mir leid. Ich bin so ein beschissenes Wrack. Wette, du wünschst dir, dass du nie eingezogen wärst."
,,Hör auf, dich deswegen fertig zu machen. Ich mag dich. Und ich bin froh, dass ich eingezogen bin." Der Arm um seinen Rücken drückte ihn ein wenig stärker. ,,Mir tut es leid, dass ich nicht hier war, als er angerufen hat."
,,Schon okay."
,,Ich hätte dich nicht alleine lassen sollen, Dean. Nicht, nachdem Victor mir gesagt hatte, wie schwer der heutige Tag werden würde."
Dean schmiegte sich weiter in Cas' Wärme. ,,Tut mir leid, dass ich dich geküsst habe", sagte er plötzlich.
Zu seiner Überraschung schmunzelte Cas. ,,Dieser Teil wäre unter anderen Umständen okay gewesen."
Dean spürte seine Wange erröten. ,,Ja?"
,,Ja." Cas lächelte ihn in der Dunkelheit an. Seine Hände glitten unter die Decke und fanden Deans. Cas verschränkte ihre Finger. ,,Vielleicht sollten wir das irgendwann noch einmal versuchen, okay?"
,,Okay", sagte er leise.
Sie saßen im Dunkeln und sahen dem Toben des Gewitters zu. Ihre Hände waren verwoben, eine angenehme Stille umgab die beiden. Ein warmes Gefühl von Hoffnung machte sich in Deans Magen breit. Er ließ zu, dass sich sein Körper entspannte, ließ sich von der Müdigkeit überschwemmen.
Das Letzte, an das er sich erinnerte, war das Gefühl von sanften Lippen auf seiner Stirn, als er in einen friedlichen Schlaf glitt.
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