87. Chad: Erzengelsklinge
Nicht lange, nachdem Charlie, Eric und Kyle das Zimmer verlassen hatten, stoppte das anhaltende Beben des Bodens, das Bröckeln des Gemäuers und das Donnern des Himmels, wir sahen nach wie vor Blitze auf uns zurasten, doch diesmal wirkte es nicht mehr so, als würden sie nur abprallen, sondern so als würden sie zurückgeschleudert werden.
Kurz danach kamen Charlie und Eric wieder ins Zimmer – ohne Kyle.
„Was ist passiert?", wollte Victoria wissen, die sofort auf ihren niedergeschlagenen Sohn zuging.
„Kyle hat Tamara die Last des Zaubers abgenommen. Sie ist sofort gestorben und er hat sich einfach aufgelöst", teilte Charlie kurz angebunden mit.
Ich schluckte hart, als ich das hörte, tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit Dale aus und fasste zu der Klinge in meiner Hose, die Kyle mir überreicht hatte.
„Was jetzt?", wollte Dale von den anderen wissen. „Ich meine, wir hier drinnen sind jetzt sicher vor den Engeln, aber die Frage ist, wie lange und was ist dem den Leuten da draußen?" Dale sprach aus, was alle sich dachten, doch womit sich keiner wirklich auseinandersetzen wollte.
„Wir können nicht jeden in den Wall holen, dafür haben wir den Platz einfach nicht."
„Nur die, die in Gefahr sind", schlug Dale auf Charlies Antwort hin vor.
„Woher sollen wir wissen, wer das ist?" Charlie schüttelte den Kopf, man sah dabei die Räder in seinem Kopf rattern. „Nein, so kommen wir nicht weiter und wir werden dem Kampf auch nicht ewig aus dem Weg gehen können. Kyle hat uns nur Zeit verschafft, aber ewig wird uns das nicht schützen können..."
Dale und ich sahen uns wieder an. Wir und Victoria wussten mehr als die anderen, doch ich fürchtete mich davor, dies zuzugeben. Jedoch wusste ich, dass es hier um viel mehr ging als meine Versagensängste. Ich konnte all das stoppen und schlimmeres verhindern, wenn ich jetzt nur den Mut hatte, die Wahrheit zu sagen. Klar konnte Dale dies auch tun, doch er würde mich nicht einfach so ins kalte Wasser werfen, das wussten wir beide.
Ich kämpfte mit mir selbst, doch bevor ich mich zum richtigen Tun überzeugen konnte, bekamen wir unerwartete Gesellschaft.
Raphael kam durch die Tür. Er wirkte noch ein wenig benommen, doch genug bei Verstand, um festzustellen, dass hier etwas gewaltig nicht stimmte. Dale klärte ihn schnell auf, mit einer Kurzfassung, die selbst mir etwas zu viel zum Verarbeiten war. Raphael schien zwar schockiert, doch er verstand alles. Bis auf eines.
„Wer ist der da?" Er deutete mit einem Nicken zu Eric und sah ihn misstrauisch an. Auch dieser und Victoria bemerkten das.
„Das ist Eric, mein Liebling. Dein Bruder"
Raphael lachte und auch Eric machte ganz große Augen.
Charlie schritt ein. „Er ist Victorias und Benedikts Sohn"
Das fand Raphael dann eher weniger lustig, sein Lachen verstummte und sein Blick wurde finster. „Dann ist er nicht mein Bruder"
„Der Meinung bin ich auch", giftete Eric zurück. „Er stinkt nach Jäger" Victoria stellte sich schützend vor Raphael, als Eric einen bedrohlichen Schritt auf ihn zumachte.
„Er ist zu Hälfte Jäger, zur Hälfte Vampir", erklärte Victoria ihm. „Aber er ist mein Sohn, genau wie du, also bitte vertragt euch" Dabei sah sie beide ernst an, weshalb beide schnaubten, doch nichts mehr dazu sagten.
Raphael kam dann auf mich zu und fragte mich, wie es mir ging. Dabei legte er die Hand auf meine Schulter und wirkte so, als prüfe er mich. „Bestens" Ich schlug seine Hand weg und ging einen Schritt zurück.
Er kniff deshalb die Augen zusammen und sah zu Dale, mit fragendem Blick. „Es ist ein bisschen viel für uns alle", meinte mein Bruder bloß. Raphael musterte mich erneut, misstrauisch, doch nickte dann.
„Silas ist noch weggetreten, ich kann ihn auch über Gedanken nicht erreichen.", teilte er uns mit. „Habt ihr Kontakt zu Austin?"
„Wir haben hier kein Netz", Dale wackelte mit dem Handy in der Hand herum.
Raphael atmete tief durch und seufzte ein „Toll. Und was machen wir jetzt?"
Wieder stand ich vor der Entscheidung, bemerkte dabei, wie sehr ich mich verändert hatte. Früher hätte ich doch keinen Moment gezögert, um mich für andere zu opfern, doch nun... Es ging nicht nur um die hohe Wahrscheinlichkeit, dass ich dabei draufgehen würde, sondern auch darum, dass alle anderen, wenn ich versagte, am Arsch waren. Mein Versagen würde das Ende der verdammten Welt bedeuten. Doch nachdem Dale und ich vorher ausgiebig miteinander geredet hatten, war mir klar, dass ich lieber versagte als es gar nicht erst zu versuchen, denn ich war vielleicht vieles, aber mit Sicherheit kein Feigling.
„Ich muss zu Uriel", platzte ich plötzlich heraus und zog dabei die Klinge, die Kyle mir überreicht hatte.
„Wow wow wow, ganz ruhig!", meinte Raphael sofort, wollte mich beruhigen. „Ich glaube du verstehst da was falsch. Wir wollen ihm entkommen und ihm nicht direkt in die Arme laufen. Leg die Waffe weg..."
„Nein, Raphael, lass ihn erklären", unterbrach Dale ihn und warf mir dann einen zuversichtlichen Blick zu. Ich nickte entschlossen und sah auf die Klinge.
„Das ist Uriels Erzengelsklinge, die einzige Waffe, die ihn umbringen kann. Kyle hat sie ihm gestohlen und seine Wahrnehmung so verändert, dass er sie nicht erkennt. Er hat sie mir gegeben, weil ich der Einzige bin, der sie anfassen kann ohne sofort von der Energie zerfetzt zu werden. Uriel hat es ohnehin auf mich abgesehen. Somit spiele ich den Köder, locke ihn an und bringe ihn im besten Falle damit um.", Während meiner Erklärung machten alle, die nicht dabei gewesen waren, als Kyle mir die Waffe überreicht hatte, ganz große Augen. „Wenn ich ihn damit ersteche, werden alle Seelen, die er damit gefangen hat, freigesetzt, seine wird absorbiert und zerstört sich dann quasi selbst."
Nach einem kurzen Moment nickte Raphael verstehend. „Okay. Wir müssen also aus dem Schutzwall raus, damit Uriel zu dir kann, wir brauchen Austin, damit der den Engelsschutz, den Luzifer dir in die Rippen gebrannt hat, entfernt und wir müssen dir Rückendeckung im Kampf gegen Uriel und die Engel geben", fasste er zusammen und machte somit schon den Teil eines Planes.
Ich nickte stumm.
„Wie kommen wir unauffällig raus?", wollte Raphael wissen.
Boris erklärte, wie er, Eric und Charlie reingekommen waren und Raphael beschloss, dass wir so auch wieder rausgehen sollten.
„Gibt es außerhalb des Walles Netz?"
„Als ich telefoniert habe, damit Oma uns diese Waffen besorgt, ja", wandte auch Boris ein und deutete auf die Tasche, die er mitgeschleppt und dann auf den Boden gelegt hatte.
„Gut", Raphael nickt zufrieden. „Wir gehen also raus, informieren Austin und verstecken uns am besten bis er kommt. Denkt ihr, Uriel hat schon von Jay Besitz ergriffen?"
Keiner antwortete, doch das schien Raphael Antwort genug zu sein.
„Charlie, Mum, bleibt bitte hier und passt auf Silas auf..."
„Raphael", unterbrach Charlie ihn sofort. „Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, dich und Silas zu trennen. Ihr seid zusammen viel zu stark, um diesen Pluspunkt aufzugeben"
Raphael atmete tief durch, stimmte aber zu. „Gut, aber wer führt euch dann durch diesen Schacht? Du kannst im Dunklen nicht mehr sehen und ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst" Charlie presste die Zähne zusammen, als Raphael das sagte, doch er widersprach nicht.
„Eric sieht im Dunkeln", kam von Victoria, doch der Genannte schüttelte sofort den Kopf. „Nein nein nein, ich halte mich da raus. Das ist nicht mein Krieg und ich lasse mich sicherlich nicht mitreinziehen"
Raphael schnaubte. „Natürlich ist das auch dein Krieg, du Vollpfosten! Das betrifft uns alle! Aber wenn du nicht helfen willst, bitte! Dann verlass aber mein Reich und zwar schnell"
Eric lachte ungläubig nach dieser Aussage. „Dein Reich? Du bist weder der Prinz noch ein richtiger Vampir, wenn überhaupt, ist das hier mein Reich und du bist nur ein lächerlicher Clown, der sich hier als König aufspielen will"
Ich sah Erics Krallen, als er auf Raphael zuging. Aus einem Instinkt heraus stellte ich mich vor ihn, ebenso wie Victoria. „Solange Benedikt und ich noch am Leben sind, ist das unser Reich!", sagte sie ruhig, aber in einer Tonlage, die uns allen einen ungeheuren Respekt einflößte. „Raphael hat Recht, Eric. Wenn du uns nicht helfen willst, hast du unseren Schutz auch nicht verdient. Also gehst du am besten wieder zurück dahin, wo du dich die letzten 200 Jahre über verkrochen hast"
Eric presste die Zähne zusammen und sah seine Mutter verletzt an. Es dauerte nicht lange, bis er schnaubte und mit einem „Na schön" auf das Loch in der Wand zuging. „Mir nach, wer hier raus will"
Dale und ich warfen uns einen kurzen Blick zu, ehe er in Boris Tasche fasste und sich bewaffnete. Auch Boris folgte, doch er verabschiedete sich noch von Charlie und nahm ihm das Versprechen ab, auf sich aufzupassen. „Ich bringe dich um, wenn dir was passiert", drohte er ernst, bevor er hinter uns herlief. Raphael, Victoria und Charlie blieben zurück, denn so war es der Plan. Wir hatten keine Ahnung, dass dieser nicht einzuhalten war.
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