75. Raphael: Körper und Seele

„Gehen Sie mit Ihrer Frau aus, machen Sie sich einen schönen Abend und kommen Sie nicht wieder zurück, bevor Ihr Sohn Sie angerufen hat"

Normalerweise vermied ich es, meine Kräfte anzuwenden, um anderen meinen Willen aufzuzwingen, aber Jaylins Vater war unmöglich auf rationale Art und Weise von irgendetwas zu überzeugen, vor allem davon, seinen Sohn mit ein paar Vampiren alleine im Haus zu lassen. Da er meiner Kraft aber nicht widerstehen konnte, war er zehn Minuten später zusammen mit seiner Frau aus dem Weg geräumt und räumte somit für meine Freunde und mich den Platz frei.

Michael, Briana, Silas und ich bereiteten alles vor, was auf dem Zettel von Jay stand, um Alvar zu beschwören. Austin brauchten wir dafür, Jay zu beruhigen, denn dieser schien zunehmend nervöser zu werden, je näher wir der Beschwörung kamen.

Als wir schließlich alles vorbereitet hatten, hatte Austin Jay soweit beruhigt, dass er keinen Rückzieher mehr machen wollte. Er saß in seinem Rollstuhl vor dem Kreis, an den Alvar gebunden sein würde, falls er erschien, und atmete tief durch. „Bereit?", fragte er uns.

Einvernehmliches, stummes Nicken folgte, Jay atmete tief durch und schnitt sich das Zeichen in die Hand, das auf dem Zettel abgebildet war, er verzog dabei das Gesicht vor Schmerzen. Austin schien diesen Anblick noch weniger zu ertragen als wir, also beugte er sich zu dem Jungen neben sich und gab ihm einen langen Kuss auf die Stirn. Jay wirkte dabei so, als würde er sich sehr entspannen und sah Austin dann dankbar an, bevor er weitermalte, dann sprach er ein paar lateinische Worte und: „Ich, Jaylin O'Cara, beschwöre dich, Alvar, den Höllenkrieger, komm und zeige dich!" Er wirkte dabei ziemlich zweifelnd und so, als hielt er es für lächerlich, und ließ währendessen ein Blut auf den Kreis tropfen.

Dann warteten wir alle einfach ab.

„Hat es funktioniert?", fragte Briana zweifelnd, als nichts passierte.

„Vielleicht will er nicht kommen, vielleicht hat er mitbekommen, was wir vorhaben", vermutete Jay und wirkte dabei leicht panisch, während er sich ein Tuch auf die blutende Handfläche presste.

„Das habe ich sehr wohl" Wie aus dem Nichts stand plötzlich jemand in der Mitte unseres Kreises. Er sah aus wie ein menschlicher Mann, nur hatte er rostende, metallartige Haut, die ihn beinahe so aussehen ließ, als fiel er gleich in sich zusammen. Trotzdem stand er stolz und protzig vor uns und machte nicht mal die Anstalten zu fliehen, obwohl er behauptete zu wissen, was wir geplant hatten.

„Ich muss sagen, ich bin wirklich enttäuscht von dir, Jaylin" Alvar sah ihn an und schüttelte dabei bedauernd den Kopf. „Ich dachte, wir wären Verbündete..."

„Tut mir leid, habe bessere gefunden" Jay zuckte zwar mit den Schultern, doch ich kam nicht um das Gefühl herum, dass es ihm wirklich etwas leidtat, ihn so hintergangen zu haben, was mich ein wenig verwunderte, da der Junge, den wir damals entführt, an einen Stuhl gekettet und verhört hatte, für mich nicht auch nur das kleinste Stück Empathie besessen hatte. Das war jedoch nicht das einzige, das mir zu bedenken gab.

„Wenn du weißt, was wir vorhaben, warum bist du dann hier?", wandte ich ein und zog somit die Aufmerksamkeit des Höllenkriegers auf mich.

Er musterte mich kurz, kniff die Augen leicht zusammen und wirkte dann zufrieden. „Weil es mir bessere Chancen bringt, mit euch zu kooperieren als vor euch zu fliehen. Ich habe was, das ihr wollt und ihr habt was, das ich will. Also lasst uns einen Deal machen..."

„Was soll das sein?", fragte ich nach, die Antwort bereits ahnend.

„Ihr wollt wissen, was mit der Seele eures Freundes passiert ist, ich will, dass ihr ein gutes Wort bei Luzifer für mich einlegt und wir alle sind glücklich"

„Du hast seine Seele also nicht?", hakte ich ein wenig überrascht nach.

Alvar schüttelte den Kopf und sah an sich herunter. „Wäre ich im Besitz einer solch mächtigen Seele, käme ich sicherlich nicht so daher, mein liebes Engelchen. Chads Seele ist sofort nach seinem Tod verschwunden, ich konnte sie nicht erreichen, als ich sie gesucht habe."

„Was soll das heißen? Wo ist sie?", fragte ich drängender nach.

Alvar sah mich vielsagend an. „Tut mir leid, aber ich werde euch nicht helfen, wenn ihr mir nicht versichert, dass ihr auch mir helfen werdet"

„Denkst du wirklich, wir sind so dumm und helfen dir, mächtiger zu werden?", man hörte deutlich aus meiner Stimme heraus für wie absurd ich das hielt. Ich wollte Alvar schon dazu zwingen, uns die Informationen einfach zu geben, als Silas mich zurückhielt.

„Du musst uns nicht helfen, Alvar, denn die Informationen, die wir von dir wollen, kann ich mir auch ganz einfach holen. Also zwing mich lieber nicht dazu, dir das anzutun, wir wissen alle wie instabil du im Moment bist"

Statt wegen dieser Drohung klein bei zu geben, grinste der Höllenkrieger bloß und verschränkte die Arme. „Und da wir das alle wissen und ihr eure Informationen nicht mehr bekommen werdet, wenn ich verpufft bin, würde ich sagen, es wird aller höchste Eisenbahn, mich zu heilen, meint ihr nicht?"

„Ich sag es nur ungern, aber er hat recht" Silas sah mich dabei kurz überprüfend an, ehe er nach vorne trat und die Kreislinie durchbrach, sodass Alvar sich nun frei bewegen konnte. „Denk auch nur daran, jemandem etwas anzutun und du bist tot", sagte er dabei streng, in dunkler Stimme, sodass es bei mir in der Leistengegend kurz angenehm kribbelte. Mein Verlobter war so unglaublich heiß!

„Schon gut", Alvar hob abwehrend die Hände. „Ich bin nicht der, von dem ihr einen Betrug erwarten solltet" Dabei warf er Michael einen kurzen Blick zu, der viel zu viel Bedeutung in sich trug, um es als unwichtig abzustempeln.

„Was willst du damit sagen, mh?" Michael fühlte sich sofort angegriffen und ging bedrohlich auf Alvar zu. „Wir sollten ihn jetzt sofort umbringen, er spielt doch nur mit uns!", zischte er dabei.

Ich jedoch hielt ihn zurück. „Alvar wird nichts passieren, bis Chads Seele wieder in seinem Körper ist", bestimmte ich und drehte mich dann zu ihn um. „Und jetzt rede. Wo ist sie?"

Alvar grinste Michael triumphierend an und zuckte dann mit den Schultern. „Nicht hier, nicht in der Hölle, nicht im Himmel und nicht in meiner Reichweite. Sie ist nicht im Nichts, denn dafür ist sie zu mächtig."

„Wie meinst du das?"

„Chads Seele ist zu... zu viel für das Nichts. Stellt euch vor, das Nichts ist die Dunkelheit und dann kommt Chads Seele, das pure Licht. Sie würde es einfach so verschwinden lassen und wenn das Gleichgewicht derartig aus den Fugen geraten würde, würden wir das bemerken, glaubt mir. Chads Seele ist also irgendwo, sehr, sehr weit weg"

„Wow, wir sind also genauso weit wie vorher", schnaubte ich und schüttelte den Kopf. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, für diese Informationen verschonen wir dich?"

Alvar zog die Augenbrauen hoch. „Sei doch nicht so ungeduldig. Das war noch lange nicht alles, mein Lieber"

Ich schaute ihn auffordernd an und er sprach weiter, nachdem er eine Kette aus der Hosentasche geholt hatte, ich erkannte sie sofort. Das war die Kette, die Chad von Luzifer bekommen hatte, als dieser gegangen war, doch nun fehlte das goldene Etwas darin.

„Ich gehe davon aus, Luzifers Energie wird Chads Seele mit sich gezogen haben, als der Anhänger kaputt gegangen ist, also müssen wir eigentlich nur warten, bis sie bei ihm ankommt und Luzifer sie ihm zurückbringt. Das natürlich nur unter der Vorraussetzung, dass es Chads größter Wunsch war, bei Luzifer zu sein, als seine Seele in Berührung mit der Energie kam"

„Können wir nichts tun, um das alles zu beschleunigen?", fragte Silas nachdenklich.

Alvar nickte. „Könntet ihr, aber das werdet ihr nicht tun..."

„Was denn?", Ich verdrehte genervt die Augen, da es mich verrückt machte, in dieser machtlosen Position zu sei, angewiesen auf einen Psychopathen, der aus der Hölle geflohen war.

„Seine Seele ist zwar nicht mehr in seinem Körper, aber, da er sich noch an alles erinnert, ist sie nach wie vor mit ihm verbunden, das heißt, was seiner Seele passiert, wirkt sich auf seinen Körper aus und andersrum. Fügt ihr seinem Körper also Schmerzen zu, wird Luzifer das mitbekommen, wenn Chads Seele bei ihm ist und wohl möglichst schnell zurückkommen"

„Woher weißt du von Luzifer und Chad?", fragte Silas misstrauisch nach und kniff dabei die Augen leicht zusammen. „Er hat die Hölle verlassen, ist auf die Erde gekommen, hat sich da in Chad verliebt und ist dann wieder in den Himmel... Du hattest keine Möglichkeit davon zu erfahren"

Ich war wirklich froh, Silas zu haben, denn er war mit Sicherheit nicht nur der hübschere von uns, sondern auch der schlauere, denn auf die Idee, das zu hinterfragen, wäre ich niemals gekommen, nicht aus mehr als unbegrüdeter Intuition heraus.

„Ich habe meine Quellen", meinte Alvar bloß kryptisch und verschränkte seine Arme, wobei sie keinen sehr schönen Ton machten.

Silas ging einen Schritt weiter auf Alvar zu und sah dabei misstrauisch in seine Augen, jedoch tat oder sagte er nichts mehr, sondern musterte den Höllenkrieger einfach nur, sodass ihm das ziemlich unangenehm wurde.

„Wir müssen Chad nicht wehtun", mit diesen Worten drehte sich Silas zu mir und ließ Alvar links liegen, so als hätte er ihn nicht grade akribisch gemustert, so als wolle er feststellen, ob er ihn roh essen konnte. „Wenn seine Seele noch mit seinem Körper verbunden ist, erreichen wir Luzifer vielleicht, indem wir die Kontrolle über seinen Geist übernehmen. Vielleicht können wir seine Seele sogar dazu zwingen, zurückzukommen, sowie ich meinen Onkel gezwungen habe wegzugehen oder du Jays Eltern..."

Ich schluckte heftig, als ich verstand, was Silas da vorhatte. „Ich weiß nicht, Baby, bisher konnten wir den Menschen, die wir beeinflusst haben, immer direkt in die Augen sehen, wir sollten uns nicht überschätzen"

„Das stimmt so nicht" Austin wandte sich ebenfalls ein, wirkte sehr ernst dabei. „ich weiß zwar nicht so viel über die Ausbrüche deiner Kraft früher wie Charlie, aber ich habe auch einiges mitbekommen. Du kannst Leute, Vampire, auch beeinflussen, ohne sie anzusehen."

„Wovon sprichst du?", fragte ich ehrfürchtig.

Austin lächelte leicht, wollte mich zuversichtlich ansehen, doch ich sah die Sorge in seinem Blick genau. „Du hast Dinge getan, an die du dich nicht mehr erinnerst, das weißt du. Manchmal haben deine Emotionen, dein Unterbewusstsein einfach überhand gewonnen, dann bist du nur umso mächtiger geworden, hast die Vampire im ganzen Reich dazu gebracht, zu tun, was du willst, welche, die du nicht mal kanntest und auch nicht in der Nähe waren." Er schüttelte nach dieser Erklärung leicht den Kopf. „Du musst selbst wissen, ob du es riskieren willst, dein Unterbewusstsein wieder übernehmen zu lassen. Immerhin hast du jetzt Silas, er macht dich stärker, aber auch kontrollierter. Ich bin mir sicher, zusammen könnt ihr alles schaffen."

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