73. Jaylin: Pessimist

„Sag es! Los sag es!", forderte ich Austin energisch auf und zerrte an seinem Arm herum wie ein Kleinkind, das um Eis bettelte.

Er verdrehte die Augen und brummte: „Ich bin ein Looser, du bist der tollste, schlauste, beste und schönste Mann auf dieser Welt, ich kann mich glücklich schätzen, dass du dich überhaupt mit mir abgibst"

„Na geht doch", grinste ich stolz und boxte ihm leicht gegen den Arm.

Austin rieb sich über die Stelle und sah mich schmollend an, während ich meinen erneuten Fifa-Sieg mit einem Endstand von 17:1 feierte.

„Ach komm schon", lachte ich, als ich bemerkte, wie beleidigt er war. „Du hast doch ein Tor"

„Ja, aber auch nur, weil du dich bei dem Elfmeter zur falschen Seite gehechtet hast... Absichtlich!"

„Du hättest auch daneben schießen können", argumentierte ich, was Austin aber nicht wirklich aufzuheitern schien.

„Nochmal eine Runde?"

„Vergiss es!", schnaubte er, legte den Kontrolleur weg und verschränkte beleidigt die Arme.

Ich schmunzelte nur darüber, legte die Arme um ihn und drückte ihn ganz fest. „Lach doch mal!"

Er drehte mit einem schmollenden „Nö" den Kopf weg, was mich quasi dazu zwang, ihn zu kitzeln und dabei immer wieder „Lach doch mal, los, lach doch mal, du beleidigte Leberwurst!" zu grinsen.

Austin rollte sich lachend zusammen und landete dabei mit dem Gesicht auf meinem Brustkorb, da ich bei der Aktion immer weiter runtergerutscht war. Als er mich anflehte aufzuhören, weil er keine Luft mehr bekam, stoppte ich die Attacken, doch ließ meine Hände ruhig auf seinem Körper sinken, sodass ich ihn im Arm hielt.

Austin atmete schnell und presste sich ganz eng an mich, so als bräuchte er mich, um jeden einzelnen Atemzug tätigen zu können.

Lächelnd blickte auf ihn herab und erkannte seinen zufriedenen Gesichtsausdruck, als er sich an mich kuschelte und ebenfalls die Arme um mich legte.

Seit seinem Versprechen, dafür zu sorgen, dass ich heilte oder mich zu töten, bevor ich leiden musste, war nun fast eine Woche vergangen. Seitdem hatte er jeden Tag bei mir verbracht und mich nur aus den Augen gelassen, wenn er Blut getrunken hatte, dann aber auch nur, wenn Briana bei mir gewesen war. Wir hatten noch nicht darüber gesprochen, wie wir nun weiter verfahren sollten, doch mein Deal mit Alvar war für mich Geschichte. Austin hatte recht damit, dass ich mit seinen Freunden viel bessere Chancen hatte und, mich mit ihm zu verbünden, fühlte sich auch um einiges besser an als mit dem Höllenkrieger. Allerdings war mir klar, dass wir dafür so langsam mal nach einer Lösung suchen sollten.

Trotzdem verbrachte ich meine Zeit lieber sorglos mit Austin. Es war zwar noch lange nicht so wie früher, doch wir kamen uns langsam näher und das fühlte sich unglaublich gut an. Selbst, wenn seine Anwesenheit alleine mich nicht heilen würde, fühlte es sich dennoch an wie meine Rettung.

„Jayjay?" Austin hob den Kopf und stützte sich leicht auf meiner Brust ab, um mich anzusehen.

„Mh?", hakte ich fragend nach.

„Wollen wir rausgehen?"

Ohne groß nachzudenken schüttelte ich den Kopf.

„Wieso nicht?" Er sah mich enttäuscht an. „Wir können ein bisschen an den See..."

„Und dann sitze ich blöd davor und hasse mich dafür, dass ich nicht mit dir schwimmen kann? Und alle starren mich mitleidig an oder machen sich über mich lustig und fragen sich, warum du dich überhaupt mit mir abgibst? Nein, danke, darauf kann ich gerne verzichten und du willst so bestimmt auch nicht gerne mit mir gesehen werden"

Austin zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Was meinst du?"

„Stell dich nicht so dumm!" ich verdrehte die Augen und schob ihn ziemlich unsanft von mir runter. „Tu nicht so, als sei es total normal für dich, mit einem Krüppel abzuhängen. Als ob es dich so gar nicht juckt, was andere dann wohl über dich denken..."

Ich stoppte, als Austin mit finsterem Blick den Kopf schüttelte. „Deine Lähmung ist sicherlich kein Grund, sich für dich zu schämen, Jay, ganz im Gegensatz zu deinem Benehmen gerade."

Ich schnaubte, doch sagte nichts.

Für einen Moment war ich davon überzeugt, alles kaputt gemacht, ihn nun endgültig vertrieben zu haben, doch Austin wäre nicht Austin, hätte er nicht unendlich viel Geduld mit mir.

„Hör bitte endlich auf, so blind zu sein, Jay. Immer siehst du nur das Schlechteste in dir selbst und allen anderen. Ich wünsche mir so sehr, du könntest dich selbst so sehen wie ich es tue, dich selbst so lieben." Austin strich über meine Wange, sein Blick lag auf meinen Lippen und ich schluckte schwer wegen seinen Worten, selbst, wenn er die letzten nur noch flüsterte.

Sein Kopf kam meinem immer näher und ich legte überwältigt wieder die Arme um ihn, doch bevor es zu unserem ersten Kuss seit dem ganzen Drama kommen konnte, klopfte es an meine Tür und Austin schreckte von mir weg.

Michael und Dale kamen rein und erzählten uns von ihrem Besuch bei Chad und davon, dass jetzt alles davon abhielt, Alvar zu finde, ohne auch nur zu ahnen, wobei sie gerade gestört hatten.

Während die anderen diskutierten, durchsuchte ich mein Nachkästchen und fand den Zettel, den Alvar mir dagelassen hatte.

„Leute", meinte ich, während ich auf ihn sah, doch sie überhörten mich einfach.

„Hei, jetzt haltet mal die Klappen!", diesmal brüllte ich es und die drei Männer verstummten sofort und sahen mich aus großen Augen an.

Ich wedelte mit dem Zettel in meiner Hand herum. „Alvar hat mir den gegeben. So kann ich ihn beschwören. Solange er auf der Erde ist, kann er zwar selbst entscheiden, ob er dann kommt, aber er meinte, wenn ich ihn rufe, kommt er"

Austin, Michael und Dale schauten sich gegenseitig etwas überrascht an, schienen dann aber zufrieden mit dieser Lösung zu sein. „Einen Versuch ist es wert"

Michael kam zu mir und wollte sehen, was wir alles brauchten. Es war nicht wirklich viel und die Sachen waren uns auch alle zugänglich, ich fand es nur sehr interessant, dass es ausgerechnet Dinge wie Kohle oder bestimmte Kräuter waren, die in der richtigen Kombination eine übernatürliche Wirkung haben sollten.

„Ich werde Raphael darüber in Kenntnis setzen, ohne ihn sollten wir das nicht machen..."

Ich musste etwas lachen, als Michael das sagte und erntete dafür von allen Seiten erstaunte Blicke. „Sorry, ich finde es einfach nur so witzig, dass ihr alle nach seiner Pfeife tanzt. Es ist, als hättet ihr darauf gewartet, dass er euch sagt, wo es langgeht und das, obwohl er, wenn überhaupt, nur Prinz der Vampire ist. Warum hörst du auf ihn?" Ich sah Dale an.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich schulde es ihm und ich vertraue ihm. Raphael will das Richtige machen und selbst, wenn er das nicht schafft, ist er mächtig genug, das wieder grade zu biegen, was er verbockt hat. Zweifelst du seine Führungsqualitäten an, dann begründe lieber dein Misstrauen, statt mein Vertrauen in Frage zu stellen"

Ich war überrascht davon, dass Dale so hinter Raphael stand, aber andererseits verstand ich es auch. Er hatte durch alles, was die letzte Zeit passiert war, kaum eine andere Wahl. Warum Michael aber den kleinen Laufburschen für Raphael spielte, verstand ich nicht. Das lag nicht daran, dass ich Raphael nicht vertraute, sondern eher daran, dass sich mir nicht erklärte, warum Michael sich ihm unterordnen sollte. Da war doch irgendwas faul.

„Alles gut, ich habe nur gefragt", ruderte ich also zurück, konnte nicht verhindern, dass mein Blick dabei zu Michael glitt. Eigentlich war er doch ein guter Kerl, aber irgendwie hegte ich doch eine innere Abneigung gegen ihn. Das konnte aber auch daran liegen, dass er meine Cousine poppte oder weil ich laut Austin ein übler Pessimist war.

„Gut, dann wird sich Raphael, denke ich, bei dir melden, wenn er es für richtig hält", meinte Michael und verabschiedete sich, um zu gehen. Dale blieb auf Austins Anfrage hin allerdings noch hier. Er bat ihn, kurz im Flur mit ihm reden zu können und ich... naja ich blieb hier sitzen und grübelte, was die zwei wohl zu besprechen hatten. Mir war klar, dass Austin wohl nur als Freund für Dale da sein wollte, die zwei schienen ja wirklich best buddies zu sein, aber mein inneres Arschloch wünschte sich, Dale würde einfach in einem Loch verschwinden – nicht Austins – und nie wieder auftauchen.

Ich war eifersüchtig, klar war mir das bewusst. Es war unangebracht, auch das wusste ich, aber trotzdem konnte ich einfach nichts dagegen tun. Ich konnte und wollte Austin einfach kein weiteres Mal verlieren, denn ich brauchte ihn und so sehr ich diese Gefühle auch verabscheute, so sehr genoss ich sie auch.

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