34. Chad: Tränen
Kampftraining für alle. Abwechselnd übten wir die Sache mit der Meditation und Kraft und das Kämpfen. Mittlerweilte hatte jeder von uns zumindest so viel Kontrolle über seinen Körper, dass wir ungefähr auf dem gleichen Level waren, was das anging. Natürlich war es für Dale und mich einfacher, da wir schon unser Leben lang trainierten, doch ich fand, die anderen machten sich gar nicht so schlecht. Mit ein paar Tipps und ein bisschen Aufmerksamkeit, lernten sie sehr schnell.
Gerade hatte ich einen Trainingskampf mit Jay und Silas. Es ging darum, dass sie versuchen sollten, als Team zu agieren, was aber nicht so richtig hinhaute. Ich hatte zwar schon eine Weile nicht mehr richtig gekämpft, doch ich war konzentriert und meine Muskeln erinnerten sich wie von alleine an bestimmte Bewegungsabläufe, sodass ich Silas und Jay relativ schnell auf der Matte hatte.
„Ey, das ist so unfair, ich muss mich hier verprügeln lassen und du schwitzt nicht mal!", beschwerte sich Jay, klang dabei schmollend, was mich amüsierte.
Ich hielt ihm schmunzelnd die Hand hin, genauso wie Silas, um ihnen beiden aufzuhelfen. Mit einem Ruck zog ich sie hoch. Ich wollte eigentlich gleich weitermachen, aber Jay drehte sich wütend um und stampfte von mir weg, auf Dale zu.
„Traust du dich auch, mir das ins Gesicht zu sagen?!"
Was ging denn jetzt ab?
„Na los, sag es nochmal! Trau dich!" Er stieß ihn wütend an die Wand, sodass Dale dagegen knallte, weil er so unvorbereitet gewesen war und Jay aus großen Augen ansah. „Ich habe kein Wort gesagt, komm runter!" Er hob beschwichtigend die Hände, doch Jay schlug sie schnaubend weg.
„Ach dann hast du nicht grade behauptet, ich hätte nur eine große Fresse und nichts dahinter?!"
„Jay, er hat wirklich nichts gesagt", versuchte Austin ihn zu beruhigen.
Jay warf ihm einen finsteren Blick zu, der ihn zum Verstummen brachte, ehe er Dale erneut anfauchte. „Von wegen! Ihr seid doch alle irre hier!" Er ging einen Schritt zurück und presste sich die Hände auf die Ohren. „Jetzt haltet doch endlich mal eure Klappen!"
Sein gesamter Körper war angespannt. Er ging auf die Knie, als zwänge ihn eine unsichtbare Macht runter, während er sich die Hände auf die Ohren presste. „Hört auf! Verdammt, Hört auf!", schrie er. Er wirkte verzweifelt, schmerzerfüllt, verloren.
Keiner wusste, was mit ihm los war, wir starrten ihn und einander hilflos an, solange, bis Raphael zu ihm ging, sich vor ihn kniete, ihm eindringlich in die Augen sah und sagte: „Schlaf!" Dabei leuchten seine Augen rot auf und Jay klappte sofort zur Seite weg.
„Was zur Hölle war das?", fragte Briana mit Blick auf Jay und sah uns vorwurfsvoll an. Sie kniete sich zu ihm, musterte ihn so als würde sie nach einer Verletzung suchen.
„Ich... weiß nicht, aber vielleicht..." Silas lief an mir vorbei zu Jay und musterte ihn ebenso, ehe er murmelte: „Vielleicht hat er Gedanken gehört"
„Das war bei dir am Anfang auch so schlimm", bestätigte Boris.
„Aber wie ist das möglich? Gedanken sind mein Ding, ich dachte, es gibt jede Kraft nur ein Mal"
Während die anderen zu diskutieren begannen, stand ich in etwas Abstand zu ihnen daneben und beobachtete das Ganze. Einzig Luzifer beachtete mich. Er kam zu mir und musterte mich genau.
„Was?", fragte ich unsicher.
Er begann zu schmunzeln. „Du bist einfach der Wahnsinn, Chester" Seine Augen strahlen seine Zuneigung für mich aus, seine Stimme klang liebevoll, als er das sagte, aber auch voller Bewunderung.
„Was... Wie..."
Luzifer zog die Aufmerksamkeit der anderen auf uns und erklärte ihnen, dass ich Silas' Kraft kopiert und auf Jay übertragen hatte. Er nahm ein klein wenig von Silas' Energie in mir war und ebenso in Jay, jedoch verblasste es ziemlich schnell wieder.
„Chad kann also die Kräfte einer Person nachahmen und auf andere übertragen?", hakte Dale aus großen Augen nach.
„Ich denke, ja... Jedoch sollten wir das weiter ausprobieren. Irgendwelche Freiwilligen?"
Natürlich rauften sie sich nicht darum, das Versuchskaninchen geben zu dürfen, nicht nach dem, was mit Jay passiert war. Nach kurzer Zeit aber trat mein Bruder näher an mich heran und meinte, er würde sich zur Verfügung stellen.
„Okay" Luzifer hielt mir seine Hand hin und ich legte sie zögerlich in seine.
Ich konnte nicht wirklich glauben, dass ich das gerade mit Jay gemacht hatte. Es schockierte mich, es machte mir Angst und es nahm mir die Sicherheit der Annahme, dass an mir rein gar nichts außergewöhnlich war. Ich hatte eine Kraft. Wenn auch keine tolle.
Ich nahm auch Dales Hand in meine, doch, da ich nicht wirklich wusste, was ich vorhin getan hatte, konnte ich es nicht wiederholen. Wir standen eine Weile so herum, nichts passierte.
„Jemand von euch sollte mich anlügen", überlegte Luzifer und drehte sich zu den anderen.
Ohne groß zu überlegen, antwortete Raphael: „Ich mag dich eigentlich richtig gerne"
Nichts passierte, nur Dale zuckte kurz zusammen. Luzifer spürte nichts, was bewies, dass er Dales Kraft nicht bekommen hatte.
„Vielleicht funktioniert es nur zwischen Menschen", überlegte Dale.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin einfach... unkonzentriert. Und ich weiß gar nicht, was ich da getan habe, geschweigedenn ob ich es wiederholen kann..."
„Natürlich kannst du es" Luzifer legte seine Hand auf meine Schulter. „Aber nicht einfach so von der einen Sekunde auf die andere. Du musst weiter üben und dabei darfst du niemals den Glauben an dich selbst verlieren, okay?"
Ich schluckte, nickte. Luzifer lächelte mich an, seine Hand legte sich auf meine Wange. Er strich einmal zärtlich mit dem Daumen über diese Stelle, doch sein stolzes Lächeln wurde zu einem traurigen, als er mich so betrachtete. Schließlich sah er weg und nahm auch seine Hand von mir.
Michael beendete das Training für heute, daher löste sich die Gruppe relativ schnell auf und die anderen brachten Jay hoch. Ich bat Dale, mir einen Moment mit Luzifer zu geben, daher verließ auch er den Raum. Als ich mit ihm alleine war, ging ich zu ihm. Er hatte mir den Rücken zugedreht, doch ich legte, sobald er in Reichweite war, meine Hand auf seine Schulter und stellte mich vor ihn.
Er drehte das Gesicht weg, doch ich legte meine andere Hand auf seine Wange und bewegte seinen Kopf so sanft aber bestimmend wieder so, dass er mich ansehen musste.
„Was ist los?", flüsterte ich. Er kam mir gerade so scheu vor, als würde ich ihn verschrecken, wenn ich lauter sprach.
Er schüttelte den Kopf, sah zwischen uns auf den Boden, obwohl ich so nah vor ihm stand, dass davon nicht gerade viel da war.
„Was ist los?", wiederholte ich nochmal im gleichen Ton. „Ich will dir helfen Luzifer, aber dazu musst dir mir sagen was los ist"
„Es ist nur" Er zuckte leicht mit den Schultern und schniefte. „Ich kann nicht glauben, dass ich nie erkannt habe, wie besonders du bist. Ich habe dich geliebt, doch ich konnte dir nie beweisen, warum du so einzigartig bist, weil ich selbst nicht wusste, was es ist, das dich dazu macht. Du hast dich ein ganzes Leben lang für wertlos und schwach gehalten und jetzt... Ich bin einfach so stolz auf dich... ich würde es gerne mit dir feiern... ich würde... ich würde dich gerne in den Arm nehmen und..." Er brach ab im selben Moment, als ich ihn umarmte.
Er erwiderte es zögerlich, so als könne er es nicht wirklich glauben, doch drückte dann immer fester, jedoch nicht so, dass es mir unangenehm wurde. Es wurde warm an jeder Stelle, wo er mich berührte, selbst, wenn wir noch Stoff zwischen uns hatten.
„Danke", hauchte Luzifer an meinen Hals und lehnte seinen Kopf an meinen.
„Wofür?", entgegnete ich verwirrt. Ich war doch derjenige, der all diesen Schmerz in ihm auslöste. Es wunderte mich, dass er überhaupt noch freiwillig mit mir in einem Raum sein wollte.
„Du bist für mich da, obwohl du besseres zu tun hast und deine eignen Sorgen und Probleme und obwohl ich bestimmt der letzte bin, dessen Gesellschaft angenehm für dich ist..."
„Stopp", unterbrach ich ihn und schob ihn leicht von mir, sodass ich meine Hände auf seine Wangen legen und ihn intensiv ansehen konnte. „Du bist mir wichtig, Luzifer. Deshalb leide ich mit dir, wenn es dir schlecht geht... Du hast es verdient glücklich zu sein..."
„Das war ich... mit dir" Seine Augen waren gefüllt mit Tränen, er musste nur ein Mal blinzeln und die salzige Flüssigkeit rannte seine Wange hinab. Mit dem Daumen strich ich sie sorgfältig weg und sah ihn wieder an.
Ich sah Sehnsucht in seinem Blick, Zuneigung, einen inneren Kampf mit sich selbst.
„Kann ich irgendetwas tun, um dir zu helfen?", fragte ich ihn. Ich wollte doch nur, dass es ihm gut ging. Ich hasste es, Menschen leiden zu sehen, noch schlimmer die, die mir am Herzen lagen. Es kam mir manchmal so vor, als ich ein Magnet für all die negativen Gefühle der Personen um mich herum. Ich zog sie an und wurde sie dann einfach nicht mehr los. Vielleicht war mein Versuch, allen helfen zu wollen der pure Egoismus. Wenn es ihnen besser ging, ging es immerhin auch mir besser.
Luzifers Blick löste sich aus meinen Augen. Er wanderte über mein komplettes Gesicht und haftete schließlich an meinen Lippen. „Darf ich dich küssen?"
Für einen Moment überlegte ich zuzustimmen, jedoch erkannte ich sehr schnell, dass es ihm vielleicht für einen kurzen Moment guttun würde, es danach aber umso schlimmer wäre. Also verneinte ich. „Ich will dir nicht noch mehr wehtun"
Luzifer nickte verstehend, er lächelte gezwungen, doch ich sah genau wie kurz er vor einem erneuten Zusammenbruch stand.
„Kannst du mich..." Er schniefte. „Kannst du mich einfach festhalten?"
„Natürlich", hauchte ich und nahm ihn erneut in den Arm. Er presste sich an mich und sofort vernahm ich das Beben seines Körpers. Er atmete unregelmäßig an meinen Hals, ich spürte es dort feucht werden, doch tat nichts Anderes, als ihn festzuhalten, genauso wie er es verlangt hatte.
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