22. Austin: Wärme

Nachdem ich Dale am Telefon die Kurzfassung dessen gegeben hatte, was passiert war, trafen wir uns im Park in der Stadt. Wir umarmten uns kurz zur Begrüßung und er fragte mich auf dem Weg nochmal über jedes einzelne Detail der Geschehnisse aus.

Er wurde sehr ruhig, als ich ihm das alles erzählte und meinte schließlich: „Wusstest du, dass Uriel als der Engel der Wahrheit gilt?"

Ich verstand nicht ganz, worauf er damit hinauswollte und sah ihn deshalb nur fragend an.

Dale seufzte. „Die Engel haben angeblich verschiedene Attribute. Bei Uriel sind es Dinge wie Offenbarung von Geheimnissen, Erfolg, Wahrheit... Meine Eltern wollten ihn in Jaylins Körper beschwören, um sich mit ihm zu verbünden..."

„Oh", Mein Beitrag war vielleicht nicht sehr geistreich, doch ich war eben auch nur ein Vampir mit begrenzter Denkleistung.

„Meine Eltern haben immer behauptet, ich hätte meine Kraft von Uriel..."

Dale wirkte irgendwie beschämt darüber, er sah zu Boden. Ich wollte ihn aufmuntern, indem ich meinen Arm um seine Schultern legte und meinte: „Keine Sorge, deine Eltern reden viel Scheiße und das gehört mit Sicherheit dazu"

Es brachte ihn tatsächlich leicht zum Lachen, obwohl er den Kopf schüttelte. „Da hast du wohl recht."

Ich ließ wieder von ihm ab, als wir unserem Ziel näherkamen: Der Schule, auf die Jaylin und seine Freundin Briana gingen.

Es war gerade Schulschluss, daher war ziemlich viel los. Wir schauten uns nach Jaylin um, doch entdeckten ihn nirgends.

„Vielleicht wäre es besser gewesen, doch bei ihm zuhause zu warten", vermutete Dale. Ich schüttelte jedoch den Kopf und versuchte mich zu konzentrieren. Normalerweise hatte ich keinen außergewöhnlich guten Geruchssinn, doch Jaylins Duft hatte ich seltsamerweise abgespeichert und vernahm ihn auch hier, mitten in der Menschenmasse. „Er ist hier" Dadurch bat ich Dale um noch ein wenig Geduld, welche sich auszahlte, nachdem sich der Pausenhof etwas geleert hatte und wir Jaylin in mitten einer relativ großen Gruppe stehen sahen. 

Er hatte seinen Arm um ein Mädchen gelegt, hatte einen Joint zwischen den Lippen und gab gerade ein paar seiner Kumpels einen kompliziert aussehenden Handschlag, ehe er mit dem Mädchen zum Parkplatz lief. Dabei erhaschte er uns mit seinem Blick und sein Grinsen verging ihm langsam. Er blieb stehen, gab seiner Freundin einen Kuss und meinte was von „Bis heute Abend", ehe er zielstrebig zu uns kam.

„Was wollt ihr denn noch von mir, ihr Vollidioten?!", zischte er und stieß mir kräftig gegen die Brust. Dale stellte sich sofort vor mich und sah Jay eindringlich an. „Du bist der einzige Vollidiot hier, wenn du echt dachtest, wir seien schon mit dir fertig. Das war erst der Anfang"

Jaylin verschränkte schnaubend die Arme. „Ihr könnt vergessen, dass ich nochmal irgendwas für euch tue..."

„Das hast du vorher auch nicht freiwillig", warf Dale ein, was Jaylin dazu brachte, die Augen zu verdrehen. „Ihr habt mir richtige Probleme mit meinen Eltern gemacht, ist euch das eigentlich klar?"

Meine Augenbrauen schossen hoch. Wir versuchten hier den Weltuntergang zu verhindern und er jammerte wegen ein bisschen Stress mit seinen Eltern herum? Außerdem war ich mir sehr sicher, dass er allein durch sein Verhalten schon genug Ärger mit ihnen hatte, auch ohne unser Mitwirken.

„Du hast keine Ahnung, wie wenig mich das interessiert", meinte Dale. So kalt kannte ich ihn gar nicht. Aber das war wohl die badass-Jägerseite in ihm. „Mir wäre es auch lieber, wir müssten deine Arroganz nicht ertragen, aber leider scheint dich die Welt zu brauchen, also scheiß auf deine Angst vor Hausarrest und hilf uns gefälligst!"

„Keine Chance", beharrte Jaylin weiter und sah Dale unbeeindruckt an. Dann huschte sein Blick zu mir und er wirkte amüsiert. „Stehst du eigentlich immer nur dumm daneben oder kannst du auch was?"

Dale war dabei, ihm zu antworten, als ich es tat, indem ich ihm meine Krallen zeigte. „Ich kann dir die Kehle aufreißen, wenn du weiterhin so unverschämt bist"

Statt eingeschüchtert zu sein, lachte Jaylin nur. „Ihr würdet euch nicht mit mir abgeben, wenn ich nicht wichtig für euch wäre, also wirst du mir sicherlich auch nicht die Kehle aufreißen. Aber netter Versuch." Er grinste von sich selbst überzeugt vor sich hin.

Er genoss es zu wissen, dass er wichtig für uns war und somit auch eine gewisse Macht über uns hatte. Jedoch verstand er nicht, dass unser Misserfolg auf kurz oder lang auch seinen Tod bedeuten würde. Oder zumindest den Verlust der Kontrolle über seinen eigenen Körper.

„Jaylin, ein Engel hat bereits jemanden in deinem Körper, mit deinem Gesicht getötet. Du kannst nichts dafür, da du es nicht besser wusstest, aber sobald der Engel zurückkommt, klebt das Blut der Menschheit an deinen Händen und das nur, weil du jetzt so egoistisch warst" Dale war kleiner als Jaylin, doch gerade wirkte es so, als würde er ihn ziemlich in den Boden zu stampfen.

Jaylin schien diesen Arschtritt gebraucht zu haben, denn sein arrogantes Grinsen verschwand und auch seine Arme lockerten sich etwas. „Ihr meint das echt ernst mit dem Weltuntergang und so...", stellte er dabei fest und sah zwischen uns hin und her.

Ich sah ihn ernst an, um seine Aussage zu bestätigen.

Schließlich atmete er tief durch und nickte. „Na schön, ich helfe euch, aber nur unter der Bedingung, dass es mein Leben nicht beeinflusst und sobald ich dieses Abschotten kann, lasst ihr mich gefälligst in Ruhe"

„Deal", beschloss Dale. Er und Jaylin gaben sich die Hand darauf und sahen sich dabei eingehend an.

Wir teilten dem Jungen mit, dass er uns folgten sollte und er begann sich darüber zu beschweren, dass wir nicht mit dem Auto hier waren.

„Ich habe weder einen Führerschein noch ein Auto", meinte ich zur Erklärung.

„Ich habe zwar einen Führerschein, aber kein Auto, zumindest keines, das nicht voller vampirtötender Waffen ist"

„Ihr seid solche Freaks", meinte Jaylin. Das klang nicht gerade nach einem Kompliment.

„Ich könnte mir auch angenehmere Gesellschaft als dich vorstellen", antwortete ich leicht beleidigt.

„Mh, schon klar" Jaylin sah mit hochgezogenen Augenbrauen zwischen Dale und mir hin und her, doch ich verstand absolut nicht, was er dadurch mitteilen wollte. Das sah er wohl in meinem Blick, denn er begann zu lachen. „Ach kommt schon, ihr könnt mir doch nicht erzählen, dass ihr zwei es nicht treibt"

Dale und ich tauschten einen überforderten Blick aus, ehe er Jaylin mitteilte, dass er eine Freundin hatte und sicherlich keine Affäre mit mir.

„Schon klar", wiederholte Jay nur und grinste weiter blasiert vor sich hin.

„Können wir ihn nicht einfach töten und die Sache hat sich?", fragte ich Dale leicht verzweifelt. Während Jaylin empört schnaubte, lachte Dale. „Ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Aber eine Überlegung ist es auf jeden Fall wert"

„Boa ihr zwei könnt mich mal so am Arsch lecken, ich sag's euch" Jaylin wirkte ernsthaft verletzt von meinem Vorschlag, doch er verbarg er ganz gut unter seiner Maske aus Arroganz und Boshaftigkeit.

Dale und ich redeten noch ein bisschen, hin und wieder warf Jaylin unnötige Beleidigungen oder Unverschämtheiten ein, doch wir gingen nicht weiter darauf ein.

Ich war froh, als wir zuhause ankamen, da ich dachte, den kleinen Mistkerl nun endlich loswerden zu können, doch leider schien außer uns gerade niemand anwesend zu sein.

„Leute! Ich habe Jaylin!", brüllte ich durchs Haus und deutete ihm und Dale, mir zu folgen.

„Nennt mich bitte Jay. Der einzige, der Jaylin zu mir sagt, ist mein Vater" Er verdrehte die Augen, so als wolle er uns deutlich machen, wie genervt er von ihm war.

„Okay, Jay" Ich deute zum Tisch und ging in Richtung Küche. „Willst du was Essen oder trinken?"

Er sah mich kritisch an. „Plötzlich so nett?"

Ich verdrehte die Augen. „Keine Sorge, wenn ich dich töten wollen würde, würde ich es sicherlich nicht so feige durch Gift in deinem Essen machen"

„Wenn du das sagst" Jay setzte sich an den Tisch und verschränkte die Arme. „Wie würdest du mich denn umbringen?"

„Warum sollte ich dir das sagen?" Ich grinste bei meiner Antwort herausfordernd und sah seinen Mundwinkel hochzucken.

„Dann bin ich auch so nett und teile dir mit, wie ich nächtlich davon träume, dich qualvoll zu ermorden, seit wir uns das erste Mal gesehen haben"

„Ach du träumst also von mir?" Ich lächelte ihn breit an und klimperte schnell mit den Augen, so als sei ich total bezaubernd.

„Wie gesagt, davon, dich umzubringen" Jay war nicht sehr begeistert von meiner Vorstellung, sondern musterte mich eher herablassend. Jedoch sah ich genau, wie er versuchte, seine Mundwinkel unter Kontrolle zu halten.

Dales Anwesenheit war lange vergessen, während ich Jay so musterte und feststellte, dass er gar kein so schlechter Mensch sein konnte. Ich meine, er benahm sich vielleicht wie ein Arschloch, doch wäre er wirklich eins, hätte er sich ja kaum davon überzeugen lassen, mit uns zu kommen, obwohl wir ihn beim letzten Mal entführt und verletzt hatten. Außerdem weigerte ich mich zu glauben, dass sich hinter diesen schönen blauen Augen eine böse Seele verbarg. Das schien einfach nicht möglich zu sein. 

Ich bemerkte nicht, wie Jay und ich begannen, uns still anzustarren. Es war ein Blickduell mit dem Ziel, die wahre Art des Gegenübers als erster zu entschlüsseln. Dabei kam es mir so vor, als schaffte Jaylin es wirklich, mein Innerstes allein durch seinen Blick zu erkunden. Ich spürte, wie mein Herz immer schneller schlug. Es fühlte sich so an, als würde Jay mich berühren, mich aufwärmen, obwohl ich gar nicht registriert hatte, dass mir bisher immer kalt gewesen war. Alles andere wurde so unwichtig in diesem Moment, klein, bedeutungslos. Ich hatte nur noch Augen für Jay und wusste, das würde mir noch eine Menge Probleme bereiten. 

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