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Yoongi wusste nicht so genau was plötzlich in ihn gefahren war, als er dem Platinblonden das Handtuch über den Kopf gestülpt hatte. Der Jüngere hatte einfach so schüchtern ausgesehen, dass er nicht anders gekonnt hatte. Und irgendwie war es auch der leicht verschreckte Ausdruck in dessen Augen gewesen, der an dieser Handlung schuld war. Irgendwie ließen ihn diese Augen weich werden, vielleicht auch ein Grund dafür das er nicht hinein schauen wollte, sie nicht sehen wollte. Doch wie Hoseok es ihm ganz klar gemacht hatte, kam Yoongi nicht um den anderen drum herum.

Namjoon war und blieb Yoongis Geisel. Er hatte ihn schließlich entführt, auch wenn Yoongi anfangs wirklich Angst hatte diese Verantwortung zu übernehmen. Er hatte sie immer noch. Spürte noch immer seine Ängste und die Vergangenheit saß ihm im Nacken, aber einmal mehr hatte Hoseok ihm klar gemacht, dass er nicht allein war. Hoseok würde aufpassen und so musste auch Yoongi aufpassen. Aufpassen auf diesen Jungen. „Hast du diese Bücher für mich mitgebracht?", hörte Yoongi und konnte die Unsicherheit ebenso hören.

„Ja. Nimm dir was du lesen magst.", antwortete Yoongi und war dabei relativ neutral. „Okay.", sagte Namjoon und klang irgendwie danach, als wollte er noch etwas sagen. „Ehm... wie heißt denn das Pferd auf dem du geritten bist? Das ist wirklich schön." Überrascht verharrte Yoongi kurz in seiner Bewegung. Er hatte irgendwie nicht erwartet, dass den anderen sowas interessierte. „Danbi.", antwortete er also und nahm den Topf vom Herd. Dann schüttete er das Essen in einen Teller und stellte es vor Namjoon. Der Höflichkeit wegen setzte er sich dann neben ihn.

„Süßer Regen... das ist ein wirklich passender Name." Namjoons Kompliment entlockte Yoongi ein sanftes Lächeln, auch wenn das durch die Maske nicht zu sehen war. Er fand den Namen des Bauern auch sehr passend und es war eine schöne Erinnerung an ihn. Er schaute Namjoon dabei zu wie dieser begann zu essen. Doch auch jetzt sah der Jüngere danach aus, als läge ihm noch etwas auf dem Herzen. „JK meinte vorhin, dass ihr am Rande der Existenz lebt und ohne das Stehlen schon gar nicht mehr leben würdet. Warum?"

„Warum was?", fragte Yoongi ruhig schon fast eine Spur rhetorisch, riss sich zusammen nicht gleich schlechte Laune zu bekommen. Irgendwie wollte er wissen worauf Namjoon hinaus wollte. „Warum wärt ihr schon Tod? Warum bekommt ihr keine Arbeit? Warum braucht ihr das Geld? Warum habt ihr Schulden? Solche Warums..." Namjoon nuschelte ein wenig. Nicht weil er Essen im Mund hatte, sondern weil man ihm anmerkte, dass er keine falschen Fragen stellen wollte. Und wieder kam Yoongi nicht drum herum zu bemerken, dass das ein schlauer Schachzug war.

Sollte er antworten? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Irgendwie erwartete Yoongi schon das sich sein Gefühl melden würde, doch das tat es nicht. Also fragte Namjoon wirklich aus Interesse, nicht aus Eigennutz, irgendwie mit den Informationen entkommen zu können. Er seufzte, wie begann er denn damit. Wie sollte man denn solche Fragen beantworten? „Ich stehle Essen, wenn wir kein Geld dafür haben. Ich stehle für mich und eben auch für andere."

Mehr wollte Yoongi irgendwie nicht sagen, auch wenn das die Fragen nicht wirklich beantwortete. Nicht gerne erinnerte er sich an die junge Frau zurück mit dem Baby, der er als Neunjähriger regelmäßig Brot und Wasser vorbei brachte, weil diese von ihrem Mann eingesperrt gelebt hatte. Als er zehn wurde hatte sie es endlich geschafft in ein Frauenhaus zu flüchten, als Dank hatte sie ihm einen Teil ihrer Ersparnisse zurückgelassen. Bis heute hatte er sie nicht wieder gesehen. Aber diese Frau war nicht die einzige gewesen. Er erinnerte sich gut an die ganzen Obdachlosen, an den Tätowierer, an die Frau auf dem Markt und ... Ewig hätte Yoongi diese Liste fortführen können.

Er schüttelte den Kopf um die Gedanken an die Vergangenheit los zu werden. Wenn er das nur ein wenig weiter spinnen würde käme er wieder an den Punkt an dem Übelkeit in ihm aufkam und er sehnlichst Hoseoks Ablenkung brauchte. „Ich verstehe das nicht.", meinte Namjoon und Yoongi erschrak ein wenig, hatte er diesen schon fast vergessen. „Ich verstehe nicht wie es manchen so schlecht gehen kann. Ich meine, ich wusste dass ich viel Geld habe, aber ich wusste nicht, dass es um viele so schlecht steht. Ich meine selbst dieses Haus, diese Möbel und das essen hier. Das ist irgendwie ja schon Mittelschlicht. Wie könnt ihr dann zur Unterschicht gehören? Wieso müsst ihr Essen Stehlen um zu überleben?"

Namjoon schien es wirklich mitzunehmen, dass es so schlecht um manche Menschen stand und Yoongi hatte das Bedürfnis den Jungen einmal mit in die wirklich ärmsten Viertel der Hauptstadt zu schleppen, ihm zu zeigen wo er aufgewachsen war, nur um ihm nochmal zu beweisen, dass wirklich Leute so lebten. Doch auch Yoongis fast zusammenhangslose Aussage, schien wohl etwas im anderen losgetreten zu haben. „Wir haben viele Schulden. Viel zu viele.", begann Yoongi und wusste nicht warum er das sagte. „Und kein Geld uns dagegen zu verteidigen."

Dann stand er auf. Mehr konnte und wollte er gerade nicht sagen, denn die Wut kam wieder und er spürte wie die Vergangenheit doch hoch kam. Glücklicherweise schien Namjoon auch so zu verstehen, dass er jetzt am besten nichts sagte und ließ Yoongi ziehen. Yoongi verkroch sich in seinem Zimmer, wieder an der Fensterbank und schaute hinaus. Dieses Gespräch mit Namjoon war seltsam gewesen. Sehr seltsam. Und es hatte trotz dessen irgendwie alles wieder in ihm aufgewühlt. Hoseok wollte er aber heute Abend wirklich schlafen lassen. Sein Bester musste morgen wieder früh zur Arbeit gehen und durfte da alles andere als körperlich erschöpft sein. Also lenkte sich Yoongi mit einem guten Buch ab und schlief während er las tatsächlich ein.

Von der Sonne gekitzelt wachte er schließlich auf. Wirklich gut hatte er nicht geschlafen, da er irgendein Zeug aus der Vergangenheit geträumt hatte. Doch richtig daran erinnern konnte er sich nicht. Vielleicht war es auch ganz gut so, dass er sich nicht erinnern konnte. Wer wusste schon was das für Alpträume hätten sein können. Gemütlich zog Yoongi sich um und überdachte dabei nochmal den gestrigen Abend. Irgendwie kam ihm der Platinblonde jetzt nicht mehr wie ein reicher Schnösel vor, dem sein Umfeld egal war. Nein, ganz und gar nicht. Namjoon mochte vielleicht reich sein, reicher als Yoongi und alle die er kannte zusammen und er mochte auch in diesem Reichtum schwimmen, doch er war nicht verblendet. Er war sich irgendwie bewusst, dass er reicher war, als der Durchschnitt und irgendwie fragte sich Yoongi wie das kam.

Vielleicht hatte der Vater sein Kind ja zu sehr geschützt. Hatte Namjoon somit nicht verblendet, aber auch nicht gebildet. Vielleicht konnte er Namjoon retten, überlegte Yoongi. Vielleicht konnte er dem Jüngeren wirklich zeigen, was alles in der Welt passierte. Ihm die Augen den Reichen gegenüber öffnen. Ihm zeigen warum er Reiche bestahl. Ihm zeigen was es wirklich hieß hart zu Arbeiten und zu überleben. Und ganz vielleicht keimte in Yoongi die Hoffnung auf Namjoon von der Unschuld zu befreien, die dieser bestimmt noch hatte. Der Unschuld der Welt gegenüber.

Yoongi spürte wie sein Magen knurrte. Heute hatte er vor das Video zu überbringen. Unterwegs würde er sich etwas zu essen besorgen, denn die Lebensmittel waren bei ihnen wieder knapp geworden. Auch wenn Jin gekocht und gebacken hatte, mehr als das hatten sie Momentan nicht und Hoseoks nächstes Gehalt würde erst im nächsten Monat wieder kommen. Also holte Yoongi sich den Stick mit dem Video von Jungkook ab, der konzentriert schon wieder an den Elektrogeräten arbeitete und schnappte sich noch ein paar Kekse, bevor er in die Scheune trat. Dort nahm er sein altes Maschienchen, trauerte darum nicht das neue fahren zu können und schob es hinaus.

Nachdem er sich den Tank angeschaut hatte, beschloss er auch noch diesen aufzufüllen und holte sich noch seinen Rucksack. Wurde mal wieder Zeit ein wenig sneaky zu sein. Mit einem breiten Lächeln fuhr er los. Die Ideen, die ihn gerade in den Kopf stiegen veranlassten ihn dazu. Irgendwie war ihm voll danach, mal wieder seine alten Streifzüge zu machen. Einfach mal so wieder, so wie vor einem Jahr, als er mit den Jungs noch in der Stadt gewohnt hatte. Es begann ihn in den Fingern zu kribbeln. Oh und wie viel Lust er gerade darauf bekam.

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