Meine Aufregung steigt in einer steilen Geraden, vergleichbar wie bei der Aufnahme mit Manu. Gerade freue ich mich unglaublich darauf, meine Mutter wiederzusehen, aber das kann sich im nächsten Moment schlagartig ändern. Tobias, der nach hinten schaut, um zu sehen, ob Autos hinter uns vorbeifahren, bemerkt meinen glücklichen Blick und lächelt kurz, dann parkt er langsam aus. Zwei Wochen. So viel ist das eigentlich nicht. Wir verlassen den Parkplatz und fahren auf eine breitere Straße. Ich schaue aus dem Fenster. Ich kenne diesen Teil Kölns ziemlich gut. Hier in der Nähe hat Mia mal gewohnt. Ich betreibe etwas Smalltalk mit Tobias und muss mir spätestens jetzt gestehen, dass er einer der nettesten Typen ist, die ich kenne. Man kann sich gut mit ihm unterhalten und er hört einem zu. Ich frage mich, was Nick von unserem neuen Stiefvater hält. Schließlich biegen wir in die Straße, in der die Wohnung von meiner Mutter und Tobias ist. In dieser Gegend war ich noch nie, soweit ich mich erinnere, aber es sieht ganz in Ordnung aus. Wie es in einer Stadt eben aussieht. Der VW hält an. Tobias steigt aus und lässt die Tür mit einem lauten Knall zuschlagen, sodass ich unwillkürlich zusammenzucke. Jetzt gibt es kein zurück mehr, denke ich, während ich meinen Rucksack von dem hinteren Sitz schnappe und ebenfalls aussteige. Das ist eigentlich falsch. Ein Umkehren gab es schon nicht mehr, seitdem ich mich von Manu verabschiedet hatte und in den Zug gestiegen bin. Aber das hat auch etwas Gutes. Keine Wahl zu haben heißt, dass man es nicht bereuen kann. Auch wenn das in meinem Fall nicht stimmt, da es meine Entscheidung gewesen war. Tobias öffnet den Kofferraum und hievt meinen Koffer hinaus. Er nickt mir freundschaftlich zu, als könnte er mich verstehen. Wer weiß, vielleicht kann er das ja auch. "Schon aufgeregt?", fragt er. Ich zucke mit den Schultern und antworte: "Keine Ahnung, mal sehen." Mit ist bewusst, dass das keine richtige Antwort ist, aber im Moment fällt mir dazu nicht mehr ein. Tobias schaut etwas auf seinem Handy nach. Ich schaue neugierig zu ihm. "Ah, deine Mutter ist schon da.", sagt er. Natürlich sagt er nur 'deine Mutter', weil er mit mir redet. Alleine an seinem Blick erkenne ich, dass er sie sonst mit ihrem Vornahmen anspricht, macht ja auch Sinn. Wie sollte er die auch sonst nennen? Tobias öffnet die Tür des Mietshauses und lässt mich zuerst eintreten. Klar, es sieht fast genauso aus, wie in jedem Mietshaus, aber es kommt mir so vor, als könnte man die Anspannung in der Luft knistern hören. Unsere Schritte erklingen laut im Treppenhaus. Ich blicke mich um, als erahne ich hinter jeder Ecke einen Einbrecher, wie ich es als kleines Kind getan habe. Dann hält Tobias an und ich rempele ihn fast um. Entschuldigend murmele ich etwas. Wir sind da. Ich mustere die Tür, hinter der meine Mutter uns wahrscheinlich bereits erwartet. Nicht gut. Nervös streiche ich ein paar einzelne Haare nach hinten. Mein Herz pocht. Ich habe das Gefühl, ich lasse mich viel zu leicht aus der Ruhe bringen. Es ist nur meine Mutter, mache ich mir klar. Warum bin ich überhaupt aufgeregt? Das ist unsinnig. Irgendwie will ich nicht hier sein. Ich will bei Manu sein. Tobias klingelt. Ich mache mich kleiner. Sekunden vergehen. Sekunden, die sich nicht wie Sekunden anfühlen. Die Tür öffnet sich. Auf der anderen Seite meine Mutter. Einen Moment später liege ich in ihren Armen. "Lani.", erfährt meine Mutter. Ich antworte nicht. Weitere Arme schließen sich um mich. Tobias. Wie eine richtige Familie. Familie, wie es vor Jahren zuletzt war. Als hätte ich vergessen, wie es ist, sich als Familie nahe zu stehen, versuche ich alle Eindrücke dieses Momentes zu erwischen. Dieser Moment ist einer dieser, die man sich am liebsten behalten würde, mit einem Kescher einfangen. Sich in einen Fotorahmen an die Wand hängen würde. So etwas funktioniert nicht. Sonst wären die Wände meiner Wohnung mit tausenden dieser Momente zugekleistert.

Ich mache heute die zweite Lesenacht. Von jetzt (18 Uhr) bis 22/23 Uhr versuche ich jede Stunde ein Kapitel hochzuladen wie beim letzten Mal. Es würde mich wahnsinnig freuen, wenn ein paar von euch 'aktiv' dabei sein würden :).