10 |Hintergangen

Leicht nervös zupfte ich an dem leichten Stoff meiner Tunika rum... Nur noch wenige Minuten, und ich würde ihn wiedersehen. Ich strich mir eine meiner lockeren Haarsträhnen zurück hinters Ohr und wippte dann leicht mit den Füßen auf und ab.
„Hey Y/N", wurde ich auf einmal von einer sanften Stimme abgelenkt. Verwundert sah ich auf, direkt in das Gesicht von Thor Odinson.

„Du musst nicht so nervös sein... Loki hat dich sicher auch vermisst" Seine Stimme klang tröstend und beruhigte einen Teil von mir, aber dennoch kribbelten meine Fingerspitzen vor Aufregung.

Ich hatte Loki seit sehr langer Zeit - zweieinhalb Monaten, um genau zu sein 77 Tage - nicht mehr gesehen, da ich von Odin entlassen und mit Thor und seinem Heer auf eine andere der neun Welten geschickt wurde, um dort Verbündeten im Krieg zu helfen. Da Loki zu dem Zeitpunkt etwas erkrankt war, wollte er für diese Mission aussetzen. Außerdem war es eh besser, wenn noch jemand auf Asgard aufpassen konnte - so hatte Thor ihn zumindest aufmuntern wollen.

Wir befanden uns, zusammen mit einigen Kriegerinnen und Kriegern, auf einem der langen Flure auf dem Weg in den großen Saal vom Schlosse Asgards. Wir waren erst wenige Stunden zuvor angekommen, durften aber bis zur offiziellen Begrüßungsfeier unsere Zimmer nicht verlassen. Nun hatte sich jeder fein herausgeputzt und wartete darauf, dass wir endlich eingelassen wurden.

Behutsam legte Thor die Hand auf meine Schulter.
„Ganz ruhig. Wir werden sicher gleich eingelassen"
„Ja... Hoffentlich. Wahrscheinlich mache ich mir umsonst Gedanken", antwortete ich und lächelte ihn schwach an.
Thor war mir immer ein guter Freund gewesen, vor allem bei meiner Beziehung zu Loki hatte er mich immer unterstützt. Gerade jetzt war ich froh, ihn zu haben.

Ich atmete noch einmal tief durch, als aus dem Inneren des Saals durch die geschlossene Tür eine laute, feierliche Stimme drang und Musik ertönte. Es war so weit. Mit einem großen Schwung wurde die Tür nach innen geöffnet und ermöglichte einen Einblick auf die Feier: An der gegenüberliegenden Seite thronten Odin und Frigga auf ihren goldenen Stühlen, an der Seite war ein großartiges Bankett aufgebaut und im ganzen Raum waren unzählige Adelsleute und Angehörige von uns verteilt.

Die Menge teilte sich vor uns und gab einen Durchgang bis zum Königspaar frei. Anmutig setzte sich Thor als unser Anführer in Bewegung und beschritt den Weg, ich folgte ihm und nach mir kam der Rest des Heeres.
Ein Streichquartett begleitete unseren Eintritt und verlieh dem Raum eine lockere Atmosphäre.

Von den Seiten hörte ich die ersten Begrüßungen, die den Liebsten zugemurmelt wurden, ansonsten herrschte eine ehrfürchtige Ruhe die mit der Musik harmonierte. Wir kamen am Ende des Ganges an und standen nun vor dem Thron. Etwas verwundert sichten meine Augen die Menschenmenge ab, doch ich konnte Loki nicht entdecken - wo steckte der Prinz nur?

Ich beschloss, später gründlicher nach ihm zu suchen und drängte mein inneres Verlangen, gleich nach ihm zu suchen und ihn zu berühren mit aller Kraft in den Hintergrund. Die Musik verstummte und Odin stand auf und breitete feierlich die Arme aus, dann begann er mit seiner Willkommensrede über Kampf, Zusammenhalt, Treue und Freundschaft - das übliche also.

Zum Schluss erhob er sein Glas, woraufhin alle es ihm gleichtaten und sie auf uns und unseren Triumph anstießen. Ich ließ die ganze Situation über mich ergehen, auch wenn sie für mich nicht ganz in das Bild des Krieges passte, den wir bis vor einigen Tagen noch ausfochten mussten. Zum Glück war es bald vorbei und die Feierlichkeiten wurden offiziell eröffnet.

Etwas orientierungslos blieb ich noch stehen, als Thor auf mich zukam.
„Hey Thor. Sag mal... Hast du 'ne Ahnung, wo Loki steckt?"
Thor runzelte kurz die Stirn und meinte dann: „Normalerweise bist du ja diejenige, die sowas weiß. Ich denke mal, er hat sich wie sonst auch irgendwohin verkrümelt. Wollen wir vielleicht erstmal was trinken?"

Wie aus dem Nichts hob er zwei Becher mit dunkler Flüssigkeit, vermutlich Rotwein, hoch.
„Woher-"
„Also wirklich, wenn es um sowas geht weiß sogar ich, wie es schnell geht", prahlte Thor und drückte mir schmunzelnd einen Becher in die Hand. Gedankenverloren trank ich einen Schluck und teilte Thor dann mit, dass ich nach seinem Bruder suchen würde.

Nachdem ich die Tanzfläche besichtigt hatte und Loki nicht vorfand, verschlug es mich zum kleinen Bankett, wo zahlreiche teure und deftige Speisen neben süßen Früchten und seltenen Nüssen aufgebaut waren.
Ich wollte gerade wieder umkehren, als mir auf einmal ein ziemlich aufgesetztes, hohes Singsang-Lachen ins Ohr drang. Oh nein... Ich kannte nur eine, die so einen nervigen Klang hatte - Sigyn „Siegesbringerin".

Wie ferngesteuert wandte ich mich herum und als ich sah, mit wem sie dort auf der anderen Seite der Tafel, gleich neben einer der Säulen stand, weiteten sich meine Augen: Es war Loki!
Überrascht holte ich Luft, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und ihn zu begrüßen, bis plötzlich etwas seltsames geschah.

Er stand ziemlich nah neben Sigyn, als eine Gruppe von vorbeigehenden Damen mir die Sicht auf die beiden nahm. Doch als sie vorbei waren, standen sie nicht mehr Schulter an Schulter in meine Richtung, sondern hatten sich einander zugewandt. Sprachlos sah ich zu, wie ihre Lippen auf seinen lagen und sie ihn hektisch überall berührte.

Ein heftiger Stich fuhr wie ein Dolch durch mich hindurch und erwischte mich direkt im Herzen, während ich mir erschrocken die Hand vor den Mund hielt. Das durfte nicht wahr sein! Innerhalb einer Sekunde krachten Gefühle in mir zusammen und breiteten sich in Form von Verzweiflung, zerbrochenem Glück und Schmerz in mir aus. Ich hatte ihn so vermisst und jetzt...?

Ich konnte nur hilflos zusehen, wie Sigyn förmlich an Loki klebte und ihn mit ihrer übernatürlichen Kraft an sich presste. Ich konnte nicht erkennen, ob er sich wohl fühlte, doch er machte keine Anstalten, den Kuss zu unterbrechen. Obwohl mir der Schock noch tief in den Knochen saß, breitete sich langsam eine Taubheit in meinen Gliedern aus und lähmte den Schmerz kurzzeitig.

Alleine meinem Kriegerinstinkt hatte ich es zu verdanken, dass ich mich nun so monoton umdrehen konnte. Während mein Herz blutete ließ ich mich von meinen Beinen schnell davontragen, ehe mir mitten in der Öffentlichkeit die Tränen kommen würden. Vor allem Sigyn würde ich das nicht zeigen wollen, diese...

Mein Herz zog sich wieder krampfartig zusammen und meine Augen wurden feucht, während sich der Verlust in mir ausbreitete wie eine Krankheit. Nie hatte ich so ein schreckliches Gefühl gehabt... Und vor allem hatte ich nie erwartet, so etwas durch ihn zu fühlen. In mir erwachte plötzlich etwas anderes, wie ein Feuer brannte ein Gefühl in mir, nährte sich vom Schmerz und gab mir so gleichzeitig Stärke - war das etwa Eifersucht?

Ich wollte nur noch alleine sein und nichts mehr von allem mitbekommen... Zweieinhalb Monate hatten wohl ausgereicht, dass Loki alles mit uns vergessen konnte.
Eilig drängte ich mich durch die Menge, als ich plötzlich von einer warmen Hand festgehalten wurde - Es war Thor.
„Hey Y/N, Ich- warte, was ist denn los?", fragte er verwirrt, als er mein gerötetes Gesicht sah.
„Ich- Loki, er... Er und Sigyn..."

Mehr musste ich nicht sagen, bis er verstand. Schrecken breitete sich über seine Gesichtszüge aus und er rief entsetzt: „Was?!"
Ich schüttelte nur den Kopf und meinte, ich wolle lieber alleine sein, da hob Thor plötzlich den Blick von mir und blickte auf etwas hinter mir. Ohne mich umzudrehen, konnte ich spüren, welcher jemand dort stand.

Ich drehte mich um und sah - zum ersten Mal seit Monaten - in seine eisblauen Augen. Ohne zu atmen betrachtete ich sein Gesicht - bis auf die leicht geröteten Lippen und die wilden Haare deutete auch gar nichts in seinem heiteren Blick darauf hin, dass er eben noch vor meinen Augen mit Sigyn rumgemacht hatte.

„Hey Y/N, hey kleiner Donner", begrüßte Loki uns eine Spur zu freundlich. Meine Eifersucht stachelte mich an und heiße Wut breitete sich überall in mir aus. Getrieben von diesem mächtigen Gefühl ging ich, ohne viel nachzudenken, in Sekundenschnelle nach vorne und schlug ihm kräftig mit meiner Faust gegen sein Kinn.
Völlig überrumpelt taumelte Loki einen Schritt zurück und hielt sich verkrampft an der Stelle, die ich getroffen hatte.

„Du mieses Arschloch! Du, du... Hinterhältiges, untreues Biest", schrie ich ihn an, während sich meine Augen mit brennenden Tränen füllten.
„Was, was ist los...?"
„Tu doch nicht so!", keifte ich wutentbrannt und ohne mich um unsere Umgebung zu kümmern... Ich merkte schon, wie sich die ersten wundernd umdrehten, doch es war mir herzlich egal. Der Schmerz saß zu tief und sorgte dafür, dass alles andere irrelevant wurde.

„Wirklich, Bruder? So etwas hätte ich nie von dir erwartet", mischte Thor sich nun ebenfalls mit kalter, abwertender Stimme ein. Loki hob seine Hände beschwichtigend vor die Brust, was mich nur noch mehr aufbrachte. In dem Moment brach etwas in mir, da ich es einfach nicht glauben konnte.

„Wie konntest du das nur tun? Wie konntest du mich in der kurzen Zeit vergessen und stattdessen sie..."
Meine Stimme brach mitten im Satz und ich presste wütend meine Lippen aufeinander. Als Loki nur verwirrt zwischen mir und Thor, der mittlerweile schützend die Hände von hinten auf meine Schultern gelegt hatte, hersah, überwand ich mich schließlich.

„Du und... Und Sigyn"
Mit einem Mal fuhr Erkenntnis durch Lokis Augen. Er schnappte kurz nach Luft und nickte dann. Doch anstatt, dass er, wie von mir erwartet, ging, machte er einen Schritt auf mich zu.
Thor verstärkte seinen Griff an meinen Schultern und brummte drohend, so dass er sich wie ein wütender Bär anhörte. Doch Loki ignorierte ihn.

Er fing meinen Blick auf und fesselte mich förmlich. Es lag etwas Flehendes in seinem Eisblau, als würde er sich... Entschuldigen wollen?
Mit einem kurzen Seiten Blick auf Thor streckte er schließlich seine Hände aus und umfasste meine fest verschränkten, schwitzigen Finger, bis ich locker ließ und meine Hände in seine legte.

„Y/N, ich- Oh verdammt, es tut mir so leid, dass du das mit ansehen musstest"
„Vielleicht ist es ja so besser", schluchzte ich, müde von den überflüssigen Ausreden. Lokis Augen weiteten sich kurz, als er den Kopf schüttelte.

„Nein, ist es nicht! Weißt du, Sigyn hat sich in all der Zeit, in der du weg warst, keine Sekunde so an mich herangemacht. Sie ist nur eine Freundin für mich, egal was sie empfinden mag"
„Es war damals schon sehr verdächtig, dass sie sich gleich nach dir krankgemeldet hat", stellte Thor missmutig fest.

„Ja, Thor... Sag nur, könntest du uns für eine Sekunde alleine lassen?", fragte Loki ungewöhnlich nett. Ich nickte einverstanden und Thor entfernte sich, wenn auch etwas grummelnd, von uns. Auf einmal ging Loki rückwärts los und zog mich mit, bis wir auf der großen Terrasse waren.
Nun war ich wirklich einfach nur noch verwirrt - was wahr jetzt nur los?

Da Loki immer noch meine Hände hielt, trocknet ich meine Wangen etwas notdürftig mit meinen Schultern. Doch ehe ich damit fertig war, hatte er selbst meine Hand losgelassen und strich behutsam über meine rechte Wange.

„Y/N, es ist - es ist wirklich nicht das, wonach es aussah. Auch wenn das vermutlich jeder sagen würde. Sigyn weiß eigentlich, seitdem ich sie damals abgewiesen hatte, dass es zwischen uns nicht klappen würde.
Ich liebe dich, Y/N, und nicht sie. Das könnte ich auch gar nicht"

Ich begann zu zögern, doch dann tauchte wieder das Bild von ihm und ihr in meinem Kopf auf und ich schüttelte mich.
„Und wieso hast du sie dann geküsst?", hauchte ich und blinzelte weitere Tränen weg - wie ich weinen doch hasste. Loki schüttelte den Kopf und sah mir wieder tief in die Augen.
„Das war nicht so, sie hat mich geküsst - und damit überrumpelt. Ich weiß, dass es den Schmerz kaum wettmacht, aber-"

„Ja, schon klar", meinte ich ausweichend. „Du hättest dennoch etwas dagegen tun können"
„Ich hätte es Sigyn früher klarmachen müssen", stimmte Loki zu. Niedergeschlagen wandte ich meinen Blick ab. So hatte ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt!

„Es tut mir aufrichtig leid", sagte er nochmal. Ich konnte die Aufrichtigkeit in seiner Stimme hören und zweifelte nicht daran, dass Sigyn das Ganze angefangen hatte... Doch Loki war ebenfalls ein klein wenig verantwortlich dafür. Immerhin hätte er sie früher wegstoßen können, selbst wenn alles nur eine Sekunde gedauert hatte.

„Ich kann das bestimmt nicht so schnell vergessen, Loki. Dieses Biest ist schon lange hinter dir her und du weißt genau, wie hinterhältig sie uns Steine in den Weg gelegt hat, nur um an dich heranzukommen", flüsterte ich und senkte meine Augenlider. Das einzige, was ich noch spüren konnte, war, wie Loki mit seiner Hand über meine Wange strich und sie schließlich über meinen Hals hinunterließ. Wieder nahm er meine beiden Hände in seine.

„Das ist in Ordnung, ich- du brauchst Zeit. Lass sie dir"
In seiner warmen Stimme konnte ich die Mühe hören, die er mit diesen Worten hatte. Wir hatten selten, eigentlich noch nie so etwas gehabt, was einem großen Streit oder Vertrauensbruch nahe kam.

Nochmal drückte er sanft meine Finger, bevor er sich von mir löste und mit leisen Schritten ohne weitere Worte im Getümmel der Feierlichkeiten verschwand.

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Hoffentlich hat euch auch dieser OneShot gefallen, auch wenn nicht alles im Reinen ist.
Da ich etwas Stress habe, werde ich vermutlich nur noch einmal die Woche updaten... Ich hoffe, ihr könnt mich da verstehen! Wünsche oder Ideen nehme ich natürlich trotzdem an (:

Dann möchte ich nochmal danke sagen, ich kann es gar nicht glauben, aber die OneShots haben ganze 411 Reads erreicht! Das ist mega, vielen vielen Dank für eure Unterstützung! <3000
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