01~le siécle (.1)
le siécle: die Ewigkeit
Eine Ewigkeit muss nicht immer lange dauern. Eine Ewigkeit ist bloß negativ konnotiert. Wenn etwas zu lange dauert, spricht man immer von einer Ewigkeit.
Eine Ewigkeit aber eben als solche sehen zu können, als eine Zeitspanne, die vielleicht auch zu schnell verging, weil manchmal auch eine Ewigkeit nicht genug ist, ist beinahe unmöglich.
Sprache fordert extrem viel Raum ein, weil sie Bedeutungen und Rückschlüsse fordert.
Das lässt sich auf vielerlei Wörter übertragen, auch auf Namen, auf Orte - die Liste ließe sich lange fortsetzen.
Das Leben besteht aus einem sich ständigen wieder öffnen. Denn alles andere wäre nicht menschlich.
Krankheit ist menschlich, weil ein Mensch nicht das sein kann, was er von sich erwartet; vollständige Perfektion und Kälte personifiziert. Und meist beginnt ein neues Leben durch die Krankheit, sodass ein altes verschwimmen kann, doch allzu häufig wird es auch wieder hervorgeholt, aus dieser Kiste, die es zu verbannen galt.
Während sie da lag, Infusionen, die langsam in ihr Blut tropften, die Würde langsam verschwand und alle sie anblickten, als wäre sie bereits tot, seufzte sie, brach unter dem Gewicht zusammen - das, was noch kommen würde...
Jeder Sterbende hält seine Geschichte aufrecht; etwas aufrechtzuerhalten, heißt auch, zu vernachlässigen, was fällt. Und eine Geschichte ist Biografie. Biografien sind tragisch, kaum zu charakterisieren, kaum zu fassen und doch versuchen sich viele immer wieder daran, ein fremdes Leben zu verstehen. Verstehen heißt auch, die Höhepunkte herauszustellen, wie intim diese jedoch sind, wird erst klar, sobald man überlegt, wie verworren das Leben sein kann und damit auch die Bedeutungsebene. Es gilt auch den Menschen so menschlich wie möglich zu beschreiben, denn es geht nicht darum ihn so zu machen, denn er ist es schon, es kommt bloß darauf an, ob man ihn auch so zu fassen bekommt.
Denn Bilder verschwimmen charakteristisch.
Über das Leben zu schreiben, heißt auch, über das Alter zu schreiben. Ohne zu altern, gäbe es kein Leben. Das schließt sich paradoxerweise gegenseitig aus.
Was wäre Zeit, ohne voranzuschreiten?
Menschen sind also auch Geschichte, weil aus einem Zeitpunkt in der Gegenwart unwiderruflich Geschichte wird. Menschen machen Geschichte, auch wenn ihr Leben bedeutungslos erscheint. Auch wenn ihr Leben einem Stummfilm gleicht.
Denn ein Leben gehabt zu haben, heißt sowohl auch Berührungen erlebt zu haben, als auch Berührer gewesen zu sein. Und manchmal beginnt eine Geschichte auch erst bei einem ersten Treffen und manchmal wird daraus die Lebensgeschichte.
Das ist mehr als eine Präambel, das ist gesetzt.
Und ihre begann als ein Film - raschelnd, leise, verstummt und doch viel zu laut. Eigentlich, eigentlich - sie hatte damit nicht gerechnet, war zu überrascht, um etwas zu fühlen, als er sie schließlich ansprach, nachdem sie gegenseitigen Blicken ausgewichen waren. Sie lachte über alles, was er ihr erzählte. Eigentlich redeten sie kaum. Und im Nachhinein ist der erste Kuss immer magisch, weil der Moment das Leben verändert. Das erste Aufeinandertreffen der Lippen. Das war es. Und dann das erste Verschränken der Hände ineinander, als müssten sie nun für immer verbunden sein. Und so fühlte es sich an.
Der Weg durch die Straßen zu ihm, in sein Zuhause - auf dem Boden lag Papier, alles versank in Literatur. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu fragen, was er mit seiner Zeit anstellte. Sie war nicht neugierig gewesen, Blicke können manchmal auch nur ebendiese sein und genau so wenig bedeuten. Und jetzt hatte sie einen Teil seiner Persönlichkeit gesehen. Sie hatte gesehen, dass das ein Mensch mit Fundament war. Und das bedeutete etwas.
Er erzählte ihr, dass er manchmal auftrat, seine geschriebenen Sachen sang.
Vielleicht hätte sie ihn früher treffen können, wäre sie mehr rausgegangen. Aber die letzten Monate waren schwierig gewesen - ihre Eltern hatten sie rausgeschmissen, nachdem sie Dinge gesagt hatte, die sie noch immer nicht bereute. Sie hatte ihr letztes Geld zusammengekratzt und den nächsten Bus genommen, hatte sich all dem hingegeben und war gefahren. Ein neues Leben hatte begonnen.
Und vielleicht war es deshalb gut, dass sie sich erst so spät gesehen, getroffen hatten. Sie konnte ihm eher auf Augenhöhe begegnen, obwohl es keine gab, denn sie suchte noch immer nach jemanden, der sie durch dieses Leben führte. Man tut in solchen Momenten Dinge, die man nie verstehen wird, weil man unter Drogen steht, ohne welche genommen zu haben, und das tut weh, ohne wirklich weh zu tun, weil Schmerz nicht gleich Schmerz ist. Und sie zog zu ihm.
Zusammen lebten sie nie nun eine neue Routine, hielten sich an dem jeweils anderen fest, sie beschrieben nun neues Terrain. Und er gab sich ihr hin - ihren Ideen, ihrem Körper. Manchmal lagen sie einfach nur auf dem Boden, nackt in der Kälte, weil sie sich nicht halten wollten. Diese Stille, dieses Knistern galt es auszuhalten.
Es war nicht alles schön, auch wenn retrospektiv genau das Gegenteil Wahrheit zu sein scheint. Manchmal warf sie Teller und Gläser auf den Boden, weil er sie nicht sah, weil sie das brauchte. Dann blickte er auf, sah sie an und brach ab, was auch immer er tat. Für sie. Und das war mehr Wert als alles auf der Welt. Die Intensität dieser Augenblicke, hielt sie gefangen und fing sie auf.
Danach fanden sie sich in der Dusche, auf dem Boden oder im Bett. Irgendwo.
Vielleicht war das eine besondere Form von Erden.
In dieser Größe fielen sie langsam in sich zusammen. Der Prozess vollzog sich langsam, so wie ein Gerichtsprozess. Und so fühlte er sich an; kalt, sachlich.
Alles läuft auf einen Punkt zu, man muss sich neu einstellen, man müsste sich in die Verantwortung ziehen, man kann es auch lassen und vergessen, wieso man sich gemeinsam für etwas entschieden hat - je unüberlegter es ist, desto gefährlicher. Aber sie waren jung. Jung sein entschuldigt vieles, wenn nicht alles.
Sie waren trotzdem immer gerecht miteinander.
Es passiert nicht, dass jemand den einen Fehler machte, aber manchmal ist da ein Gefühl und dieses mag nicht immer Wahrheit sein. Wahrheit hat ihre Grenzen, die jedoch nicht statisch sind, sie dehnen sich, sie fallen auch wieder in sich zusammen. Und so kam es, dass sie sich voneinander verabschiedeten, als die Sonne tief am Himmel stand. Sie hielten sich viel zu lange, konnten einander nicht loslassen, weil es für immer war. In einem jungen Leben kommt das einem Urteil gleich, welches niemand sprechen möchte.
Und beide lebten aneinander vorbei. Er schrieb weiter. Er wurde bekannt, für das, was er schrieb, was er sang. Und sie blieb zurück als das, was sie war: eine Frau, die sich hingegeben hatte, die versucht hatte, mehr zu sein, als sie war, die sich selbst aufgeben hatte wollen, für ihn.
Sie hatte die Zeit bei ihm gelassen.
Und sie hegte diese kleine erbärmliche Hoffnung, sich selbst in seinen Texten wiederzufinden. Und sie hoffte, dass sie mehr war als eine Episode. Dass sie Spuren hinterlassen hatte.
Es war nur das Band der Schrift, der Worte, welches sie noch verband.
Auch wenn sie davon nichts verstand. Sie war keine Künstlerin. Aber wenn sie allein nachts aus dem Fenster sah, versuchte sie sich ein gemeinsames Leben vorzustellen. Weil sie ihn zurückgelassen hatte. Sie hatte dieses Leben gehen lassen.
Dabei war es nicht mal eine bewusste Entscheidung gewesen.
Es war einfach passiert.
Und jetzt war alles anders.
Und sie hatte ihn nicht mehr. Sie hatte sich mit ihm verloren. Als hätte das eine das andere bedingt und als hätte sie es nicht kommen sehen können.
Sie lebte ein normales Leben, ein Leben allein, während er heiratete, seine neue Liebe durch die schiere Anzahl an Gästen groß machte - er schrieb ihr später davon, weil sie die Einladung ausschlug.
Sie arbeitete vom Morgen bis in den Abend hinein, ließ sich davon förmlich überrennen, um nicht denken zu müssen. Sie begrub sich immer weiter, bis sie kaum mehr spürte. Sie spürte sich selbst nicht mehr nach. Und das war gut, weil sie sich nicht mehr ertrug. Und diese Periode dauerte an, endete nicht. Niemand hatte sie auf diesen Schmerz, der nicht vergehen wollte - vielleicht auch nicht konnte -, vorbereitet. Jahre später fehlte noch immer ein Stück.
Wenn er in der Stadt war, ein Konzert spielte, ging sie hin, ohne ihm davon zu erzählen. Sie wusste nun, dass er manches über sie geschrieben hatte. Anfangs hatte es sie stolz gemacht, wirklich da gewesen zu sein, denn nur seine Worte waren ein Beweis, doch das war umgeschlagen.
Und jedes Mal stand sie ganz hinten in der letzten Reihe, weinte. Seine Stimme zu hören, seine dunkle, tiefe Stimme, die, obwohl sie ganz und gar nicht weich klang, für sie die schönste überhaupt war. Es erfüllte sie mit Stolz, dass er es geschafft hatte. Dass er von seinem Schreiben leben konnte, dass es gereicht hatte, und, und, und. Dass seine Träume, die sie einmal gemeinsam geträumt hatten, als sie begonnen hatte, sich für ihn aufzugeben, keine Träume mehr waren.
Und schließlich: irgendwann vergeht der Drang, sich zu fragen, was hätte sein können. Irgendwann macht der Gedanke allein müde.
Das fühlt sich dann an, als würde man Ertrinken. Irgendwann gibt es keine Luft mehr. Irgendwann fehlt einfach nur noch etwas.
Sie war geschützt, weil sie vergessen hatte, was es hieß, frei zu sein - in vollkommener Anonymität genoß sie Immunität. Vielleicht, vielleicht.
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