Kapitel Fünf: Eskalation
F A I T H
Es gibt Tage im Leben, die mich immer wieder zum Grübeln bringen, weil ich mir denke, dass alles, was in diesem Augenblick passiert, ein schlechter Scherz wäre. Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr jemanden vor euch habt und ihn sprechen hört, aber keine Silbe davon zu euch durchkommt? Als hätte mein Verstand sich von mir verabschiedet, während meine innere Stimme mich auslacht und mit dem Finger auf mich zeigt, nachdem sie mich als einen Vollidioten beschimpft hat.
Genau so fühle ich mich gerade.
Der einzige Grund, der mich noch im Hier und Jetzt festhält, ist der kleine Finn. Auch wenn meine Arme langsam einschlafen und ich sein Gewicht immer mehr spüre, lasse ich den kleinen Mann nicht los. Denn er gibt mir die nötige Kraft, den Blickkontakt zu diesem Mann standzuhalten, der mich nicht aus den Augen lässt.
»Habt ihr wieder Streit?«
Hails Stimme nehme ich nur am Rande wahr, sodass ich versuche meine ganze Konzentration auf meine beste Freundin zu lenken. Was mir jedoch nicht im Geringsten gelingen will.
»Das wollte ich gerade mit ihr klären«, antwortet Heath auf ihre Frage und verschränkt dabei seine Hände vor der Brust.
Zudem blickt er mich herausfordernd an, als würde er eine protestierende Antwort von mir erwarten. Seine Stimme ist noch immer kalt wie Eis, weshalb es meinen Körper schüttelt. Alle im Raum sind still geworden. Jeder hat den Blick auf uns beide gerichtet, denn auch wenn ich sie nicht sehe, so kann ich jeden einzelnen auf meiner Haut spüren. Ella und Hunter kommen auf uns zugeeilt. Ein kleiner Versuch das ganze hier noch zu retten, bevor es zwischen uns beiden eskaliert. Es wäre das Letzte, was ich will, weil sich Haylee große Mühe gegeben hat, dieses Essen zu organisieren und ich sie durch mein Liebeschaos nicht traurig machen möchte. Wir beide sollten erwachsen genug sein, um hier keine Szene zu verursachen.
Hunter stellt sich zwischen uns, weswegen unser Blickkontakt unterbrochen wird. Endlich kann ich mich wieder auf alles andere konzentrieren und hole tief Luft, die meine Lungen gierig verlangen. Gleichzeitig bemerke ich den kritischen Blick von meiner besten Freundin. Sie ahnt bereits etwas, jedoch ist dieser Moment nicht der richtige, um ihr davon zu erzählen.
»Will jemand ein Glas Champagner?«
Ella lenkt die Aufmerksamkeit auf sich. Sie hält die bereits geöffnete Flasche in ihren Händen und sieht mich auffordernd an. Ein wenig Alkohol wird mir guttun, weshalb ich dem kleinen Pitbull hektisch zu nicke.
»Für mich nicht, kleine Schwester«, lehnt Hails entschieden ab.
Hunter lächelt selig bei dieser Antwort, jedoch ziehe ich skeptisch meine Augenbrauen in die Höhe. Seit wann trinkt meine beste Freundin nicht? Sonst ist Hails diejenige von uns beiden, die immer trinken kann und will. Bevor ich noch länger darüber nachdenken kann, drückt mir Ella ein Glas in die Hand und prostet mir zu, während Lewis mir den kleinen Knirps aus den Armen nimmt.
»Auf dich, Kampfzwerg. Schön, dass du wieder zu Hause bist.«
Alle, außer Hails und Hunter, stoßen mit einem Glas Champagner mit mir an. Heath hat sich in einer Ecke verkrochen und sieht mich dabei unentwegt an. Nicht eine Sekunde lässt er mich aus den Augen und schüttelt dabei kaum merklich mit dem Kopf. Schnell kippe ich dieses prickelnde Getränk in mich und heiße dieses wohlige Gefühl willkommen, das sich augenblicklich in mir ausbreitet. Ohne weiter darüber nachzudenken, schenke ich mir nochmals ein. Das brauche ich in diesem Moment, auch wenn ich weiß, was mich morgen deswegen erwarten wird. Aber das ist mir in diesem Augenblick egal. Zwei Gläser sind noch kein Untergang.
»Mach langsam.«
Hunter sieht mich warnend an, jedoch hält er mich nicht davon ab weiterzutrinken. Er kann sich denken, was für ein Durcheinander in mir herrscht, auch wenn ich weiß, dass es der falsche Weg ist, damit umzugehen. Aber ich weiß mir nicht anders zu helfen. Heath hat es mal wieder geschafft, mich aus dem Konzept zu bringen.
»Lass sie doch, Hunter. Vielleicht wird ihr dieses Zeug helfen, ihre Zunge zu lockern. Dann könnten wir endlich Klartext sprechen.«
Plötzlich taucht Heath auf meiner linken Seite auf, schnappt sich selbst ein Glas und prostet mir zu. Seine Augen sehen mich dabei spöttisch an, zeigen mir genau, was er von dieser ganzen Sache hält. Krampfhaft versuche ich diesen Mann nicht wahrzunehmen. Etwas, was mir nicht gelingen will. Dafür ist seine Erscheinung viel zu anziehend für mich. Als wären wir zwei Magnete, die nicht ohne einander können. Jedoch stimmt das nicht, was mir unsere letzte Begegnung deutlich gezeigt hat.
»Soll sie sich betrinken oder was? Das kannst du doch nicht Ernst meinen, Heath.«
Hunters Stimme hört sich fassungslos an. Mein Blick wandert die ganze Zeit zwischen den beiden hin und her, während ich bereits über eine Fluchtmöglichkeit nachdenke, ohne dass sie etwas bemerken sollten. Nur weiß ich genau, dass es aussichtslos ist.
»Genau das sollte sie. Sie ist alt genug, um zu wissen, was sie tut. Du musst dich nicht wie ein großer Bruder aufführen, so wie du es immer tust.«
Hunters Blick verdüstert sich bei jedem Wort, das aus Heaths Mund kommt. Seine Hände ballen sich immer wieder zu Fäusten, sodass seine Knöchel weiß hervortreten und wenn nicht bald jemand einschreitet, könnte die ganze Situation zwischen den beiden eskalieren. Heath scheint diese Anzeichen zu ignorieren, weil er nicht vorhat, mit seinen Sticheleien aufzuhören. Nein, nicht im Geringsten, da er noch einen draufsetzt.
»Weißt du, Hunter. Du musst nicht der Beschützer von all diesen Menschen in diesem Raum sein. Konzentriere dich auf Hails und lass die anderen in Ruhe. Manchmal nervt dieses Verhalten gewaltig, weswegen ich froh war, als du endlich mit Hails hier eingezogen bist.«
Wie bitte? Was ist nur in ihn gefahren? Ich habe noch nie gesehen, dass er sich so gegenüber seinem besten Freund verhält. Anscheinend niemand, denn alle beobachten diese Szene fassungslos.
»Pass auf, Heath. Ich beschütze diejenigen, die ich liebe und da gehört ihr beide dazu. Also halt deinen Mund und lass mich euch helfen. So wie ihr euch benehmt, kann das nicht gut enden.«
Hilfesuchend gleitet mein Blick im Raum umher, hofft darauf, dass endlich jemand einschreitet, weil ich nicht dazu fähig bin. Hails ist die erste, die aus ihrer Starre erwacht und sich den Weg zu uns bahnt. Alle anderen sehen diese Szene weiterhin mit einem entsetzen Blick an. Niemand hätte damit gerechnet, dass es am Ende zwischen den beiden ausarten könnte. Viel mehr habe ich daran gedacht, dass ich heute alle verärgern würde. Aber wenn ich es mir recht überlege, so ist es irgendwie auch meine Schuld.
»Heath«, beginnt Hails und legt ihre zierliche Arme auf seinen Schultern ab. »Wollen wir uns nicht setzen und endlich etwas essen? Hört auf, einander anzufahren, das bringt doch nichts.«
Die Stimme meiner besten Freundin hört sich beruhigend an und dringt, zu meiner Überraschung, zu Heath durch. Seine Augen, die noch vor Sekunden vor Wut aufflackerten, zeigen eine Leere, die ich am Anfang in ihnen gesehen habe, als ich Heath erst kennengelernt habe. Es tut mir im Herzen weh, ihn so zu sehen, weil ich genau weiß, wer dafür verantwortlich ist.
Niedergeschlagen senkt er seinen Blick auf den Boden. »Tut mir leid, Zuckerwattebällchen. Das war nicht meine Absicht.«
»Das wissen wir«, schaltet sich nun Hunter in das Gespräch ein. Er legt einen Arm um seinen Kumpel und sieht seine Ehefrau mit einem liebevollen Blick an. »Willst du es ihnen nicht sagen, Zimtschnecke? Ich glaube, es ist der perfekte Augenblick, es ihnen mitzuteilen.« Verwirrt runzle ich meine Stirn, sehe die beiden erwartungsvoll an, da ich kein Wort von dem verstehe, was sie sagen.
»Was wollt ihr uns erzählen?«, hake ich neugierig nach.
Auf einmal kreischt Ella auf, rennt auf ihre Schwester zu und schlingt ihre Arme um sie. »Sag mir nicht, dass es das ist, was ich denke?«
Die Furche auf meiner Stirn vertieft sich nur noch mehr und ich kann erkennen, dass es nicht nur mir so geht. Heath und Lewis sehen beide genauso ratlos aus, wie ich mich fühle. »Was denn? Jetzt sagt schon«, fordert Lewis die beiden auf.
Hails Lippen umspielt ein ehrliches und glückliches Lächeln, das ihre Augen zum Strahlen bringt. Ihre Hand sucht die von Hunter und als ich in sein Gesicht blicke, fällt auch bei mir der Groschen. »Ist das wahr?«
Kreischend umarme ich die beiden. Ich kann nicht glauben, dass es wirklich so weit ist. Schon lange haben sie es sich so sehr gewünscht. Wie es scheint, ist soeben ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. Auch wenn mir diese Erkenntnis einen Stich im Herzen verpasst, versuche ich den Schmerz so gut es geht zu ignorieren. Jedoch vermeide ich verhemmt den Augenkontakt zu Heath. Ich will seinen Blick nicht sehen, während er erstmals diese Information verdauen muss. Es ist noch viel zu schmerzhaft, sobald ich nur daran denke.
»Doch, es ist wahr. Ich bin schwanger.«
Jubel bricht aus. Jeder will den beiden seine Glückwünsche aussprechen. Sobald Heath Hunter zugenickt hat, verschwindet er langsam und unauffällig aus dem Raum. Er wollte Hails nicht mal gratulieren. Dieses Mal ist er derjenige, der die Flucht ergreift.
Schnell folge ich ihm nach draußen und bevor er in sein Auto steigen kann, renne ich los und versperre ihm den Weg. Außer Atem sehe ich in seine Augen, die mir genau zeigen, wie verletzt er ist. Verletzt und enttäuscht und ich verfluche mich und den Menschen, der ihm das angetan hat. Denn er ist die letzte Person auf dieser Welt, die sowas verdient hat.
»Was ist los? Wieso verschwindest du, anstatt deinem besten Freund und Hails zu gratulieren?«
Ich versuche meine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen, auch wenn ich die Situation nicht nachvollziehen kann. Ich will ihn aber verstehen. »Das würdest du nicht begreifen.«
Wut lodert in meinen Adern auf, weil er Behauptungen aufstellt, die nicht der Wahrheit entsprechen. Wie oft habe ich versucht, mit ihm zu reden, damit er sich mir anvertrauen kann, jedoch hat er alle Versuche abgeblockt. Das ist nur einer der Gründe, weshalb es zwischen uns nie so sein wird, wie bei Hails und Hunter. Wir sind nicht ehrlich zueinander und diese Erkenntnis tut unglaublich weh.
»Wie sollte ich etwas verstehen, wenn du mir nie ein Wort darüber verraten hast? Sprich endlich mit mir, Heath. Sag mir, was dich bedrückt und wieso du vor zwei Wochen so ausgerastet bist? Sag mir endlich, was in deiner Vergangenheit passiert ist, sodass du keinem Menschen außer dir selbst traust? Sag es mir, verdammt nochmal.«
Mit jedem Wort wird meine Stimme lauter und seine Haltung defensiver. An seinem ausdruckslosen Gesichtsausdruck sehe ich, dass ich kein Wort darüber hören werde. Wieder einmal dringe ich nicht zu ihm durch. Anscheinend hat er nie die Absicht gehabt, es mir irgendwann zu erzählen. Und diese Tatsache schmerzt unglaublich.
»Ach ja? Du willst es wissen? Wieso bist du dann vor zwei Wochen abgehauen, Mrs. Thompson?«
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