Zuviel Mitgefühl schadet
Elli's Sicht:
Es war ein langer Tag gewesen und die Geschehnisse saßen mir tief in den Knochen.
Ein Unfall nach dem anderen kam rein und nur wenigen Menschen konnte geholfen werden. Ich hatte am Telefon gesessen und den Menschen Trost gespendet, während ich sie hatte sterben hören.
Es gab so viel Grausames auf dieser Welt und der Schmerz, den ich mitfühlte zerriss mich innerlich.
Seit ca. einer Stunde hatte ich bereits Feierabend, doch ich konnte einfach nicht nach Hause. Ich konnte nicht das „Willkommen zurück" ertragen, was mich erwarten würde.
Auch wenn ich wusste, dass diese Fröhlichkeit aufgesetzt war, denn sie erreichte nie seine Augen, ertrug ich nicht noch mehr Verlogenheit heute.
Das Weinen eines Kindes hallte mir immer noch in den Ohren, genauso wie die Worte des Mannes, der behauptete, es sei alles in Ordnung. Dabei hatte ich noch den Schuss einer Feuerwaffe klar gehört und das Geschrei aus einem der Nebenzimmer, von dem mich das kleine Mädchen angerufen hatte.
„Du verfluchte HURE, ich habe dir befohlen, das dämliche Balg in deinem fetten Wanst abzutreiben, du elendes Miststück." Kam es von derselben männlichen Stimme, die dem weinenden Kind das Telefon entrissen hatte und mir mit liebenswerter gesäuselter Stimme verkündete, seine Stieftochter habe nur einen Albtraum beim Mittagsschlaf gehab.
Mir war schlecht bei dem Gedanken, was er mit dem kleinen Mädchen anstellen würde und ich wusste bereits in dem Moment, wo ich die Polizei verständigt hatte, dass es zu spät sein würde.
Es war wirklich ein langer und tragischer Tag gewesen. Und nun irrte ich im Regen umher und wollte einfach nicht nach Hause in meine Wohnung, in der ich mich bisher immer sicher gefühlt hatte.
Tränen liefen mir übers Gesicht und meine Finger wurden durch die Kälte bereits taub. Ich musste ins warme und ohne es zu wollen, betrat ich schon den Aufzug in dem Hochhaus, wo ich lebte und fuhr die endlosen Etagen rauf.
An meiner eigenen Haustür blieb ich stehen und hielt für einige Minuten inne. So erschöpft wie ich war, würde er mich sicherlich blenden mit seinem strahlenden aufgesetzten Auftreten, darum beschloss ich für mich selbst direkt in die Küche, meinen kleinen Barvorrat anzusteuern.
Mit vor Kälte zitternden Fingern schloss ich die Tür auf. Ignorierte ihn und sein „Willkommen zurück" und steuerte direkt das Hochprozentige an.
Das erste Glas stürzte ich komplett in einem Zug herunter und das zweite leerte ich bis zur Hälfte. Ich war eigentlich immer ein Mensch, der das Glas für halb voll hielt, doch heute war es eindeutig halb leer.
Nun immer noch durchnässt, an dem übrigen halben Glas nippend, spürte ich mehr, als dass ich es sah, wie sich jemand neben mich auf dem zweiten von vier Barhockern niederließ.
Schon im Versuch zu protestieren, als dann auch noch eine Hand in mein Sichtfeld griff und die Flasche wegzog, konnte ich es einfach nicht übers Herzbringen in die vermutlich anklagenden Augen Chiaki's oder in dem Fall Scare's zuschauen, doch anstatt eine Bemerkung abzubekommen, hörte ich das Geräusch einer Flüssigkeit, die eingeschenkt wurde.
Ein bitteres Lächeln schlich sich auf meinen Lippen, als der Abend der Bar kurz als Erinnerung aufblitzte. Recht träge stand ich auf, lief um die recht breite Theke herum und wühlte in meinem Geheimfach solange herum, bis ich 5 weitere Flaschen in den Händen hielt, sie auf die marmorne Oberfläche knallte und es mir erneut auf dem Barhocker gemütlich machte.
Von Whisky, Rum, Scotch bis hin zum geliebten Absinth war alles dabei. Nun also noch die Zuckerwürfel die immer auf der Theke standen und das Feuerzeug in meiner Hosentasche, dass ich Chiaki, am Abend seines Selbstmordes abgenommen hatte, und schon konnte ich hoffen, den Tag komplett zu vergessen.
Die Karaffe Wasser, die neben dem Behälter mit dem Zucker stand, versuchte ich dabei nicht unbedingt zu leeren.
Mehr Absinth als Wasser und der brennende Zucker verleiten meinem Magen gleich ein Hochgefühl, nachdem alles zusammen (nach dem der Zucker verrührt war und nicht mehr brannte) darin landete. Danach ein weiteres Glas Rum, und den 18 Jahre alten Whisky wie Wasser hinterher.
Ich vertrug viel und doch spürte ich langsam, wie die Welt an Farbe wieder gewann. Vielleicht würde es ja was bringen, wenn jeder sich zuschütten würde. Kaum den Gedanken gedacht, tauchten schon die Bilder meiner Eltern auf, wie sie sich im Suff die Köpfe einschlugen und das nächste Glas in meiner Hand, wurde nach halber Strecke zu meinem Mund ruckartig abgesetzt.
Die Trennung meiner Eltern war genau auf diesem Problem aufgebaut. Ich musste mich wirklich zusammen reißen.
Ein verstohlener Blick zur Seite verriet mir, dass ich was sagen sollte, denn das gruselige Starren meines Mitbewohners schien mich förmlich auszuziehen.
„Es wird nie leichter, wenn es so ausgeht." Dabei dachte ich an das ängstliche kleine Mädchen und seinen Stiefvater zurück. Um weiter zusprechen brauchte ich dann einen Augenblick, um mich zu sammeln, um nicht erneut in Tränen auszubrechen.
„Und es wühlt oft vergangenes auf, von dem man dachte, dass man es längst überwunden hat. Immer dieses wäre doch bloß oder was wäre wenn. Ich weiß es gibt Tage und Seiten in diesem Job, die will, man nicht mit nach Hause nehmen doch manchmal lassen sie nicht los und verfolgen einen bis sie zu einem weiteren Schatten der unverarbeiteten Vergangenheit eines jeden werden."
Ein miserabler Versuch eines Lächelns stahl sich auf meinen Lippen, doch mein Mittrinker sah mich einfach weiter nur stumm an. Sollte er nicht etwas Aufmunterndes in diesem Moment sagen, versuchten meine inneren Stimmen mit mir eine Kommunikation aufzubauen, die ich jedoch völlig ignorierte und das restliche Glas hinunterkippte. Leicht wankend stand ich auf, torkelte mehr Richtung Flur, als dass ich lief, und lehnte mich kurzzeitig an den Türrahmen.
„Ich werde einfach nicht aus dir schlau Scare. Und ich glaube die auch nicht wirklich, dass du deine kompletten Erinnerungen verloren hast, allerdings bin ich kein Richter und ich habe selbst mit meinen inneren Dämonen zu kämpfen, doch so schrecklich auch der heutige Tag war, so weiß ich, dass die Sonnen wieder aufgehen wird. Also höre mir jetzt gut zu."
Nun tief Luft holend und ihn mit festem Blick ansehen, sah ich zum ersten Mal ihn und nicht Chiaki, in diesen Augen, als ich erneut zum Sprechen anhob.
„Manchmal vergessen Menschen, an das Leben zu glauben. Ihnen fehlt jeder Mut, sich für das Leben zu entscheiden, aber solange man auf seine innere Stimme hört oder in meinem Fall Stimmen, wird man den Glauben nie verlieren. In jedem Menschen schlägt ein starkes Herz. Diese Stärke gibt uns den Mut und die Kraft, das Leben zu lieben."
Und damit endete ich meine Ansprache und begab mich in mein Schlafzimmer, wo ich mich bis auf die Unterwäsche auszog und einfach ins Bett fallen ließ.
„Morgen wird die Sonne wieder scheinen, daran glaube ich ganz fest. Und wenn die Sonne wieder aufgehen kann, kann ich auch IHM zeigen, wie man wirklich lebt."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top