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➷ 𝟸𝟾. 𝚂𝚎𝚙𝚝𝚎𝚖𝚋𝚎𝚛 𝟸𝟶𝟷𝟻
「 ⓟ🅞🅘ⓝⓣ 🅞🅕 ⓥⓘ🅔🅦:
𝐓𝐬𝐮𝐤𝐢𝐬𝐡𝐢𝐦𝐚 𝐊𝐞𝐢 」
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Schon wieder ist es Montag. Ich könnte wirklich kotzen. Am besten in so einem zierlichen, dynamischen Springbrunnenstrahl. Nein, eher wie ein Rasensprenger. Und auf alle Menschen da draußen gleichzeutig. Und ich habe damals über die Schule gemeckert? Zu dem was ich jetzt mache, ist die Schule ja deluxe gewesen. Ich studiere und arbeite nebenbei im Sendai-Museum, meiner hoffentlich zukünftigen Arbeitsstelle, schließlich wollte ich dort in die wissenschaftlichen Abteilungen. Es ist ja klar, dass ich nicht von Anfang dort arbeiten kann, weil ich erstmal nur eine Aushilfe bin, ich meine, ganau deshalb gehe ich ja zur Uni, um das zu studieren. Aber ich hätte so lange immernoch als Konservator oder Kurator für kleine Aufgaben aushelfen können, bis ich das Studium abgeschlossen und mit der richtigen Arbeit dort beginnen kann. Stattdessen lassen die mich im Ernst die Museumsführungen machen.
"So lerne ich die Einrichtung selbst besser kennen und kann beweisen, dass ich auch wirklich dorthin gehöre."
Ja klar, am Arsch. Was ich mache, ist die Drecksarbeit, die sonst auch keiner machen will. Ich muss Erwachsene führen, die entweder zu viele Fragen stellen, oder einfach nur da sind, Jugendliche, die nur Mist bauen aber den Mund nicht aufkriegen und Kinder, die nichts kapieren und ständig rumbrüllen und alles anfassen und dann heulen, wenn man sie daraufhinweist und Ärger mit den Eltern hat man dann auch noch. Das Problem ist aber, dass ich die Klappe halten muss. Ich darf niemanden blöd anmachen, muss immer ruhig bleiben und das schwerste von allem, freundlich sein. Kein falscher Kommentar, kein falscher Ton, nicht einmal ein falscher Gesichtsausdruck ist erlaubt. Es wird erwartet, dass ich alles tausend Mal erkläre, freundlich darauf hinweise, wenn eine OFFENSICHTLICHE Regel gebrochen wird und immer brav alle anlächle. Anfangs konnte ich das nicht und war zwar freundlicher als sonst, aber ich habe "zu grimmig geguckt und die Kinder hatten Angst vor mir". Ich hatte deswegen ein sowas von langes Gespräch mit meinem Vorgesetzten, das war echt unglaublich. Mimimi, und wenn ich nicht bald netter gucke, fliege ich raus, das ist eine öffentliche Einrichtung und wenn ich nicht die Führungen mache, darf ich nach meinem Studium auch nicht vollzeitarbeiten. Ab da musste ich zusätzlich bei der Reinigung helfen. Momentan hasse ich diesen Job einfach. Aber einen anderen Job als in der Zukunft in den wissenschaftlichen Bereichen dort zu arbeiten, kann ich mir auch nicht vorstellen, also bleibt mir nichts anderes übrig, als diese Zitrone zu beißen und jetzt schonmal dort zu helfen, sonst müsste ich später anfangen und mit dem Geld ist es eh schon knapp genug. Also muss ich jetzt auch aufstehen, mich fertig machen und pünktlich da sein. Es ist immer noch schwer, den Hintern morgens hoch zu kriegen, wenn man ganz alleine ist und niemand dich sonst aus dem Bett schmeißt. Aber so sieht es wohl aus, das ganz normale Leben, wie ein jeder Mensch es hat. Eigene Arbeit, eigenes Geld, eigene vier Wände. Und ich habe niemanden, der mir meine Rektalummantelung pudert und mir hilft. Klar, meine Eltern greifen mir schon noch unter die Arme. Aber ich muss arbeiten und zur Uni gehen, ich muss meine Steuern schön vorschriftsgemäß zahlen und mich darum kümmern, das mein Haus nicht aussieht wie der letzte Dreckstall und dass ich auch irgendwie überlebe. Das alles zusammen und auch noch alleine zu schaffen ist schon schwer. So lange habe ich keine Zeit. Von acht bis sechzehn Uhr Uni, dann bis neunzehn Uhr Arbeit und dann habe ich Schluss. Zumindest an den Unitagen, also vier Mal in der Woche. Aber mit der Aushilfsarbeit hätte ich meinen Stundenplan nicht besser auslegen können. Na ja, manchmal geht es nicht anders und dann schwänze ich auch mal, sonst werde ich nicht fertig. Dann muss ich einkaufen, kochen und duschen und lernen muss ich auch noch. Danach haben wir in etwa zweiundzwanzig Uhr und dann ist ab und zu noch die Frage, wie das Haus sauber wird. Und nur arbeiten kann ich auch nicht, meine Freizeit brauche ich auch. Ich komme zu absolut nichts. Sonntage und Mittwoche, da habe ich frei. Und meinen Mittwoch opfere ich fürs Lernen und die Sendai Frogs, das Volleyballtraining. Ja, so sehr ich es mal gehasst habe, loslassen kann ich es doch nicht. Auch, wenn es mir einen meiner freien Tage raubt, werde ich nicht damit aufhören. Es ist einfach nur bitter. Ich hasse diese Art von Leben, weil es das einfach nicht wert ist. Ich arbeite, um zu überleben, aber wofür soll ich überleben? Um am nächsten Tag wieder arbeiten zu gehen? Es ist doch einfach eine Schande, anders kann man es nicht sehen und ich hasse es. Punkt.
Ich frage mich, wie es ist, wenn man große Talente hat und so arbeiten kann, dass man mit niemandem etwas zu tun haben muss, Geld in Massen verdient und sich keine Sorgen darüber machen muss, ob es richtig war, den guten Markenkram statt dem geschmackslosem Fabrikkram gekauft zu haben, wie es ist, wenn man Langeweile hat und nicht weiß, was zu tun ist, wenn man am Ende des Monats nicht blank ist und sich fragen muss, ob man jetzt lieber was zu Essen oder neues Waschmittel kaufen und sich dann bei den Eltern zum Essen einladen soll. Ja, dieses andere Leben zu führen, muss schön sein. So wie Yamaguchi jetzt wohl lebt, möchte ich auch mal eines Tages leben. Aber was er macht, das weiß ich sowieso nicht. Seit jenem Tag haben wir uns nicht mehr gesehen. Er hat die Schule abgebrochen, alle Kontakte aus dem Team gelöscht und blockiert und kein Wort bei irgendwem dagelassen, was für die Mannschaft ein ganz schöner Verlust war, schließlich war er unsere Kapitän und Pinchserver. Er ist verschwunden, komplett abgetaucht. Man könnte meinen, er sei vielleicht tot, aber ich weiß es ja besser. Ich habe zwar keine Ahnung, wo er lebt, was er macht und wie es ihm geht, aber mit der Musik hat er niemals aufgehört. Er singt nicht mehr oft in den Liedern, aber egal was er tut, es geht durch die Decke. Wenn er nicht reich ist wie kein Zweiter, dann weiß ich auch nicht. Ich muss aber auch zugeben, dass das, was er macht, nicht schlecht ist. Ich weiß, dass es eine Art Verrat ist, wenn ich mit ihm den Schlussstrich ziehe, aber weiterhin seine Musik höre. Es gefällt mir aber nicht, dass ich dabei dem Trend folge. Jeder hier weiß wer er ist, kennt seine Lieder und redet über ihn. Und es ist nervig, zu jeder Zeit an ihn erinnert zu werden und somit auch an den Tag, an dem es passiert ist. Denn natürlich tut es mir irgendwo Leid. Ich habe ihn dazu gezwungen, es mir zu sagen, habe ihm gesagt, dass, egal was es ist, ich gekommen bin, um ihm zu helfen. Und ich habe diese Aussage nicht befolgt. Aber andererseits... Ich habe damals doch irgendwie schon alles richtig gemacht... Oder? Hätte ich lügen sollen? Nein. Ich sollte endlich aufhören, mir Vorwürfe zu machen. Es war gut, was ich getan habe. Ich habe wahrheitsgemäß geantwortet und war davor für ihn da. Ich habe ihm zugehört und er hat mir alles anvertraut. Er... Er hat mir vertraut. Ja, das hat er, unzwar bedingungslos. So sehr, dass er mir sogar das erzählt hat, was ihn bedrückt, obwohl er genau wusste, wie es ausgehen wird. Er hat mich nie wirklich bösartig angelogen. Ach, verdammter Mist. Ich hasse diese Schuldgefühle. Ich konnte das Ganze immer irgendwie verdrängen und damit abschließen. Ich wusste, dass es vorbei war. Es ist schließlich ein verdammtes Jahr her und seitdem fiel kein Wort mehr zwischen uns. Bis ich irgendwann zu gleichgültig wurde und dann auch Schuldgefühle dazu kamen, wie ich mich hätte besser verhalten sollen. Und wenn man jeden Tag indirekt den Namen oder die Musik einer Person hört, mit der man schon abschließen wollte, diesen Namen so häufig in ekelhaften Kontexten hören muss und diese Texte genauer durchgeht, wenn es dann mal welche gibt, ist das nicht mehr schön. Es ist verletzend und ich hasse mich so sehr dafür, dass ich doch nicht aufhören kann, daran zu denken. Ich hasse es, dass ich nicht weiß, ob meine Ausdrucksweise damals die richtige war und ich nicht die Zeit und die Ruhe hatte, es ihm ruhig und freundlich zu erklären, wo ich sie mir ohne Probleme hätte nehmen können. Ich bin eben doch kein besserer Mensch als all die, die ich immer so verfluche.
Am frühen Morgen an sowas zu denken ist jetzt nicht sonderlich toll. Es versaut mir den ganzen Tag. Wenn ich jetzt schon schlechte Laune bekomme, behandle ich die Besucher später wieder "schlecht" und kann mir meine Zukunft auch abschminken wegen einer dümmlichen Situation aus der Vergangenheit. Also stelle ich mich vor den Spiegel, übe ein letztes Mal das aufgesetzte Lächeln und gehe im Kopf mit freundlicher Stimme die Sätze durch, die ich jeden Tag in der Uni wie auch im Museum aufs neue genau so sagen muss. Dann bin ich bereit, das Haus zu verlassen und schließe die Tür hinter mir ab.
"Entschuldigung, gehört dieser Name zu Ihnen?", fragt plötzlich jemand hinter mir. Ich drehe mich um und sehe eine junge Postbotin, die mir ein Paket entgegen streckt, auf dem "Tsukishima Kei" steht.
"Jap, das bin ich.", antworte ich und nehme das Paket an.
"Hier einmal unterschreiben, bitte.", sagt sie, zeigt mir ihr digitales Gerät und drückt mir den Stift in die Hand. Ich unterschreibe und suche meinen Schlüssel aus der Tasche, um das Päckchen rein zu bringen.
"Sagen Sie, wie spricht man Ihren Vornamen eigentlich aus?"
Trocken sage ich meinen Namen und suche weiterhin nach dem Schlüssel.
"Ein schöner Name. Sagen Sie, wissen Sie, wer der Absender ist? Es steht kein Name darauf."
"Was weiß ich denn. Es steht doch kein Name drauf."
"Sie sind lustig drauf, und das schon am frühen Morgen. Sagen Sie, wie heißen Sie?"
"Sie haben mir wortwörtlich vor zehn Sukunden gesagt, wie sehr Ihnen mein Vorname gefällt und hatten minutenlang ein Paket in der Hand mit meinem vollen Namen drauf, den Sie gelesen haben müssten, um den Empfänger zu finden. Außerdem bin ich nicht lustig drauf, ich sage nur die Wahrheit."
Endlich habe ich den Schlüssel erwischt. Warum merke ich mir auch nicht, in welche der zehn Taschen ich das Ding werfe?
"Du gefällst mir, Kei. Aufmerksam, ehrlich und auf gewisse Weise sehr lustig. Intelligent und gutaussehend noch dazu."
Oh mein Gott.
"Schön, Sie gefallen mir aber nicht. Extrovertierte Leute gehen mir auf den Sack und wer hat gesagt, dass wir uns duzen und mit Vornamen ansprechen? Es ist Ihr Job, verdammte Post auszutragen und nicht, ihre Flittchenspiele zu spielen und später statt der Post ein Kind auszutragen. Lassen Sie mich in Ruhe."
Dann knalle ich meine Tür zu und hoffe, dass sie mit hinterherkommen wollte, damit ihre Stirn dagegenklatscht. Meine Güte, was ist denn mit den Leuten?
Ich nehme das Paket und lege es auf dem Küchentisch ab. Ich habe langsam keine Zeit mehr, ich muss zur Uni. Bis mir einfällt, dass die olle Tante von eben vermutlich noch in diesem Gebäude unterwegs ist, vielleicht sogar vor der Tür wartet. Also kann ich hier nicht raus. Mein Fenster ist im zwölften Stock, springen wäre mein Tod. Also komme ich nicht raus. Aber gut, schlimm ist das nicht. Nur ein weiterer Grund, nicht zur Uni zu gehen. Mich krank zu stellen ist für mich keine schwere Aufgabe. Wenn ich dem Chef morgen eine Flasche mitbringe, brauche ich keine ärztliche Bescheinigung für die Arbeit zu besorgen. Also rufe ich da an, erzähle von meinem ach so schlimmen Kater und wie gemeinschaftsgefährdent ich doch heute sei.
"Kirin Ichiban. Ein Sechserpack.", ist alles, das er dazu sagt. Dann legt er auf und ich habe frei. Bei der Uni erzähle ich das Selbe, ein Attest wird zwar verlangt, aber das kriege ich wohl, das ist nicht das Problem. Die Kopf- und Magenschmerzen-Masche zieht immer. Das wohl einzig Gute an meinem Aushilfsjob momentan ist dieser Säufer von Chef. Klar, Auseinandersetzungen will man mit ihm nicht haben, da rettet mich auch kein Bier mehr, aber so lässt er sich doch um den Finger wickeln. Verdammt, und wo bin ich jetzt besser als die Postbotin?
Na gut, lassen wir das. Ich ziehe die Schuhe und die Jacke wieder aus und lasse auch von der formalen Kleidung ab, hole mir lieber wieder meine Jogginghose. Dieses spießige Arschkriecher-Hemd schmeiße ich auch wieder auf die Erde, stattdessen greife ich zufällig in meinen Schrank und ziehe- wie immer- das verhasste T-Shirt daraus. Es passt leider immer noch. Wieso kann es nicht einfach mal in der Waschmaschine einlaufen, statt all die guten Sachen, die ich brauche? Ich will doch nur eine gute Ausrede, um endlich dieses pastelpinke Dinosaurier-Shirt von Akiteru loszuwerden, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Na ja, solange mich niemand damit sieht, kann es mir egal sein. Irgendwo mag ich das T-Shirt ja doch. Schließlich nehme ich mir das Paket vor. Dort steht wirklich nur mein Name, kein Absender. Die Initialien darauf sind alle gedruckt, ich kann also niemandem eine Handschrift zuordnen. Na ja, egal. Ich öffne das Paket. Zunächst liegen darin nur eingepackte Geschenke. Verwirrt hole ich sie alle heraus und erreiche somit den Boden des Kartons. Dort liegt ein Brief. Ich ziehe ihn heraus und sehe erstmal nichts auffälliges. Er ist verdammt schwer und es fühlt sich an, als wären da fünfzig Briefe drin. Ich öffne den Umschlag und ziehe das daraus, das den ganzen Braten so schwer gemacht hat. Da drin liegt doch im Erst ein ein Zentimeter hoher Stapel aus Geldscheinen. Sprachlos halte ich ihm in den Händen. Das ist so viel, wie ich im Monat verdiene, ohne Miete, Steuern und alles andere schon bezahlt zu haben. Aber wer...?
Mir fällt auf, dass in dem Umschlag noch mehr drin ist. Ein Zettel. Mit der Aufschrift:
"Happy Birthday, Tsukki".
Ich starre dieses Stück Papier an, als würde ich eine herumsurrende Fliege ansehen. Natürlich ist Yamaguchi der Absender. Wer sonst hätte mir so viel Geld geschickt? Sonst hat auch niemand an meinen Geburtstag gestern gedacht. Doch, Akiteru und meine Eltern. Und mein Handy, das hat mir auch gratuliert und mir gleich dazu Werbung für das neuste Modell geschickt mit einem 15% Geburtstags-Rabattcode.
Er hat mir wirklich gratuliert, mir etwas geschenkt und einen Brief geschrieben. Trotz dass ich ihn damals so sehr verletzt habe, trotz dass wir ein Jahr nichts miteinander zu tun hatten. Ich kann das nicht annehmen. Ich darf es nicht. Ich möchte mir nicht einmal den Brief durchlesen. Was wird darin stehen? Eine Entschuldigung? Wofür denn? Ich will nicht lesen, wie er sich Vorwürfe macht und sich für mein Verhalten entschuldigt. Ich stecke den Brief und das Geld wieder in den Umschlag zurück. Ich werde das Geld nicht benutzen, trotz der Tatsache, dass ich wieder auf der Kippe stehe und es nicht schaffen werde, noch genug zu Essen einzukaufen. Vor allem, weil ich jetzt auch noch ein Sechserpack von dem guten Bier besorgen muss. Auch die Geschenke packe ich alle wieder in den Karton. Diesen wiederum schließe ich wieder ganz und stelle ihn dann auf den Tisch im Flur. Es geht mir nicht darum, dass ich die Geschenke nicht wertschätze oder gar nicht erst annehmen will. Es geht darum, dass ich diese Geschenke nicht verdient habe und dass ich nicht will, dass er versucht, sich irgendwie zu entschuldigen und mich zurück zubekommen, indem er mir Geld und Geschenke schickt. Das funktioniert so nunmal nicht. Ich kann das nicht auf mir sitzen lassen. Ich muss ihm das Paket wieder vor die Haustür stellen, es geht nicht anders. Zu meinem Pech ist die Postbotin nicht mehr da, sodass ich es ihr nicht zureckgeben kann, also muss ich das doch selber machen. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, jetzt noch die Klamotten wieder zu wechseln, sondern sorge nur dafür, dass man das Shirt nicht sieht und werfe mir eine Jacke über. Dann fahre ich mit dem Fahrstuhl runter und hole mein Auto aus der Tiefgarage. Zwischen dem Hochhaus in der Innenstadt, in dem ich wohne und dem ländlichen Gebiet unserer alten Wohnorte liegen etwa fünfzehn Minuten Fahrzeit. Ich lasse die Musik lieber aus, aus Angst, dass jetzt eines von seinen Liedern gespielt wird und ich dann wieder zu viel denke oder gar einen Rückzieher mache. Als die Viertelstunde um ist, fahre ich schließlich in das Wohnviertel ein. Neben mir ist irgendwann die Brücke. Jetzt geradeaus weiter kommt bald die Wohnung meiner Eltern, ich muss aber links, um zu Yamaguchi zu kommen. Ich bin mir natürlich dessen bewusst, dass es sein kann, dass er nicht einmal mehr dort wohnt. Aber von dort aus kann ich sicher seine Adresse herausfinden. Er ist nicht dumm, er wird seine neue Adresse oder Telefonnummer ganz sicher nicht mehr in ein öffentliches Telefonbuch rausgeben lassen. Auch, wenn niemand seinen Namen kennt, muss er vorsichtig sein. Vielleicht wohnt er ja auch schon gar nicht mehr in Sendai, vielleicht ist er ganz aus Miyagi raus, wer weiß das schon.
Nun bin ich an besagtem Haus angekommen und halte davor. Ich lasse das Paket im Auto, ich hole mir nur die Adresse.
Ich klingele an die Tür und warte geduldig, bis jemand aufmacht. Das dauert allerdings eine ganze Weile. In der Zeit lege ich mir einfach schonmal ein paar Sätze zurecht.
Dann, endlich drückt jemand die Klinke runter und ein grimmig schauender, rundlicher Mann sieht mir entgegen. So kenne ich Herrn Yamaguchi gar nicht.
"Warte, warte. Lass mich raten. Tsukishima Kei, richtig? Habe meine Brille nicht auf."
"Ja, ich bin's."
"Oh-ho, wie kommt es zu dieser Ehre? Hast dich ja lange nicht blicken lassen. Ist Tadashi nicht eher dein Ansprechpartner?"
"Äh... Zu ihm wollte ich zumindest."
"Tja, da kannste lange suchen, der kommt nicht. Du weißt doch, dass er hier nicht mehr wohnt, also wen willst du hier zur Schau stellen?"
"Das habe ich mir schon gedacht. Genau das wusste ich eben nicht. Ich hatte gehofft, dass Sie oder Ihre Frau mir da weiterhelfen könnten."
"Tja, dann geh doch Mal zum Friedhof und frag sie. Ich werde dir nicht helfen, mein Junge."
Moment... Wie war das?
"Wie bitte?"
"Ganz genau. Wenn du weder im Bilde bist, wo dein damaliger bester Freund sich aufhält, noch weißt, dass er seinen achtzehnten Geburtstag mit dem Bestattungsamt als einzigen Gast gefeiert hat, dann bist du nicht der Tsukishima Kei, dem ich so tief dankbar war, dass er meinen Sohn vor einer ewigen Einsamkeit bewahrt hat. Du bist nicht mehr als jemand, dem Tadashi nicht mehr vertraut, denn sonst wüsstest du all das ja. Bitte, belästige mich nicht weiter. Ich werde nicht zulassen, dass mein Sohn sich mit noch mehr Problemen rumschlagen muss. Er ist schon verloren."
"Warten Sie, ich kann Ihnen das erklären."
"Nicht nötig. Ich habe meine Frau und meinen Sohn verloren, ich werde keine einfache Diskussion mit jemandem wie dir verlieren. Ich gebe dir die Adresse nicht. Schluss."
Und die Tür fällt ins Schloss.
Tja, Chance vertan.
Das ist zwar locker gesagt, aber im Geiste steht mir gerade der Mund weit offen.
Mir gehen all die Sätze nochmal durch den Kopf, die ich mir gerade anhören musste. Am meisten stecken geblieben war der Kommentar mit dem Bestattungsamt. Das wird doch nicht etwa heißen, dass seine Mutter an dem Tag gestorben ist, an dem auch ich ihn verlassen habe...? Wenn das so ist... Dann habe ich wirklich jemandes Leben genommen und darauf gespuckt. Aber nicht nur irgendein Leben, sondern das Leben meines eigenen besten Freundes.
Ich fahre wieder nach Hause, bringe es nicht übers Herz, jetzt Musik zu hören. Denn erst jetzt bekommen all diese wenigen Texte so viel Bedeutung und ich kann sie erst jetzt so gut verstehen.
Es ist, man könnte sagen, eine Tragödie.
Ich werde ihm nie wieder in die Augen schauen können.
Was ich getan habe, war damals wirklich unpassend. Aber ich glaube noch immer nicht, dass es falsch war. Es war die schmerzliche Wahrheit, die auf eine blöde Weise und zum falschem Zeitpunkt unter falschen Umständen ans Licht kam. Es war nicht sein Fehler, sondern meiner. Es war mein Fehler, aber noch immer nicht meine Schuld. Ich habe mir nichts davon gewünscht oder nicht ansatzweise daran gedacht, dass es so kommen könnte. Ich trage keine Verantwortung für den Tod seiner Mutter, ich habe mich lediglich nicht gut ausgedrückt und er konnte die Wahrheit nicht gut verkraften. Aber vorallem, egal, wie ich es mir nun zurechtschiebe, ich kann es weder ändern, noch etwas für ihn tun.
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