Kapitel 32

»Ey!« Steve steht vor mir und stupst meine Wade vorsichtig mit seiner Schuhspitze an, als würde er testen, ob ich noch lebe.
»Ey, Rotschopf! Komm schon! Hast du eine Ahnung, wo er sein könnte?«

Ich schniefe laut und wische mir die Nase mit meinem Ärmel ab. »Ich heiße Vianne!« antworte ich patzig, aber der Surferboy zuckt mit den Schultern. »Ich weiß«, entgegnet er knapp. Klar weiß er das.

»Wie...wie hast du mich gefunden? Ben hat immer andere Namen benutzt.« Ich richte mich auf, versuche meine Fassung wiederzufinden und den letzten Funken Selbstachtung nicht in der nächsten Heulattacke zu verlieren.

Steve schlendert wie selbstverständlich zu meiner Kaffeemaschine und setzt sich eine Tasse auf. Geht's noch? Perplex beobachte ich ihn und will gerade protestieren, als er sich räuspert: »Gab 'n paar Uber-Buchungen hierhin, bisschen Geld hat die Fahrer den Namen ausspucken lassen.« Plötzlich steht der Riese an meinem Kühlschrank, nimmt die Tüte Milch für den Kaffee und lässt sich danach genervt seufzend auf mein Bett fallen.
Er mustert mich über den Rand der Kaffeetasse. »Nimm dir auch 'nen Kaffee, wird 'ne lange Nacht, Kleine.«

»Ich hab kein Bock, die Junky-Ecken hier in New York abzusuchen. Hoffen wir also, dass er keinen Rückfall bekomm hat...Wo seid ihr alles gewesen?« Steve scheint der perfekte Assistent zu sein, denn in Windeseile zückt er sein iPad mit Stift und ist bereit Notizen zu machen. »Yo, es ist einfach wichtig, dass Roger ihn nicht in die Finger bekommt, kay? Also mach ohne zu murren mit.«

Irritiert setze ich mir jetzt doch einen Kaffee und lehne mich an die Wand gegenüber von Mr. Sunshine. »Was wäre wenn?« frage ich leise, und Steve zieht, aus dem Konzept gebracht, seine vollen und dunklen Augenbrauen in die Höhe. Das Eisblau seiner Augen funkelt kurz auf, ehe sich ein sorgenvoller Ausdruck auf sein Gesicht legt.
»Oho. Er hat 'nen Job sausen lassen. Niemand lässt Mr. Roger Brooks dumm bei seinen Kunden dastehen.« Den Namen betont er dramatisch ins Lächerliche gezogen.
»Vor allem nicht sein Schwiegersohn. Der kleine Vorzeigejunge und das Hündchen seiner Tochter.«

Ich verstehe immer weniger von dem, was Steve erzählt, bekomme aber eine Gänsehaut bei der Beschreibung von Bens Ehe, und das sieht er mir auch an. »Wie viel weißt du?« fragt er und nimmt einen großzügigen Schluck aus seiner Kaffeetasse.

Meine Schultern zucken etwas hilflos. »Er wollte sich scheiden lassen, sie nicht, und er verdankt Roger wohl viel – «
»'Nen Haufen Schulden hat der bei Roger. Der hat dem erst die Drugs zugeschustert und dann den Entzug bezahlt, und so ging das immer hin und her. Also macht Ben alles außer das, was er will, weil er macht, was der Alte von ihm will.«
Dass Roger ihn in der Hand hatte, habe ich mir schon fast gedacht, so wie Ben die Dinge damals formuliert hat. Ich ziehe noch einmal schniefend die Nase hoch, klammere mich an meine Kaffeetasse und mustere den Hünen vor mir, der nervös mit seinem Bein auf und ab wippt und Notizen auf dem Tablet checkt.

»Und...was hat Isabel damit zu tun?« traue ich mich letztlich zu fragen. Wieder treffen mich die unnatürlich hellen Augen des Surferboys.
»Na, die ist Rogers kleine Prinzessin und wollte Ben...Hör mal, Rotschopf – Ich weiß nich, ob nich eher Ben das erzählen sollte. Kannst du mir sagen, wo ihr sonst so gewe...«
»Steve, richtig? Kam das schon öfter vor?« unterbreche ich ihn. »Also, dass Ben neben Isabel...?« Ich bringe die Frage kaum übers Herz, aber ich brauche eine Antwort, um hier einen Schritt weiterzukommen.
Steve schüttelt den Kopf. »Ne, das ist nicht Bens Art. Die Mädels bekomm' zwar alle feuchte Höschen, wenn die den sehn, aber der hat da kein Radar für.« Und ich muss mir ein Lachen verkneifen. Da kennt Steve wirklich einen anderen Ben als ich.

Ich setze mich neben ihn und nenne ihm die drei Hotels, in denen wir uns getroffen haben, wenn wir nicht hier waren, und die Namen, die er jeweils verwendet hat. Steve ist beeindruckt, da er keine Informationen über diese Hotels hat; es muss über ein anderes Konto gelaufen sein. Er sucht die Nummern der Hotels raus und nötigt mich, dort anzurufen.

»Bitte was?« Ich huste meinen letzten Schluck Kaffee wieder aus.
»Ja, man. Die kenn' dich und dann zieht das besser.« brummt Steve und zündet sich einen Joint an. In meiner Wohnung. Ohne zu fragen. Ich starre ihn mit großen Augen an.
»Hallo? Ich weiß nicht, wie das bei euch an der Westküste läuft, aber hier ist das scheiße!« kann ich ihm nur fassungslos entgegenfauchen, als er mir den Shit ins Gesicht pustet. »Chill und ruf da jetzt an.«
Genervt stehe ich auf und öffne meine Fenster.

Mir ist klar, dass ich wahrscheinlich alles machen würde, was Steve sagt, aus Sorge um Ben, und das ist ihm genauso klar.
Mistkerl.

Ich halte mich an meinem Handy fest und wähle die erste Nummer des Hotels, räuspere mich und lege stotternd los. Steve verdreht schon wieder die Augen.
»Guten Abend, können Sie mich mit Mr. Cole verbinden? Er wollte mich vom Flughafen abholen, aber er ist noch nicht da und an sein Handy geht er auch nicht.« Die Lüge geht mir über die Lippen, aber nach hilfreicher Suche im System bekomme ich nur die Auskunft, dass niemand unter diesem Namen eingecheckt hat. Die gleichen Antworten erhalten wir auch bei den anderen Hotels. Resigniert lasse ich mein Handy sinken.
»Mir fällt sonst nichts ein, tut mir leid.«

Steve erhebt sich und streckt sich müde, sein Pullover rutscht hoch und gibt einen Blick auf einen muskulösen, gebräunten Bauch frei, und seine Hose sitzt viel zu tief. Ich wende schnell den Blick ab und schaue in meine leere Kaffeetasse.

»Yo, shit. Dann noch 'ne Frage...« Er scrollt durch seine Notizen, bis er gefunden hat, was er sucht.
»Sagt dir Stevens Point in Wisconsin etwas?« Mir rutscht das Gesicht weg, und mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich nicke. »Da sind wir zusammen auf die Highschool gegangen, und Bens Eltern leben dort«, nuschele ich in meine leere Kaffeetasse, und Steve hebt interessiert den Kopf.

»Er hat mich vor ein paar Wochen gebeten, da 'ne Adresse zu suchen.« Er tippt immer wieder nachdenklich mit dem Pen auf das Display vom iPad, und als er weiterspricht, habe ich das Gefühl, mir wird das Bett unter mir weggezogen, und ich falle in eiskaltes Wasser, das mir jegliche Empfindungen aus meinem Körper raubt. Seine Stimme dringt nur noch dumpf und unnatürlich verzerrt an meine Ohren, als meine Finger die Tasse in meiner Hand nicht mehr halten können und sie mir aus dem Griff gleitet, um dann mit einem lauten Klirren auf dem Boden zu landen. Ich starre fassungslos in das fremde Gesicht neben mir und sehe seinen Mund sich in Zeitlupe bewegen:

»Sagt dir der Name Owen Cooper etwas?«

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