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Menschen sind böse und die Middelton High zeigte mir, dass sie es von Grund auf sein müssen.

Als ich am nächsten Tag zur Schule laufe, habe ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. In meiner Hand halte ich einen warmen To-Go Becher gefüllt mit Cappuccino, was in den meisten Fällen einen guten Tag brachte, doch ich fühle mich unwohl und je näher ich dem großen, weißen Gebäude komme, desto stärker wird dieses Gefühl.

Der Pausenhof ist voll, beinahe schon überfüllt und ich habe Probleme damit, ohne Körperkontakte zur Eingangstüre zu gelangen.

Ich schlucke, als ich auf den Spind des toten Mädchens zulaufe. Mein Spind. Während des Laufens krame ich eine Plastiktüte aus meiner Tasche, in der ich die übriggebliebene Sachen von ihr verstauen und ihren Eltern geben möchte. Ich habe lange Zeit wach gelegen und darüber nachgedacht, wie schrecklich sie sich fühlen müssen. Ein Kind zu verlieren ist nie einfach, aber in diesem jungen Alter? Sie hatte ihr ganzes Leben vor sich.

Konzentriert drehe ich die Rädchen am Schloss und öffne schließlich die blaue, leicht verrostete Spindtüre. Die wenigen Bücher, die ordentlich sortiert im Spind verstaut wurden, lasse ich in meiner Tüte verschwinden. Gedankenverloren werfe ich Stifte, Scheren und Papierfetzen in die Tüte, als jemand neben mir voller Wucht gegen den Spind schlägt.

Ich zucke zusammen und kann mir einen Aufschrei nicht verkneifen. Wütend blicke ich in die Augen meines Peinigers - kalte Augen, die mich höhnisch mustern.

„Na, du Superhero. Du bist neu hier, nicht?", fragt er mich und ich schließe langsam meinen Spind. Ich versuche mich an seinen Namen zu erinnern, jedoch ist das Einzige, was vor meinem inneren Auge aufblitzt, seine Fausthiebe, die er dem Jungen gestern verpasst hat.

Ich beschließe keine Antwort auf seine Frage zu geben und blicke ihn nur stumm an.

„Hast du das Sprechen verlernt?", er lacht leise und fährt sich durch die Haare. „Wie dem auch sei, ich wollte mich sowieso nicht mit dir unterhalten. Ich wollte dich davor warnen, dich jemals wieder in mein Zeug einzumischen. Ich habe keine Lust darauf, mich noch mit einem dämlichen kleinen Mädchen herumzuschlagen", meint er und meine Wut steigt.

„Ihr seid doch alle völlig bescheuert", zische ich fassungslos und greife nach meinem Rucksack, der vor mir auf dem Boden liegt. Doch gerade, als ich mich umdrehen und gehen möchte, packt er mich grob am Arm.

„Hast du das verstanden?"

Entsetzt starre ich auf seine Hand, die sich fest in meinen Oberarm gebohrt hat und gnadenlos zudrückt. 

„Spinnst du? Lass mich sofort los", sage ich, doch er lacht nur.

„Wenn du es nicht sein lässt, bist du die Nächste", meint er mit einem Schulterzucken und ich schubse ihn bestimmt weg.

„Drohst du mir etwa gerade?", frage ich fassungslos und er zuckt mit den Schultern.

„Nenn es wie du willst. Aber halte dich von mir fern und meine bloß nicht, dass du mich jemals wieder bei etwas unterbrechen kannst."

Die Härte in seine Stimme bereitet mir eine Gänsehaut und ich starre ihm fassungslos hinterher, als er sich an mir vorbeidrückt, mich dabei noch absichtlich anrempelt und dann in der Menge verschwindet. Erst jetzt bemerke ich, dass alle Blicke der anwesenden Schülerschaft erneut auf mir liegen und ich stöhne frustriert auf. Wieso sind hier alle so unfassbar gestört?

„Das tut mir wirklich leid für dich", ich zucke zusammen und blicke zu Maya, die plötzlich neben mir steht. Mit mitleidiger Miene mustert sie mich. „Es wird nicht leicht, aus seinem Visier herauszukommen."

Ich schüttele fassungslos den Kopf. „Was stimmt denn mit euch allen nicht? Was für ein Visier? Und das nur, weil ich nicht so feige bin und zuschaue, wenn jemand Unschuldiges gnadenlos verprügelt wird", zische ich und schultere meinen Rucksack.

„Du kannst denken, was du willst, aber merk dir eines: Niemand hier ist unschuldig."

Ich schüttele fassungslos den Kopf. „Wo bin ich hier nur gelandet? Böse Kriminelle und sogar ein Mord!", sage ich und wünsche mich für einen kleinen Augenblick zurück in meine vorherige Heimatstadt, in der ich ein langweiliges, einfaches Teenagerleben führen konnte.

Maya seufzt und zuckt mit den Schultern. „Hier ist vieles nicht normal. Der Mord an einem von uns war nur eine Frage der Zeit. Aber auch Adeline war nicht unschuldig", meint sie fest und ich sehe sie schockiert an.

Fassungslos darüber, dass sie gerade über ein totes Mädchen schlechte Worte verliert, drehe ich mich um und laufe schnurstracks zum Klassenzimmer, in dem die nächste Stunde stattfinden wird.

Meine Klassenkameraden beäugen mich kritisch. Wenn ich könnte, würde ich alles neu starten und die Schriftzüge auf meinem Blatt mit Tintentod auslöschen. Ich bin mir jedoch bewusst, dass dies nicht möglich ist und so hoffe ich innerlich auf eine schnelle Versetzung meines Vaters und somit auf einen weiteren Umzug, der mich weit weg von dieser Schule führt.

Im Unterricht fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Lediglich mein Wahlfach Sozialpsychologie in den letzten beiden Stunden bereitet mir Spaß.

Die Erlösung in Form des Schulgonges lässt qualvoll und viel zu lange auf sich warten, doch ich springe bereits auf, bevor der Gong überhaupt zu Ende tönt. Die stechenden und fragenden Blicke machen mich irre und so stürme ich in den Flur und kann es kaum abwarten, das Gebäude zu verlassen.

„Raven! Warte bitte kurz", höre ich die Stimme von Maya und ich atme tief ein, bevor ich anhalte und mich umdrehe. Lächelnd mit zwei Büchern in der Hand kommt sie auf mich zu.

„Hör mal, meine Worte vorhin waren nicht so hart gemeint. Du kennst es hier ja noch nicht. Tut mir leid", meint sie leicht zerknirscht und ich nicke langsam. Doch gerade, als ich ihr antworten möchte, ertönt lautes Geschrei vom Ende des Flures.

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