38.- Eine Elfe unter Riesen

Unfähig mich zu bewegen, beobachtete ich wie eine Welle von Erzmenschen aus dem Wald strömte. Nur das fürchterliche Brüllen übertönte das Geräusch ihrer Schritte. Es mussten Tausende von ihnen sein. Sie bewegten sich wie eine einzige riesige Masse, ein Strom von Körpern, der kein Ende nahm.

Die Kreaturen kamen immer näher, bewegten sich trotz ihrer Größe unnatürlich schnell und mit Schrecken beobachtete ich wie sich der Erste von ihnen direkt vor mir gegen meinen Schild warf.

Der Aufprall ließ mich zusammenzucken, aber der Zauber hielt. Der Erzmensch war nur wenige Meter vor mir aufgehalten worden und wich zurück, nur um erneut auf die unsichtbare Wand zu stürzen. Schockiert starrte ich ihn an, aber in diesem Moment spürte ich unzählige andere, die gegen meine Magie drückten. Sie hatten den Schild von allen Seiten umzingelt. Ich taumelte zurück, für einen Augenblick von der brutalen Kraft überwältigt, die gegen meinen Schutzschild schlug. Er flimmerte silbrig, und es sah aus als würden etliche kleine Blitze über seine Oberfläche tanzen.

Meine Kräfte sammelnd stärkte ich den Zauber. Um mich flogen Pfeile und trafen die Biester, aber sie zeigten kaum Wirkung. Für jeden Erzmenschen, der fiel, strömten duzende nach. Die Menschen drückten sich gegen den Schild und schlugen drauf ein, verletzten und zerquetschten sich gegenseitig.

Ich zwang mich meinen Blick von dem Grauen abzuwenden und kehrte zu meinen Freunden zurück. Die Demigötter und Zauberer gleichermaßen beobachteten mit Entsetzten das Schauspiel.

„Nicht schießen!", befahl ich energisch und sorgte dafür, dass meine Stimme von allen gehört wurde, „Es sind zu viele, das hier ist nichts anderes als eine Verschwendung von Pfeilen!" Die Schützen ließen ihre Bogen sinken, hielten den Blick aber weiterhin auf unsere Gegner gerichtet.

„Wie lange hält der Schutzschild?", wollte Reyna, die neben mich getreten war, wissen. Ihre Stimme wurde von dem Kampfgeschrei der Erzmenschen verschluckt. Selbst hier oben spürte ich das Beben, das von ihnen ausging. Ich bemühte mich, den Lärm mit meinen Fähigkeiten zu dämpfen, wagte es aber nicht die Reichweite größer als den Kreis meiner Freunde zu machen um meine Kräfte zu schonen.

„Stunden", gab ich zu. Oder zumindest hoffte ich das.

„Sie zerstören sich selbst", wisperte Will verstört, die Augen geweitet. Er hielt seinen Bogen fest umschlossen und war blass geworden.

„Es ist nur die erste Welle", murmelte ich und beobachtete wie sich die Leichen der Erzmenschen, die jetzt kaum noch als solche zu erkenne waren, zu Schatten wurden und damit Platz für ihre Brüder machten. Zweifelsohne fing Moros sie ab, bevor sie es in den Tartarus schafften, nur um sie dann erneut aufs Schlachtfeld zu schicken.

„Was schlägst du vor?" Reyna sah mich erwartungsvoll an und wartete auf Anweisungen. Einmal mehr war ich der Anführer und ich schob jegliche Furcht in die hinterste Ecke meines Bewusstseins. Ein Anführer zeigte keine Angst.

„Warten. Für den Moment kommt nichts durch die Barriere."

„Und wenn sie fällt?"

„Moros, stirbt er, verlieren seine Sterblichen die Unsterblichkeit."

„Wie willst du das machen?", mischte Thalia sich ein und verschränkte die Arme, „Er ist mit Sicherheit weit hinter den feindlichen Linien."

„Kannst du dich zu ihm teleportieren?" Reyna starrte in die Ferne, als hoffte sie hinter den Erzmenschen den Gott erkennen zu können.

„Nicht möglich. Ich weiß nicht wie er es macht, aber außerhalb meiner Grenzen ist es mir nicht möglich mich zu teleportieren." Selbst Chaos hatte es kaum geschafft zu mir durchzudringen. Es war, als wäre Moros überall um das Schloss.

„Und denk nicht einmal daran zu fliegen." Will warf mir einen strengen Blick zu und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „In der Luft bist du ein zu leichtes Ziel, sei es für Moros oder seine Handlanger." Auch wenn es mir nicht gefiel, musste ich ihm trotzdem recht geben. Zwar konnte ich nicht sterben, aber das änderte nichts daran, dass ich verletzlich war. Zu viele zu schwere Wunden und ich würde von der bloßen Anstrengung, die es brauchte um zu heilen, das Bewusstsein verlieren.

„Nein, zu warten ist unsere beste Möglichkeit. Selbst Moros kann seine Unterlinge nicht ewig vom Sterben abhalten. Lasst uns hoffen, dass ihm vor mir die Kraft ausgeht."

Ehrlich gesagt, war ich mir ziemlich sicher, dass der Schicksalsgott länger als ich durchhalten würde. Es war unmöglich zu sagen, wie viele Erzmenschen er wirklich hatte, aber wenn man bedachte, dass diese Kreaturen einst den ganzen Planeten bevölkerten, war es unwahrscheinlich, dass bereits alle Kämpfer am Schlachtfeld waren, geschweige denn, dass die zurückgebrachten schon wieder unter ihnen waren.

„Sorg dafür, dass alle bereit sind, wenn der Schild zusammenbricht. Ich will, dass jeder Bogenschütze genug Pfeile hat. Und jemand soll Nyssa zu mir schicken, ich will wissen, ob es noch inaktive Fallen gibt." Reyna nickte und eilte gemeinsam mit Will davon.

„Was wollte Moros?", fragte Nico schließlich. Der Sohn des Hades hatte uns bis jetzt schweigend beobachtet und wohl darauf gewartet, endlich seine Frage stellen zu können.

„Mich", erklärte ich knapp und griff nach meinem Schwert, „Als Verbündeter, als Freund."

„Und was hat er dir dafür angeboten?"

„Meine Welt", murmelte ich, aber Nico hörte mich trotzdem. Der Demigott sah mich fragend an, aber ich schüttelte nur den Kopf.

Thalia war von meiner Seite gewichen um die Jägerinnen von unserem Plan, der eigentlich kein Plan war, zu unterrichten. Währenddessen blieb ich wo ich war und auch Nico hatte wohl nicht vor mich zu verlassen. Die Geschehnisse um mich kaum wahrnehmend, konzentrierte ich mich einmal mehr auf meinen Schild. Ich suchte nach den Stellen, die am stärksten beansprucht wurden und jenen, an denen die Oberfläche dünner wurde. Eine undichte Stelle und das ganze Ding würde zusammenbrechen.

Grover, sag den Waldgeistern, sie sollen sich bereit machen, aber erst auf mein Zeichen hin angreifen, wies ich meinen Freund an. Als Herr der Wildnis war es ihm möglich zumindest mit den Waldgeistern der Umgebung zu kommunizieren.

Klar. Habe ich eigentlich schon einmal erwähnt wie cool ich die Sache mit dem Gedankensprechen finde?

Hast du, ja. Grover war so ziemlich von all meinen neuen Begabungen begeistert, überhaupt die Fähigkeit Essen erscheinen zu lassen, hatte es ihm angetan.

Von da an verging die Zeit sterbend langsam. Mit jeder Minute und jeder Stunde merkte ich wie mein Schutzschild mehr an meinen Kräften zog, und der ständige Lärm raubte mir die Nerven. Bald konnte ich mich noch kaum auf etwas abgesehen vom Schild konzentrieren und ich brauchte immer länger um ihn zu verstärken. Die stetigen Schläge der Erzmenschen hatten sich wie ein dumpfes Pochen in mein Bewusstsein gebohrt.

Am frustriertesten war aber, dass, egal wie lange ich auch überlegte, mir keine Möglichkeit einfiel und Moros zu schlagen. Er hatte mich in die Defensive gezwängt und ich sah keinen Weg um ihn zurückzudrängen.

Die Anwesenheit des Schicksalsgottes hatte sich wie dichte Nebel über die Landschaft gelegt. Keine Dunkelheit, aber genug um die Sonne zu blockieren.

Ein heftiger Stoß riss mich aus meinen Gedanken. Etwas hatte meinen Schild getroffen. Direkt über mir. Den Kopf in den Nacken legend, hob ich den Blick. Zuerst hatte ich angenommen, dass es sich um irgendein Geschoss gehandelt hatte, aber stattdessen sah ich eine schwarze Masse, die knapp ober meinem Zauber schwebte. Der scheinbar formlose Rauch nahm Gestalt an und einen Augenblick später schlug eine enorme pechschwarze Faust gegen die Oberfläche meines Schutzschildes. Ich zuckte zusammen, zwang mich aber noch mehr Energie in die Aufrechterhaltung des Schildes fließen zu lassen.

„Percy", Moros Stimme hallte einmal mehr zwischen den Mauern des Schlosses wieder, „Versteckst du dich immer noch hinter deinem Zauber? Der große Percy Jackson, der nicht nur Kronos, sondern auch Gaia dem Untergang geweiht hat. Monster erzittern, wenn sie seinen Namen hören. Ein Krieger, ein Held. Enttäuschend. Ich hatte mehr erwartet. Ich dachte das hier würde Spaß machen." Als ich nichts erwiderte fuhr er fort.

„Sie sagen du wärst mutig, selbstlos sogar. Und trotzdem traust du dich nicht heraus. Vielleicht fehlt auch nur die richtige Motivation." Etwas an seinem Ton ließ mich schaudern.

„Nein, lass mich los! Percy!", der Klang der hellen Stimme zwang mich beinahe in die Knie.

Elaine.

Es war still geworden, die Angriffe hatten abrupt aufgehört, aber das Schweigen schien plötzlich viel als jedes Gebrüll. In Mitten der Horde von Erzmenschen erschien Moros. Seine Begleiter bewegten sich ehrfürchtig zur Seite um Platz für den Gott zu schaffen. Aber ich nahm ihn kaum war. Meine ganze Aufmerksamkeit galt der kleinen Gestalt, die von zwei der Menschen nach vorne gezerrt wurde. Sie wirkte so winzig unter den riesigen Kreaturen, nicht mehr als eine Elfe neben ihnen.

„Ich muss sagen, ich mag deine kleine Freundin", säuselte Moros und strich Elaine über die Haare. Die Kleine wollte zurückweichen, aber der starke Griff ihrer Entführer hielt sie davon ab. Selbst von hier konnte ich die Tränen sehen, die auf ihrer Wange glitzerten.

„Fass sie nicht an", presste ich hervor und fühlte wie Wut in mir aufkochte.

„Oder was?"

Ohne nachzudenken entfaltete ich meine Flügel. Nico wollte mich zurückhalten, aber ich stieß ihn mit einer Kraftwelle grob zurück und sprang in die Luft. Meine Schwingen trugen mich über Moros Armee hinweg und einen Augenblick später landete ich einige Meter vor ihm. Meine Finger streiften das Gras, während meine andere Hand sich um mein Schwert schloss und ich mich langsam aufrichtete. Meine Augen starr auf den Gott gerichtet, trat ich noch einen Schritt vor.

„Nana, nicht so schnell", warnte der Gott mit einem breiten Grinsen, „Einen weiteren Schritt und das Mädchen stirbt. Sie sind so zerbrechlich in diesem Alter, oder nicht?" Um seine Aussage zu unterstreichen, drückte einer der zwei Riesen Elaine eine barbarisch aussehende Klinge an die Kehle. Die Kleine wimmerte leise. Aus der Nähe konnte ich sehen, dass sie zwar schmutzig, aber den Göttern sei Dank scheinbar unverletzt war.

„Ich schwöre dir Moros, wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, werde ich dich zerstören. Und wenn du dann nichts mehr als ein vergessener Schatten im Wind bist und die Scherben deines Daseins im Tartarus verstreut sind, wirst du leiden wie kein anderer vor dir", knurrte ich und verkrampfte den Griff um mein Schwert.

Den Gott schien meine Drohung nicht weiter zu kümmern. Stattdessen hatte er den Nerv zu grinsen.

„Da ist sie doch, die dunkle Seite des edlen Prinzen", verkündete Moros begeistert, „Du bist gut darin sie zu verstecken, aber ich habe dich beobachtet, Perseus, habe gesehen was unter der Oberfläche lauert. Und Annabeth hat es auch gesehen, damals in den dunkelsten Tiefen der Hölle, als du Achlys vernichten wolltest. Du erinnerst dich doch noch daran, oder? An Annabeths Flehen, als sie sah wer du wirklich bist, was du wirklich bist. Warum bist du hier, Perseus? Warum verteidigst du dieses mickrige Schloss? Du sagst dir es wäre aus Ehre, aus Loyalität zu deinen Freunden, aber wir wissen beide, dass es etwas anderes ist. Nein, es ist der Kampf, der dich zu mir geführt hat, auch wenn du wissen musst, dass es hoffnungslos ist. Nein, du sehnst dich nach dem Blutvergießen."

„Du weißt nichts über mich", pfauchte ich und versuchte die Stimme des Irren auszublenden. Elaine hatte angefangen leise zu schluchzen und es tat mir physisch weh sie so zu sehen und nicht fähig zu sein ihr zu helfen.

„Ich weiß genug, Ich habe dich auf dem Schlachtfeld gesehen und das ist der Teil von dir, der zählt. Du wurdest für den Kampf geboren." Am Rande meines Bewusstseins nahm ich wahr, wie die Erzmenschen um uns unruhig wurden, aber mein Blick heftete auf Elaine.

„Elaine", versuchte ich die Kleine zu beruhigen, „Alles wird gut. Dir wird niemand mehr wehtun, ich verspreche es." Das Mädchen sah mich mit großen Augen an und versuchte zu mir zu rennen, wurde aber brutal zurück gerissen und schrie auf.

„Tsk tsk tsk", Moros schüttelte den Kopf, „Weißt du denn nicht, dass man keine Versprechen machen soll, die man nicht halten kann? Mittlerweile solltest du das doch gelernt haben. Wie waren die Worte noch einmal? Ich lass dich nicht von mir weg. Nie wieder. Und wo ist sie jetzt?"

„Hör nicht auf ihn Elaine, ich passe auf dich auf."

„Warum der ganze Aufwand? Diese Welt wird brennen und mit ihr all deine ach so wertvollen Freunde. Siehst du nicht den Sinn dahinter? Im Tot liegt Gnade. Im Tod liegt Frieden! Die Menschheit hat es nicht verdient, weiter zu existieren. Sie werden nie lernen was es wirklich heißt zu leben! Denk nur an all den Schmerz, der ihr hiermit erspart bleibt!"

„Du redest von Massenmord!", brüllte ich und bereute es augenblicklich, als ich sah wie Elaine zusammenzuckte.

„Ich spreche von Erlösung. All das Leiden das folgt. Nimm deine Freundin hier zum Beispiel: Was hält diese Welt für sie bereit? Nichts als Schmerz und Trauer. Wie lange wird es dauern, bis sie in irgendeinen sinnlosen Kampf fällt? Nein, dank mir wird sie die erste sein, die spürt was es bedeutet wahrlichen Frieden zu empfinden", er bedeute mit einer Handbewegung auf die Erzmenschen, die Elaine festhielten, „Bringt sie zu mir."

„NEIN!" Macht, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte braute sich in mir zusammen und ohne nachzudenken, warf ich mich auf Moros. Ich wusste nicht was ich tat, oder woher ich wusste was zu tun war.

Meine ausgestreckte Hand traf die Brust des Gottes und eine Energiewelle brach aus mir. Moros' Augen weiteten sich als meine Kraft ihn durchströmte. Ein Zittern fuhr durch seinen Körper und für einen Moment stand die Zeit still.

Ein schmerzerfülltest Brüllen hallte über das Feld und ich brauchte einen Moment um zu registrieren, dass es Moros war der schrie. Mein Blick glitt auf meine Hand, die gegen seinen Oberkörper drückte und jetzt silbrig schimmerte. Das Licht breitete sich von meinen Fingern über seinen Körper aus, wie Wurzeln, die sich in seinem Dasein verankerten. Das Leuchten wurde immer heller und ich hatte das Gefühl in das Herz eines Sternes zu blicken, bevor es abrupt aufhörte. Und die Schreie verstummten.

Der Gott schien wie versteinert. Helle Linien, die mich an feine Risse auf Porzellan erinnerten zogen sich über seine Haut. Wie eine leere Hülle brach die Gestalt des Schicksalsgottes und zerfiel zu Staub, den der Wind davon wirbelt.

Und Moros war nicht mehr. 

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