Mutter
Wie tief will die Menschheit noch sinken?
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Die Minuten nach dem Video waren schrecklich. Andauernd schoss mir der eine Satz durch den Kopf. Du bist unnötig. Du bist unnötig. Du bist unnötig.
Ich versank zurück in meine Trauer und meine unbändige Wut auf die Menschheit. Doch mein Vater fand mich. Wie fast jeden Tag fand er mich und stieß mich noch schlimmer in den Dreck und die Verzweiflung.
Ich will nicht mehr.
Stumm liege ich jetzt in meinem Bett. Merkwürdig dass ich vor knapp einer Stunde noch genauso dalag, und es mir doch wie eine Ewigkeit vorkommt.
Der Mond scheint durch das offene Fenster und fällt auf mein Gesicht. Die Blutstropfen glitzern silbern, sehen schon fast wie Perlen im Schein aus.
Doch dieser Schein trügt - jeder Schein trügt. Die Menschen sind gefährlich, dass durfte ich oft genug erfahren. Die Menschen Lächeln dich an, während sie dir ins Gesicht schlagen. Die Menschen schauen lieb, wenn sie dich abgrundtief hassen.
Die Menschen grinsen wenn sie deinen Tod planen.
Ich weiß, dass ich nicht alleine damit bin, mit meinen inneren Verletzungen und den seelischen Strapazen, und ich weiß auch, dass es viel, viel schlimmere Dinge gibt als gemobbt zu werden, aber trotzdem komme ich mir wie ein ausgesetztes Kind am Straßenrand vor, ein Kind dass nach seiner Mutter schreit, ein Kind dass geliebt werden will.
Aber leider werde ich nicht geliebt. Von Niemandem. Früher würde ich geliebt, aber das Gefühl ist schon so lange verblasst, dass ich es wahrscheinlich eh nie wieder spüren kann.
Manchmal möchte ich einfach bei meiner Mutter sein, mit ihr im Sarg liegen und einfach diese vertrauere Wärme spüren. Ich möchte ihr Lachen hören. Ich möchte das Funkeln in ihren Augen sehen. Ich möchte einfach nur, dass sie hier ist.
Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre wenn sie nicht gestorben wäre. Wäre mein Leben dann anders? Hätte ich noch Geschwister gehabt? Hätte ich normal gegessen? Hätte ich Freunde gehabt?
All diese Fragen schwirren mir allzu oft im Kopf herum. Doch es bringt nichts. Meine Mutter ist tot und es wird sich auch nichts ändern, wenn ich ihr jetzt hinterherschreie. Das sagt die Realität in mir.
Doch der Wunsch trauert immer noch und weint sich die Seele aus dem Leib, nur damit er ein letztes Mal Maria Nasel zu Gesicht bekommt.
Aber ich bekomme sie jeden Tag zu Gesicht.
Ich sehe meine Mutter in den Wolkenbildern, die wir zusammen betrachtet haben. Ich sehe sie im Gesang der Vögel. Ich kann mich noch so gut an ihre Stimme erinnern.
Das waren die schönsten Momente in meinem kurzen und frischen Leben.
Wir saßen zusammen am Lagerfeuer und sangen. Mein Vater, meine Mutter und ich. Wir sangen alle gemeinsam als wollten wir nie wieder aufhören.
Insgeheim wollte ich es nie. Ich habe es geliebt das Lächeln auf den Lippen meiner Mutter zu sehen, wenn sie mit klarer Stimme und geschlossenen Augen eines Ihrer Lieder singt.
Ich habe jeden Augenblick ausgekostet wenn sie mich in den Schlaf sang und mir übers Haar strich. Ich schließe die Augen. Manchmal glaube ich sie auf der Straße zu sehen. Einen Hauch ihres Dufts einzufangen, oder den Blick ihrer Augen zu spüren. Doch wenn ich mich umdrehe ist da niemand.
Piep.
Ich fahre hoch. Die Benachrichtigung. Mein Magen krampft sich zusammen. Anscheinend hat wieder jemand einen hämischen Kommentar unter das leidvolle Video geschrieben. Ich will sie mir nicht durchlesen, denn es würde erbeuteten Schmerz bedeuten.
Doch mein Körper treibt mich voran.
Langsam, ganz langsam setze ich einen Fuß vor den anderen und laufe leise den dunklen Flur entlang. Quietschend öffnet sich die Tür als ich sie leicht aufstoße und ich zucke zusammen, da ich befürchte dass jeden Moment mein Vater auftaucht.
Ich atme tief durch und schaue auf den PC.
Eine einzige Nachricht wurde geschrieben:
?Warum?
Von Dean Kardwin.
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Written by Writer_007
Gewidmet: autumnleaf_
Silvesterspecial
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