46. Magie
Wie er so in dem, vom Wind geschaukelten, Kanu saß und verzweifelt ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel sandte und hoffte irgendjemand - wenn nicht sogar der liebe Gott persönlich - würde ihm ein Zeichen geben, fühlte er ein warmes Gefühl in seinem Körper aufsteigen, was so gar nicht zu seiner Panik und Angst passen wollte. Es durchfloss ihn, wie die Wärme eines heißen Tees, die sich im ganzen Körper ausbreitete. Seine Fingerspitzen kribbelten, wobei er diesem Umstand auch auf die plötzliche Kälte schieben konnte. Aber da war noch etwas anderes, etwas pulsierendes und mächtiges. Es war seine Magie, die sich nun Bahn brach. Kinder, die nicht in Magie ausgebildet waren und nie gelernt hatten sie zu beherrschen, kennen dieses Phänomen: Reine, ungezügelte Magie, die sich in emotionalen Momenten an die Oberfläche kämpft. Hatte man erstmal gelernt mit einem Zauberstab zu zaubern, dann war es schwer wieder zu erlernen, die Magie auch ohne eben jenen Zauberstab zu nutzen. Aber er konnte es nun fühlen, er konnte sie benutzen und kontrollieren. Es war wie die Antwort auf seine Gebete. Er konnte Hermine fühlen, ihre Angst und die Kälte, die sie umgab. Sie war gar nicht weit von ihm entfernt und hatte kaum noch die Kraft bei Bewusstsein zu bleiben.
Mit dem Boot würde er sie niemals rechtzeitig erreichen. Er schätzte die Entfernung zum Ufer, seine und ihre Körpertemperatur, sowie die des Wassers grob ab und beschloss, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als ins Wasser zu springen und sie schwimmend an Land zu bringen. Es mochte ein Risiko sein, aber auch die einzige Chance.
Ohne weiter darüber nachzudenken zog er Jacke und Schuhe aus, um besser schwimmen zu können und sprang in T-Shirt und Jeans ins Wasser. Sofort wich vor Kälte sämtliche Luft aus seinen Lungen, es war doch kälter als er gedacht hatte. Aber er hatte keine Zeit sich darüber Sorgen zu machen, Hermine brauchte ihn jetzt. Er konnte sie und ihre Magie noch immer fühlen, seine eigene zog ihn zu ihr hin, zu der Stelle, wo sie kurz unter der Wasseroberfläche trieb und mit letzter Kraft versuchte, sich an die Oberfläche zu kämpfen. Aber das winzige Rudern mit den durchfrorenen Armen und Beinen hatte nicht viel Effekt, es verhinderte nur, dass ihre nassen Klamotten sie weiter nach unten zogen und sie weiter sank.
Nur noch wenige Meter. Er kämpfte fieberhaft gegen den Wind und den peitschenden Regen im Gesicht an.
Ich bin gleich bei dir, gleich bist du in Sicherheit!, versprach er ihr in Gedanken, wohl wissentlich, dass sie ihn nicht hören konnte. Aber obwohl sie ihn nicht hörte oder sah, sie konnte ihn fühlen. Sie fühlte seine Magie, die sie zu ihm zog, wie ein Magnet. Sie spürte seine Wärme und es gab ihr Hoffnung, lange würde sie das nicht mehr durchhalten, sie brauchte Luft. Sie war sicher bereits zwei oder drei Minuten unter Wasser. Bald würde sie das Bewusstsein verlieren. Aber sie fühlte ihn näher kommen und schließlich, als sie schon aufgeben, die Augen schließen und sich dem Dunkel ergeben wollte, griffen zwei starke Arme nach ihr und zogen sie wieder an die Oberfläche.
Sie japste nach Luft, atmete hektisch und hustete kurz. Sie blinzelte gegen den Regen an. Dann erst wurde sie sich Severus' Armen um sie herum bewusst und wie er versuchte, seine Wärme an sie zu übertragen. Sie war unendlich müde und erschöpft, am liebsten würde sie nur die Augen schließen, aber sie musste ihm helfen und weiter schwimmen, sonst würde er mit ihr untergehen.
"Ich dachte schon..", flüsterte sie gegen den Wind an, "ich dachte ich würde ertrinken."
"Niemals würde ich das zulassen", sagte er, zog sie Meter um Meter mit sich, "Gleich bist du wieder im Warmen."
"Ich kann nicht mehr", flüsterte sie. Ihre Lippen waren schon ganz lila, die Augen nur noch halb geöffnet und die Bewegungen träger geworden.
"Nur noch ein paar Minuten, halt durch", bat er. Wieder fühlte sie seine Magie, einen warmen Schauer und wie sie neue Kraft durchfuhr. Wenn er weiter so viel Kraft auf sie übertrug, würde er bald ausgelaugt sein und sie würden wirklich beide ertrinken. Sie sammelte ihre letzten Reserven, kämpfte gegen die Erschöpfung an und konnte schließlich den Grund unter ihren Füßen spüren. Er richtete sich auf, schlang einen Arm um ihre Taille, zog sie Schritt für Schritt weiter. Als sie bis zu den Knien aus dem Wasser waren, gaben ihre Beine schließlich doch unter ihr nach. Er schob seinen Arm unter ihren und legte ihn um ihren Rücken, den anderen unter ihre Kniekehlen, hob sie auf die Arme und trug sie eilig Richtung Haus. Er spürte wie sich spitze Steine in seine Fußsohlen bohrten und andere ihm die Knöchel aufschürften, aber er ignorierte die Schmerzen. Das Mädchen in seinen Armen war wichtiger. Sie musste ins Haus und sich aufwärmen. Natürlich konnte auch er Ruhe und Wärme gebrauchen, zitterte er doch selbst vor Kälte und Adrenalin. Aber er würde es sich niemals verzeihen, wenn Hermine unterkühlte, nur weil er keine Kraft mehr hatte.
Als er die Tür aufstieß und sie auf das Sofa legte, hatte sie die Augen bereits wieder geschlossen und sich doch der Dunkelheit ergeben. Er griff nach seinem Zauberstab, legte einen Wärmezauber über sie, lief ins Bad und drehte den Hahn der Badewanne auf. Heißes Wasser lief ein und er hastete zurück ins Wohnzimmer und schälte Hermine aus den nassen und kalten Klamotten. Gleichzeitig versuchte er sie wieder wach zu bekommen. Sie blinzelte erschöpft und er lächelte erleichtert. Nur noch in Unterwäsche nahm er sie wieder auf die Arme und trug sie ins Badezimmer, kontrollierte dort die Wassertemperatur. Einige Grad über Körpertemperatur. Er durfte sie nicht zu schnell aufwärmen, er wollte keinen Schock riskieren und es würde so sicher schon genug weh tun, wenn er sie ins Wasser setzte.
Wieder hatte sie das Gefühl, als würden sie tausende Nadeln stechen, als ihr Körper in das warme Wasser glitt und er ihren Kopf auf ein Handtuch an den Wannenrand bettete. Er kniete neben der Wanne, sah sie besorgt aber auch voller Erleichterung an.
"Danke", brachte sie nun endlich wieder einige Worte hervor, ihre Lippe zitterte noch immer. "Du hast mich gerettet." Sie klang überraschter und ungläubiger als geplant. Aber das war nur dem Umstand geschuldet, dass sie fast schon damit gerechnet hatte zu ertrinken, weil sie selbst nicht die Kraft gehabt hatte sich zu retten.
"Ich würde auch in ein brennendes Haus laufen, mich vor einen Zug werfen oder von einer Klippe springen, wenn es nötig wäre", sagte er, strich ihr durch die Haare. "Für dich würde ich mein Leben geben."
Ihr klappte der Mund auf. Das kam einer Liebeserklärung wirklich sehr nah. Er würde seine Worte noch wahr machen, wurde ihr in diesem Moment wieder klar, in zwanzig Jahren würde er genau das tun, für sie und die gesamte Zaubererwelt sein Leben geben.
Angestrengt hob sie den Arm, legte die Hand an seine Wange, strich liebevoll darüber.
"Ich würde das gleiche für dich tun", sagte sie, "Ich.." Gerade wollte sie die drei Worte sagen, da fielen ihr erst seine blauen Lippen auf, die jetzt wieder anfingen zu zittern.
"Du frierst!", stellte sie stattdessen fest, "Du musst auch hier reinkommen und dich aufwärmen." Statt etwas zu sagen erhob er sich, trat einen Schritt zurück und zog sich T-Shirt und Hose aus.
"Deine Füße!", rief sie erschrocken aus, als sie die hellroten Abdrücke auf den Fliesen sah, "Du blutest."
"Halb so schlimm", winkte er ab, bedeutete ihr nach vorne zu rutschen und stieg hinter ihr in die Wanne, zog sie an seine Brust, "Das waren nur die Steine am Ufer. Eine Heilsalbe und alles ist wieder gut."
"Es tut mir so leid", flüsterte sie in das stille Badezimmer hinein, als ihre Glieder nicht mehr schmerzten und langsam wieder Normaltemperatur angenommen hatten.
"Das ist doch nicht deine Schuld", sagte er sofort, gab ihr einen Kuss auf den Kopf, "Und die Hauptsache ist doch, dass wir jetzt im Warmen und in Sicherheit sind. Ich hatte solche Angst."
"Ich auch", hauchte sie, schmiegte sich noch enger an ihn.
"Ich dachte schon ich würde.. Was ist da draußen eigentlich passiert?", fragte sie nach einigen Momenten des Schweigens, "Ich konnte dich fühlen, deine Wärme und so etwas wie Zuversicht."
"Ich weiß es nicht", sagte er nach einigen Momenten des Nachdenkens, "Ich war verzweifelt und hab gebetet - gebetet, dass ich dich retten kann. Ich kann dich nicht verlieren, niemals.. Und plötzlich war da diese Kraft in mir, reine Magie. Sie hat mir geholfen dich zu finden. Es war fast, als würde deine Magie meine anziehen."
"Ich habe das auch gespürt", sagte sie, "Ich dachte schon ich würde es mir nur einbilden. Es war.. Ich kann es gar nicht beschreiben. Es war ein so warmes Gefühl, als wäre ich Zuhause. Ergibt das irgendeinen Sinn?"
"Ja, das tut es", sagte er, hauchte ihr einen weiteren Kuss auf den Kopf und verstärkte leicht die Umarmung, "Das tut es."
Das was er heute da draußen gespürt hatte, hatte sich so übermächtig angefühlt, als wäre es größer als er oder sie allein. Es fühlte sich an, als wären sie eins. Er hatte sie so genau fühlen können, ihr ganzes Wesen, reines Licht. Es war schon seltsam, kannten sie sich doch erst ein halbes Jahr und waren sie doch erst wenige Monate ein Paar. Wie konnte es sich jetzt schon derart anfühlen? Wie konnte er jetzt schon das Gefühl haben, als wären seine Gefühle für ewig? Wie konnte er sich so sicher sein? Es war einfach so. Es ist was es ist.
"Du bist die Eine, Hermine", flüsterte er in die Stille hinein, "Du wirst es immer sein."
Hermine hatte unterdessen wieder die Augen geschlossen und ließ sich vom warmen Wasser und seinen süßen Versprechungen ins Land der Träume ziehen. Seelig schlief sie ein, zu erschöpft um etwas zu erwidern, dennoch wusste sie, dass sie das gleiche fühlte und dass es für immer so sein würde.
Sie erwachte auf dem Sofa, eingewickelt in eine Wolldecke und dem brennenden Kamin ihr gegenüber. Ihr Kopf lag in Severus' Schoß und er hatte auf dem Tisch eine Kanne Tee bereit gestellt. Für einen Moment war sie benommen und fragte sich, ob das alles ein Traum gewesen war, bis sie seine, in Verbände gewickelten, Füße sah, die er auf einen kleinen Hocker hochgelegt hatte. Es war kein Traum, sie war heute wirklich fast gestorben. Severus hatte sein Leben riskiert, um sie zu retten. Mühsam richtete sie sich etwas auf, um ihn ansehen zu können.
"Geht es dir besser?", fragte er fürsorglich, strich ihr die wirren Haare hinters Ohr.
"Ich bin noch etwas müde, aber es geht mir um einiges besser", sagte sie und räusperte sich, weil ihre Stimme noch recht kratzig klang. Severus beugte sich vor, schenkte ihr etwas Tee ein und reichte ihr die Tasse, die sie dankend annahm. Sie nahm einen kleinen Schluck, sah ihn verlegen an. Sie kam sich so dumm vor. Es war leichtsinnig gewesen. Warum musste sie darauf bestehen, dass sie zum See gingen, warum hatte sie so unbedingt zum Wasser gewollt? Es war alles ihre Schuld.
"Es ist nicht deine Schuld", sagte er bestimmt, als er ihre Gedanken an ihrem Gesicht ablas, "Die Füße heilen wieder."
"Aber..", wollte sie wieder ansetzen, aber er unterbrach sie mit einem Kuss.
"Nichts aber", sagte er, gab ihr noch einen Kuss auf die Nasenspitze, "Ich hoffe nur, dass ich nie wieder eine solche Angst spüren muss."
"Es muss schwer gewesen sein, dich mit mir ans Ufer zu schleppen..", murmelte sie schuldbewusst, senkte leicht den Blick, "Du musst Todesangst gehabt haben." Er nahm ihr Gesicht in die Hände, zwang sie sanft ihm wieder in die Augen zu sehen.
"Ich hatte keine Sekunde Angst um mich", stellte er klar, "nur um dich, dass ich dich verlieren könnte."
Sie biss sich auf die Unterlippe, sah ihn entschuldigend an. Niemals hatte sie ihm solche Angst machen wollen. Sie hatte seine Panik gesehen, als er sie ans Ufer zog, dass sie nur ihr galt, hätte sie sich nie eingebildet. Es machte ihr das Herz schwer. Sie sah die Furcht und den Schmerz in seinem Gesicht, als er daran dachte, was hätte passieren können. Es machte den Schmerz, den sie ihm noch zufügen würde wieder realer, greifbarer. Nie hatte sie ihn verletzen wollen. Sie war so egoistisch gewesen, diese Beziehung einzugehen, in dem Wissen, ihn zu verletzen, wenn sie ging. Wie sollte er ihr das jemals verzeihen? Sie dachte an den Severus Snape aus ihrer Zeit und wie seltsam es sein würde, auf einmal wieder ihn, anstatt seiner achtzehn-jährigen Version vor sich zu haben. Wie anders er sein würde. Aber diese Seite, diese Version von ihm, würde immer noch ein Teil von ihm sein, tief im Inneren. Deswegen hatte sie definitiv etwas weniger Angst davor, seinem zukünftigen Ich zu begegnen. Aber würde diese Version von ihm sie noch wollen? Die jetzige Version mochte sie lieben, aber würde es die zukünftige auch noch tun? Und falls nicht, könnte er mit der Zeit wieder lernen sie zu lieben? Sie wusste es nicht, sicher war nur, dass sie ihn lieben würde, trotz allem, was noch geschehen würde, was er noch erleben und tun würde und was all das aus ihm machen würde - einen zynischen, oftmals spitzzüngigen Professor. Es würde keinen Unterschied für sie machen. Er wäre immer noch irgendwie der Junge aus dieser Zeit, wenn er es auch gut versteckt hielt. Immer noch beschützerisch und aufopferungsvoll. Der Mann, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte.
"Ich weiß nicht, ob du es vorhin gehört hast, aber..", begann er und sie küsste ihn, schnitt ihm damit das Wort ab.
"Du bist der Eine, Severus Snape", sagte sie, widerholte seine Worte, "immer und noch ewig."
Ein breites Lächeln bildete sich auf seinen Zügen und sein Herz jubilierte in seiner Brust. Er liebte dieses Mädchen, mehr als jemals etwas zuvor und welch ein unglaubliches Glück, dass sie das gleiche fühlte.
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