Pix' Studio
Am nächsten Morgen wurde ich von Dodo geweckt. Dieser entschuldigte sich mehrfach dafür, dass er mich wach geklingelt hatte – trotz meiner Beharrung, dass es nicht schlimm war. Er hatte mir die Einkäufe gebracht und begann gerade voller Eifer den Inhalt der Tüten einzuräumen, als ich ihn bremste.
Ich war ein Morgenmuffel und so viel Hektik und Gespräch in der Frühe konnte ich einfach nicht vertragen. Als ich Dodo endlich dazu bewegt hatte, mich alleine zu lassen, musste ich mir erst einmal einen Kaffee brühen. Es war schon kurz nach zehn, doch der gestrige Abend war länger geworden, als ich es erwartet hatte. Die anderen waren zwar gegen zwölf fast alle gegangen, doch mit Pix und Alex hatte ich noch bis drei Uhr dagesessen und mich unterhalten.
Ich war froh, dass wir drei auf einer Wellenlänge waren. Als die Zugpferde der Band würde ich sicherlich mit ihnen den meisten Kontakt haben. Pix eröffnete mir gestern Abend, dass er mir heute das Tonstudio zeigen würde, und Alex hatte angekündigt, gegen Mittag zu uns zu stoßen, damit wir gemeinsam in das Material hereinhören konnten, das Eisbrechern noch auf der hohen Kante hatte.
Nachdem mein Kaffee endlich durchgelaufen war, genoss ich eine kleine Schüssel Müsli mit Obst und frischer Milch, die mir Dodo mitgebracht hatte. Er war offensichtlich so jemand wie Jenny für die Jungs. Die gute Seele und der Mann für alles, denn allem Anschein nach spielt er keine musikalische Rolle in der Band.
Nachdem ich gefrühstückt und mich fertig gemacht hatte, ging ich zu Pix' Wohnung hoch. Er schien selbst gerade erst aufgestanden zu sein und machte auf mich keinen frischen Eindruck.
„Soll ich später wieder kommen?", fragte ich ihn und folgte ihm in die Küche.
Das Chaos hier drinnen stand dem im Wohnzimmer um nichts nach. Hier stapelten sich die leeren Pizzakartons auf dem Tisch und das Geschirr in der Spüle. Anscheinend war dies eine Singlewohnung.
„Nee, schon ok. Ich muss den Wecker nicht gehört haben. Brauch jetzt erst mal 'nen Kaffee und dann können wir runter gehen. Wo sind nur diese verfluchten Pads?"
„Dort oben auf dem Schrank stehen welche."
„Oh, danke!" Er griff nach der Metalldose und legte das Pad in die Maschine ein.
Kurz darauf dröhnte der Kaffeeautomat und dann war es wieder still. Pix nahm seine Tasse, ging hinüber zur Fensterbank und zog das Ladekabel von seinem Handy ab.
„Alex hat ja auch schon angerufen", stellte er trocken fest und schlürfte am heißen Kaffee. „Setz dich doch!"
Ich nahm auf dem einzig freien Stuhl Platz und sagte: „Hat er auf die Mailbox gesprochen?"
Pix schüttelte nur mit dem Kopf, drückte die Rückwahltaste und verließ kurz die Küche.
Einige Türen knallten und es vergingen zehn Minuten, bis er wieder erschien, doch dieses Mal sah er etwas gepflegter aus und hatte sich offensichtlich auch umgezogen. Pix stellte die leere Tasse zu dem anderen Geschirr in die Spüle und sprach: „Alex meint, er kommt später. Er hat grad 'n bisschen Stress mit seiner ...", er stockte irritiert und überlegte einige Sekunden, „mit Jessy", sagte er schließlich schulterzuckend. „Sollen wir trotzdem runter gehen?"
„Gerne!", antwortete ich wahrheitsgemäß und hopste von dem Stuhl. „Bin schon ganz neugierig, nachdem was, ihr mir gestern alles erzählt habt."
Ein Hauch von Stolz erschien auf dem Gesicht des Produzenten.
Und Pix hatte nicht übertrieben. Ich mochte nicht wissen, wie viel Geld er in diese Anlage gesteckt hatte, doch sie hatte wenig mit einem Home-Recording-Studio gemein, sondern stand einem professionellen Tonstudio in fast nichts nach. Und so wurde mir auch klar, warum mein Major Label zugestimmt hatte, die Vorab-Aufnahmen hier abwickeln zu dürfen. Sein Studio verfügte über einen gut eingerichteten Kontrollraum, in dem die Monitore, Klangerzeuger und Mischpulte standen und der Aufnahmeraum war durch eine schallgeschützte Tür abgetrennt, sodass man nur durch ein kleines Fenster hineinschauen konnte.
Pix erklärte stolz die Funktion der verschiedenen Instrumente, spielte mir einige Stücke vor und zeigte mir, wie er sie mit der Technik veränderte, manipulierte und koordinierte. Seine Arbeit war sehr beeindruckend, zumal ich keinerlei Erfahrungen mit Mischern, Synthesizern und anderen Effektgeräten hatte. Bisher hatte ich immer auf die konventionelle Art Musik gemacht und die Verarbeitung wurde von Labelfachleuten ausgeführt, die das Material nach meinen Vorstellungen und Wünschen bearbeitet hatten.
Es war interessant, einen Einblick in diese Arbeit zu erhalten und zu erfahren, wie die Abläufe waren und worauf das Hauptaugenmerk lag.
Die Zeit verging, ohne dass wir es bemerkten. Erst als die Tür aufflog und ein ziemlich schlecht gelaunter Alexander in den Kontrollraum rauschte, wurde uns bewusst, dass es schon mindestens später Nachmittag sein musste.
„Hey Mann, du hast ja immer noch so eine üble Laune", sagte Pix zur Begrüßung.
Ich verhielt mich ruhig, denn er schien wirklich noch auf hundertachtzig zu sein und in diesem Zustand schüchterte er mich tatsächlich ein.
Alex zog sich Basecap und Sonnenbrille vom Kopf und fuhr mit der Rechten über den kahlen Schädel, während er tief durchatmete.
„Nicht der Rede wert, Pix!"
„Sicher? Du siehst echt nicht-"
„Es geht mir gut!", zischte er und setzte sich anstatt der Sonnenbrille eine Brille mit klaren Gläsern auf die Nase, doch er sah noch immer furchtbar wütend aus.
So wütend, dass ich lieber den Mund hielt und auch Pix hakte nun nicht mehr nach.
„Lasst uns doch einfach mit der Arbeit beginnen", schlug Alex vor und sah sich um.
Sein Blick fand mich und er zwang sich zu einem Lächeln, als er herüberkam. „Entschuldige, Joanne. Hab' dich gar nicht begrüßt. Servus!"
„Schon okay", versicherte ich ihm, noch immer etwas unsicher und erwiderte seinen Gruß. „Jeder hat mal einen schlechten Tag."
„Ja", spottete Alex, zog sich einen Stuhl heran und nahm neben uns Platz, „und Jessy jeden zweiten!"
Pix ignorierte seinen Einwurf und lud das letzte Stück auf den Bildschirm, um es Alex zu präsentieren.
„Wir waren schon fleißig. Willst du mal reinhören?", fragte er.
„Sicher", antwortete der Frontmann, lehnte sich zurück und zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche, um sich eine anzuzünden. „Dann lasst mal hören, was ihr schon ausgetüftelt habt."
Die Zeit verrann, wie sie immer verrinnt, wenn einem die Arbeit gut von der Hand ging. Ich hatte mir einige Notizen gemacht, während die Jungs mir die alten Stücke von sich vorspielten. Ein paar Ideen konnten wir direkt umsetzen, andere mussten wir aus Zeitgründen verschieben. Ich hätte gerne noch ein paar zusätzliche Instrumente zum Einsatz gebracht, doch davon waren weder Pix noch Alex begeistert. Die beiden wollten einfach bei ihrer alten Bandbesetzung bleiben und wir einigten uns schließlich darauf, den einen oder anderen Bonustrack auf die CD zu packen, wenn wir denn erst einmal soweit waren.
Ruckzuck war es auch schon Abend und Dodo, der von Alex angerufen worden war, brachte Abendessen vom Chinesen vorbei, sodass wir den Tag gemeinsam gemütlich ausklingen lassen konnten. Anscheinend hatte die Arbeit Alexander genügend Ablenkung gebracht, denn er war seit dem frühen Abend wieder daran, Witze zu reißen.
Es war schon knapp vor zwölf, als die lustige Runde sich auflöste und Dodo den Auftrag von Alex erhielt, mit den anderen einen Termin für das nächste Treffen zu vereinbaren. Es war an der Zeit, dass wir uns auf ein Thema für das neue Album einigten und, wie die Jungs ja bereits angedeutet hatten, uns für ein Brainstorming trafen.
Ich fiel an diesem Abend hundemüde ins Bett und hoffte dabei, dass es mir zumindest morgen gelingen würde auszuschlafen. Zudem nahm ich mir vor, nach dem Aufstehen Jennyfer anzurufen, um mich über ihr Wohlergehen zu Erkundigen und natürlich auch, um ihr von den ersten Ergebnissen zu berichten, bevor sie mir wieder eine Standpauke halten würde.
Ich löschte das Licht und die Gedanken und Gespräche hallten noch einige Zeit in meinem Kopf nach. Doch es waren nicht die Melodien, die mich wachhielten, sondern Alex' sonderbares Verhalten und die Bitterkeit, mit der er in den ersten Stunden noch gekämpft hatte.
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