.:17:. Auf den Spuren von ...
Langsam kam sein Ziel in Sicht. Schwach zeichnete sich der Schatten des kleinen Hauses in der Dunkelheit der Nacht ab. Wüsste er nicht, dass es diese Hütte gab, er wäre vermutlich einfach daran vorbei gelaufen. Hohe Bäume umgaben die Holzhütte und machten sie für die Augen Unwissender geradezu unsichtbar. Die Läden waren geschlossen, einzig und allein unter der Tür stahl sich ein wenig Licht nach außen. Ein wirklich gutes Versteck. Nur waren die Nutzer dieses Versteckes weniger geschickt in puncto Tarnung gewesen als deren Versteck. Ansonsten wären seine Leute nicht so leicht dazu in der Lage gewesen, es aufzufinden. So überragend waren diejenigen, die er mit dieser Aufgabe betraut hatte nun wirklich nicht.
Ein Schatten löste sich von einem der nahestehenden Bäume. Unsichtbar für jemanden, der nicht über sein Sehvermögen verfügte. Neugierig, wie seine Leute das Gebäude gesichert hatten, blieb er stehen. Ein kleiner Test konnte nicht schaden. Lehrbuchmäßig schlich sich der Wachmann an. Nicht schlecht, wenn er bedachte, dass diese Person zu den Unerfahrenen der kaiserlichen Armee gehörte und noch nie an einer geheimen Mission teilgenommen hatte. Und dann machte er den unweigerlichen Fehler. Einen, der im Lehrbuch vorgeschrieben war. Er hatte den Ausbilder mehrfach darauf aufmerksam gemacht.
„Schnelle Bewegungen beim Anschleichen?" Der arme Kerl hatte sich auf diese unvorsichtige Weise in seine Reichweite gebracht. Noch bevor der andere seine Waffe justieren konnte, hatte er ihn an der Kehle gepackt und die waffenführende Hand so gedreht, dass der Unglückliche sich bei einer Bewegung selbst aufgespießt hätte. „Lass es langsam angehen. Schnell bedeutet oft lauter." Als der Soldat einen erstickten Laut von sich gab, ließ er ihn los.
„Verzeiht." Der andere sank devot auf die Knie. „Ich musste nicht, dass Ihr..."
Mit einer raschen Handbewegung schnitt er dem Mann das Wort ab. „Dein Vorgesetzter."
Hastig sprang der Mann auf die Füße, geriet kurzzeitig ins Stolpern und hielt mit wackeligen Schritten auf die Tür zu.
Die Tür öffnete sich und ein schwacher Schein traf auf den Erdboden. Die erleuchtete Stelle verdunkelte sich, als ein Hüne von Mann im Türrahmen erschien und die draußen Stehenden skeptisch musterte. Als sein Blick auf den kreidebleichen Soldaten fiel, runzelte er leicht die Stirn und musterte dann den Ankömmling. Augenblicklich weiteten sich seine Augen und er verneigte sich tief. „Bitte, tretet ein."
Der Innenraum war klein und ähnelte der Wohnküche eines Bauernhauses. Die rustikale Einrichtung wirkte wenig einladend, aber diese Hütte sollte ja auch nicht zum Verweilen einladen. Er war froh, dass es ihm erspart geblieben war, unter solch ähnlichen Umständen zu leben.
Die Tür wurde geschlossen und der stämmige Mann, ebenfalls ein Soldat, deutete auf eine unscheinbare Tür. „Der Boss ist hinten."
Mit einem knappen Nicken öffnete er die Tür und trat in einen schmalen Flur. Prüfend ließ er seinen Blick über die Wände schweifen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er die beiden geschickt in der Holzverkleidung versteckten Türen entdeckte. Doch diese waren gerade nicht sein Ziel. Die Person, die er treffen wollte, hielt sich hinter der Tür auf. „Ich hoffe, ihr habt eine glaubwürdige Begründung, weshalb ihr mich stört", tönte eine schnarrende Stimme, noch bevor er die Hand ausgestreckt hatte, um die Tür zu öffnen. Er wusste, warum er die Nächtlichen oder Nachtalben, wie sie auch genannt wurden, nicht ausstehen konnte.
„Man sollte meinen, du hättest gelernt, dein eigenes Volk von den anderen zu unterscheiden." Wenig begeistert, sich mit diesem Mann abgeben zu müssen, stieß er die Tür auf. Dahinter verbarg sich ein ärmlich eingerichtetes Zimmer. Ein Holztisch und ein unbequem aussehender Holzstuhl, auf den derjenige saß, zu dem diese mäßig angenehme Stimme gehörte.
„Hoheit." Der bleiche Alb neigte leicht den Kopf. „Oder sollte ich sagen, mein alter Schüler?"
Ungerührt hielt er dem stechenden Blick der giftgrünen Augen stand.
Auf den blassen Zügen seines Gegenübers zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln ab. „Noch immer so misstrauisch." Der Soldat erhob sich. Dabei fiel auf, wie ausgesprochen zierlich der Mann selbst in seiner Rüstung wirkte. Wie viele Alben hielt auch sein Gegenüber es für unästhetisch, sich körperlich zu betätigen. Eine Eigenart, die er nie hatte verstehen können.
„Ich bin nicht hier, um über vergangene Zeiten zu reden." Genau eine Woche hatte er es bei diesem Volk ausgehalten, bevor er zurück zu seinen Eltern geflüchtet war.
Die blassen, dünnen Lippen des Anderen kräuselten sich leicht. „Natürlich. Du kommst nicht für ein Pläuschchen. Immerhin bist du unser aller Stolz. Auch wenn du dich unseren Bräuchen gegenüber verschließt."
Und das war der Moment, an dem er wieder wusste, warum er einen großen Bogen um diese Wesen machte. „Dein Auftrag?"
„Mein Lieber." Der Nachtalb setzte sich mit noch immer gekräuselten Lippen auf den Tisch. „Warum zweifelst du an mir?"
Diese Frage bedurfte keiner Antwort. Unverwandt sah er sein Gegenüber an, bis der einknickte.
„Unten im Keller. Ich dachte mir, du würdest ihn gerne persönlich vernehmen."
Natürlich wollte er das. Dennoch war er sich sicher, dass es nicht der einzige Grund war, weshalb der Nachtalb sich nicht mit dem Gefangenen auseinandergesetzt hatte - er hatte einfach keine Lust gehabt, sich nach unten zu begeben. Innerlich aufseufzend verließ er den Raum und nahm auf gut Glück eine der beiden versteckten Türen. Eine Abstellkammer. Wozu um alles in der Welt versteckte man eine Abstellkammer? Irritiert versuchte er es mit der zweiten Tür. Dieses Mal führte eine enge Treppe in einen gut ausgebauten Keller. Die unterirdische Etage umfasste drei Räume, die Wände allesamt aus Stein. Im hintersten Raum fand er einen an die Wand geketteten Mann vor. Eine einzige Lichtquelle erhellte das Dunkel und ermöglichte es ihm, ihn genauer in Augenschein zu nehmen.
Seinen Informationen zufolge war das der Anführer der Söldner, die die Welten gewechselt und anscheinend seine Schwägerin und seinen Schwager angegriffen hatten. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass es sich bei diesem etwa 1.80 m großen, grobschlächtigen Kerl um einen Fenoderee handelte. Sie waren für ihre körperliche Stärke bekannt, dafür aber weniger für ihre geistigen Fähigkeiten. Dieses Exemplar hier hatte lange, verfilzte braune Haare und stumpfe dunkle Augen. Seine Hände waren ihm mit an der Decke befestigten Seilen über dem Kopf zusammengebunden worden. Seine Kleidung hing in Fetzen von seinem Körper und verliehen ihm ein verwegenes Äußeres.
„Sieh an. Zuerst ein Vertreter und nun einer der Gesegneten höchstpersönlich." Der Mann spuckte ihm die Worte verächtlich vor die Füße.
Er war Schlimmeres gewohnt. „Sieht ganz danach aus." Bevor er sich für sein weiteres Vorgehen entschied, musterte er ihn eingehend. Dieser Mann war am Ende. Was auch immer die Soldaten mit ihm angestellt hatten, Gewalt war wohl nicht die geeignetste Vorgehensweise. „Redest du freiwillig oder muss ich dich dazu bringen?"
Spucke landete vor seinen Füßen. Bei diesem Wesen war es mit der Intelligenz wirklich nicht weit her. Innerlich aufseufzend legte er seinen Mantel ab und zog sein Hemd aus. Es war eines der wenigen Kleidungsstücke, die seine Frau so toll fand, dass sie es sich gelegentlich ausborgte. Er wollte es nicht beflecken.
„Mein Lieber, ich gebe dir jetzt ein letztes Mal die Chance. Ich bin nicht besonders begeistert hier zu sein, also strapaziere meine Geduld nicht über."
Wieder einmal bewies die Kreatur vor ihm ihr bescheidenes Ausmaß an Intelligenz, indem sie es vehement ablehnte, auf seinen Vorschlag einzugehen. Seine eigene Schuld.
Mit den gewünschten Antworten rückte er sein Hemd zurecht und warf sich seinen Mantel über. Nach einem letzten Blick auf den in den Seilen hängenden Mann verließ er den Kellerbereich. Auf dem Weg nach draußen machte er sich nicht einmal die Mühe, sich von seinem Artgenossen zu verabschieden. Die anderen Soldaten hingegen grüßte er im Vorbeigehen mit einem knappen Nicken. Ungesehen entschwand er in der Nacht. Während er zu dem kleinen Dorf lief, in dem er sein Pferd gelassen hatte, dachte er über die kargen Informationen des Fenoderee nach. Eine gewünschte Anzahl seiner Leute hatte sich zu festgelegten Zeitpunkten an beliebigen Orten im ganzen Reich und auch im Nachbarreich einzufinden, wo sie genauere Informationen über die Mission erhielten. Ihm war nur bekannt, dass es darum ging, unbemerkt eine Person zu finden und alle, die mit ihr in Kontakt standen umzubringen. Das bedeutete, dass mehr Wesen in Gefahr waren als sie bislang angenommen hatten.
Nachdem er sich unbemerkt zurück ins Gästezimmer des Dorfgasthauses, ein kleines Zimmer mit Bett und Schreibtisch ausgestattet, geschlichen hatte, setzte er sich mit dem Kaiser in Verbindung.
„Du bist schneller als erwartet."
Er ignorierte die überrascht klingende Begrüßung. „Ich brauche einen erfahrenen Mann, der am morgigen Abend die Rolle eines Söldners einnimmt."
„Du willst einen Lockvogel."
„Ich brauche einen", korrigierte er seinen Herrscher ungeduldig.
Dieser atmete hörbar aus. „Du garantierst für die Geheimhaltung."
„Selbstverständlich." Sollte der Lockvogel prekäre Informationen erhalten, würde er dafür sorgen, dass er sie vergaß. Nach einer kurzen Weile stimmte der Kaiser zu und er gab ihm die geforderte Adresse durch.
„Übereile es nicht."
Genervt fuhr er sich durchs Haar. „Ich bin kein Anfänger mehr."
„Nein", entgegnete Raphael geduldig. „Aber du willst nicht auf Mission sein."
„Ich kann mich auf meine Aufgabe konzentrieren."
Der Kaiser seufzte. „Ich unterstelle dir nicht, dass du unaufmerksam bist. Ich bitte dich lediglich darum, bedacht vorzugehen."
Ein allzu bedachtes Vorgehen würde mehr Zeit in Anspruch nehmen. Mehr Zeit, als er sich dafür zu nehmen bereit war. Vielleicht war dieser Termin der letztmögliche. Wer wusste, wann diese Söldner ihr Ziel erreicht hatten? „Hab ein bisschen Vertrauen in meine Methoden."
Er beendete das Gespräch und schlug eine der Karten auf, die er mitgebracht hatte. Der Ort, an dem sich der Verantwortliche mit dem Söldnerteam treffen sollte, war ein Wegepunkt an einer wenig genutzten Strecke. Die Zielregion war hügelig und von einigen Waldstreifen durchzogen. Wenn er das richtig einschätzte, bot diese Gegend gute Schutzmöglichkeiten - für Freund und Feind gleichermaßen. Bevor er planen konnte, brauchte er einen genauen Überblick. Gut, dass der Ort in erreichbarer Nähe war, denn das ersparte ihm aufwendiges Reisen.
Da er für heute nichts mehr tun konnte, packte er seine Sachen und legte sich ein wenig hin. Ausruhen konnte nicht schaden. Immerhin wusste er nicht was ihn dort erwartete. Angesichts des Ortes und des verschwiegenen Vorgehens erwartete er jedoch keinen allzu großen Auflauf.
Bevor er sich gestattete zu ruhen, ging er seiner Angewohnheit nach und tastete nach seiner Frau. In den letzten Jahren war das Band zwischen ihnen intensiver geworden, sodass er jetzt in der Lage war, sie über weite Distanzen zu spüren. Ruhe und Entspannung strömten ihm entgegen. Sie schlief tief und fest. Beruhigt ließ er zu, dass der Schlaf auch ihn einholte.
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