- Prolog -
Wie jeden Morgen wurde ich durch die Sonne geweckt. Ich brauchte trotzdem einen Moment bis ich wirklich wach war und mich aufsetzen konnte. Noch etwas schläfrig blickte ich aus dem Fenster hinaus und lächelte, als ich den strahlend blauen Himmel sah.
Nach einem weiteren Moment stand ich auch endlich auf und nahm die Tasse, welche von gestern Abend noch neben meinem Bett stand. Bevor ich einschlief trank ich jedes Mal eine Tasse Tee. Ohne konnte ich einfach nicht schlafen.
Mit der Tasse in der Hand ging ich zum Fenster und machte dieses weit auf. Kurz schloss ich meine Augen und genoss die Strahlen, welche meine Haut wärmten. Doch irgendwie hatte ich auf einmal ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Irgendwas würde heute passieren und ich war mir sicher, dass es mir nicht gefallen würde.
Ich lief die Treppe hinunter in meine kleine Küche und bereitete mir meinen Tee zu. Nach dem Gemma ihre zweite Tochter zur Welt gebracht hatte, war ich aus unserem Familienhaus ausgezogen.
Es gab mehrere Gründe für meinen Auszug. Gemma brauchte mehr Platz und ich wollte einfach meine Ruhe haben. Es gab schon genug Jahre, in denen es nur Trubel gab. So war ich schließlich in mein eigenes kleines Haus am Rande unseres Dorfes gezogen.
Es war tatsächlich auch eine der besten Entscheidungen. Hier konnte ich mich endlich wieder erholen und Kraft sammeln.
Als der Tee fertig war, nahm ich mir die Tasse und setzte mich raus auf die Treppenstufen und reckte mein Gesicht der Sonne entgegen. Schon jetzt war es ordentlich warm, der Sommer kehrte ein und brachte auch all die schönen Blumen und Tiere mit sich.
Ich leerte meine Tasse, stellte sie auf den letzten Absatz und schritt in Richtung Grenze. Ich war mir sicher, dass Liam und Zayn bereits alles abgelaufen waren. Allerdings machte ich mir gerne selbst ein Bild von der aktuellen Situation.
Meine Verwandlung dauerte nicht länger als ein Atemzug. Ich schüttelte mich kurz und fing dann an die Grenze, welche mit einem großen Abstand um unser kleines Dorf verlief, abzulaufen. Es war wie eine Art Schutzwall. Wir konnten ohne Probleme hindurch und auch wieder zurück, doch Fremde wurden an der Durchquerung gehindert. Wirklich unmöglich war es jedoch nicht und deswegen musste unsere Schutzwand kontrolliert werden.
Da es aber keine Auffälligkeiten gab, macht ich mich auf den Rückweg. Allerdings verwandelte ich mich, als ich an einer Blumenwiese vorbeikam und stellte einen kleinen Strauß zusammen. Leider hatte ich das Band vergessen, weswegen ich kurzerhand meine Haare öffnete und das Lederband verwendete, um die Blumen zusammenzubinden.
Ich ging zu unserer kleinen Grabstätte, welche etwas abseits von den Häusern und umrandet von verschiedenen Bäumen war. Mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen blieb vor einem bestimmten Grab stehen. Langsam setzte mich ins Gras, nahm die Blumen von gestern beiseite und legte den neuen Strauß hin. Langsam strich ich über den Grabstein und ließ meine Hand mit geschlossenen Augen für einen Moment dort verweilen.
Ich vermisste meinen Omega. Mal gab es Tage, an denen ich ihm nur Blumen brachte und nicht weiter an ihn dachte. Doch manchmal vermisste ich ihn so stark, dass ich stundenlang hier im Gras saß und an sein wundervolles Lachen und an seine strahlenden Augen zurückerinnerte.
Joshua war schon immer krank gewesen. Seit seiner Geburt hatte er ein schwaches Herz. Aus diesem Grund hatte ich mich auch nie an ihn gebunden. Er hätte es einfach nicht überstanden. Wir lebten zusammen und das war für mich viel wichtiger, als ihn für alle sichtbar zu kennzeichnen. Jeder wusste, dass er mein war und wagte es nicht dies in Frage zu stellen.
Nach einem weiteren Moment stand ich auf, strich das letzte Mal über den Grabstein und nahm die alten Blumen mit. Da ich heute mit meinen beiden Nichten verabredet war, lief ich zu meinem Elternhaus und trat ein.
Bei uns war es gang und gebe, dass wir einfach die Häuser betraten. Wir waren wie eine große Familie. Wenn man nicht wollte, dass jemand hereinkam schloss man einfach ab. Ich betrat die Küche und begann damit das Frühstück für uns alle zuzubereiten. Als ich Schritte hörte konnte ich mir ein Lächeln einfach nicht verkneifen. Gut gelaunt drehte ich mich zu meinen Nichten.
"Harry", riefen beide voller Freude und schlangen ihre Arme um meine Taille. Fest zog ich sie an mich und küsste zuerst Alyssa und dann Rose auf die Stirn. "Na, wie geht es euch beiden?" Jedoch lächelten mich die zwei so breit an, dass sich meine Frage erübrigte.
Gemeinsam bereiteten wir das Frühstück zu und wurden fertig, als meine Schwester mit ihrem Mann die Küche betrat. Herzlich begrüßte ich die zwei und zusammen setzen wir uns an den Tisch und frühstückten. "Und ihr wollt sicher heute raus?" Gemma schaute mich besorgt an und wickelte sich immer wieder eine Strähne um den Finger.
Sie machte es immer, um ihre innere Unruhe zu überspielen. Ich stellte den Becher hin und nickte. "Ich war heute morgen die Grenzen kontrollieren. Soweit ist alles in Ordnung und es scheint auch keiner in der Nähe zu sein. Ich passe auf die beiden auf. Versprochen."
Gemma schien immer noch nicht begeistert zu sein, allerdings wusste sie, dass ich Ally und auch Rose mit meinem Leben beschützen würde. Während wir noch am Tisch saßen sprach ich über die Strecke, welche wir laufen würden. Die Mädchen wollten unbedingt zu einem Fluss, der ca. 20 Meilen südlich unseres Dorfes entlanglief. Er war ziemlich breit, jedoch nicht so tief und man konnte angenehm hindurchlaufen und sich abkühlen.
Als es soweit war, schickte ich die Mädchen hoch auf ihre Zimmer, um sich ihre funktionalen Klamotten anzuziehen. Sie verschwanden sobald wir in Wolfsgestalt waren und wurden sichtbar, wenn wir uns in einen Menschen verwandelten. So kam es zu keinen peinlichen oder eher unangenehmen Zwischenfällen.
Zusammen mit den beiden Schwestern lief ich zur Grenze, bevor wir hindurchgingen verwandelten wir uns. Meine Nichten hatten nicht das braune Fell ihrer Mutter, sondern dass ihrer Oma geerbt. Beide hatten pechschwarzes Fell. Gemeinsam verließen wir das schützende Schild, doch bevor wir losgingen sah ich zu den beiden hinunter.
Wenn ihr etwas bemerkt, oder euch etwas komisch vorkommt, dann sagt ihr direkt Bescheid, verstanden? Ich habe eurer Mutter versprochen euch gesund und in einem Stück nach Hause zu bringen.
Ja, Harry. Wir wissen, wie das abläuft.
Rose schaute mich aus ihren ehrlichen braunen Augen an. Allerdings sah Ally mich ziemlich belustigt an und rollte mit ihren grünen Augen.
Wann haben wir das denn mal nicht gemacht?
Ich knurrte leise und schon war Alyssa still. Ich war nicht wirklich froh darüber, dass sie sich etwas außerhalb des Dorfes ausgesucht hatten, doch ich konnte verstehen, dass sie auch mal etwas anderes sehen wollten.
Zwar durchquerte unser Dorf auch ein wunderschöner Fluss, aber den sah man ja jeden Tag und das war ja langweilig. Gemeinsam gingen wir los und wurden immer schneller. Meine Konzentration lief auf Hochtouren und ich versuchte mich auf die beiden, aber auch auf die komplette Umgebung zu konzentrieren. Ich wollte es vermeiden Fehler zu machen und uns somit in Gefahr zu bringen.
Da wir in einem ziemlich hohen Tempo unterwegs waren dauerte es nicht lange, bis der Fluss in unserem Sichtfeld auftauchte. Doch bevor wir überhaupt in die Nähe des Gewässers kamen hielt uns etwas anderes auf. Schnell trat ich zu meinen Nichten und stellte mich schützend vor sie.
Oh Gott, ist das Blut?
Ja, Rose, dass ist definitiv Blut. Onkel Harry, was ist hier los?
Bleibt bitte hinter mir.
Langsam ging ich mit den beiden in die Richtung, aus welcher der Geruch kam. Ich nahm sie ungern mit, doch komplett unbeaufsichtigt wollte ich sie nicht zurücklassen.
Erschrocken riss ich meine Augen auf, als ich das ganze rot gefärbte Gras sah. Der Geruch nach Metall und Salz lag schwer in der Luft und hinderte einen am Atmen. Mit den beiden Mädchen an meiner Seite lief ich das ganze Areal ab. Es sah aus, als wären hier eine große Menge an Wölfen gestorben.
Mir tat es im Herzen weh, dass hier alles zu sehen aber auch all das zu riechen. Der Geruch brannte sich fest in mein Hirn und den Mädchen schien es nicht anders zu gehen.
Tut mir leid, dass ist gerade bestimmt nicht einfach. Seht ihr jemanden?
Beide verneinten es und blieben langsam stehen. In ihrem Blick lag nicht nur Angst, sondern auch Trauer.
Ich möchte nicht weiter gehen Harry. Tut mir leid, aber das kann ich nicht. Das hier sieht alles so schrecklich aus. Mir wird langsam auch ziemlich schlecht.
Auch Ally stimmte ihr zu und blieb neben ihrer Schwester stehen. Ich nickte zur Bestätigung. Das sie es überhaupt noch aushielten war bemerkenswert. Schließlich durfte man nicht vergessen, wie jung sie noch waren. Ich hingegen hatte das ein oder andere Mal so ein Schlachtfeld gesehen.
Die Chance, dass jemand so etwas erlebte war sehr gering. Leider wusste ich aber auch, wer dafür verantwortlich war.
Wir waren nicht die einzigen die hier lebten. Noch größere und brutalere Wesen trieben hier ihr Unwesen und manchmal kam es vor, dass diese die Schutzschilde durchbrachen. Plötzlich vernahm ich ein leises Wimmern, weswegen ich stehenblieb und genauer horchte. Die Mädchen hatten es ebenfalls gehört, denn sie standen wieder auf ihren Pfoten und versuchten herauszufinden aus welcher Richtung das klägliche Wimmern kam.
Hier lang. Bleibt bitte dicht bei mir. Ich weiß nicht was uns erwartet.
Ally und Rose liefen dicht neben mir und hielten in alle Richtungen Ausschau. Ich entdeckte als erster den hellbraunen Wolf, welcher zusammengekauert im Gras lag und immer wieder leidende Laute von sich gab.
Die Farbe seines Fells konnte man aber eigentlich nur erahnen, denn es war vollkommen mit Blut getränkt. Ich blickte zu meinen Nichten und machte ein Zeichen, dass sie sich mit etwas Abstand hinsetzen sollten.
Ich verwandelte mich und widmete meine gesamte Aufmerksamkeit dem Wolf vor mir. Bedacht hielt ich ihm zuerst meine Hand hin, damit er meinen Geruch wahrnehmen konnte. In seinem Zustand wollte ich ihn nicht verschrecken und auch nicht unnötig stressen. Vorsichtig, nach dem er keine Anstalten gemacht hatte mich abzuweisen, legte ich meine Hand auf seinen Kopf und strich vorsichtig durch sein Fell.
Es war vollkommen verklebt, doch das hinderte mich nicht daran ihm Geborgenheit zu vermitteln. Während ich weiter über seinen Kopf strich, tastete ich mit meiner anderen Hand seinen Körper ab. Zum Glück erkannte ich nur kleinere Wunden und nichts Großflächiges.
Doch auch wenn es nur wenige Wunden waren... Sie heilten nicht. Das Blut sickerte immer weiter heraus und durchtränkte sein Fell. Er hatte vermutlich schon eine Menge verloren, denn er konnte seine Augen kaum offenhalten. Beunruhigt atmete ich tief durch und schaute kurz über meine Schulter hinweg zu meinen Nichten, welche aufmerksam Rücken an Rücken im Gras saßen und alles beobachteten.
Langsam wandte ich mich wieder dem Wolf vor meinen Füßen zu, strich erneut durch sein Fell und fuhr anschließend mit meinen Fingern über seine Schnauze. Für ein paar Minuten schloss er seine Augen. "Hast du Schmerzen?"
Der Wolf blickte mich mit seinen strahlenden blauen Augen an und hob seinen Kopf leicht. Doch plötzlich drehten sich seine Augen nach hinten und sein Kopf fiel wieder ins Gras. Besorgt schaute ich mir seinen Körper erneut an, doch ich fand nichts bis auf die Wunden, welche ich schon gesichtet hatte. Er schien einfach nur sehr erschöpft und müde zu sein.
"Schaffst du es dich zu verwandeln? Es wäre wichtig."
Der Wolf vor mir regte sich jedoch für ein paar Minuten nicht. In der Zwischenzeit schaute ich erneut zu Ally und Rose, aber bei beiden war alles in Ordnung. Sie saßen geduldig im Gras und sahen sich weiterhin wachsam um. Ich atmete tief durch und widmete mich wieder dem Unbekannten. Sanft strich ich wieder über seinen Kopf und lächelte ihn an, als er mich ansah. In seinem Blick lag so viel Schmerz und mindestens genauso viel Angst. Es tat unglaublich weh ihn so zu sehen.
"Hab bitte keine Angst, atme tief durch und versuch dich auf deine menschliche Gestalt zu fokussieren."
Meine Nichten kamen langsam näher und verwandelten sich. "Ist er verletzt?" Ally schaute gespannt von dem hellen Wolf zu mir. Vorsichtig hielt sie ihm ihre Hand hin und begann ihn zu streicheln. Da meine Hand auf seinem Brustkorb lag, spürte ich, wie sich sein Puls langsam normalisierte. Auch Rose tat es ihrer Schwester gleich und zeigte dem Unbekannten ihre Zuneigung.
"Seine Verletzungen heilen nicht und ich glaube, dass ich wegen seinem dichten Fell etwas übersehe. Wir sollten auch nicht mehr lange hierbleiben. Wir sind kaum geschützt und viel zu weit von unserem Dorf entfernt."
Es dauerte noch eine Weile, doch dann hatte er sich verwandelt und lag vollkommen nackt vor uns im Gras. Die zwei Mädchen schauten schnell mit roten Wangen woanders hin, doch mir stockte der Atem. Mit aufgerissenen Augen blickte ich zu dem Unbekannten hinunter und schnappte nach Luft. "Bleibt hier bei ihm. Wenn ihr etwas bemerkt, schreit so laut wie ihr könnt."
Ohne weiter darüber nachzudenken verwandelte ich mich und suchte das ganze Gebiet ab. So schnell war ich lange nicht mehr gelaufen, doch gerade jetzt war es mehr als nötig. Allerdings blieb meine Suche erfolglos und die Barriere des anderen Dorfs hielt mich vom Weiterkommen ab. Ich lief wieder zu den dreien und setzte mich als Mensch schweratmend ins Gras.
"Ich finde keinen anderen Wolf mehr. Hier ist niemand und wir müssen schleunigst los. In diesem Zustand dürfen wir ihn auf keinem Fall zurücklassen. Jetzt sind auch die wenigen Wunden lebensbedrohlich."
"Ist er...?"
Die Stimme von Rose zitterte und geschockt schaute sie vom fremden Wolf zu mir und anschließend zu ihrer jüngeren Schwester. In ihrem Blick lag nicht nur Verwunderung sondern auch Sorge.
"Das sieht man doch", flüsterte Ally und schaute mich verunsichert an.
Ich widmete mich dem Unbekannten und schob sanft einen Arm unter seine Kniekehlen und den anderen unter seinen Rücken. Ohne ihn ruckartig zu bewegen hob ich ihn hoch und drückte den deutlich jüngeren sanft an meinen Körper.
"Ja, er ist schwanger."
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[2392 Wörter, 15/09/2020; 06/03/2021]
Was denkt ihr um wen es sich handelt? ; )
Und eins möchte ich noch loswerden, das gesamte Buch ist einer besonderen Person gewidmet. Und diejenige weiß, dass genau ich sie meine.
Ich hoffe der kleine Tribut bereitet dir so viel Freude wie er mir bringt. Ich musste dich einfach in einem Charakter verewigen.
Danke, dass es dich gibt und mir ein Lächeln auf die Lippen zauberst, wenn du mal wieder ein bisschen idiotisch bist.
Und ja, Goethe ist der beste Musiker aller Zeiten :*
anna xx
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