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longislandicetea - für dich ♡

Lange liege ich im Bett, denke über Johns Worte nach. Er klang nicht, als würde er mich bitten, nach Hamburg zu kommen. Viel mehr war es eine Anweisung. In dem Moment war er eindeutig Bonez, nicht John, der meine Tochter auf Händen trägt.
Mia liebt ihn jetzt schon, nicht ohne Grund hat sie gefragt, ob sie ihn Papa nennen darf. Offensichtlich wird es bald soweit sein, dass ich ihr die Wahrheit sage.

Das Wochenende geht vorbei, John, Marten und die anderen Jungs inklusive Max sind auf dem Weg zu einem Konzert. Wir werden sie die kommende Woche, wenn überhaupt, nur im Fernsehen oder im Internet sehen. Max hat mir versichert, dass er auch in Hamburg sein wird, damit ich nicht allein bin. Ich schätze seine Hilfe sehr, wenngleich ich mir sicher bin, dass er meine Entscheidungen von damals mehr als kritisch beäugt. Ich weiß ja selbst, wie kindisch ich mich verhalten habe.

Wenn ich an den gemeinsamen Abend zurück denke ... John war vom ersten Augenblick an nett, zuvorkommend und einfach lieb. Ganz anders, als man ihn in seinen zahlreichen Insta-Posts, Musikvideos und Interviews kennt. Letztere gibt er eher selten. Zu gern wüsste ich, was der Grund dafür ist.
"Konzentriere dich doch mal!" Kristina schaut mich aus funkelnden Augen an. Wir sind gerade dabei das Sommerfest für die Kinder der Kita vorzubereiten. Unsere Aufgabe war es, Girlanden zu binden. Und ja, Kristina ist zurecht sauer. Schaffe ich sonst mindestens zehn dieser Hexentreppen-Girlanden an einem Vormittag, habe ich bisher noch keine einzige fertig bekommen. "Du scheinst ja sehr weit weg gewesen zu sein. Vielleicht in Hamburg?" Sie denkt wohl, sie hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen, denke ich wütend, setze aber eine fröhliche Miene auf.

"Nein, ich bin hier, alles gut", antworte ich zuckersüß. Ehrlich, ich weiß nicht, wie lange ich mit ihr noch zusammenarbeiten kann. "Ich habe nur überlegt, wo wir die Stände am besten aufstellen. Es soll ziemlich heiß werden und der Garten steht immer in der prallen Sonne."

"Mir brauchst du nichts erzählen, Lotti", grinst meine Kollegin. "Ich habe die Berichte über die Konzerte auch gelesen. Und ich habe auch die Bilder auf Insta gesehen. Offensichtlich bist du nicht die Frau seines Herzens." Wenn ich nicht aufpasse fällt mir jeden Moment die Kinnlade herunter. Von welchen Bildern spricht sie? Ich folge John auf keiner sozialen Plattform, weiß daher wirklich nicht, von welchen Bildern die Rede ist.

"Ich mach Pause", verkünde ich und verlasse den Raum. Schnell gehe ich in das Mitarbeiterzimmer im Keller und zücke mein Handy. In weniger als einer Minute habe ich die Nummer meiner besten Freundin gewählt.

"Hey Süße, alles okay?", begrüßt sie mich. Ich höre ihr Lächeln in der Stimme, wenngleich sie ein wenig sauer auf mich war, dass ich sie nicht zum Grillen bei Max eingeladen habe. Auch die beiden sind befreundet, es wäre ein leichtes gewesen, meine beste Freundin mitzunehmen. Und ich hätte John nicht allein gegenüber treten müssen.

"Nein, keine Ahnung. Du folgst doch John auf Instagram?"

"Ähm ... ja?" Es klingt wie eine Frage und ich kann mir auch schon denken warum.

"Es stimmt also? Er hat sich mit anderen Frauen fotografieren lassen?" Vielleicht verhalte ich mich kindisch, aber er war es doch, der mich nach Hamburg eingeladen hat. Und ich doofe Kuh habe sogar schon kurzfristig Urlaub für Freitag und Montag eingereicht.

"Mit einer Frau", gesteht Elli. "Es war nur eine Frau und die ist in seinem Leben keine Unbekannte." Mein Handy vibriert, also stelle ich Elli auf Lautsprecher und gucke, was sie mir geschickt hat. "Sie ist ein Tattoo-Model und taucht schon seit ein paar Jahren immer wieder auf seinen Bildern auf. Soweit ich weiß arbeitet sie manchmal auch für Marten. Angeblich - und Lotti, ich meine wirklich angeblich - haben sie und John eine Affäre. Aber ich kann dir dazu nicht viel sagen, nur, was in den Artikeln steht, die ja, wie du weißt, nicht immer die ganze Wahrheit sagen."
Schweigend starre ich auf mein Handy. Ich kenne das Gesicht dieser Frau, sehe vor mir, wie sie Johns Hals küsst.

"Sie war an dem Abend bei Marten in der Bar", erinnere ich mich laut. "Als wir aus dem Theater kamen oder den Abend vorher ... ich bin mir nicht mehr sicher. Aber sie war da und saß auf seinem Schoß." Diese Haare, dieses platinblonde, fast schon graue Haar hätte ich, in Verbindung mit den zahlreichen Tattoos, überall wiedererkannt. Wie kann er mir das antun? Er wollte Kontakt zu uns; er war es, der mir auf unheimliche Art immer wieder begegnet ist. John hat keine Ruhe gegeben. Und nun lässt er sich mit dieser Frau ablichten. "Wie konnte ich nur so blöd sein?", frage ich meine Freundin. "Ich habe mir frei genommen, um übermorgen mit Mia nach Hamburg zu fahren. Nach diesem Fotos mache ich mich doch komplett lächerlich."

"Also willst du nicht zu ihm fahren?"

"Ich kann nicht! Ich will nicht mit einer Frau konkurrieren, die viel besser in sein Leben zu passen scheint." Eine einsame Träne bahnt sich ihren weg über meine Wange. Schnell wische ich sie weg, niemand soll mir ansehen, dass ich geweint habe. "Es war eine dumme Idee, John überhaupt in unser Leben zu lassen."

"Lotti, ich weiß, du bist verletzt, aber..."

"Elli, da gibt es doch kein aber mehr! Er hatte seinen Spaß mit mir und nun hat er wieder mit einer anderen Spaß. Ende der Geschichte. Mia und ich werden kein Teil von diesem Leben werden. Wenn ich es zu lasse, dass Mia ihren Vater bekommt, dann muss er ihr ein halbwegs stabiles Leben bieten können."

"Du verhältst dich lächerlich und das weißt du auch. Er kann ihr kein Leben bieten, wenn du es nicht zulässt", unterbricht Elli nun mich. "Mein Aber war, dass unter dem Bild auch ein paar Worte stehen, die man sich vielleicht ansieht, ehe man ein Urteil trifft." Wieder vibriert mein Handy. Ich öffne den Link und erstarre.

"Und du glaubst wirklich, dass dieser Spruch es besser macht?", rufe ich aus.

"Nicht besser, aber vielleicht erklärt es auch ein bisschen sein Verhalten", erwidert meine beste Freundin. "Süße, ich muss Schluss machen, ich komme nachher vorbei und hilf dir beim Packen." Und schon hat sie aufgelegt.
Mein Kopf pocht unaufhörlich, so bin ich nicht in der Lage mich auch nur noch fünf Minuten auf das Sommerfest oder die Kinder zu konzentrieren. Schnell schreibe ich Ninni eine Nachricht mit der Bitte, sie möge Mia später aus der Kita abholen. Ich weiß, sie wird es machen, ohne zu fragen, was mit mir los ist. Bei meiner Chefin entschuldige ich mich und mache mich dann auf den Weg nach Hause.
Kurzzeitig überlege ich, meinen besten Freund, der bei der Party dabei war, als das Foto entstanden ist, anzurufen. Doch schnell verwerfe ich den Gedanken. Ich habe kein Recht auf irgendetwas oder irgendjemanden eifersüchtig zu sein. Wenn er eine solche Frau in seinem Leben braucht, dann kann ich daran nichts ändern. Jetzt stellt sich mir nur die Frage, wie ich aus der Hamburg Nummer wieder raus komme. Ich will nicht in seinem Haus wohnen, nicht mal, wenn er nicht da ist.

Obwohl ich erst einmal in diesem wunderschönen, freistehenden Einfamilienhaus war, kann ich mich sehr genau daran erinnern, wie es darin ausgesehen hat. Unten die große Wohnküche, mit den modernen Schränken, dunklen Fliesen und der großen Terrassentür aus Glas. Das graue Sofa, mit diesem unglaublichen weichen Stoff und den großen Kissen. Eine Wendeltreppe führt nach oben, wo nicht nur sein Schlafzimmer, sondern noch drei Zimmer sind. Dazu ein riesiges Badezimmer mit Dusche und Wanne. Wenn ich an eine Zukunft mit John glauben könnte, wäre hier genug Platz für mich, Mia und vielleicht noch ein weiteres Kind. Wenn ich ihm vertrauen könnte.
Kann man lernen zu vertrauen?

Zu Hause angekommen lege ich mich auf meine Couch, nehme mein Handy an mich und mache etwas, was ich zuvor noch nie getan habe. Ich stalke John auf Instagram. So weit ist es also schon gekommen.
Ich öffne die Bilder von seinen letzten Konzerten und was er vorher und nachher unternommen hat. Sie ist auf fast jedem Foto. Ich like nicht eines seiner Bilder, doch es juckt mir in den Fingern, ihm einen Kommentar zu hinterlassen.
Ich öffne das Bild, was ich schon kenne, weil Elli es mir geschickt hat.

Und auf einmal kommt ihr und wollt reden; Ich hab leider keine Zeit. Dieser Satz steht unter dem Bild. Die platinblonde Frau steht dicht an John gedrängt, ihre Zungenspitze berührt fast seine Wange. Muss man dazu noch irgendetwas sagen? Will er mich mit diesem Foto auf Distanz halten? Hat er es bewusst gemacht, um mir weh zu tun? Er müsste sich doch über die Konsequenzen im Klaren sein.
Seufzend lasse ich das Handy sinken, entscheide mich dazu, keinen Kommentar zu hinterlassen. Es würde mir nur noch mehr weh tun und John soll auf keinen Fall merken, dass es mir sehr wohl etwas ausmacht, ihn mit einer anderen zu sehen.
Doch anstatt das Handy wirklich links liegen zu lassen, ergreife ich es erneut und öffne WhatsApp.

Wir fahren Freitag früh los, werden spätestens um elf bei dir sein.

Kaum habe ich die Nachricht an John abgeschickt, werden die Haken auch schon blau, als hätte er nur auf ein Zeichen von mir gewartet.

Ok - mehr nicht. Das ist seine Antwort. Zwei Buchstaben. Für mehr konnte er sich keine Zeit nehmen? Freut er sich auf Mia? Warum will er nicht wissen, ob er für uns irgendetwas einkaufen soll? Er hat sicher nicht die Dinge im Haus, die Mia und ich normalerweise brauchen.

"Verdammt!", schreie ich. Ich merke die Tränen kommen, noch bevor sie mir über das Gesicht laufen. Heute Abend wollte ich Mia sagen, wer John eigentlich ist. Sie liebt ihn und seinen Cousin jetzt schon. Seit dem Wochenende gibt es nur noch die beiden tätowierten Männer und ihre Hunde für sie. Auch in ihrer Kita hat sie von den beiden erzählt. Sie seien ihre neuen besten Freunde, weil sie versprochen haben, am Wochenende mit Mia jeden Disneyfilm zu gucken, den sie möchte. Natürlich will sie die Elsa Filme in ihren Koffer packen, es war das erste, was sie sich bereitgelegt hat.

"Bist du fertig?", frage ich meine Tochter am Donnerstagabend. Sie nickt, schiebt den fast unberührten Teller von sich. "Schatz, du hast ja gar nichts gegessen."

"Ich habe Bauchweh", gesteht mir meine kleine Prinzessin. "Was, wenn ich in seinem Haus auf Klo muss? Ich weiß gar nicht, wo das Klo ist." Ihre blauen Augen sehen verdächtig nach Tränen aus, doch Mia blinzelt sie tapfer weg.

"John wird dir zeigen, wo das Bad ist. Und ich bin ja auch noch da." Beruhigend streiche ich ihr über den Kopf. Auch ich habe vor heute Abend ein wenig Bauchweh. Wie soll ich ihm gegenüber treten? Mal unabhängig von der sexuellen Anspannung zwischen uns, ist es merkwürdig in sein Haus zurückzukehren. Und dann muss ich Mia ja auch noch sagen, dass John ihr Vater ist.

"Mama, darf ich noch einen Film gucken?"

"Ja, aber erst muss ich mit dir sprechen", ergreife ich die Gelegenheit beim Schopf. Gemeinsam setzen wir uns auf die Couch, vergessen ist der Abwasch, den ich eigentlich gerade machen wollte. Jetzt oder nie, nachher habe ich den Mut sicher wieder verloren. "Mia, weißt du, warum wir zu John nach Hause fahren?"

"Weil er mein Freund ist."

"Auch. Aber viel wichtiger ist, dass John ... also ..." Plötzlich weiß ich nicht mehr, wie ich es ihr sagen soll. Wie sagt man seiner vierjährigen Tochter, dass sie ihren Vater schon längst kennt? "Also, du hast mich doch neulich gefragt, ob John dein Papa sein kann. Es ist so ... John möchte nicht nur Papa von dir genannt werden. John ist auch dein Papa."

Jetzt ist es raus, ich habe es ihr gesagt und kann es nicht mehr zurücknehmen. Nun gehört John unweigerlich zu unserem Leben und er wird sich verdammt anstrengen müssen, Mia nicht zu verletzen. Denn wenn er ihr weh tut, bin ich diejenige, die es auffangen muss, die dafür sorgen muss, dass es wieder gut wird.

Mit großen Augen schaut Mia mich an.
"Wirklich?", wispert sie und ich nicke. "Darf ich dann auch Papa sagen?"

"Ich bin mir sicher, dass John sich darüber sehr freuen wird", antworte ich und ziehe meine Tochter fest in meine Arme. Mit einer Hand fische ich nach der Fernbedienung, schalte einen Kindersender an und halte sie ganz fest. Morgen früh fahren wir nach Hamburg, morgen wird sie John das erste Mal mit dem Wissen sehen, dass er ihr Vater ist. Vorbei sind die Lügen, die Geheimnisse. Zumindest von meiner Seite aus.

Auch wenn mich sein Bild verletzt hat, es geht hier nicht nur um mich und ihn. Es geht um die Beziehung, die ihm zu Mia zusteht. Ich kann mich und meine Gefühle hinten anstellen. Auch, wenn es bedeuten sollte, dass ich Miss Platinblond in seiner Nähe ertragen muss.

Später am Abend trage ich Mia rüber in ihr Bett, lasse mich dann erschöpft auf die Couch sinken. In mir scheint sich alles zu drehen, mein Magen fährt Achterbahn. Schon immer war ich vor längeren Autofahrten aufgeregt, schließlich trägt man Verantwortung. Für sich, für die anderen Insassen, aber auch gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern. Doch heute ist etwas anders, es fühlt sich anders an. Seufzend schließ ich die Augen, versuche mich zu entspannen. Doch auch das hilft nichts, im Gegenteil, es scheint mir augenblicklich schlechter zu gehen.

Mit einem Ruck springe ich auf, schaffe es gerade so noch in mein Badezimmer, bevor ich mich in die Toilette übergebe.
Das kann ja was werden.

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