Kapitel 35: Rose
Die Zeit hier vergeht viel zu schnell.
Für mich ist das Wochenende im Disneyland erst ein paar Wochen her. Doch es sind exakt zwei Monate und vier Tage. Solange bin ich auch schon mit Ryan zusammen.
Laut Josh ein Rekord für Ryan. Doch ich schenke seinen provozierenden Kommentaren keine Beachtung mehr.
Carlos hat unsere Beziehung nicht im Geringsten akzeptiert und wenn wir uns in der Schule über den Weg laufen, wendet er den Blick ab.
Auch Susanna und Ryan sind seit dieser Sache in der Küche immer wieder auf Kriegsfuss miteinander und sie duldet ein absolutes «Küssen und Sonstiges Verbot» im Haus und auf dem ganzen Grundstück.
Ryan findet das ziemlich übertrieben, doch ich finde es eher amüsant.
Natürlich hat meine Mutter auch schon Wind von der Sache gekriegt und mir erst einmal einen elendig langen Vortrag darüber gehalten, vorsichtig zu sein und mich nicht zu sehr in die Sache hineinzusteigern, da ich ja bald wieder in Spanien sein werde.
Das ist das Schlimme an der ganzen Sache. Niemand gibt uns eine Chance, weil ich ja sowieso nur die vorübergehende Austauschschülerin bin.
Sogar meine Freundinnen, bei denen Ophelia nun immer mehr mit dabei ist, stehen dem ganzen eher skeptisch gegenüber.
Es stimmt, ich werde wieder zurückgehen. Doch ich habe das Gefühl, dass mit Ryan und mir ist ernst.
So ernst, dass ich mir schon ein paar Überredenstaktiken überlege, um die Highschool hier beenden zu dürfen. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass dies zwecklos ist.
Garantiert werden mich meine Eltern nicht länger hierlassen und das würde auch nicht funktionieren. Ich habe noch vier Wochen an dieser Schule, dann sind Sommerferien und zwei Wochen später werde ich wieder zu Hause sein.
«Hey, Erde an Rose, hörst du überhaupt zu?» Uma wedelt mit ihrer Serviette vor meiner Nase herum.
Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und blicke sie verwirrt an.
«Hm?»
«Heute findet der Abschlusswettkampf der Saison für das Schwimmteam statt und ich habe dich gerade gefragt, ob du hingehst», fasst Uma, die Geschehnisse, welche ich verpasst habe, zusammen.
Wie immer sitzt sie kerzengerade auf ihrem Stuhl, die Beine elegant übereinandergeschlagen. Auch ihr Dutt sitzt makellos und ich prüfe kurz meine Frisur in der Fensterscheibe hinter ihr.
Dann nicke ich. «Ja ich habe vor hinzugehen.»
«Wieso fragst du sie das überhaupt? Seit sie hier ist, hat sie doch noch keinen Wettkampf von ihrem Traumprinzen in knappen Badehosen verpasst», mischt sich Fanny grinsend ein und dippt einen Karottenschnitz in eine hässlich aussehende Diätsauce.
Ich grinse zuckersüss zurück. «Sagt die, die anschliessend in der Garderobe mit einem dieser Traumprinzen in knappen Badehosen rummacht.»
Ich habe das zwar nur zum Spass gesagt, doch auf Fannys Gesicht breitet sich eine leichte Röte aus. Fanny aus dem Konzept zu bringen, ist eigentlich eine Sache der Unmöglichkeit.
«Hast du?», fragt Ophelia erstaunt und lässt ihren Carrageen Moss Pudding, wie sie das Dessert traditionell wegen ihrer irischen Verwandten nennt, auf den Tisch plumpsen, dass er nur so wackelt.
«Also mit Ayden, oder?», schiebt sie zugleich ein wenig ängstlich hinterher, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass nicht Chase gemeint ist.
«Klar, es war nur mit Ayden», winkt Fanny ab und stochert weiter in ihrem Dip herum.
«Nur?», fragt Uma erstaunt und wir grinsen uns verschwörerisch zu.
Fanny erzählt so gut wie nichts über ihre Beziehung mit Ayden. Sie sind zwar irgendwie ein Paar, halten es aber im Moment noch geheim, obwohl es offensichtlich ist.
«Ach kommt schon. Rose, wie wäre es, wenn ich heute mitkomme? Dann musst du nicht allein hingehen?», lenkt sie von Ayden ab.
«Klar, danke Fanny, dass ist echt rührend, wie du dich um mich sorgst», gebe ich sarkastisch zurück, als ich Ophelias Blick begegne.
«Also ich würde ebenfalls gerne mitkommen. Das wird bestimmt lustig. Ein Mädels Abend mal anders», meint Ophelia und versucht möglichst gleichgültig zu klingen.
«Ich habe sowieso nichts anderes vor», schiebt sie schnell hinterher, wobei ich mir ein Grinsen nicht verkneifen kann.
Ich sollte Ophelias heimliche Schwärmerei für Chase eigentlich mal Ryan erzählen. Da lässt sich bestimmt etwas machen.
«Heute kann ich leider nicht. Ich gebe Ballettunterricht», sagt Uma bedauernd und ich nicke verständnisvoll.
Es klingelt zur nächsten Stunde. Wir erheben uns.
«So Mädels, dann also bis später. Wir sehen uns», verabschiedet sich Fanny und schlägt gemeinsam mit Ophelia den Weg Richtung Sporthalle ein.
«Bis später», meint Uma an mich gewandt und getrennt eilen wir in unsere jeweiligen Schulzimmer.
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«Komm schon Ryan, du schaffst das», rufe ich von der Zuschauertribüne aus in Richtung Becken, obwohl ich weiss, dass er mich ziemlich sicher sowieso nicht hören kann.
«Ayden guckt die ganze Zeit zu uns rüber», flüstert Ophelia und ich wende den Blick vom Becken ab, um in Richtung der Jungs zu sehen, welche schon an der Reihe waren und in ihre Tücher gewickelt am Beckenrand stehen.
Ayden hat sein Tuch lässig um den Hals gewickelt und blickt in unsere Richtung.
«Stimmt, ich sehe es auch.»
«Ach könnt ihr mal damit aufhören? Ihr seid ja die unauffälligsten Auffälligen, die ich je gesehen habe», beschwert sich Fanny lachend und steht dann auf.
«Ich muss kurz auf die Toilette, bin gleich wieder da.» Und schon ist sie auch verschwunden.
«Komisch», raunt Ophelia mir kurze Zeit später zu. «Ayden ist auch nicht mehr da.»
Ich werfe einen Blick zum Beckenrand, wo er eben noch stand. Er ist weg. Wir werfen uns einen verschwörerischen Blick zu.
«Interessant», sage ich und Ophelia grinst mich an.
Inzwischen ist Ryan fertig und holt sich seine Medaille ab. Wie schon ein paar Mal hat er es auf das Podest geschafft.
Ein Gefühl des Stolzes überkommt mich und ich umarme Ophelia juchzend.
«Wow», sagt diese nur, als ich sie wieder loslasse und ohne hinzusehen, weiss ich wer gerade die Halle betreten haben muss.
«Sag mal, willst du dich nicht auch endlich mal für das Schwimmteam anmelden?» Sie zuckt unschlüssig mit den Schultern.
«Ich bin mir nicht sicher, ob ich gut genug für die bin. Vielleicht nach den Sommerferien.»
Ophelia ist nicht mehr ansprechbar. Das sehe ich daran, wie ihre Augen wie Kaugummi an einer Schuhsohle, an Chase kleben bleiben.
«Pass auf, dass du nicht von der Tribüne fällst», necke ich sie, ehe ich über die Stühle steige.
«Ich geh dann mal kurz zu Ryan.» Sie nickt abwesend.
Langsam nähere ich mich den Jungs. Will erblickt mich als erster und stösst Ryan in die Seite. Verwirrt blickt dieser zu Will, welcher in meine Richtung nickt.
Ryan sieht mich an und für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, dass er nicht sehr erfreut darüber ist, mich zu sehen.
Doch ich verdränge es und gehe strahlend auf ihn zu.
«Hey, das hast du wirklich super gemacht», sage ich und stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Doch er macht einen Schritt zur Seite und ich weiche zurück.
«Können wir reden?», fragt er und mein schlechtes Gefühl verstärkt sich.
Ich nicke überfordert.
«Am besten gehen wir in die Garderobe», sagt er entschlossen und nimmt mich bei der Hand.
Seine Freunde pfeifen uns amüsiert nach und ich fühle mich noch unwohler. Ich habe Angst vor dem, was er mir gleich sagen wird. Angst, dass es vorbei ist. Angst davor, mich in ihm getäuscht zu haben.
Doch dieses Gefühl verschwindet automatisch, als die Tür der Garderobe hinter uns ins Schloss fällt.
«Hör zu, Rose», sagt er und blickt mir erneut fest in die Augen. «Ich habe es wirklich versucht. Ich wollte unserer Beziehung eine Chance geben.»
Ich schlucke hart.
«Aber?», frage ich und meine Stimme klingt piepsig.
«Aber ich kann nicht. Nicht so. Du wirst bald wieder zurück nach Spanien gehen und in dein altes Leben zurückkehren. Ich bin das Ganze tausendmal durchgegangen. Wie wir gemeinsam eine Fernbeziehung führen können. Mit Besuchen in den Ferien und so weiter. Aber ich bin zum Schluss gekommen, dass ich diese Beziehung nicht so weiterführen möchte. Ich will dich als feste Freundin, für dich da sein, wenn du mich brauchst und das kann ich von der anderen Seite des Atlantiks aus nicht.»
«Aber Ryan, du weisst doch gar nicht, ob es funktionieren wird oder nicht. Warum gibst du uns nicht einmal eine Chance?», frage ich verzweifelt und blinzle die Tränen zurück.
Ich bin verwirrt von dieser Sinneswandlung. Vor ein paar Stunden war alles noch perfekt.
«Weil ich es nicht kann. Rose, ich tue das uns zuliebe. Es wird nicht funktionieren. Manchmal sind es Schatten der Vergangenheit, welche uns unsere Wege nicht gehen lassen.»
«Du machst also Schluss mit mir?»
Ich wage mich diese Frage auszusprechen, obwohl sie überflüssig ist. Und was soll eigentlich dieses dämliche Zitat, welches gerade seinen Mund verlassen hat und dessen Sinn ich nicht verstehe.
Er sieht mir nicht in die Augen.
Mir wird schlecht und ich stütze mich an einem der Kleiderhaken ab. Dann schliesse ich die Augen und suche nach den richtigen Worten. Ich bin zutiefst verletzt, möchte das aber nicht zeigen.
Schlussendlich siegt die Wut und die Verzweiflung. Ich richte mich wieder auf und balle die Hände zu Fäusten.
«Dann hatten die anderen wohl doch recht. Es hat nichts mit der Fernbeziehung zu tun, sondern nur mit dem Wort «Beziehung». Du bist einfach nicht für etwas Festes gemacht. Weisst du was, das hast du ja toll hingekriegt. Dann werde ich statt einem traurig verliebten Herz einfach mit einem gebrochenen Herz nach Hause gehen. Kannst du dann besser schlafen? Weil es dich nichts mehr angehen muss?!»
Die letzten Worte schreie ich nur so heraus. Mittlerweile strömen mir ungewollt Tränen übers Gesicht.
Ryan hebt die Hand, um sie wegzuwischen, doch ich schlage sie erbost weg.
«Rose bitte. Ich tue das nur zu deinem Besten. Es würde nicht funktionieren. Wir würden daran zerbrechen.»
«Das hättest du dir bevor du etwas mit mir angefangen hast überlegen sollen», meine Stimme zittert vor Zorn.
Dann mache ich auf dem Absatz kehrt und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, stürme ich aus der Garderobe.
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