24. Dezember
Während Smilla entspannt und tief schlummerte, brannte das erste Sektorenfeuer von Rubina in dieser Saison langsam herunter. Von den reichlich gebackenen brotartigen Kuchen wurden tatsächlich rund zwei Drittel unter den Gästen verteilt. Den Rest stapelte Jos ordentlich in die Schubkarre zurück und machte sich auf den Weg, um den letzten Teil seines Auftrages zu erfüllen. Tarwo begleitete ihn. Er wollte es nicht noch einmal riskieren, dass seine gute Karre im Feuer landen würde. Smilla's Freunde beschlossen, sich direkt zum Frühstück wieder in der Bäckerei zu treffen. Sven packte dafür einen Rosinenkuchen in seine große Tasche. Sie wollten den Erfolg alle gemeinsam mit Smilla feiern.
Sven war wie immer trotz der langen Nacht schon früh auf den Beinen. Er fertigte schnell eine Ladung Brote und die neuen Festtags-BrötchenCHEN. Anschließend bereitete der Bäcker das Frühstück für die Freunde vor. Der Arbeitstisch in der großen Backstube wurde einfach zum Frühstückstisch umfunktioniert. Drumherum platzierte Sven Stühle für acht Personen. Ein weißes Tischtuch verhüllte nun die Arbeitsplatte. Darauf verteilte er das gute Sonntagsgeschirr. Der Kaffee war gerade fertig, als nach und nach auch schon die Freunde eintrafen. Man begrüßte sich herzlich und bewunderte noch einmal ausdrücklich den Rosinenkuchen. Sven berichtete in diesem Zusammenhang von einer kleinen Verbesserung. "Die Idee mit dem Puderzucker war ja schon richtig gut. Doch schon der kleinste Windhauch trägt ihn wieder fort. Die Lösung dafür - ich habe den Kuchen mit flüssiger Butter eingepinselt und erst dann den Laib überpudert."
Nun wurden noch kleine Mitbringsel verteilt. Antje van Frugteren stellte einen Korb mit frischen knackigen Äpfeln auf die Tafel, Nussinda gab ein mit allerlei verschiedenen Nüssen gefülltes großes Glas dazu. Bellinda la Fee dé Bonbon sorgte natürlich für die Naschereien. Tarwo nahm Sven zur Seite und zeigte kurz nach draußen. Vor dem Fenster stand schon wieder die Karre, auf welcher sich einige Mehlsäcke stapelten. Eigentlich fehlte nur noch Smilla.
Die Freunde stellten sich im Halbkreis um die Türe zur Schlafkammer. Sven klopfte kräftig an. "Guten Morgen, Smilla. Das Frühstück ist fertig und hier wartet eine Überraschung auf dich. Ich würde mich freuen, wenn du mir jetzt Gesellschaft leistest." Diesmal rührte sich auch etwas hinter der Türe. "Ich wünsche dir auch einen guten Morgen. Ich bin gleich bei dir." Smilla hatte wirklich gut geschlafen. Sie ging fest davon aus, dass die Schubkarre voller Asche nie wieder auftauchen würde. Als sich die Türe öffnete und Smilla auftauchte, riefen alle ihre Freunde gleichzeitig - "HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!". Na das war ein Schock. Smilla freute sich zwar sehr, all diese lieben Gnuffels bei sich zu haben. Doch sie verstand eigentlich garnichts mehr. "Hallo, das ist aber eine schöne Überraschung. Aber wofür die Glückwünsche?" Smilla wurde jetzt sanft in die Backstube geschoben. Dort entdeckte sie den festliche gedeckten Tisch. Vor Rührung schlich sich ein einsames Tränchen in ihren Augenwinkel. Dann bemerkte Smilla den weiß gepuderten Rosinenkuchen, welcher mittig die gesamte Tafel dominierte. Irgendwie spürte sie, dass dieses ... Ding etwas mit ihr zu tun hatte.
Sven trat hinter seine Frau und umarmte sie sanft. "Die Idee war gewagt, aber erfolgreich. Jos hat alles richtig gemacht, er war genau der richtige Helfer für deinen Plan." Smilla konnte mit dieser Information absolut nichts anfangen. 'Welcher Plan?' dachte sie angestrengt nach. Sven plapperte unbeirrt weiter. "Du hättest mich auch beinahe überzeugt. Ich hatte fest damit gerechnet, dass da nichts mehr kommt. Erst war ich etwas verstimmt, dass du nicht anwesend bist und wir keine konkreten Anweisungen zur Backzeit und so weiter hatten. Es war sicher auch ein Fehler, Jos keine Backformen mitzugeben." Smilla dämmerte zunehmend, dass hier irgendetwas vollkommen schief lief. Wobei die Begeisterung ihrer Freunde eher als Signal des Erfolges zu deuten war. Sie zog es vor, einfach nichts zu sagen, bis klarer wurde, worum es ging. Sven redete auch ohne ihre Antwort einfach weiter. "Später, als die Leute vor Begeisterung kaum zu halten waren, leuchtete mir schon ein, warum du lieber hier abwarten wolltest. Du bist wirklich sehr klug." Von allen unbeachtet stand Jos in der Ecke am Backofen. Mit jedem Wort, welches aus Sven heraus sprudelte, kamen seine Erinnerungen an den Vorabend zurück und er verstand plötzlich auch den Sinn der Aufgaben, die Smilla ihm gegeben hatte. Sie wollte tatsächlich nichts neues backen. Das Tantchen wollte alles los werden. Jos wurde klar, dass er vollkommen versagt hatte. Und doch schimpfte bisher niemand mit ihm, im Gegenteil. Es lief scheinbar ziemlich gut für Jos.
Sven war hingegen nicht zu bremsen. "Der Erfolg gibt dir absolut recht. Selbst die Dekoration ist ein Volltreffer. Nur eine Sache verstehe ich nicht, Smilla. Was soll das mit dem Stollen?" Jetzt war es genug für Smilla. Sie hatte das Gefühl, ihr würde der Kopf platzen, wenn Sven noch ein Wort mehr redete. Ihr war klar, dass sie nur zwei Möglichkeiten hatte. Entweder JETZT erklären, dass alles ganz anders gedacht war ODER die Flucht nach vorne antreten und das Spiel zu Ende spielen. Ihre Augen huschten von einem Freund zum nächsten und blieben am Ende bei Jos hängen. Sein entschuldigender Blick zurück half Smilla, eine Entscheidung zu treffen. "Nun, ich war mir nach den ganzen Fehlversuchen wirklich nicht sicher, ob es diesmal gelingen würde. Mir erschien es sinnvoller, das Ergebnis erst einmal vor der Öffentlichkeit zu verbergen und mir ein eigenes Bild zu verschaffen. Dafür ist der Stollen perfekt geeignet. Außerdem haben wir in unserer Bäckerei garnicht genug Platz, um alles hier zu lagern." Für einen Moment herrscht absolute Stille. Smilla dachte schon 'Das war es, erwischt.' Da fingen ihre Freunde an, Beifall zu klatschen. Vor allem Jos schlug seine Hände besonders laut zusammen.
Beim gemeinsamen Frühstück probierte Smilla selbst zum erstenmal von IHREM Kuchen und war wie alle anderen davon begeistert. Anschließend spazierte Smilla mit Sven und Jos zum Stollen, um das Ergebnis des Irrtums vom Vorabend selbst zu begutachten. Langsam verstand auch Smilla die Begeisterung ihrer Freunde. Die ganzen Kuchen, die noch übrig waren, lagen in einer langen Reihe nebeneinander und sahen einfach wunderbar aus. Smilla hatte mit der Hilfe von Jos* durch einen Backunfall tatsächlich ein völlig neues Weihnachtsgebäck erfunden.
Da gab es nurnoch eine Frage zu klären und Sven stellte sie. "Wie willst du deinen Kuchen denn eigentlich nennen?“ Smilla** drehte sich ganz langsam um sich selbst und genoss diesen Augenblick, die ganze Atmosphäre. Glücklich sah sie sich im Stollen um und hatte plötzlich die Antwort gefunden ...
Schnell entwickelte sich Smilla's Rosinenstollen zum beliebtesten Weihnachtsgebäck nicht nur in Gnuffelsborg und Rubina, sondern von ganz Nordanien.
Die Stollen in der alten Salzmine zu lagern und dabei eine Weile sozusagen ruhen zu lassen, erwies sich später als weiterer Glücksfall. Immer zur Zeit des Feuerkreises war der Bedarf an Stollen so enorm groß, dass Smilla und Sven mit backen nicht mehr nach kamen. Dank der alten Mine konnten die Bäggerssons viel früher mit der Stollenproduktion beginnen und auch auf Vorrat backen. Außerdem schmeckte so ein Rosinenstollen nach dieser Ruhephase noch einmal besser.
Nun kennt ihr die wahre Geschichte von der Erfindung des heute so beliebten Rosinenstollens.
Frohes Fest!
*Jos half später noch ganz anders. Er wurde nicht Obsthändler, wie seine älteren Brüder. Jos wurde Geselle in der Bäckerei Bäggersson.
**Smilla löste natürlich ihr Versprechen ein. Noch heute findet man oft hinter den Zutaten Zitronat und Orangeat den Zusatz 'erfunden durch Jan van Frugteren'.
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