18. Dezember

Der Abend beim Abt war lustig. Völlig überraschend tauchte auch Tarwo auf. Die drei hatten sich viel zu erzählen und auch viel Bier zu besprechen. Es wurde also ausnahmsweise, wie immer, etwas später, bevor Sven den Heimweg antrat. Seiner Gewohnheit folgend führten ihn seine Schritte zuerst in die Backstube. Er hatte nichts Besonderes erwartet. Smilla war sicher schon im Bett und die Stube gekehrt. Nein, es war nicht die Neugier auf Smilla's Backergebnisse und auch nicht die Hoffnung, dass er irgend etwas davon ZUFÄLLIG entdecken würde. Doch was Sven dann tatsächlich zu sehen bekam, übertraf jede nicht vorhandene Neugier.

Die Backstube war weder gefegt wie versprochen noch aufgeräumt. Überall lagen Backstücke verstreut im Raum. Die Spur der Verwüstung zog sich vom Ofen bis hinein in die Kuchenküche. Sven hatte plötzlich Angst, daß Smilla etwas zugestoßen sein könnte. Er schlich schnell zur Schalfkammer und hörte dort erleichtert ihr leises Schnarchen. Er war seiner Frau nicht wirklich böse. Es musste Smilla wirklich schlecht gehen, wenn sie die Backstube so verlassen hatte. Im Augenblick konnte er das ohnehin nicht klären, denn sie schlief ja tief und fest. Sven räumte noch schnell auf, bevor er selbst für ein wenig Schlaf ins Bett kroch. Es gab nichts schlimmeres für ihn, als morgens, in aller Herrgottsfrühe die Backstube zu betreten und sie nicht aufgeräumt und sauber vorzufinden. Dann lieber jetzt gleich noch ein paar Minuten opfern. Als er die ganzen Backstücke einsammelte, verstand er beim besten Willen nicht, was Smilla da gebacken hatte. Auch das würde er am nächsten Tag mit ihr besprechen müssen. Das große Feuer war an diesem Abend bereits in Topasan* angekommen. Jetzt fehlte nur noch Saphirona und dann kam auch schon für Rubina der große Moment, in welchem das Kommando zum entzünden des riesigen Holzstapels gegeben werden würde. Natürlich liebten alle Menschen dabei die üblichen Leckereien aus der Gnuffelsborger Bäckerei Bäggersson. Es war allerdings auch zusätzlich das Geschäft des Jahres für Sven und Smilla.

Am nächsten Morgen erschien Smilla und sie bemerkte sofort, dass die Spuren der Schlacht, welche sie am Vorabend führte, bereits beseitigt waren. Sven ging den üblichen Tätigkeiten nach. Als er seine Frau erblickte, begrüßte er sie freundlich reserviert. Das verunsicherte Smilla etwas. Sie überlegte, was sie darauf erwidern sollte. Ein Donnerwetter wäre ihr fast lieber gewesen. Also ging Smilla vorerst einfach weiter in ihre Kuchenküche. Die Tür dahin stand offen. Sven hatte auch hier aufgeräumt. Alle Bleche waren gereinigt und ordentlich gestapelt, die Zutaten standen sortiert im Regal und die Arbeitsfläche sowie der ganze Boden glänzten wie nie benutzt. Die eigenartigen Ergebnisse ihrer Arbeit des Vortages fand sie in Lieferkisten wieder. Auf dem Tisch standen zwei Becher mit dampfendem Tee. Smilla spürte einen sehr dicken Kloß in ihrem Hals. Sven stand hinter ihr in der Türe, das konnte sie spüren. Ihre Unsicherheit wuchs ins Unerträgliche. Kommt das Donnerwetter jetzt?

Seine Stimme war weder laut noch aufgeregt, als Sven sprach. "Wir sollten mal reden, Smilla." Die beiden redeten eigentlich den ganzen Tag über viel miteinander. Wenn er das also so hervorhob, war es ernst. "Setz dich doch erstmal. Ich habe uns bereits einen Tee gemacht." Smilla setzte sich brav hin, wie ein Kind, dem man sagte, es solle jetzt endlich seine Kartoffelpuffer aufessen. "Ich weiß, wie sehr dich das hier alles beschäftigt. Keine Ahnung, wie es dazu gekommen ist, doch ich akzeptiere gerne, DASS es so ist. Ich sehe aber auch, dass es dir gerade nicht gut geht dabei. Und so etwas wie gestern Abend darf nicht die Regel werden. Du hast mich zum Abt geschickt, mit der festen Zusage, meine Arbeit zu beenden, die Backstube zu fegen. Stattdessen finde ich unsere Bäckerei in einem Zustand vor, der nur schmeichelhaft mit Chaos zu beschreiben ist. Smilla, ich bin es gewohnt wenig zu schlafen und viel zu arbeiten. Es geht mir überhaupt nicht darum, dass ich doch noch fegen und dein Durcheinander zusätzlich aufräumen musste. Ich mache mir auch keine Gedanken, was passiert, wenn wir den Menschen am großen Feuer dieses Jahr nichts zu verkaufen haben werden. Das verkraften wir schon. Aber ich mache mir große Sorgen um DICH, mein Herz."

Oh ja, das war soviel schlimmer als ein Donnerwetter. Jetzt fühlte sich Smilla noch mieser als ohnehin schon, auch wenn das nicht die Absicht ihres Mannes war. Sie nahm einen kräftigen Schluck Kräutertee zu sich, um den Kloß im Hals zu lockern. "Ich kann mir selbst und auch dir garnicht so genau erklären, was gestern eigentlich passiert ist. Aber glaube mir, es tut mir wahnsinnig leid und außerdem bin ich unendlich dankbar für dein Verständnis. Du erinnerst dich noch, dass du mir gestern ein Säckchen Salz als letzte Zutat schenktest? Danach hatte ich plötzlich soviel Energie und mir schossen Ideen nur so durch den Kopf. Es war wie ein Backrausch. Ich kombinierte alle möglichen Zutaten und kam am Ende garnicht mehr nach, auch alles ordentlich mitzuschreiben. Ich MUSSTE einfach backen, backen und backen. Dann kam alles in den Ofen und ich hielt es vor Spannung kaum aus. Um die Zeit zu überbrücken fegte ich tatsächlich wie versprochen die große Backstube. Und dann war es endlich soweit. Voller froher Erwartung holte ich ein Blech nach dem anderen aus dem Ofen und bekam einen riesigen Schreck." Smilla setzte den Teepott an und nahm einige große Schlucke. Sven folgte ihr sehr gespannt. Es kam sehr selten vor, dass er seine Arbeit einfach stehen ließ. So wichtig war ihm dieses Gespräch. "Auf dem ersten Backblech lagen ... Plätzchen!!! Mir war irgendwie garnicht mehr klar, WAS ich da auf die Bleche gepackt hatte. Mich erfasste Panik und schnell holte ich alle übrigen aus dem Ofenrohr. Und tatsächlich ... nur Plätzchen. In allen Größen und Formen, aber am Ende eben doch nur PLÄTZCHEN." Smilla konnte ihre Tränen nicht länger zurück halten. Schluchzend sprach sie weiter. "Natürlich waren sie alle je nach Rezept völlig im Geschmack. Doch ich wollte etwas vollkommen ANDERES. Sven, ist es jetzt etwa soweit? Kann ich nurnoch Plätzchen backen?"

*Nachdem der Feuerkreis sich zur alljährlichen Weihnachtstradition in Nordanien festgesetzt hatte, wurde beschlossen, die Reihenfolge, in welcher man die Feuer entfachte, gegen den Uhrzeigersinn, also nach links vorrückend, rotieren zu lassen. Am 1. Dezember begann das Spektakel immer in Zenordia und dieses Feuer brannte daraufhin bis zum 24. Dezember durch. Das war sicher sehr schön, aber auch durchaus aufwändig. Der Sektor, welcher am 2. Dezember folgte, hatte immerhin noch 23. Tage Feuer vor sich. Um die Sektoren ein wenig zu entlasten, war dann diese Provinz im folgenden Jahr als letzte dran und hatte also nur ein Feuer zu organisieren. Die Sektorenfeuer brannten auch nicht durchweg. Sie wurden täglich neu entzündet, was zu den allseits beliebten allabendlichen Zusammenkünften und Festen führte. Man rückte nach links, weil auch das Feuer inzwischen in dieser Richtung den Kreis bildete. Rubina war im Jahr jener Geschichte am 22. Dezember an der Reihe. Wenn also Topasan (Sektor 19) am Abend des oben beschriebenen Dramas sein erstes Feuer entfachte, muss es der 20. Dezember gewesen sein.

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