09. Dezember

Smilla stand vor Klaas und schaute weiter erwartungsvoll zu ihm auf. Der war mit dieser Flut von Worten etwas überfordert und schaute stumm zurück. Offensichtlich fügte er im Kopf Wort für Wort aneinander und verstand dabei erst, was Smilla ihn eben gefragt hatte. Nach gefühlten Ewigkeiten, Smilla hielt dabei ihren Blick weiter fest auf ihn gerichtet, sagte Klaas nur "Erdbeeren?" und "Minze?" Statt einer Antwort nickte Smilla heftig.

Klaas setzte sich langsam auf eine der vielen herumstehenden leeren Obstkisten. Mit der Hand bot er Smilla etwas abwesend an, ebenfalls Platz zu nehmen. Auf dem Tisch stand eine Schale mit frischen Mandarinenstücken. Smilla griff beherzt zu und schaute dann kauend wieder erwartungsvoll auf Klaas. Der hatte jetzt mit der Hand sein Kinn umfasst, was unterstrich, wie sehr er nachdachte. "Klaas?" fragte Smilla etwas ungeduldig. "Ja, ja, Smilla. Ich bin ganz bei dir. Ich muss nur sehr nachdenken. Entschuldige, daß ich frage, doch wie kommst du Anfang Dezember auf die Idee, mit FRISCHEN Erdbeeren arbeiten zu wollen?" Er wartete nicht mal auf ihre Antwort und redete direkt weiter "Ich will nicht sagen, dass es grundsätzlich unmöglich ist, dir diesen Wunsch zu erfüllen. Ich möchte aber ehrlich keine falschen Hoffnungen wecken und würde es für sehr unwahrscheinlich halten." Smilla's Augen weiteten sich. "Aber bei dir gibt es doch immer alles und ganz frisch?“ Klaas nahm ihre Hand "Smilla, du hast Erdbeeren immer nur im frühen oder mittleren Sommer bestellt. Da ist das kein Problem. Zu dieser Zeit reifen Erdbeeren überall im Land. Jetzt haben wir Anfang Dezember. Selbst MEINE besten Lieferanten und Obstbauern werden da nichts mehr im Lager stehen haben." Klaas sah, wie sich Smilla's Blick verdunkelte. Traurigkeit legte sich wieder über ihr Gesicht. "Ich merke schon, dass die Angelegenheit sehr wichtig für dich ist. Deshalb gib mir bitte etwas Zeit. Ich werde Jos los schicken und versuchen, ein paar Kisten aufzutreiben. Wie wäre es, wenn du inzwischen zu Nüsschen rüber in den Eichelwald gehst und mit ihr über die Minze verhandelst?"
Smilla wunderte sich "Wieso zu Nüsschen?" Noch während sie ihn das fragte, hatte Klaas ein kleines Glöckchen vom Tisch genommen und es geschüttelt. Vom hellen Gebimmel gerufen, erschien Jos, der kleinste von 3 Söhnen. Artig begrüßte er Smilla. Klaas winkte ihn zu sich heran, flüsterte ihm einige kurze Anweisungen ins Ohr und scheuchte den Jungen nun mit einem liebevollen Klaps aus dem Laden. "Ach herrje ist der Jos groß geworden. Ich war wohl doch etwas länger nicht mehr bei euch zu Besuch." ... "Das ist wohl wahr, Smilla. Deshalb weißt du ja auch noch nicht, dass sich Nüsschen inzwischen bestens um die frische Minze kümmert. In ihrem Waldgarten wachsen einfach die besten Kräuter weit und breit. Vielleicht gehst du ja mal eben zu ihr rüber, wenn du sowieso schon hier bist. Lass dir einen schönen heißen Kräutertee schmecken und rede mit ihr. Ich schicke den Jos dann zu euch und gebe dir gleich Bescheid, ob es mit den Erdbeeren geklappt hat."

Sie verabschiedeten sich kurz und Smilla machte sich direkt auf den Weg zum Eichelwald. Nüsschen hieß eigentlich Nussinda Nøderdotter und wirkte immer etwas unsortiert. Einige Gnuffels nannten sie frech 'die verrückte Nussinda'. Aber das stimmte so nicht. Sie war vielleicht etwas speziell oder sonderlich, jedoch nicht verrückt. Nussinda hatte einen besonderen Draht zur Natur. Sie lebte schon immer zurück gezogen im Eichelwald und kümmerte sich dort vor allem um die Tiere. Alles fing mit Eicheln an. Später erkannte sie, dass einige Tiere aber viel lieber Nüsse knabberten. Also pflanzte Nussinda alle möglichen Nussbaumarten an. Daher hatte sie vermutlich auch ihren Namen. Außerdem beschäftigte sie sich zunehmend mit Kräutern und allerlei Gewürzpflanzen. Nussinda war absolut keine Hexe oder gar ein Kräuterweiblein wie man sie aus alten Büchern kennt. Sie ging bei allem sehr fortschrittlich und modern vor. Die Gnuffels hatten das inzwischen auch erkannt und kauften Kräuter und Nüsse nur noch bei ihr. Über ihrem Hoftor stand in großen Buchstaben 'NÜSSCHEN'S ALLERLEI'.

Smilla kannte diesen Schriftzug, blieb aber dennoch kurz stehen, bewunderte das schöne Schild, um dann darunter hindurch in den Hof zu gehen. Es lässt sich sehr schwer beschreiben, wie man sich diesen Hof vorstellen muss. Auf den ersten Blick möchte man meinen, dass er total unordentlich und ein wenig dreckig ist. Schaut man genauer hin, erkennt man dann doch eine Art Ordnung. Es kommt vermutlich darauf an, wie jeder diesen Zustand für sich definiert. Überall standen Säcke, Krüge, Töpfe und Kisten. In der hinteren rechten Ecke lagerten große Haufen. Diese bestanden aus Rüben, Kastanien, Eicheln und allem, was man eben in großen Mengen im Freien lagern kann. An sämtlichen Wänden hingen Garben oder Bündel mit Getreide und Kräutern, die getrocknet wurden. Es gab einige Schuppen und Remisen, deren Türen fast alle offen standen, um Luft durchziehen zu lassen. Aus ihnen strömten undefinierbare Aromen aller Art in den Hof hinaus und mischten sich dort mit der frischen Waldluft zu einer Melange aus Kräutern und Gewürzen. Es gab jede Menge kleiner Tiere, die frei herum strolchten. Permanent kullerte einem ein Kätzchen oder Hündchen spielend vor die Füße, auf den Dächern huschte das eine oder andere Eichhörnchen entlang. Vögel aller Art fanden hier ebenfalls ihr Zuhause.

Eigentlich ein wunderbarer Ort.

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