16
»Ich würd gern noch mal bei deiner Wohnung vorbei.«
Demonstrativ hob Alexander sein Glas mit Wodka an die Lippen und nahm einen Schluck, ohne den Blick von der Bühne, auf der gerade Lily tanzte, abzuwenden. So sehr er Konstantin auch schätze, er würde nicht zulassen, dass sein einziger Freund in der Organisation sich an seinem freien Tag unnötig in Gefahr brachte. Also ignorierte er ihn einfach.
Breitbeinig stellte der andere Mann sich direkt in sein Sichtfeld. »Du weißt so gut wie ich, dass ich nicht deine Einwilligung brauche. Ich komm in deine Wohnung, ob du nun zustimmst oder nicht. Also hör auf, dich so anzustellen.«
Alex nahm einen weiteren Schluck und fixierte die grünen Augen des Hünen. Er erwiderte mit zusammengezogenen Augenbrauen und verschränkten Armen seinen Blick. Alexander konnte sehen, wie ernst es ihm war, doch er war nicht bereit nachzugeben. Er hatte für den heutigen Abend schon mit Arbeit abgeschlossen.
Gelassen stellte er sein Glas weg und bedeutete seinem Bodyguard, sich an den Tisch zu setzen. Für einen Moment harrte der noch in seiner Position aus, dann gab er mit einem unterdrückten Fluch nach, riss einen Stuhl zurück und ließ sich so heftig darauf fallen, dass das Holz bedenklich knarzte.
»Es bringt nichts, Kostja«, erklärte Alex mit ruhiger Stimme. »Die Wohnung wird überwacht. Alles, was ich brauche, hab ich mitgenommen. Du wirst dort nichts finden.«
Konstantin beugte sich zu ihm vor und legte eine Faust hart auf dem Tisch ab. »Ich bin kein scheiß Anfänger, Sascha. Zehn Minuten in deiner Wohnung sind alles, was ich brauche.«
Alexanders Blick wanderte zur Bühne. Er hatte den Abend damit verbringen wollen, Lily bei ihren Auftritten zuzuschauen. Stattdessen musste er sich mit seinem übereifrigen Bodyguard herumplagen. Er hatte gewusst, dass es ein Fehler war, ihn direkt über die Situation in Kenntnis zu setzen. Aber bis zum Sonntag zu warten, hätte bedeutet, sich Konstantins heftigen Zorn zuzuziehen. Darauf hatte er noch weniger Lust gehabt.
»Schön, du hast gewonnen. Zehn Minuten«, gab er schließlich nach. Konstantin wollte sich schon grinsend erheben, da fügte Alex hinzu: »Und ich komme mit.«
Sein Freund erstarrte mitten in der Bewegung und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ganz sicher nicht. Ich bin für deinen Schutz da. Wenn du mich begleitest, bringe ich dich nur in Gefahr. Du bleibst schön hier. Schau den Mädels zu und entspann dich.«
Als Antwort zog Alex nur eine Augenbraue hoch und stand auf. Leise vor sich hin schimpfend folgte Konstantin ihm durch den gut besuchten Clubraum nach hinten, wo Alex seinen Mantel aus dem kleinen Büro holte. Keine fünf Minuten später standen sie gemeinsam in der kalten Luft auf der Straße vor dem Club. Seufzend steckte Alex sich eine Zigarette an, während Konstantin mit langen Schritten die Straßenseite wechselte, um sein Auto zu holen.
Er nahm einen tiefen Zug, ließ den Qualm durch die Nase wieder hinaus und schloss die Augen. Er hoffte, dass der Killer nicht noch in der Wohnung wartete. Konstantin und er waren ein eingespieltes Duo, um sich aus brenzligen Situationen zu befreien, aber das hieß nicht, dass er gerne sehenden Auges der Gefahr entgegen ging.
Er nahm noch einen weiteren Zug, ehe er die kaum gerauchte Kippe wegschnipste und dem anderen Mann über die Straße folgte. Der hatte sich inzwischen seine schwarzen Lederhandschuhe übergestreift und wartete mit grimmiger Miene auf ihn. Kopfschüttelnd stieg Alex ein. »Na dann mal los.«
Während der Fahrt schwiegen sie. Alex meinte, die Anspannung seines Freundes beinahe mit den Händen greifen zu können. Seit Konstantin ihm vor bald einem Jahr gesagt hatte, dass er fortan als sein persönlicher Bodyguard fungieren würde, schien es seine Lebensaufgabe geworden zu sein, Alex aus allen gefährlichen Situationen herauszuhalten. Als wüsste er nicht gut genug, dass kaum jemand Schutz so wenig brauchte wie Alexander.
Und er konnte ihn nicht rund um die Uhr beschützen, auch wenn er das offensichtlich gerne wollte. Zu Treffen mit Michail durfte er nicht mit – dazu stand er zu weit unten in der Hierarchie.
Konstantin parkte den Wagen eine Querstraße entfernt. Nachdem er den Schlüssel aus dem Zündschloss gezogen hatte, drehte er sich mit ernster Miene zu Alex um. »Du tust, was ich dir sage, verstanden? Wenn das hier klappen soll, muss ich mich darauf verlassen können, dass du keinen Scheiß machst.«
»Fick dich!«, schleuderte Alex ihm entgegen, doch er protestierte nicht. Sie waren nicht hier, um zu streiten.
Nachdem sie beide ausgestiegen waren, ging Konstantin um das Auto herum und öffnete den Kofferraum. Er legte sich feines Jackett ab und zog sich stattdessen einen schwarzen Rollkragenpullover über. Anschließend öffnete er einen schwarzen Koffer, aus dem er eine Pistole und einen Schalldämpfer holte, die er mit geübten Bewegungen zusammenschraubte. Alex überprüfte seinerseits noch einmal, dass alle seine Waffen griffbereit in seinem Mantel verstaut waren.
Mit einem Krachen schlug die Kofferraumklappe zu. Alex atmete tief durch. Jetzt wurde es ernst. Er ließ seinen Blick über die kaum von den Laternen erhellten Straßen wandern. Keine Menschenseele war zu sehen. Dieses Wohnviertel war heruntergekommen und wer etwas auf seine Gesundheit hielt, mied die Straßen, sobald es dunkel wurde. Die übrigen Gestalten drückten sich im Schatten herum, unsichtbar, darauf wartend, ein naives Opfer zu finden.
»Komm«, zischte Konstantin ihm zu, der sich keine Mühe gab, seine Waffe zu verstecken.
Das Klacken ihrer Anzugschuhe hallte zwischen den Hochhäusern, während sie mit weiten Schritten auf sein Wohnhaus zusteuerten. Immer wieder schaute Konstantin sich um, während Alex stur zum Eingang des Hauses schaute. Alle seine Sinne waren aufs Äußerste gespannt. Die Stille, die über der Straße lag, war beinahe unheimlich. Außer ihnen verursachte nichts und niemand Geräusche.
An der Tür angekommen zückte er den Schlüssel und drehte ihn um. Das Schloss klackte leise, die Tür öffnete sich einen Millimeter. Er presste sie noch ein wenig weiter, dann zog er den Schlüssel wieder raus. In einer fließenden Bewegung stieß Konstantin die Tür weit auf, trat ein und warf einen Blick in alle Richtungen, die Waffe schussbereit erhoben. Als er kurz nickte, folgte Alex ihm.
Beinahe lautlos huschten sie die dunklen Treppen hoch, Konstantin voran, Alex hinterher, bis sie seine Wohnungstür erreichten. Konstantin bedeutete ihm, ein Stück zurückzutreten und Alex folgte ohne Widerstand. Für mehrere Herzschläge lauschte sein Freund an der geschlossenen Tür, ehe er nickend einen Schritt wegtrat.
Er zog eine schwere Taschenlampe aus einer seiner Gürtelschlaufen, schaltete sie ein und ließ den Lichtstrahl einmal den gesamten Türrahmen entlang fahren. Beim Schloss angekommen hielt er inne. »Fuck. Ehrlich, Alex, was hast du in so einer Wohnung zu schaffen?«
»Glaubst du, ich kann die Wohnung aufpeppen? Da könnte ich direkt Leuchtreklame anbringen, dass ich hier wohne«, zischte der aufgebracht zurück.
»Das Schloss ist so simpel zu knacken. Ein Wunder, dass keiner vorher mal vorbeigeschaut hat.« Als ob er einen Punkt machen wollte, steckte Konstantin die ausgeschaltete Taschenlampe zurück, zog sein Portemonnaie hervor und nahm eine Karte raus. In der Dunkelheit des Flures fummelte er an einem Schlüsselbund voller Metall herum, bis er eines gefunden hatte, das ihm gefiel. Fünf Sekunden später war die Tür offen. »Siehste selbst, ne?«
»Wenn niemand weiß, dass die hier mir gehört, hat niemand einen Grund einzubrechen.«
»Das hat ja gut geklappt«, flüsterte Konstantin sarkastisch.
Ohne eine Antwort abzuwarten, stieß er die Tür vollends auf und trat ein. Augenblicklich ertönte ein kaum hörbares Klicken – die verborgene Lichtschranke, die Alex bei seinem Besuch zuvor selbst schon ausgelöst hatte, war offensichtlich immer noch da. Das fahle Licht der Straßenlaternen reichte kaum hier hinauf und so lag die Wohnung in einem beinahe undurchdringlichen Zwielicht. Schleichend folgte Alex seinem großen Freund, der mit bedachten Schritten ins Wohnzimmer trat.
»Du bleibst bei der Tür. Wenn du irgendetwas hörst, gibst du Zeichen«, wies sein Bodyguard ihn an.
Ergeben blieb Alex direkt neben der Tür stehen. Er schloss sie soweit, dass nur noch ein Millimeter Spalt blieb. So konnte er den Hausflur gerade noch sehen und würde alles hören, was draußen geschah. Konstantin bewegte sich derweil auf leisen Sohlen durch die kleine Zweizimmerwohnung. Sie hatten nicht viel Zeit, ehe wer auch immer durch die Lichtschranke benachrichtigt worden war, hier auftauchen würde.
Minuten flossen dahin, unaufhaltsam, unerbittlich. Mit jedem Atemzug, den Alex neben der Tür ausharrte, stieg seine Anspannung. Das Haus hatte nur ein Treppenhaus, falls von unten Feinde kamen, war ihnen die einzige Fluchtmöglichkeit versperrt. Sie saßen in einer Falle, die beim Eintreten bereits zugeschnappt war.
Ein leises Quietschen drang an seine Ohren. Ohne lange darüber nachzudenken, huschte Alex durchs Wohnzimmer zum Schlafzimmer, wo Konstantin gerade das Fenster inspizierte. »Jemand kommt.«
Diesmal war es Konstantin, der ihn nicht in Frage stellte. Mit wenigen Schritten hatten sie die Wohnung durchquert, die Tür hinter sich geschlossen und waren die Treppe nach oben gelaufen.
Mit gezückter Pistole hockte Konstantin im Schatten neben dem Fenster beim Treppenabsatz und starrte angestrengt in die Dunkelheit des Flures. Alex kniete sprungbereit auf der nächste Treppe nach oben. Keine zehn Sekunden später löste sich eine Gestalt aus der Dunkelheit der Treppe unter ihnen und trat in den Flur, den sie gerade erst verlassen hatten. Mit angehaltenem Atem wartete Alex, bis Konstantin ein Zeichen gab.
Sein Bodyguard nickte und augenblicklich setzten beide sich in Bewegung. Darauf bedacht, keine Geräusche auf den Betonstufen zu machen, schlichen sie wieder hinunter. Konstantin lehnte sich auf der letzten Treppenstufe an die Wand und spähte in den Flur. Er nickte noch einmal und Alex huschte an ihm vorbei über den Flur und die Treppe hinunter. Mit einer Geschicklichkeit, die ein Mann seiner Statur nicht haben sollte, floss Konstantin beinahe von der einen Wand zur anderen, während Alex auf leisen Sohlen weiter hinunter ging.
Ein Fluch drang leise an ihr Ohr. Offenbar hatte ihr Verfolger bemerkt, dass sie nicht mehr in der Wohnung waren. Konstantin musste Alex gar nichts sagen, er beschleunigte von selbst seine Schritte, nun nicht länger darauf bedacht, leise zu sein. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend rannten beide die Treppen hinunter, während ein Poltern von oben ihnen bedeutete, dass der Killer es ihnen nachtat.
»Lauf zu!«, herrschte Konstantin ihn ungeduldig an, als er ihn eingeholt hatte.
»Ich laufe doch!«, fauchte Alex zurück, während er sich bemühte, die Stufen noch schneller hinunter zu kommen.
Ein gedämpfter Schuss erklang. Eine Kugel schlug in der Wand des Treppenabsatzes ein, den sie gerade erst verlassen hatten. Grimmige Entschlossenheit packte Alex. Er würde nicht hier und heute einem verdammten Auftragsmörder zum Opfer fallen. Ohne seine Geschwindigkeit zu mindern, griff er in seinen Mantel und zog seine eigene Pistole hervor.
Im Erdgeschoss angekommen schob Konstantin sich mit zwei langen Schritten an ihm vorbei und öffnete die Eingangstür. Augenblicklich pfiff ein weiterer Schuss an ihnen vorbei. Irgendjemand lag draußen auf der Lauer.
»Zu den Mülltonnen, ich geb dir Deckung!«
Getrieben von ihrem Verfolger befolgte Alex den Befehl augenblicklich. Im selben Moment, als Konstantin einen Schuss durch die offene Tür abgab, huschte er geduckt hinaus und ging hinter der Umzäunung, in der die Mülltonnen des Hauses standen, in Deckung. Kaum war er dort angekommen, zielte er selbst in die ungefähre Richtung, aus der der Schuss gefallen war, und gab zwei Schüsse ab. Konstantin nutzte die Ablenkung und hechtete zu ihm.
»Und was jetzt, Herr Personenschützer?« Alex konnte nicht verhindern, dass sein Tonfall bissig klang.
»Wer wollte denn unbedingt mitkommen, hm, Prinzessin?« Konstantin klang nicht weniger wütend, doch er fing sich sofort wieder. »Wenn der Kerl aus dem Haus kommt, knall ich ihn ab. Der andere muss irgendwo drüben in den Büschen hocken.«
Wie aufs Stichwort kam genau in diesem Moment ihr Verfolger aus dem Haus. Er schien von seinem Komplizen irgendwie gewarnt worden zu sein. Er drehte sich sofort in die Richtung, in die Alexander und Konstantin verschwunden waren. Doch der Bodyguard reagierte schneller. Ohne zu zögern drückte er ab. Die Kugel traf den anderen Mann genau zwischen den Augen.
»Auf jetzt, los!«, befahl Konstantin und gab einen weiteren Schuss in die Richtung ab, wo er den anderen Attentäter vermutete.
Alex sprang hinter den Mülltonnen hervor, doch anstatt zum nächsten Verschlag mit Tonnen zu laufen, überquerte er geduckt die Straße und lehnte sich kniend an eines der geparkten Autos. Er hörte den Fluch, den Konstantin ob seines halsbrecherischen Verhaltens ausstieß, doch er ignorierte es. Er war wütend.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top