Einsamkeit
Die Vögel zwitscherten bereits, als sich jemand neben Níníel räkelte. Diese beobachtete jedoch den Himmel, und war völlig in Gedanken versunken, weshalb sie nicht bemerkte, wie sie angestarrt wurde. Erst eine kleinere Hand an ihrer brachte sie wieder in die Realität zurück. Sofort schaute sie zu Amália runter, welche lächelte. „Danke." Das schien die Elfe zu verwirren, weshalb sie den Kopf schief legte. „Wofür?" Das Menschenmädchen sah nun ebenfalls in den Himmel. „Dafür, dass du dein Versprechen gehalten hast, und dass du gestern gesungen hast. Das war schön." Níníel nickte nur und stand leise auf. „Hast du Hunger?" Amália nickte leicht. „Ja, aber unsere Vorräte sind fast leer." Verstehend griff sie nach ihrem Schwert. „Ich werde auf die Jagd gehen. Weck du in der Zeit deine Familie."
Das Mädchen bedankte sich erneut und so zog die Elfe von dannen, um etwas zum Essen zu finden. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sie ein verletztes Reh entdeckte. Nun, genau genommen folgte sie einfach nur dem Geruch von Blut, bis sie vor dem armen Tier stand. Es lag einfach da, und starrte Löcher in die Luft. Die Seite war komplett aufgerissen. Als sie sich jedoch näherte, da hob es langsam den Kopf und sah sie unergründlich aus seinen braunen Augen an. Traurig kniete sie sich an seine Seite. „Es tut mir leid, ich kann dir nicht mehr helfen." Erschöpft ließ es den Kopf zurücksinken, weshalb Níníel sanft über den Leib des Tieres strich. „Schlaf gut." Ein letztes Mal blickte es zu der Elfe, bevor es die Augen schloss, und ohne weitere Schmerzen starb.
Langsam stand sie auf, um das Tier ins Lager zu bringen. Dort waren bereits alle wach, und jemand hatte das Feuer neu entfacht. Schweigend legte sie das tote Reh ab, und sprang dann wieder auf ihren Baum zurück. Auch die beiden Mädchen unterhielten sich, während Berfan das Tier ausnahm. Eotha dagegen stand schweigend unter dem Baum und sah zu Níníel hoch. „Bist du Müde? Du warst doch sicherlich die ganze Nacht wach." Die Silberhaarige schüttelte ihren Kopf. „Nein, ich komme ein paar Nächte auch ohne Schlaf aus. Mach dir keine Sorgen."
Zufrieden ging die Frau wieder zu ihrem Mann und half ihm. So konnte Níníel sich wieder ihren eigenen Gedanken zuwenden. Plötzlich wurde ihr schwindelig, und fast wäre sie vom Baum gestürzt, wenn sie sich nicht festgehalten hätte. Vor ihren Augen tanzten Punkte, dann verschwamm ihre Sicht, und nach wenigen Wimpernschlägen war alles wieder wie immer.
Vielleicht hätte sie doch mal ein wenig schlafen sollen. Naja, jetzt war es zu spät.
Als die Menschen fertig waren, und alle ihre Sachen verstaut waren, lief die Elfe voraus. „Wenn wir heute Abend am Waldrand ankommen, dann sollten wir erstmal sicher sein. Es kann eigentlich gar nicht mehr so weit sein." Amália folgte ihr schweigend. Es behagte ihr gar nicht, dass sie fliehen mussten, doch wenn sie daran dachte, wie der vorherige Abend geendet wäre, wenn Níníel sie nicht gerettet hätte. Sofort lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken.
Dies merkte auch die Elfe, und legte ihr ihren Mantel um. „Es ist über Nacht kühler geworden. Bestimmt beginnen bald die Blätter zu fallen." Dankend lächelte das Mädchen. „Ja. Im Herbst sieht der Wald so schön aus."
Schweigend wanderte die ungewöhnliche Gruppe durch die grüne Gegend. Irgendwie war es hier auch schön, doch Níníel fühlte sich nicht wohl. Sie wusste, dass es bis in ihre Heimat noch ein weiter weg sein würde.
Verbittert dachte sie darüber nach, ob es überhaupt sinnvoll war, in das Elfenreich zurückzukehren, wenn sie doch erst von dort geflohen war. Still besah sie ihre Gefährten, welche sich lachend unterhielten, immer mal wieder versuchten sie, die Elfe anzusprechen, doch diese war mit den Gedanken ganz wo anders. Die kurzzeitige Euphorie, war schon lange verblasst, und ließ nun ein noch tieferes Loch in ihrem Herzen zurück. War das Einsamkeit? Vielleicht war es die Strafe dafür, dass sie das Reich ihres Volkes verlassen hatte, und nun unter sterblichen wandelte.
Erschrocken schnappte sie nach Luft und blieb einfach stehen, als vor ihren Augen alles schwarz färbte. Sofort lief jemand in sie hinein, was sie schnell wieder in die Gegenwart zurückholte. „Níníel, alles in Ordnung? Hast du irgendwas gespürt?" Die Elfe schüttelte leicht den Kopf. „Nein, alles Gut. Ich war nur in Gedanken." Eotha lächelte. „Zerbrich dir nicht den Kopf über Dinge, die du nicht ändern kannst." Verwirrt starrte Níníel auf ihren Rücken und folgte ihr noch nachdenklicher. War es ihr wirklich nicht möglich, etwas an der Zukunft zu ändern, oder meinte die Frau etwas anderes?
Den Rest des Weges verbrachten sie schweigend. Die Einzigen, die jedoch eine stille Konversation zu führen schienen, waren Berfan und seine Tochter Amália, denn letztere hatte sehr wohl bemerkt, dass etwas mit ihrer neuen Freundin nicht stimmte. Immer wieder sah sie zwischen ihrem Vater und der Elfe hin und her, denn auf sie wirkte es so, als wisse er etwas über ihren Zustand.
Als sie dann abends auf einer Wiese am Waldrand rasteten, steckte die Silberhaarige wie immer ihr zweites Schwert in den Erdboden, und verschwand dann in der Dunkelheit. Diesmal jedoch nicht, um zu trainieren, denn sie hatte schon länger den Geruch von moderndem Fleisch und abgestandenen Wasser in der Nase. Leise und unbemerkt pirschte sie sich an eine Gruppe Gesichtsloser an, dann mit einem Satz raste sie auf eins der Monster zu, und schnitt ihm den Kopf von den Schultern. Augenblicklich drehten sie sich zu ihr, und ein schrilles Gekreische drang an ihre empfindlichen Ohren. Von diesen hohen Tönen überrascht, ließ sie ihre Waffe fallen und hielt sich den schmerzenden Kopf. Stimmen und Schreie vermischten sich zu einem tosenden Rauschen. Erst ein weiterer spitzer Hilferuf ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Ihr wurde heiß und kalt zugleich, als die Wesen vor ihr zu Lachen begangen.
„Du wirst das Amulett nicht auf ewig schützen können. Bald werden deine Kräfte schwinden, und dann wirst du sterben." Wütend ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Sofort wichen die Monster zurück, als sie erkannten, dass die Hälfte ihrer Kämpfer bereits lebendig verbrannte. Mit einem Kampfschrei rannte sie auf die letzten Lebenden zu, und zerstückelte diese mit ihrem Schwert. Wie ein Dämon stand sie dort, Blutüberströmt inmitten der brennenden Leichen, die Waffe noch erhoben, mit gülden leuchtenden Augen. Plötzlich dachte sie an ihre Gefährten, und nur wenige Momente später, befand sie sich bereits dort. Als sie jedoch erkannte, wie der Gesamte Bannkreis umstellt war, verlor sie vollständig die Beherrschung, dann kehrte wieder Stille ein. Dumpf schlug die Elfe auf dem Boden auf und starrte reglos in den Himmel. Über sich erblickte sie die Sterne, ein Gesicht schob sich in ihr Blickfeld und redete auf sie ein, dann verschwanden sämtliche Geräusche in einem Tosen.
„Níníel. Komm zurück nach Hause." Überrascht sah sie sich um, konnte jedoch nichts außer Bäumen erkennen. „Warte, wohin soll ich kommen? Wo ist mein Heim?" Hastig stand sie auf und drehte sich im Kreis. Die Stimme kam jedoch aus allen Richtungen. „Níníel, du darfst nicht aufgeben." Wie ein Windhauch spürte sie eine Berührung an ihren Lippen.
Erschrocken riss sie die Augen auf. War das ein Traum?
„Du bist also endlich erwacht." Vorsichtig setzte sie sich hin und betrachtete die zwei Mädchen neben sich. „Was ist mit mir?" Berfan stand auf und setzte sich zu ihr. „Ich vermute, dass du so schnell wie möglich nach Hause musst. Die anderen Elfen dort sollten dir helfen können." Verwirrt hielt sie sich den Kopf. „Wieso? Bin ich krank?" Der Mann schwieg einige Minuten. „Das weiß ich nicht genau, doch wenn wir dich nach Hause bringen, wird es dir besser gehen." Níníel starrte weiter auf ihren Schoß. „Was weißt du über mich?" Sanft strich sie durch das Haar der Kinder. „Weißt du etwa wer ich bin? Hast du mich schonmal vorher getroffen?" Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube, dass ich weiß wer du bist. Aber getroffen habe ich dich vorher nicht. Während du gegen die Ablenkungstruppe gekämpft hast, habe ich versucht herauszufinden, was sie von dir wollen. Tatsächlich sind diese Biester ziemlich gesprächig. Zumindest dafür, dass sie keinen Mund haben."
Er unterbrach sich kurz, wohl um nach den richtigen Worten zu suchen. „Du bist die Prinzessin der Elfen." Níníel senkte den Blick. „Ich soll eine Prinzessin sein? Was bestärkt dich in dieser Annahme?" Der Mann nickte. „Wie bereits gesagt haben unsere Angreifer ganz schön geplaudert, während sie uns fressen wollten. Und außerdem wie zuvor erwähnt, war ich schon einmal in deiner Heimat, und genau genommen lebte ich dort einige Jahre lang, als ich noch sehr jung war. Während meines Aufenthalts, da hörte ich immer wieder von einer wunderschönen Prinzessin mit langen silbernen Haaren und grünen Augen. Dies waren zwar nur Gerüchte, weil sie wohl eigentlich nie das Schloss verlassen durfte. Angeblich war sie zu krank."
Die Elfe schüttelte ihren Kopf. „Das ist ein Zufall. Wenn ich dieses Mädchen wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier, sondern würde weiterhin im sicheren Palast sitzen." Seufzend stand er wieder auf. „Aber was, wenn doch. Was, wenn diese Wesen dich entführt haben, um an dein Amulett zu kommen?" Sie schwieg beharrlich und gab auch die restliche Nacht kein Wort von sich. Stattdessen legte sie sich wieder hin, und bewunderte die Schönheit der Sterne. Selbst wenn es stimmte, ohne ihre Erinnerungen kam sie dennoch nicht weiter. Und warum sollten diese Wesen hinter einem nutzlosen Amulett her sein? Wenn es wertvoll wäre, würde sie es wohl kaum bei sich tragen.
Müde sank sie in einen erholsamen Schlaf, und im Traum, da fand sie sich auf einem Schlachtfeld wieder. Überall lagen Leichen, doch das schlimmste war, dass es alles Elfen waren. Ihre Gesichter zeugten von den schrecklichen Momenten, die sie kurz vor ihrem Tod erleben mussten. Die Qual. Niemand hatte überlebt.
Schreiend erwachte sie aus ihrem Alptraum und verstummte, als sie merkte, dass nichts davon echt war. Was waren das nur für Bilder? Konnte sie denn nicht einfach in Frieden leben? Leise errichtete sie einen Bannkreis und schlich sich dann in den Wald, wo sie sich weinend auf den Boden hockte. Wieso waren diese Monster nur hinter ihr her?
Erschrocken erinnerte sie sich an das Gespräch mit Berfan. Sollte er etwa recht behalten, und sie wurde von den Dingern entführt? Oder war sie geflohen? Zaghaft griff sie nach dem Amulett, welches in ihr ein Gefühl der Ruhe auslöste. Wenn sie wirklich die Elfenprinzessin war, dann ergab das endlich alles Sinn. Deshalb hatte das Gesichtslose Monster sie Elfenherrin genannt. Stumm zog sie die Knie fest an die Brust, und wiegte sich hin und her. Wäre sie doch bloß gestorben. Bestimmt war ihre Familie tot, und sie konnte sich nicht einmal an ihre Gesichter erinnern. Kraftlos ließ sie sich nach hinten fallen, fiel jedoch nicht zu Boden, weil sie von hinten festgehalten wurde. Sie drehte sich gar nicht erst um, es war ihr völlig egal, ob es sich bei der Person um Freund oder Feind handelte. „Weshalb sitzt du hier ganz alleine?" Statt zu antworten, hielt sie die Augen verdeckt. „Wer bist du?"
Erneut reagierte sie nicht, was die Person zu irritieren schien, denn seine Aura flackerte verwirrt.
Dies brachte sie letztlich dazu, etwas zu sagen. „Ich weiß nicht, wer ich bin. Am liebsten würde ich das alles beenden und zur Natur zurückkehren." Er setzte sich zögerlich zu ihr, mit dem Rücken an ihren. „Und wieso?" Níníel dachte nach. „Wahrscheinlich ist meine ganze Familie tot." Er zog seine Stirn kraus. „Wahrscheinlich?" Sie nickte. „Ich weiß nicht, was passiert ist." Nun schien er zu verstehen. „Du hast deine gesamten Erinnerungen verloren?" Traurig bestätigte sie seine Frage. „Ich habe diese Bilder in meinem Kopf, ich werde sie nicht los." Neugierig hakte er nach. "Und wenn das deine Erinnerungen sind?" Leicht legte die Elfe ihren Kopf in den Nacken. „Dann sind sie tot." Eine beharrliche Stille legte sich über die zwei. Dann fragte er erneut. „Wie heißt du?" Sie biss sich auf die Lippe. „Níníel." Zufrieden lächelte der junge Mann. „Ich bin Nym, Botschafter der Dunkelelfen. Du kommst mir irgendwie bekannt vor, doch ich weiß nicht, woher."
Das Mädchen lehnte sich gegen seinen Rücken. „Kannst du mir sagen, wieso ich mich so schrecklich fühle? Das Monster hat gesagt, dass meine Kraft schwindet." Er ließ sich ihre Frage kurz durch den Kopf gehen.
„Ich vermute, du bist an der Einsamkeit erkrankt. Was dir fehlt, ist die Nähe zu deinem Volk. Du bist eine Elfe des goldenen Lichts, doch stattdessen bist du hier. Wie lange streifst du bereits durch das Unbekannte?" In Gedanken versuchte sie die Wochen zu zählen. „Einige Monate. Drei oder vier." Seufzend nickte er. „Das erklärt so einiges. Du musst unbedingt in deine Heimat zurück. Du wirst von Tag zu Tag schwächer, und irgendwann bleibt nur noch eine Hülle übrig." Níníel lächelte traurig. „So ist das also. Aber wir sind noch so weit entfernt. Das schaffe ich nie." Müde atmete sie ein und aus. „Meine Gruppe rastet am Waldrand. Kannst du ihnen sagen, dass es mir gut geht?"
Leicht verblüfft zog er eine Augenbraue hoch, und stand dann auf. „Das werde ich nicht." Mit diesen Worten hob er sie auf seine Arme. „Ich bringe dich zurück." Dankbar sah sie in sein bläulich schimmerndes Gesicht und schloss sie die Augen, um vor sich hin zu dösen. Nebenbei bekam sie mit, wie Nym sie zu ihren Weggefahren brachte. Dort kam ihnen sofort eins der Mädchen entgegen gerannt. „Was ist denn mit Níníel passiert und wer bist du?" Er lächelte. „Mein Name ist Nym, und eure Freundin ist sehr erschöpft. Alles weitere wird sie euch sicherlich selbst erzählen."
Berfan und Eotha bedankten sich bei ihm. „Vielen Dank, dass Ihr sie zu uns zurück gebracht habt. Wenn Ihr wollt, könnt ihr gerne noch verweilen." Freundlich nickend legte er Níníel auf ihren Mantel. Diese öffnete leicht ihre Augen. „Kann ich... diesen Zustand hinauszögern? Bis wir ankommen meine ich." Nym hielt inne. „Nein. Ich empfehle euch, entweder schneller zu reisen, oder du musst alleine weiter gehen, um Zeit zu sparen." Sofort schüttelte die Elfe ihren Kopf. „Das schaffe ich nicht." Nóra starrte sie unentschlossen an, was die Ältere bemerkte. Diese setzte sich unter den wachsamen Blicken der Menschen auf. „Ich weiß, dass euch unlängst aufgefallen ist, dass ich die letzten Tage schwächer geworden bin. Ich wusste bis heute auch nicht, woran das lag, ehe mich Nym gefunden hat." Sie stockte.
Wie sollte sie ihnen erklären, dass sie sterben würde, wenn sie nicht rechtzeitig ankämen? Fragend sah sie den Dunkelelf an, welcher sie ablöste. „Níníels Geist hat begonnen zu zerfallen. Sie war bereits zu lange fort, von ihrer Heimat." Berfan unterbrach ihn. „Was wird aus Níníel, wenn sie nicht rechtzeitig ankommt?" Der Dunkelelf verzog das Gesicht. „Ihre Seele kehrt zur Natur zurück, und ihr Körper bleibt als leere Hülle zurück." Stille breitete sich aus, ehe Amália leise zu sprechen begann. „Sie wird sterben?" Nym nickte. „Ja. Elfen, ob nun dunkel wie ich, oder des goldenen Lichts, sind an ihr Land gebunden, und wenn sie doch durch die Welt reisen wollen, müssen sie dann und wann zurück kehren. Ich selbst muss etwa jeden zweiten Monat zurück, um nicht schwächer zu werden, doch Níníel ist bereits seit mehreren Monaten unterwegs. Es grenzt an ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebt. Zumal sie für eine Elfe ihres Volkes viel zu zierlich wirkt."
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