✰ Kapitel 32
Ganz langsam beginnt sich mein Leben zu normalisieren. Ich besuche wieder regelmäßig die Vorlesungen, bereite mich auf die anstehenden Prüfungen vor und habe sogar einen neuen Nebenjob gefunden.
An zwei Nachmittagen pro Woche helfe ich in dem kleinen Café an der Grenze zu unserem Campus aus. Zwar fehlt mir die Arbeit im Krankenhaus sehr, aber ich könnte dort unmöglich wieder anfangen, ohne permanent an Ethan denken zu müssen.
Zwei Wochen sind seit seiner Entlassung bereits vergangen. Natürlich vermisse ich ihn noch immer unglaublich und an meinen Gefühlen hat sich ebenfalls nichts geändert. Trotzdem akzeptiere ich mittlerweile, dass er mir gegenüber nur Freundschaft empfindet. Wir schreiben täglich miteinander und wollen uns bald wiedersehen, was immerhin einen minimalen Hoffnungsschimmer für mich darstellt.
Die kleine Glocke über der Eingangstür kündigt Kundschaft an und als ich meinen Blick hebe, entdecke ich Cassie und Madelaine, die gemeinsam das Café betreten. Hand in Hand kommen sie an den Tresen gelaufen und ich freue mich darüber, dass wenigstens meine beste Freundin ihr Glück gefunden zu haben scheint.
»Hey«, begrüße ich die beiden lächelnd, während ich einen Milchkaffee zubereite und diesen an Tisch vier bringe, wo ihn ein älterer Herr dankbar entgegennimmt. Anschließend verschwinde ich erneut hinter dem Tresen, wo meine Freundinnen auf zwei gegenüberliegenden Barhockern platzgenommen haben.
»Wir wollten dich etwas fragen«, beginnt Cassie und anhand ihrer Stimmlage erkenne ich bereits, dass es nichts Gutes zu heißen hat. Madelaines eher wenig begeisterter Gesichtsausdruck entgeht mir dabei ebenfalls nicht.
»Ja?«, antworte ich also mit hochgezogener Augenbraue, während mein Blick ungeduldig zwischen den beiden wechselt. In meinem Kopf beginne ich derweil bereits, mich auf alle möglichen Szenarien vorzubereiten.
»Kommst du heute Abend mit uns ins Heartbeat?«, platzt meine beste Freundin schließlich heraus und ich schüttle sofort abwehrend den Kopf. Ehrlich gesagt, habe ich mit allem Möglichen gerechnet, aber diese Anfrage überrumpelt mich doch ein wenig.
»Auf keinen Fall.« Ich unterstreiche meine Aussage damit, dass ich mit meinem Zeigefinger ein Nein in die Luft male.
»Ach, komm schon«, bettelt sie und setzt einen Schmollmund auf. »Wir waren schon ewig nicht mehr zusammen aus.«
Stimmt. Seit meinem letzten Absturz habe ich keinen Fuß mehr in den Laden gesetzt und eigentlich auch nicht vor, etwas daran zu ändern.
»Zwei Espresso?«, lenke ich also ab und fange bereits mit der Zubereitung an, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Das ist nicht meine Idee gewesen«, bringt sich nun Madelaine entschuldigend ein, woraufhin ich ihr nickend die Tasse mit dem heißen Getränk über den Tresen schiebe. Natürlich ist dieser Vorschlag auf Cassies Mist gewachsen, daran habe ich ohnehin keine Sekunde gezweifelt.
»Allie«, richtet sich meine beste Freundin nun eindringlich an mich, »ich weiß, dass du Ethan vermisst und dein gebrochenes Herz noch lange nicht geheilt ist. Trotzdem darfst du ein bisschen Spaß haben und mir zumindest die Chance geben, dich auf andere Gedanken zu bringen.«
Ich entschuldige mich mit einem Fingerzeig, bevor ich an einen der Tische eilen muss, um dort abzurechnen. Als ich anschließend zurück hinter den Tresen husche, sieht mich Cassie noch immer erwartungsfroh an. Irgendwie erinnert sie mich in diesem Moment an einen Bluthund. Wenn sie sich einmal festgebissen hat, gibt es in der Regel kein Entkommen mehr.
»Okay«, stimme ich daher augenrollend zu und bereue meine Zusage sofort. Trotzdem schleicht sich ein leichtes Grinsen auf meine Lippen, als sie daraufhin wild jubelnd ihre Arme in die Luft schmeißt.
****
Knappe sechs Stunden später stehe ich gemeinsam mit meinen beiden Freundinnen am Rande der Tanzfläche. Cassie und ich jeweils eine Flasche Bud Light in den Händen, während Madelaine sich mit einer Cola begnügt. Heute werde ich definitiv nichts Hochprozentiges trinken, so viel steht fest.
Als endlich einer unserer Lieblingssongs ertönt, beginnen wir uns rhythmisch zur Musik zu bewegen und für einen kurzen Moment schaffe ich es tatsächlich, Ethan aus meinen Gedanken zu verbannen. Als Cassie mal wieder ihre besonderen Tanz-Moves zeigt, brechen Maddie und ich in schallendes Gelächter aus.
Irgendwann sind wir völlig verschwitzt und ich bin nicht mal sicher, ob ich das Bier wirklich ausgetrunken oder die Hälfte davon auf der Tanzfläche verschüttet habe.
»Ich besorge uns mal etwas Neues zu trinken«, schreie ich gegen die Musik an und halte symbolisch meine leere Flasche in die Luft. Dann drehe ich mich ab und durchquere das Lokal in Richtung der Bar.
Auf halben Wege ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und entdecke eine neue Nachricht von Ethan.
Hey! Was machst
du heute?
Bin mit Cassie
und Madelaine
im Club.
Nicht freiwillig.
Und du?
Er ist gerade online, denn mir wird angezeigt, wie er tippt. Ungeduldig starre ich auf das Display, während sich immer wieder genervte Partygäste an mir vorbeischieben, da ich einfach mitten im Weg stehen geblieben bin.
Ich bin gerade
auf dem Weg
ins Auto.
Wo geht's hin?
Zu einem ganz
besonderen Mädchen.
Oh. Dann
viel Spaß,
schätze ich.
Mein Körper bebt, als ich mein Telefon sofort nach dem Absenden der Nachricht ausschalte und es anschließend erneut in der vorderen Tasche meiner Jeans verstaue. Hat er mir gerade ernsthaft unter die Nase gerieben, ein Date zu haben?
Sofort schießen mir die Tränen in die Augen. Er weiß ganz genau, wie ich empfinde und schreckt trotzdem nicht davor zurück, mir so etwas zu schreiben?
Als ich meinen Weg zur Bar schließlich fortsetze, laufe ich vollkommen aufgewühlt in eine Person, die gerade mehrere Getränke in ihren Armen transportiert. Durch unseren Zusammenstoß fallen ihm jedoch die Gläser aus der Hand und landen mit einem lauten Klirren auf dem Boden.
»Oh Gott«, stammle ich entsetzt und schlage mir erschrocken eine Hand vor den Mund, den Blick auf die Scherben zu unseren Füßen gerichtet, »es tut mir so leid. Ich werde die Getränke natürlich ersetzen!«
»Schon gut, Allie. Kann passieren«, ertönt eine mir bekannte Stimme und erst jetzt erkenne ich, in wen ich überhaupt hineingelaufen bin.
»Nick!«, rufe ich überrascht. »Lass mich bitte dafür aufkommen, sonst fühle ich mich noch furchtbarer als ohnehin schon.«
Seine Augen weiten sich entsetzt, als die Bedeutung meiner Worte bei ihm ankommt. »Ist ... ist alles in Ordnung bei dir?«
»Ach«, winke ich ab. »Das Leben ist manchmal einfach nicht fair, aber es wird schon wieder.«
»Lass mich dich einladen«, bietet er an, aber ich schüttle entschieden den Kopf. »Meine Kumpels werden schon nicht verdursten, wenn sie ein paar Minuten länger auf ihre Getränke warten müssen«, schiebt er mit einem schiefen Grinsen hinterher.
»Okay, aber nur, wenn ich dir anschließend doch noch die Getränke ersetzen darf«, gebe ich mich widerwillig geschlagen. Währenddessen eilt bereits einer der Barkeeper heran, um die Folgen meines Missgeschickes zu beseitigen. Mein Angebot, die Scherben selbst zusammenzukehren, lehnt er höflich ab.
»Einverstanden«, stimmt Nick meinem Vorschlag zu und gemeinsam legen wir die letzten Meter zur Bar zurück, um uns dort auf zwei freien Barhockern niederzulassen. »Was möchtest du trinken?«
»Ich bleibe heute bei Bier. Noch einen Absturz verkrafte ich nicht.«
Kurzerhand bestellt Nick zwei Bud Light und drückt mir eine der blauen Flaschen in meine Hand. »Willst du darüber reden?«
»Nicht wirklich«, weiche ich aus. Mein Herz schmerzt bei der Vorstellung, wie Ethan zu irgendeinem Mädchen fährt und ich blinzle ein paar Mal, um die aufkommenden Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben. Ich weiß, dass ich keinerlei Ansprüche stellen sollte, trotzdem fühle ich mich, als hätte man mir das Herz herausgerissen.
Er nickt verstehend und beginnt stattdessen, mir irgendwelche Anekdoten über sein Studium zu erzählen. Obwohl er wirklich nett ist, schweifen meine Gedanken immer wieder zu meinem Traummann ab.
»Hier steckst du!«, ertönt plötzlich die Stimme von Cassie an meinem Ohr und als ich mich zu ihr umdrehe, sieht sie mich vorwurfsvoll an. »Ich dachte schon, ich müsste dich wieder irgendwo vom Boden aufkratzen!«
Nick springt mir zur Hilfe und berichtet ihr von unserem Zusammenstoß, woraufhin sie sichtbar erleichtert wirkt. Trotzdem entgeht ihr natürlich nicht, dass mich etwas bedrückt.
»Was ist los?«, flüstert sie mir ins Ohr und ich nutze die Gelegenheit, ihr in Kurzform von Ethans Nachricht zu berichten. »Ist das dein Ernst?«, entsetzt sie sich anschließend, ihre Augen fassungslos geweitet.
Ich nicke stumm, woraufhin sie ihre Arme tröstend um mich schlingt. »Das passt doch gar nicht zu ihm«, schiebt sie nachdenklich hinterher, aber ich winke ab. Ich bin wirklich nicht in der Stimmung, mich nun ausgiebig über Ethans Beweggründe zu unterhalten. Zu tief sitzt der Schmerz über seine rücksichtslosen Zeilen und einen Heulkrampf im Heartbeat würde ich gerne vermeiden.
Stattdessen wende ich mich nun demonstrativ Nick zu. »Ich ersetze jetzt die Getränke und anschließend würde ich gerne tanzen. Bist du dabei?«
Sofort erhellt sich sein Gesicht. »Klar«, antwortet er und ich ignoriere Cassies skeptischen Blick.
Gleich nachdem wir die Getränke zu seinen Freunden gebracht haben, ziehe ich ihn auf die Tanzfläche. Er ist zurückhaltend, versucht aber trotzdem sich zumindest einigermaßen stimmig zur Musik zu bewegen.
Wenn Ethan Spaß hat, habe ich ebenfalls ein Recht darauf.
Als ein langsamerer Song ertönt, schlinge ich kurzerhand meine Arme um Nicks Hals, aber Cassie löst unsere Verbindung und zieht mich energisch an die Seite. »Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist«, zischt sie mir zu und deutet unauffällig mit dem Kinn in Nicks Richtung.
»Du hast doch gesagt, ich muss auf andere Gedanken kommen«, verteidige ich mich, woraufhin sie hilfesuchend zu Madelaine sieht.
»Damit habe ich nicht gemeint, dass du dich an den Nächstbesten ranschmeißt und das weißt du auch genau!«
»Nick ist süß ... Das waren deine Worte, oder?«
»Stimmt«, antwortet sie kleinlaut und blickt peinlich berührt zu Madelaine, bevor sie fortfährt, »aber er hat es nicht verdient von dir benutzt zu werden, nur weil Ethan dir eine merkwürdige Nachricht geschrieben hat. Das ist nicht fair und dessen bist du dir auch bewusst!«
Anstelle einer Antwort drehe ich mich um und schließe erneut zu Nick auf. Entschlossen nehme ich seine Hände und platziere sie auf meiner Hüfte. Dann beginnen wir zu tanzen und ich versuche, Ethan endgültig aus meinen Gedanken zu verdrängen.
****
»Danke, dass du uns nach Hause gebracht hast«, wende ich mich an Nick, als wir irgendwann den Wohnkomplex erreicht haben. Ich habe keine Ahnung wie viel Uhr es ist, aber die Tatsache, dass er uns begleitet hat, schmeichelt mir.
»Keine Ursache«, antwortet er, eine Hand unsicher an seinem Hinterkopf platziert.
»Gute Nacht, Nick«, ergreift Cassie schließlich das Wort und bedeutet mir mit ihren Augen, nun endlich in das Gebäude zu gehen.
»Weißt du was? Ihr könnt schon mal nach oben gehen. Ich komme auch gleich rein«, richte ich mich an meine beiden Freundinnen, aber sie schütteln entsetzt ihre Köpfe.
»Nein, wir–«, beginnt Cassie, aber ich strafe sie mit einem mahnenden Blick.
»Fünf Minuten, dann komme ich nach, ja?«
Stur verharrt meine beste Freundin auf der Stelle und erst nachdem ich ihr erneut zu verstehen gegeben habe, dass sie Nick und mich alleine lassen soll, setzt sie sich widerwillig in Bewegung.
»Fünf Minuten«, wiederholt sie meine Worte genervt, dann verschwindet sie fluchend mit Madelaine durch die Tür ins Innere.
Nick sieht mich unsicher an, als ich entschieden einen Schritt auf ihn zumache. Es ist nicht so, als würde ich wirklich das Verlangen spüren, ihn küssen zu wollen, aber trotzdem werde ich es tun. Ich muss einfach wissen, ob ich meine Gefühle zu Ethan dadurch minimieren kann.
Ganz langsam lege ich eine Hand an seine Wange und nähere mich seinem Mund. Er schließt überrascht seine Augen, während sich unsere Lippen schließlich für einen flüchtigen Kuss berühren.
Als ich gleich im Anschluss ernüchtert einen Schritt nach hinten mache, sind da keine Schmetterlinge und auch mein Herzschlag ist nicht im Geringsten beschleunigt. Es hat nicht Klick gemacht. Natürlich nicht.
Bevor ich jedoch dazu komme, etwas zu Nick zu sagen, bemerke ich eine Person, die am Ende des Weges steht und in unsere Richtung sieht.
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