✰ Kapitel 1
Der Bass lässt den Boden unter meinen Füßen vibrieren, aber trotz der lauten Umgebung werde ich den neugierigen Fragen meiner besten Freundin nicht entkommen. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass du Ian wirklich abserviert hast«, schreit sie wie auf Knopfdruck gegen den Beat an, während sie ihren Körper rhythmisch zu den Klängen der Musik bewegt.
Die Tanzfläche im Heartbeat ist brechend voll – so wie jeden Freitagabend. Eigentlich bin ich nicht der Typ für ausschweifende Abende im Club, aber ab und zu lasse ich mich dann doch von Cassie dazu überreden. »Und er hat es wirklich einfach so hingenommen?«, schiebt sie ungläubig hinterher und legt nun doch eine kurze Pause ein, um mich mit ihren großen braunen Augen zu mustern.
Ob Ian es einfach so hingenommen hat, nach zwei Jahren Beziehung abgeschossen zu werden? Nope. Definitiv nicht, wenn ich an das klärende Telefongespräch vor ein paar Stunden zurückdenke.
»Sagen wir mal so: er hat es akzeptiert«, antworte ich also ausweichend, denn ehrlich gesagt verspüre ich in diesem Moment keine Lust, mich über meine gescheiterte Fernbeziehung zu unterhalten. Nicht, dass es sonderlich weh tun würde, aber ich bin einfach froh, endlich einen Schlussstrich gezogen zu haben.
»Er war sowieso nicht der Richtige für dich, Allie.« Meine Freundin bedenkt mich mit einem wissenden Blick, bevor sie plötzlich nach meiner Hand greift, um mich erneut zur Bar am anderen Ende des Clubs zu schleppen. »Noch ein Bier?«
»Ich denke, wir haben für heute genug«, gebe ich mit einem plakativen Blick auf meine Armbanduhr zurück. Dabei meine ich eigentlich eher meine Freundin, denn sie hatte einige Drinks mehr als ich. »Außerdem hast du Morgen Frühdienst, schon vergessen?«
»Ach«, sie macht eine abwehrende Handbewegung und gibt dem Barkeeper ein Zeichen. »Zwei Bud Light, bitte!«, ruft sie ihm zu und er nickt kurz in unsere Richtung, ehe er sich zu dem Kühlschrank hinter sich umdreht und zwei blaue Flaschen hervorholt.
Bevor ich reagieren kann, drückt Cassie dem Mann hinter dem Tresen auch schon einen Schein in die Hand. Sie nimmt die Flaschen entgegen und reicht eine an mich weiter. »Entspann dich. Wenn wir ausgetrunken haben, machen wir uns auf den Heimweg, okay?«
»Ich nehm dich beim Wort«, kündige ich an, bevor ich dann doch mit ihr anstoße und den Flaschenhals zu meinem Mund führe. Eigentlich mag ich Bier nicht sonderlich, aber das habe ich noch nie laut ausgesprochen. Es ist einfach die günstigste Alternative, wenn man feiern geht.
Gemeinsam begeben wir uns zurück auf die Tanzfläche, wo gerade irgendein Song von Taylor Swift gespielt wird. Die Menge flippt aus und für einen Moment schließe ich meine Augen, um mich vollends der Musik hinzugeben. Als jedoch Ians anklagendes Gesicht vor meinem inneren Auge erscheint, öffne ich sie schnell wieder und nehme einen großzügigen Schluck aus meiner Flasche.
Glücklicherweise hält Cassie ihr Versprechen und wir verlassen gleich im Anschluss gemeinsam die Party.
»Stopp!«, ruft meine Freundin und reißt ihre Arme in die Luft, als eines der gelben Fahrzeuge direkt vor dem Club zum Stehen kommt. In einer Großstadt wie Baltimore muss man in der Regel nicht lange auf ein Taxi warten, was nach einer durchfeierten Nacht ziemlich praktisch sein kann. Cassie stolpert bereits unbeholfen zum Wagen und ich beschließe, sie das nächste Mal ein wenig früher auszubremsen.
»Wir müssen zum College Park - Centreville Hall«, weise ich den Fahrer an, während ich meiner Freundin auf die Rückbank des Fahrzeuges folge. Im Inneren des Autos riecht es nach einer Mischung aus abgestandenem Essen und Zigarrenrauch, woraufhin ich nur mühsam meinen Würgereflex unterdrücken kann. Besorgt wandert mein Blick zu Cassie und ich bete bloß stumm, dass sie sich nicht in den Fußraum übergeben wird.
Sie scheint jedoch nicht mehr viel mitzubekommen, denn ihr Kopf lehnt erschöpft an der Fensterscheibe, die Augen bereits geschlossen. Noch bevor ich dazu komme, unsere Anschnallgurte in die entsprechende Vorrichtung zu schieben, drückt der Mann hinter dem Lenkrad bereits das Gaspedal durch.
»Studenten, hm?«, fragt er, während er den Wagen routiniert durch die Straßen lenkt. »Ich tippe auf Geschichte«, ergänzt er und verstellt den Rückspiegel, um mich darin ansehen zu können.
»Nicht ganz«, antworte ich kopfschüttelnd. »Psychologie.«
Der Taxifahrer pfeift anerkennend, bevor er erneut schmunzelnd das Wort ergreift: »Einen Psychologen könnte ich nach manchen Schichten auch gut gebrauchen.«
Das glaube ich gern!
Als wir endlich am Campus ankommen, bezahle ich den Fahrer und helfe anschließend meiner Freundin aus dem Wagen. Die restlichen Meter zum Studentenwohnheim muss ich sie stützen, während sie irgendein nicht zu identifizierendes Lied vor sich hin lallt. Natürlich stelle ich sicher, dass sie unbeschadet in ihrem Zimmer – was praktischerweise auf der gleichen Etage wie mein eigenes ist – ankommt. Ich ziehe ihr die Schuhe aus, lege sie aufs Bett und decke sie zu, was sie lediglich mit einem leisen Brummen quittiert.
Gleich im Anschluss schleiche ich über den Flur zu meinem Raum. Müde öffne ich die Tür, nur um nach dem Eintreten erleichtert auszuatmen. Das Zimmer ist klein und recht spartanisch eingerichtet: Auf der einen Seite ein Bett mit einem runden Nachtisch, gegenüberliegend ein ziemlich in die Jahre gekommener Kleiderschrank und ein schmaler Schreibtisch unter der Fensterbank. Ergänzt wird das Ganze nur noch von einem winzigen zwei Quadratmeter kleinen Badezimmer, was ich schon so manches Mal verflucht habe, weil ich mich dort dauernd an irgendeiner Ecke stoße.
Trotzdem trotte ich nun in ebendiesen Raum, um mich dort endlich meiner Klamotten zu entledigen und der Abendroutine zu unterziehen. Erschöpft falle ich anschließend in mein Bett, wo ich erst jetzt mein Handy wieder einschalte. Ich hatte es gleich nach dem Telefonat mit Ian deaktiviert, da ich mich zumindest für ein paar Stunden vor seinen Fragen und Vorwürfen schützen wollte. Insgesamt ist es mir erstaunlich leichtgefallen, einen Schlussstrich zu ziehen, aber letztendlich überrascht diese Tatsache auch nicht wirklich. Immerhin liegen nun knappe zwei Jahre Fernbeziehung hinter uns, wo wir uns lediglich alle zwei bis vier Wochen gesehen haben. Obwohl dies insgesamt schon als Begründung durchgeht, werde ich ihm unter keinen Umständen den wahren Grund für das Ende unserer Beziehung verraten.
Wie bereits erwartet, trudeln sofort einige Nachrichten meines Exfreundes ein, welche ich jedoch bewusst ungeöffnet lasse. Meine Augen sind ohnehin viel zu schwer, um mich jetzt noch einer Diskussion stellen zu können. Stattdessen stelle ich mein Handy in den Flugmodus und schiebe es danach unter mein Kopfkissen. Gleich darauf rolle ich mich tiefer in meine Decke und versuche, eine bequeme Schlafposition zu finden.
Kurz bevor mir endgültig die Augen zufallen, bereite ich mich innerlich darauf vor, im Schlaf wieder jenem Mann zu begegnen, welcher nun schon geraume Zeit meine Träume beherrscht.
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