13. Kapitel: Versöhnung und Neuanfang

Rowin:
Seitdem meine Freunde sich um mein kleines ‚Problem' mit dem Blauen Oleander Gift gekümmert hatten, waren zwei Tage verstrichen. Trotzdem hatte sich mein Körper noch nicht völlig von den Strapazen erholt, weshalb Heidrun mich stets begleitete, um zu verhindern, dass ich einfach umfiel. Inzwischen konnte ich kürzere Strecken aber schon wieder relativ sicher zurücklegen, ohne zusammenzubrechen und diese Strecken wurden mit jedem Mal größer. Jetzt gerade war ich auf dem Weg vom Gemeinschaftsraum, wo wir gefrühstückt hatten, zurück zu meiner Hütte. Abgesehen von einem kleinen Moment, wo ich kurz das Gleichgewicht verlor, gelang es mir auch ganz gut. In meiner Hütte angelangt setzte ich mich auf mein Bett und ruhte mich aus, Heidrun nahm indessen auf meinem Schreibtischstuhl Platz. „Was wollen wir jetzt machen?", fragte sie und sah sich im Raum um. „Ich weiß nicht, normalerweise würde ich ja trainieren, aber das dürfte wohl nichts werden", antwortete ich und blickte mich ebenfalls um. „Wie wäre es, wenn du mir etwas vorliest?", meinte Heidrun plötzlich und sofort sah ich sie leicht verwundert an. „Oh Mist, habe ich das etwa laut gesagt?", fragte sie erschrocken, ich nickte. „Na ja, als du bewusstlos warst, da habe ich dir eventuell die eine oder andere Geschichte vorgelesen und jetzt da dachte ich einfach...", erklärte sie, sprach aber nicht zu Ende. „Du hast... mir etwas vorgelesen, als ich weg war? Danke", entgegnete ich.

„Gut, was hast du hier denn so rumstehen?", erkundigte sie sich. „Na ja, hauptsächlich wissenschaftliche Bücher über Pflanzen, Drachen und den Schwertkampf", antwortete ich und dachte selbst nach. Da fiel mir plötzlich wieder dieses Buch ein, was ich Astrid abgenommen hatte, ich wusste zwar nicht, wo es herkam, aber anscheinend enthielt es die Wahrheit. Jedenfalls hatte ich einmal kurz reingelesen und war auf keine nennenswerten Fehler gestoßen. Kurz entschlossen sagte ich Heidrun, wo das Buch war und bat sie, es mir herüber zu reichen, dabei hatte ich allerdings ein bisschen Angst. Denn natürlich hatte ich das Buch in dieselbe Truhe gelegt, in der ich auch Sigfrids sogenanntes ‚Beweisstück' aufbewahrte. Zum Glück schien sie es jedoch nicht bemerkt zu haben, weshalb ich das Buch beruhigt beim Inhaltsverzeichnis aufschlug und nach etwas Interessantem suchte. Bald hatte eine Passende Geschichte gefunden, die Seite aufgeschlagen und angefangen vorzulesen.

Vor vielen Jahrhunderten, zu Zeiten unseres ersten großen Krieges, da gab es auf der Seite des Feindes einen mächtigen Krieger. Sein Name war Dragona. Gemeinsam mit seinem treuen Gefährten Kelbek nahm er vielen unseres Volkes das Leben, selbst unser damaliger Kampfmeister, Argon, bildete da keine Ausnahme. Es sollte nur eine ganz gewöhnliche Mission sein, um ein Bündnis mit einem Drachennest zu schmieden. Doch die Truppen des Dämonenkönigs konnten dies nicht tatenlos hinnehmen, weshalb sie die Insel angriffen. Zusammen mit seiner Tochter Kari musste sich Argon dann überraschend diesen beiden Kriegern stellen. Mutig zogen sie ihre Waffen und traten ihren Widersachern entgegen, schnell kristallisierten sich dabei zwei einzelne Kämpfe heraus. Argon stellte sich, mit seinem Breitschwert bewaffnet, Kelbek, der ein Kurzschwert, sowie auch mehrere Messer bei sich trug. Indessen stellte sich Kari, die ein Lang- und ein Kurzschwert verwendete, dem grausamen Dragona, welcher ein längliches Krummschwert sein Eigen nannte. Während Argon mit seinem Gegner ganz gut mithalten konnte, bereitete Dragona der mutigen Kriegerin bald ernste Schwierigkeiten, als er sie entwaffnete.

Ohne den rettenden Eingriff ihres Vaters, der eines von Kelbeks Messern nach Dragona warf, hätte Kari jenen Tag vermutlich nicht überlebt. Durch diese Ablenkung konnte die Tochter des Kampfmeisters ihren Gegner jedoch zumindest vorübergehend zurückschlagen, selbiges tat Argon mit seinem. Besorgt trat der Vater anschließend zu seiner Tochter und bat sie, sich zurückzuziehen, was sie auch tat, jedoch nicht ohne Argon vorher noch ihr Langschwert zu geben. Mit ihm und seinem eigenen Breitschwert bewaffnet stellte er sich also seinen beiden Feinden gleichzeitig. Der Kampf war lang und hart, doch schließlich schaffte es Argon sich einen Vorteil zu verschaffen, indem er Kelbek schwer verwundete. Am Ende nützte es ihm aber leider nichts, denn beim Anblick seines blutenden Kameraden verfiel Dragona in eine unbeschreibliche Wut. Diese Wut nutzte er, um auf Argon loszugehen und ihn schließlich niederzustrecken. Weit über die vielen Meilen ihrer bisherigen Flucht hinweg fühlte Kari den Tod ihres Vaters und Lehrmeisters, wie einen Stich im Herzen.

„Eine interessante Geschichte, aber wie konnte dieser Dragona bitte gegen einen Seelenkrieger gewinnen? Immerhin habe ich erlebt, dass mit euch nicht zu spaßen ist, also warum hat er es geschafft?", fragte Heidrun ungläubig. „Ganz einfach, weil sie keine richtigen Menschen mehr sind" erklärte ich, „sie gehören zu einer Gruppe an Leuten, die genau wie wir Seelenkrieger nicht mehr ganz menschlich sind." Bei dieser Antwort legte Heidrun den Kopf schief und sah mich verwirrt an. „Und was sind sie bitte dann?", fragte sie weiter. „Das zu erklären, würde hier jetzt zu lange dauern, außerdem habe ich dir sowieso schon zu viel erzählt", meinte ich einfach und wandte mich ab.

Am Abend lag ich an meiner Drachengestalt auf der Klippe über den Hütten und genoss den traumhaften Ausblick auf die untergehende Sonne. Irgendwann hörte ich ein lautes Drachenseufzen hinter mir und drehte mich zu ihm um. Von dort kam Ohnezahn herangetrottet und ließ sich kraftlos neben mir auf den Boden sinken. „Alles in Ordnung Ohnezahn?", fragte ich besorgt. So hatte ich den Nachtschatten nicht mehr erlebt, seit ich ihm und auch Astrid dabei geholfen hatte, den Tod von Hick zu verarbeiten. „Nein, nicht mal annähernd", meinte er leicht verheult. „Willst du darüber reden?", fragte ich und legte ihm tröstend einen Flügel auf die Schulter. „Kann ja nicht schaden", meinte er und sah mich an, „Ayla hat gestern Abend mit mir Schluss gemacht." Verwundert blickte ich ihn an, die Beiden verstanden sich doch eigentlich ganz gut, jedenfalls den vielen Nächten nach zu urteilen, die sie miteinander verbracht haben müssen. „Wieso das denn?", hakte ich nach. „Na ja, die Paarungszeit ist ja schon seit einigen Tagen vorbei, aber ich habe trotzdem nicht... aufgehört die Zeit mit ihr zu... genießen", erklärte Ohnezahn verlegen. „Und sie hat das gestört, richtig?", erkundigte ich mich vorsichtig. „Genau, ihr sind gestern Abend dann die Sicherungen durchgebrannt, weshalb sie mich etwas rabiat von sich gestoßen hat. Ich habe gefragt, was denn los wäre, und sie meinte, dass ich ihr in letzter Zeit etwas zu... besitzergreifend wäre. Dann hat sie noch gemeint, dass es wohl das Beste sein würde, wenn wir eine Weile lang Abstand voneinander halten und uns so wenig wie möglich sehen", erzählte er weiter. „Und diese Trennung macht dir jetzt schon schwer zu schaffen, richtig?", fragte ich. „Ja, ich habe den ganzen Tag irgendwo rumgelegen und geheult", meinte er und schon kamen ihm wieder ein paar Tränen.

„Also, wenn du das mit Ayla klären möchtest, wovon ich stark ausgehe, dann solltest du dir zuerst die Frage stellen, warum du so... besitzergreifend warst", riet ich. „Äh, ich weiß nicht genau... verdammt, Hick wäre bestimmt schon längst auf die Antwort gekommen", meinte er und schniefte. Kurz dachte ich darüber nach, bis mir ein Gedanke kam, den ich ohne zu zögern, sofort aussprach. „Kann es vielleicht sein, dass du Hicks so sehr vermisst hast, dass diese... Momente mit Ayla für dich eine... willkommene Ablenkung für dich waren?", fragte ich also. Augenblicklich sah der Nachtschatten mich schief an, doch bereits nach kurzer Zeit, änderte sich sein Blick. Scheinbar dachte er tatsächlich über meine Aussage nach und hielt sie für gar nicht mal so abwegig. „Vielleicht...", murmelte er schließlich, „jetzt, wo ich so darüber nachdenke... ich habe Hicks in den letzten Tagen wirklich sehr vermisst und als ich dann mit Ayla... zusammen war. Es fühlte sich einfach nicht mehr so schmerzhaft an und ich wollte dieses Gefühl wohl nicht mehr verspüren, weshalb ich... na ja..." Während dieser Erklärung musste ich mich immer mehr anstrengen, meinen Unterkiefer oben zu behalten, es war zwar meine Theorie gewesen, aber dass sie stimmte... „Gut, oder auch nicht", erwiderte ich, „tut es dir denn leid, was du getan hast, Ohnezahn?" Diese Frage traf meinen Gegenüber eiskalt und sofort wandte er den Blick ab. „Ja schon, aber was genau soll ich denn jetzt machen?", fragte er zurück. „Also ich bin zwar kein Experte in solchen Sachen, aber ich würde sagen, dass du dich Ayla vielleicht erklären und sagen solltest, was für ein Idiot du warst. Danach kannst du nur noch auf das Beste hoffen", antwortete ich ihm. „Rosige Aussichten sind es trotzdem nicht", meinte Ohnezahn betrübt. „Noch viel weniger rosig sähe es aber für dich aus, wenn du dich gar nicht mehr mit ihr versöhnst", gab ich zurück. „Na gut, da hast du Recht", bemerkte der Nachtschatten und blickte in Richtung des Sonnenuntergangs. Noch eine ganze Weile lagen wir so da, bis ich schließlich aus Müdigkeit, und auch weil Heidrun mir anderenfalls den Kopf abreißen würde, zurück in meine Hütte ging.

Ohnezahn:
Dieser Abend mit Rowin hatte mir wirklich weitergeholfen, was nicht bedeutete, dass es einfach werden würde, mein Problem zu lösen. Mit einem letzten Blick gen Horizont stand ich langsam auf und wandte mich dem hohen Berg auf der Insel zu. Wenn Ayla auch nur halb so mitgenommen von unserer Trennung war wie ich, dann gab es nur einen Ort, an dem sie sich befinden konnte. So öffnete ich meine kräftigen Schwingen, erhob mich in den Himmel und flog in Richtung der Klippe, mit der angrenzenden Höhle, wo wir auch unsere gemeinsamen Nächte... verbracht hatten. Nach kurzer Zeit war der Weg zurückgelegt und ich sah sie tatsächlich lustlos am Klippenrand liegen. Als ich landete, drehte sie sich sofort von mir weg, rollte sich zusammen und legte ihre Flügel über ihren Kopf, um mich nicht sehen zu müssen. Schluckend bemerkte ich wie meine Flanken zitterten, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich nervös war, was ja auch stimmte. Ich wusste aus Erfahrung wie stur Ayla manchmal sein konnte, deshalb fürchtete ich auch, dass meine Entschuldigung für sie nicht ausreichen würde. Trotzdem war es, genau wie Rowin gesagt hatte, alles was ich im Moment tun konnte, etwas Anderes würde nichts nützen. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, trat auf sie zu und räusperte mich leicht. Sie rührte darauf keinen Muskel, was mich erneut zum Schlucken brachte. „Ayla, ich weiß, dass du mich vorerst nicht mehr sehen wolltest und diese Entscheidung respektiere ich auch", fing ich also an, „aber ich wollte dir nur noch eine Sache sagen." Endlich zeigte meine ehemalige Freundin eine kleine Reaktion, nämlich zog sie ihre Flügel zurück und sah mich aus den Augenwinkeln an.

Zwar tat es sehr weh, sie so abweisend mir gegenüber zu erleben, aber wenigstens hörte sie mir zu. „Ich wollte sagen, dass ich jetzt einsehe, welchen Fehler ich gemacht habe. Ich...", erklärte ich schließlich, „ich war ein verdammter, selbstsüchtiger Aalfresser, dem es völlig egal war, was mit den anderen in seiner Nähe geschah." Diese Aussage brachte Ayla endlich dazu mir ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken und den Kopf zuzuwenden. Ihr Blick erschien mir wie eine Mischung aus Überraschung, Erleichterung und irgendwie auch Schuldbewusstsein. Mit brennenden Ohrenspitzen fuhr ich fort: „Es tut mir wirklich leid, wie ich mit dir umgegangen bin, aber der Tod von Hicks hat mich sehr schwer getroffen. Das Loch, das er in mein Herz gerissen hat, ist bis heute nicht richtig verheilt und während der Paarungszeit in den letzten Wochen dann... Ich hatte einfach nicht mehr dieses Gefühl, wenn wir... zusammen waren und wollte es auch nach dem Ende dieser Zeit nicht mehr verspüren. Deshalb habe ich mich so verhalten... ich erwarte jetzt nicht, dass du mich verstehst und mir verzeihst, aber ich wollte, dass du es weißt. Ich werde dich ab jetzt in Ruhe lassen, so wie du es wolltest und ich werde außerdem versuchen mich zu bessern. Wenn... Äh, falls du es dann irgendwann nochmal versuchen wollen solltest... werde ich da sein." Ungläubig starrte sie mich an, offenbar brauchte sie ihre Zeit, um das Gesagte zu verarbeiten und die sollte sie auch bekommen. Mit einem Nicken verabschiedete ich mich also, wandte mich ab und breitete die Flügel aus, doch bevor ich mich in den Himmel schwingen konnte, hielt Ayla mich zurück. „Ohni, warte!", rief sie und erhob sich ebenfalls. Irritiert faltete ich meine Flügel wieder zusammen und blickte sie an, in ihren Augen lag ein Ausdruck, den ich nicht so recht deuten konnte.

„Ohni, ich möchte es nochmal versuchen, was glaubst du, wie ich mich heute den Tag über gefühlt habe? Es war einfach schrecklich!", meinte sie und kam ein paar Schritte näher. „Wirklich? Ich dachte, du bräuchtest eine Pause von mir?", fragte ich verwirrt. „Ich brauchte keine Pause von dir, sondern von deiner... Aufdringlichkeit", antwortete sie, „Ohni, ich liebe dich und will dich auf keinen Fall verlieren. Nur ist es mir in den letzten Wochen schon ein Bisschen viel geworden und als du dann weiter gemacht hast, obwohl unsere Paarungszeit schon vorbei war... das habe ich einfach nicht mehr ausgehalten." Diese Aussage warf meine Gedankenwelt, komplett über den Haufen, immerhin hatte sie gerade mir gestanden, dass sie mich liebte. Zugegeben, es war an sich nicht das erste Mal, in den vergangenen Wochen hatten wir Beide das dem Anderen schon öfters gesagt, aber da waren unsere Instinkte auch etwas... durch den Wind. „Ich liebe dich auch", gestand ich schließlich, „und ich bin froh, dass du mir scheinbar meine Fehler vergeben willst." Ganz langsam kamen wir uns immer näher, dabei zuckten unsere Flügel immer wieder leicht unkontrolliert. Als wir ganz nah waren, schmiegte Ayla ihren Kopf ganz vorsichtig an meinen und rang mir so ein genüssliches Gurren ab, bevor ich es ihr gleichtat. Plötzlich zog sie ihren Kopf dann aber zurück und sah mich leicht drohend an. „Aber wag es ja nicht, mich nochmal als Ablenkung von deinen Gefühlen zu missbrauchen, ist das klar?", fragte sie mit Nachdruck. Verlegen lächelte ich und nickte, da mir ihr plötzlicher Gefühlsumschwung die Sprache verschlagen hatte. „Gut, dann komm wieder her", bat sie und schnurrte leise.

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