CAT - Kapitel 73
„Wo ist das Foto?" Crow steht plötzlich hinter mir in der Küche und vor Schreck lasse ich das Glas, das ich gerade auffüllen wollte, in die Spüle fallen, wo es zerspringt.
„Was für ein Foto?", frage ich. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon er redet. Drohend baut er sich vor mir auf.
„Ich habe gestern Abend nur das Album, das du im Arm hattest ins Regal gestellt. Zu den anderen."
„Wie kommst du dazu, mein Zeug herumzuräumen?", brüllt er mich an und erneut zucke ich erschrocken zusammen.
„Ich habe nicht herumgeräumt. Du hast geschlafen. Ich wollte nicht, dass es runterfällt, also habe ich es..."
„Lass mein Zeug einfach in Ruhe, ja? Und jetzt gib mir das Foto zurück. Sofort!" Er brüllt so laut, dass es in meinen Ohren piept.
Unsanft packt er mich am Arm und zerrt mich ins Wohnzimmer. Erst dicht vor dem Regal lässt er mich los, und mein Oberarm brennt wie Feuer, wo sich rote Striemen bilden. Das hatten wir doch schonmal!
„Wo, Cat?", schreit er und mit zitternden Fingern zeige ich auf den schmalen Band.
„Hier ist es Crow", sage ich, ziehe es raus, um es ihm zu geben.
„Ich habe gesagt, du sollst mein Zeug in Ruhe lassen!" Er reißt mir das Buch aus der Hand, klappt es auf, deutet auf eine leere Stelle, wo nur verwaiste Fotoecken darauf hindeuten, dass dort mal ein Foto war.
„Crow, beruhig dich doch bitte, ich wollte nur..."
„Ja, Cat, was wolltest du? In meinem Vorleben herumschnüffeln?"
Spinnt er jetzt? Glaubt er ich schau mir heimlich seine Fotoalben an?
„Ich habe dich zugedeckt, weil du geschlafen hast. Ich habe überhaupt nicht geschnüffelt!", verteidige ich mich. „Ich wollte nur nicht, dass es runterfällt. Mehr nicht. Ich hätte es genauso auf den Tisch legen können. Reg dich doch bitte nicht so auf! Ich habe es nur gut gemeint. Ich habe kein Foto genommen, nicht mal eins angeschaut. Es muss dir einfach runtergefallen sein!"
Ohne Vorwarnung packt er den Couchtisch und wirft ihn um. Alles, was auf der Ablage unter der Tischplatte liegt, wirbelt herum landet in einem einzigen wilden Durcheinander auf dem Boden. „Sehr konstruktiv, Crow!", wage ich zu bemerken.
Ohne mich zu beachten, holt er mit dem Fuß aus, tritt gegen den Tisch, sodass dieser über den Boden rutscht.
Noch immer wutschnaubend kommt er zu mir:
„Wenn ich wiederkomme, bist du hier verschwunden, ist das klar? Sonst kann ich für nichts garantieren!"
Ich hatte ohnehin nicht den Plan, nach diesem Auftritt heute hierzubleiben. Also nicke ich stumm, sehe ihm nach, wie er davonstürmt und die Wohnungstür hinter sich zuknallt.
Was war das denn für ein Auftritt? So hat er sich selten aufgeführt.
Seufzend stelle ich den Tisch auf, dann lege ich die Sachen, die wild verstreut herumliegen als Stapel wieder darauf.
Auf Knien schaue ich unter die Couch, taste darunter herum, ob ich ein Foto finde.
Einer Ahnung folgend nehme ich die verknäuelte Decke vom Sofa und schüttele sie aus und siehe da, das Foto segelt zu Boden, landet sanft wie ein Blatt im Herbst.
Dass er wegen unseres Piercing-Schnappschusses so einen Wirbel macht, finde ich etwas übertrieben.
Ich falte die Decke, hebe das Foto auf und will es auf den Tisch legen. Wie bei den Suchbildern, die immer in den Rätselheften abgedruckt sind, fällt mir aber ein Detail auf:
Crow fehlen einige Tätowierungen und eigentlich alle Piercings. Das ist strange. Echt spooky.
Das Foto wurde vor Toms Studio aufgenommen, so viel ist klar. Crow oder eine jüngere Version von ihm mit wesentlich weniger Tattoos hat einen Arm um ein Mädchen gelegt, dass fröhlich lachend dem Fotografen die Zunge entgegenstreckt.
Crow hat sein T-Shirt zusammengerollt und es sich lässig in den Hosenbund gesteckt, so dass es schlaff an seinem Bein herunterhängt, mit der Hand deutet er stolz auf seine Brustwarze.
Okay. Am besten setze ich mich vielleicht erstmal hin?
Dann lege ich den Schnappschuss mit dem stolz grinsenden Crow auf dem Couchtisch ab und versuche das Geschehen mit Abstand zu betrachten, was mir aber nicht wirklich gelingen will.
Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, lege Crows und mein Selfie daneben. Die Ähnlichkeit der beiden Fotos ist wirklich unübersehbar.
Was mich aber wirklich richtig von den Socken haut, ist nicht die Ähnlichkeit der Situation, sondern die Ähnlichkeiten zwischen den Mädels, die jeweils neben Crow stehen.
Also zwischen mir und – naja, vermutlich Meghan.
Sie reicht ihm ebenfalls nur knapp bis zur Schulter, ihre langen blonden Locken fallen ihr bis zur Mitte des Rückens, sind also kaum kürzer als meine. Ihre Gesichtszüge sind etwas weicher als meine, insgesamt ist sie etwas weniger sportlich als ich, aber sie ist vermutlich nicht drei Mal pro Woche beim Laufen. Oder beim Laufen gewesen.
Ihr ebenfalls grünen Augen funkeln lustig und ich frage mich, was eigentlich so schieflaufen konnte, dass dieses Lächeln für immer erloschen ist.
Aber noch mehr beschäftigt mich die Frage, ob Crow in mir eine Art Ersatz-Meghan sieht. Ich stecke mein Handy ein, nehme mir Stift und Zettel, hinterlasse ihm eine Nachricht.
Ruf mich an, Corey. Steht auf der kleinen gelben Haftnotiz.
Dann nehme ich meine Tasche und gehe wie er es verlangt hat.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top