𝔎apitel 11
𝔈s verletzte sie in keinster Weise, als er ihr offen gestand, dass er nicht wusste, ob er ihr gegenüber genug Vertrauen fassen konnte. Sie wusste es von sich selbst auch nicht. Eigentlich sollte sie Castiel als ihren Feind betrachten, doch irgendwie hatte sich diese Betrachtungsweise schon geändert, als sich ein unausweichlicher Kampf andeutete.
Doch wenn sie diese Möglichkeit wirklich in Betracht zog, dann nicht aus Liebe, wie es Livia getan hatte, sondern, weil sie mit diesem Schritt vielleicht den Anfang dafür machen könnte, sodass dieser ewige Machtkampf zwischen den Kindern der Nacht und ihren Jägern irgendwann ein Ende haben würde. Ihr Vater hätte sie zwar früher für diese Gedanken gerügt, wenn nicht sogar verachtet, doch Ophelija war in dieser Hinsicht etwas anders, als die meisten Jäger in ihrer Familie.
Ophelija wusste um die Unterschiede, die man bei den Vampiren machen musste – und die ihre Verwandten einfach nicht sahen, oder vielleicht auch bewusst missachteten. Sie wusste ebenfalls, dass viele Blutsauger unfreiwillig zu dem geworden waren, was sie nun verkörperten – und Sir Castiel sagte ihr nun gerade heraus, dass er auch einer der Ihren war. Das hatte die junge Frau zwar schon geahnt, doch es noch einmal von ihm bestätigt zu bekommen war auf irgendeine Art ... erleichternd. Denn es bedeutete, dass sie sich nicht geirrt und ihr Instinkt sie nicht im Stich ließen.
Die Lösung, die ihnen blieb, war riskant. Für beide von ihnen, barg sie außerdem noch eine ganze Menge unbeantworteter Fragen. Doch für Ophelija stand fest, dass sie sich wohl letztendlich doch darauf einließe. Sie hatte mehrere Gründe dafür und der vorrangigste davon war, dass somit verhindert werden könnte, dass Castiel nochmals einen Menschen verletzten würde oder müsste. Sie war sich nicht ganz sicher, doch sie glaubte beinahe, dass ihm das auch eine gewisse Art von Erleichterung zu verschaffen vermochte, wäre diese Art von Ernährung doch um einiges moralisch vertretbarer.
Es gab in seinem Angebot, dass er ihr offen und ohne zu zögern erklärt hatte, einen kleinen Haken, von dem sie nicht wusste, wie sie ihn umgehen oder lösen sollte. Zwar könnten sie den anderen Vampiren, die ebenfalls mit ihrem Lebenswandel haderten, einen Weg aufzeigen, wie sie aus ihrer vertrackten Situation wieder heraus kommen konnten – immerhin würden sie dann als lebender Beweis gelten. Aber wie sollten die anderen Vampire diesen Weg auch bewerkstelligen können?
Wenn schon sie selbst – und Lady Ducane war sich dessen bewusst, dass sie schon eine der avantgardistischen Jäger ihrer Art war – einige Bedenken bezüglich dieses Versuchs hegte, wie würden die Vampire dann jemand anderen finden, der bereit war, ihnen etwas von ihrem Lebenssaft anzubieten, so wie sie es bei Castiel tun würde? Sie selbst wäre nicht in der Lage mehr als Castiel und einen weiteren Vampir auf diese Art und Weise zu nähren, sonst würde der Blutverlust sie zu sehr schwächen, und das konnte sie sich unter keinen Umständen erlauben. Nur weil es friedfertige und diplomatische Vampire gab, hieß das nicht, dass es nicht auch überaus Gefährliche und Skrupellose gab – bei denen Ophelija nicht einmal mit der Wimper zucken würde, bevor sie ihnen den Holzpflock in deren totes Herz stieße.
Sie räusperte sich nun und lenkte damit Sir Worthingtons Aufmerksamkeit wieder vollends auf sich, der sie spannungsvoll ansah. Doch sie war noch nicht in der Lage, ihm eine Antwort zu geben, von der sie vollkommen überzeugt war.
Kurzerhand stand sie auf und verließ unter dem verwirrten Blick von Castiel das Zimmer. Im Flur, den sie nun betrat war es wesentlich kälter, als in dem feuerbeheizten kleinen Raum. Sie schritt schnell zu der Garderobe, welche sich in einer kleinen Einnischung in der holzvertäfelten Wand befand und griff in die Tasche des Mantels, den sie heute auf ihrem Hinweg getragen hatte. Ihre Finger ertasteten den kleinen Leinenbeutel und sie lächelte zufrieden. Mit dem Säckchen in ihren Händen lief sie wieder zurück in das warme Zimmer und schloss die Tür mit der einen Hand, während sie kurz darauf das gefüllte Beutelchen an Sir Castiel weiterreichte, der sie immer noch fragend ansah.
Sie lächelte ihn höflich an und beantwortete ihm nun die Frage, die er zwar nicht stellte, die ihm aber deutlich ins Gesicht geschrieben stand: »Mylord, ich wollte Euch diese kleine finanzielle Entschädigung eigenhändig zukommen lassen, da Euer Mobiliar im großen Saal während meines letzten Aufenthaltes hier etwas gelitten hat und beschädigt wurde.«
Er wusste bestimmt genau, worauf sie anspielte. Sie erinnerte sich immer noch genau an das Geräusch, mit dem er die Polsterung des Sessels durch seinen klauenartigen Fingernägeln aufrissen, damit er nicht völlig die Kontrolle zu verlor, als sie das Blut in das Kristallglas hatte laufen lassen. Es war nicht als materielle Entschuldigung gedacht, denn sowohl sie als auch der Vampir besaßen über genug Finanzen. Es war eher als ein Symbol gedacht, als indirekte Entschuldigung dafür, dass die Situation sich zwischen den beiden so derartig zugespitzt hatte.
Zögernd nahm er das Geld entgegen und es erschien Ophelija so, als wäre er nicht ganz zufrieden damit. Jedoch erkannte er die gute Absicht dahinter, denn er erwiderte: »Ich danke Euch, Lady Ophelija. Dabei ist der Sessel schon längst repariert.«
Dabei ist es schon längst vergeben und vergessen, dass Ihr die Absicht hegtet, mich in meinem eigenen Heim zu ermorden, übersetzte die Huntswoman seine Antwort im Stillen und folgte mit dem Blick seinen wohlgeformten Händen, die den Beutel neben sich auf die Armlehne des Sessels legten.
»Es ist keineswegs so, als wüsste ich diese Geste nicht zu würdigen, aber leider gibt es ein dringenderes Thema als dieses. Wir müssen eine Lösung für mein Problem finden. Das von mir unterbreitete Angebot lässt sich auch später noch erörtern, wenn wir sehen, ob wir es beide befürworten können. Mein Anliegen ist es nun, herauszufinden, ob Ihr glaubt, dass Ihr mir genügend vertrauen könnt, um es mit der Lösung zu versuchen.« Er tippte mit seinem Finger auf die Pergamentrolle, um seine Worte zu unterstreichen. Diese kamen ihm ruhig und bewusst über die Lippen, so wie Ophelija es kaum anders von dem jungen Lord kannte. Als Vampir musste sich Castiel seiner wohl immer bewusst sein, damit ihm kein Fehler unterlief. Alles musste perfekt und auf den Punkt sein. Genauso wie bei ihr selbst auch.
»Ich denke, dass ich es versuchen würde. Um einen Versuch zu wagen sollte mein Vertrauen in Euch reichen«, riss das Kind der Nacht die Jägerin bereits wieder aus ihrem Gedanken.
Vertrauen.
Ein so wichtiges und tiefgreifendes Wort.
Da sprach der Lord es nun zum wiederholten Male aus und Ophelija wusste nicht, wie sie das nun bewerten sollte. Natürlich, für Castiel war diese Entscheidung um einiges einfacher, immerhin wusste er um die Schwierigkeiten, die er sonst bekommen würde, denn er wusste, dass sie es nicht zulassen würde, dass er sich weiterhin von menschlichem Blut ernährte. Tierblut stillte seinen Hunger zwar auch eine gewisse Zeit, jedoch würde es nicht den gleichen Nährgehalt und somit die gleiche Energie bereit stellen können. Davon abgesehen, dass man Ophelija erzählt hatte, dass tierisches Blut für Vampire nicht mal annähernd so schmackhaft war, wie Menschliches.
Als sie so darüber nachdachte, hätte sie beinahe angeekelt die Nase gerümpft. Nicht selten wünschte die junge Frau sich, dass sie nicht in diese Familie aus Jägern hinein geboren worden wäre. Sie hätte ein wesentlich einfacheres, entspannteres und angenehmeres Leben führen können, denn durch ihren jetzigen Lebenswandel schwebte sie eigentlich so gut wie jede Sekunde in Gefahr. Nicht selten rächten sich Lehrlinge oder Meister, wenn Ophelija es gelungen war, einen von ihnen zur Strecke zu bringen. Nicht selten war es passiert, dass auf ihrem Anwesen bereits Gefahren auf sie gewartet hatten ...
Vielleicht gab es eine Möglichkeit, wie dieses Abkommen zwischen ihnen beiden ein Nutzen sein konnte. Castiel würde durch diese Möglichkeit nicht mehr ungestüm töten müssen – was er ohnehin zu verabscheuen schien – und im Gegenzug könnte er Ophelija vielleicht den nötigen Schutz liefern, den sie auf ihren nächtlichen Unternehmungen brauchte. Und vielleicht, wenn man noch ein wenig an der Grundidee von Sir Worthington herumfeilte, dann wäre es vielleicht möglich, das sie eine Möglichkeit fanden, anderen Kindern der Nacht zu helfen, denen es ebenso erging, wie Castiel.
Es war riskant, vieles war ungewiss, aber genau das machte auch den gewissen Reiz aus, den Ophelija gegenüber diesem Vorhaben verspürte. In ihrer Berufung war es normal, die Gefahr zu lieben. In Verbindung mit dem Nervenkitzel, den Adrenalinschüben und dem Wissen, dass man durch sein Schaffen vielleicht die Welt verbessern konnte, war das unbezahlbar.
Letztendlich war es also nicht das Vertrauen, welches die rothaarige junge Jägerin dem Versuch zustimmen ließ, sondern die Hoffnung und die positive Aufregung gegenüber dem Fakt, dass dies eine Möglichkeit bot, endlich ihrem Ziel ein bisschen näher zu kommen, weitere Abenteuer zu erleben. Wenn sie dicht mit Castiel zusammen arbeitete, dann würde sie bestimmt auch noch viel mehr über die Physiologie und Psychologie der Blutsauger erfahren können, was immer einen Nutzen für sie mit sich brachte.
»Sir Castiel, es obliegt nicht alleine meiner Entscheidung, ob dieser Lösungsversuch wirklich starten kann, da Ihr es immer noch seid, für den es eine gewisse Abhängigkeit bedeutet. Natürlich setze ich mein Vertrauen in Euch« – glatt von der Stelle weg gelogen, wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte – »und denke, dass sich dieser Weg durchaus versuchen lässt. Ich denke, da habt sowohl Ihr als auch ich wenig zu verlieren ...« Wenigstens der letzte Teil war komplett ernst gemeint. Auch, wenn es nicht ganz stimmte, dass sie gar kein Vertrauen zu ihm fand, doch dieses Misstrauen, dass ihr Vater ihr von Anfang ihrer Erziehung an unablässig eingetrichtert hatte, ließ sich bei der jungen Dame nicht einfach von jetzt auf gleich abstellen. Fremden gegenüber erst recht nicht, vor allem, wenn es sich um ein Kind der Nacht handelte. Selbst, wenn Sir Castiel sich seine Menschlichkeit so gut wie möglich bewahrte.
Sie wollte leicht den Kopf schütteln, da ihre wirren Gedanken beinahe über sie hereinzubrechen drohten, hielt ihn jedoch ganz still, damit ihr Gegenüber nichts von all dem mitbekam. Er war nun wieder die Ruhe und Souveränität selbst, da wollte sie sich nicht die Blöße geben und ihm ihre momentane Schwäche offenbaren.
Auch, wenn Ophelija esnicht vor sich selbst zugeben wollte, dass sie ihn auf gewisse Art und Weisesogar leiden konnte, setzte ihr der Gedanke, Castiel könnte durch ihre Handsterben, mehr zu, als ihr lieb war. Sie wusste nicht, ob es einfach an Castielscharmanter Ausstrahlung lag, dass sie ihre Gefühle so ungeordnet vorfand, denneigentlich war das bei ihr nie der Fall.
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