D R E I

Die Sonne stieg nur träge über die hohen Zinnen des Schlosses von Ilathien, als der neue Tag begann. Doch während das Schloss langsam erwachte, fühlte sich Prinzessin Elara, als wäre sie seit Tagen wach. Die Nacht hatte ihr wenig Schlaf gebracht. Die Sorge um Cedric und die Fragen, die sich in ihrem Kopf überschlugen, ließen keinen Platz für Ruhe.

Elara saß auf ihrem Bett, die Hände fest in den Stoff ihres Nachthemds gekrallt. Lord Aric von Valtor. Der Name hatte sich in ihre Gedanken eingebrannt wie ein unauslöschliches Mal. Sie wusste, dass er der Schlüssel war – er musste derjenige sein, der hinter all dem steckte. Aber konnte das wirklich sein? Er war schon vor vielen Jahren verschwunden, nach der gescheiterten Rebellion. Niemand hatte je wieder etwas von ihm gehört.

Trotzdem... warum tauchte sein Name jetzt wieder auf?

Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Es war ihre Kammerzofe, Leona, ein Mädchen, das ihr seit ihrer Kindheit diente und ihr in all den Jahren eine enge Vertraute geworden war. Doch heute wirkte Leona blasser als sonst, ihre Hände zitterten leicht, als sie den Raum betrat.

„Prinzessin Elara," begann sie mit brüchiger Stimme, „der Kronprinz... er ist wach."

Elara sprang auf, als hätte jemand ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. „Wach?" Ihre Stimme war eine Mischung aus Erleichterung und Unglauben. „Wie geht es ihm?"

Leona nickte zögernd. „Es scheint, als wäre er außer Lebensgefahr. Aber... er ist schwach. Sehr schwach."

Ohne ein weiteres Wort eilte Elara zur Tür und rannte durch die Korridore des Schlosses. Die eisigen Steinwände, die sie sonst immer schützend empfand, schienen sie heute zu erdrücken. In ihrem Kopf hallte der Name ihres Bruders immer wieder wider. Cedric. Er durfte nicht sterben. Er war der Thronfolger, derjenige, der das Königreich eines Tages regieren sollte. Aber mehr als das – er war ihr Bruder. Und sie würde nicht zulassen, dass jemand ihn tötete.

Als sie schließlich sein Gemach erreichte, wurde sie von den Wachen am Eingang aufgehalten. Doch bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, kam Morgana aus dem Zimmer. Die Königin sah erschöpft aus, ihre Augenringe waren tief und dunkel, und ihr Gesicht war von Sorgenfalten gezeichnet.

„Elara," sagte sie mit rauer Stimme, „komm. Cedric möchte dich sehen."

Elara nickte stumm und folgte ihrer Mutter ins Zimmer. Der Anblick ihres Bruders ließ ihr das Herz schwer werden. Cedric lag blass und reglos im Bett, sein Atem ging flach, und sein Körper schien kaum noch Energie zu haben. Aber seine Augen waren geöffnet – schwach, aber wachsam. Als er Elara sah, versuchte er, ein Lächeln zu formen, doch es wirkte mehr wie ein schmerzhafter Zucken.

„Elara..." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Cedric..." Elara kniete sich neben das Bett, nahm seine Hand in ihre und versuchte, den Kloß in ihrem Hals zu überwinden. „Du darfst uns nicht verlassen. Wir brauchen dich."

Cedric schloss kurz die Augen, als würde ihn allein das Sprechen enorme Anstrengung kosten. „Ich habe versucht... stark zu bleiben," sagte er schließlich, „aber ich... habe versagt. Der Pfeil... er kam aus dem Nichts."

„Du hast nicht versagt", sagte Elara fest. „Wir finden heraus, wer das getan hat, und wir werden ihn zur Rechenschaft ziehen."

Cedrics Finger drückten leicht ihre Hand. „Es war mehr als nur ein Anschlag... Elara, es gibt... jemanden, den du finden musst."

Elara spürte, wie ihre Kehle enger wurde. „Wen?"

Cedric öffnete mühsam die Augen, sein Blick war verschwommen, als wäre er irgendwo zwischen Wachsein und Schlaf gefangen. „Aric..." flüsterte er. „Aric von Valtor."

Elaras Herz setzte einen Schlag aus. Es war wahr. Cedric wusste es auch. Aric war zurück. Doch bevor sie ihn weiter befragen konnte, schloss Cedric die Augen wieder, erschöpft von dem wenigen, was er gesagt hatte.

Morgana, die neben dem Bett stand, sah Elara mit ernsten Augen an. „Wir müssen ihn ruhen lassen," sagte sie. „Der Arzt sagt, er braucht Zeit, um sich zu erholen."

Elara nickte und stand auf. Ihre Gedanken rasten. Aric von Valtor war der Schlüssel zu allem. Aber wie sollte sie ihn finden? Er war seit Jahren verschwunden, und niemand wusste, wo er sich aufhielt. Doch jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Irgendwo im Verborgenen zog er die Fäden.

Als Elara das Zimmer verließ, wartete Gawain bereits vor der Tür. Seine Haltung war angespannt, als er ihre Miene erblickte. „Was hat er gesagt?"

Elara sah sich in den leeren Korridoren um und trat näher an ihn heran. „Er hat bestätigt, was wir vermutet haben. Aric von Valtor ist hinter all dem."

Gawain stieß einen leisen Fluch aus. „Aric... Ich hätte wissen müssen, dass er nicht einfach verschwunden ist."

„Wir müssen ihn finden," sagte Elara entschlossen und begann loszulaufen. „Wenn er es wirklich war, der Cedric töten wollte, wird er nicht aufhören. Er könnte bereits weitere Schritte planen."

Gawain nickte ernst und folgte ihr. „Es wird nicht leicht sein, ihn aufzuspüren. Er hat viele Verbündete verloren, aber hat auch noch viele, die ihm noch immer loyal sind."

„Dann müssen wir jemanden finden, der mehr über seine Aufenthaltsorte weiß." Elara sah entschlossen aus. „Wir haben nur eine Chance. Ich werde nicht zulassen, dass jemand anderes stirbt."

Gawain starrte sie an, als würde er über ihre Worte nachdenken, bevor er schließlich nickte. „Ich kenne da jemanden, der uns vielleicht helfen kann. Jemanden, der in den dunkelsten Ecken des Königreichs Informationen sammelt. Aber es wird gefährlich, und wir müssen diskret vorgehen."

„Gefahr hält mich nicht auf," sagte Elara, ihre Stimme fest und klar. „Wo finde ich diese Person?"

„Nicht weit von hier," antwortete Gawain. „Im Verborgenen Bezirk der Hauptstadt. Aber wir müssen vorsichtig sein – dort wimmelt es von Leuten, die nicht gut auf das Königshaus zu sprechen sind. Du musst unerkannt bleiben."

Elara nickte. „Ich werde alles tun, was nötig ist. Wir brechen sofort auf."

Elara holte einen Umhang und sie und Cedric erreichten schon nach einigen Minuten die Schlossmauer und warfen ein letzten Blick auf den Horizont. Ihre Augen weiteten sich, als sie feindliche Truppen in großer Zahl erblickten, die sich bedrohlich an den Grenzen des Königreichs sammelten. Die schwarzen Fahnen der Feinde flatterten im Wind, und die Bewegung der Soldaten deutete auf eine drohende Belagerung hin.

„Wir müssen schnell handeln," sagte Cedric, seine Stimme angespannt. „Sonst wird der Feind uns überrennen, bevor wir uns vorbereiten können. Es macht schnell die Kunde, dass der Kronprinz verwundet ist."

Elara nickte zustimmend, die Dringlichkeit der Situation klar vor Augen. Sie wussten, dass es nun keine Zeit mehr für Zögern gab.

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