Kapitel 31

Als Theo Andrew und mich zum Abendessen ruft und wir das Esszimmer betreten, sind bereits alle meine Familienangehörigen da. Die Lautstärke der Gespräche gibt mir einen unsichtbaren Schlag und auch Drew scheint überrascht von der Anzahl der Leute zu sein, obwohl er ursprünglich darauf vorbereitet war.
Ich dränge ihn sofort zum Tisch. Hauptsache niemand bemerkt uns.
Wir hatten bereits jedem, der am Fenster aufgetaucht war, zugewunken und meiner Meinung nach reicht das aus.
Es braucht seine Zeit, bis sich jeder endlich hinsetzt. Vor allem meine Oma will immer wieder in die Küche flüchten, um etwas zu holen, was niemand wirklich braucht.
Elias rettet mich vor meiner großen Cousine, indem er neben mir Platz nimmt. Einer meiner Onkel setzt sich zu Andrew hin, also tauschen wir beide die Plätze, damit einerseits Andrew eine bekannte Person neben sich hat - meinen großen Bruder eben - und andererseits ich die ganzen Fragen abbekomme und nicht er. Außerdem: Je mehr Abstand zwischen Melanie und mir ist, desto besser.
Während des Essens beugt sie sich jedoch nach vorne und ich mache den Fehler, sie genau in diesem Moment anzusehen.
“Lisa, warum hast du dich so weit weg hingesetzt?“, fragt sie mit ihrer hohen Stimme. “Ich wollte dir Fotos aus unserem Urlaub zeigen.“
Ich täusche ein Lächeln vor. “Oh, tut mir leid. Kannst ja später zeigen.“
Drew senkt den Blick und tut so, als hätte er was verloren. Dabei muss er nur sein Grinsen verstecken, das ihm nicht von den Lippen weicht.
“Stimmt, wir haben ja noch das ganze Wochenende zusammen.“, sagt Melanie und lächelt.
Drew macht ein komisches Lachgeräusch, Elias fängt an, sich den Mund mit Essen vollzustopfen, weil er ebenfalls grinsen muss. Diese Jungs...

Nach dem Abendessen flüchten Andrew und ich nach oben in unser Zimmer. Oder besser gesagt flüchte ICH. Drew hat nichts dagegen, unten zu bleiben und mit den anderen zu reden. Ich verstehe echt nicht, wie das geht.
“Ist doch auch eine interessante Abwechslung.“, lautet seine Erklärung. “Ich hatte nie so große Familientreffen - meine Eltern haben keine Geschwister.“
Diese Antwort lasse ich durchgehen. Ich habe immer Gesellschaft und weiß auch nicht, wie es ist, eine kleine Familie zu haben.
Da ich Em versprochen hatte, mich zu melden, rufe ich sie per Skype an. Die Überraschung auf ihrem Gesicht, als sie Drew neben mir sieht, werde ich wohl nie vergessen. Doch dann lächelt sie selbstzufriedener denn je. Ja, du hattest von Anfang an recht., denke ich mir.
Nach einer halben Stunde des Gesprächs, wo hauptsächlich nur Andrew und ich reden, betritt Elias das Zimmer.
“Tobias hat vorgeschlagen, Poker zu spielen.“, kündet er an.
Tobias ist mein jüngster Onkel, der auch beim Essen neben mir saß. Ich mag ihn, weil er ziemlich lustig ist.
Ich schaue interessiert hoch. “Wer spielt mit?“
Mein Bruder lacht. “Melanie nicht.“
Sein Blick wandert zu Andrew und wird unschlüssig. “Warum guckst du so komisch?“
Drew tauschen kurz die Blicke aus, doch Emily verrät sich selbst.
“HALLO ELIAS! Sieht zu, dass du nicht dein ganzes Geld verpeilst.“
Mein großer Bruder schützt unzufrieden die Lippen. “Hey Emily... Lange nicht gehört.“
Und am liebsten noch länger., füge ich in Gedanken hinzu. Nachdem es für Em klar geworden ist, dass zwischen Andrew und mir ernsthaft was läuft, hat sie angefangen, ein Mädchen für Elias zu suchen. Das geht ihm selbstverständlich auf die Nerven. In der Woche hat sie ihn so oft angeschrieben, dass er dem Versuch nahe stand, sie zu blockieren. Em ist halt eine professionelle Verkuppelerin, was soll man noch sagen. Mein Bruder ist zumindest nicht so leichtsinnig, auf eine Wette einzufallen. Im Gegensatz zu mir...
“Ja warum wohl?“, erwidert Emily streng. “Vielleicht weil du zufällig nicht auf meine Nachrichten und Anrufe antwortest? Ach ja, das kannst du ja gar nicht. Du hast mich ja blockiert!“
Oh...Er hat sie also doch blockiert? Oh.
Elias verdreht die Augen. “Chao.“
Und weg ist er.
Drew und ich lachen, verabschieden uns jedoch von Em und gehen runter ins Wohnzimmer.

Am nächsten Tag herrscht ein wenig Tumult unter den Erwachsenen. Alle machen irgendwo irgendwas und drängen dazu, die Kinder mit reinzuziehen. So mussten Drew und ich bereits dreimal in den Keller runter, weil immer etwas fehlte.
“Ehm... Lisa!“ Das ruft meine Mutter aus der Küche, als sie Andrew und mich die Treppe hinabsteigen sieht. “Kannst du Öl aus dem Keller holen?“
Ich stöhne auf und Drew lacht.
“Okay!“, sage ich genervt.
Also biegen wir zur Treppe in den Keller ab.
“Hör auf, ständig zu lachen.“, fahre ich ihn an.
Er legt den Arm um meine Taille und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe. “Tut mir leid, meine Schöne. Ich find's einfach lustig.“
Ich schnaube. “Du findest immer alles lustig. Aber egal.“ Ich schaue lächelnd zu ihm hoch. “Ich habe eine gute Idee.“
Andrew grinst. “Interessant.“
Wir bringen das Öl in die Küche und gehen zum Schuppen im Garten. Mit einem Schwung öffne ich die Türen und präsentiere Drew die Fahrräder darin. “Tadaa!“
Er hebt eine Augenbraue. “Und? Willst du wegfahren? Mit einem Fahrrad werd ich ganz bestimmt nicht zurück nach Berlin fahren.“
Ich boxe ihn in die Schulter. “Ach, sei doch leise!“
Er lacht wieder. “Schon gut, ich hör dir zu.“
Ich betrete den Schuppen und hole ein Fahrrad heraus. “Ich hatte dir doch während der Fahrt erzählt, wir haben hier einen See. Lass uns für ne Weile dorthin fahren.“
Endlich blickt mich Andrew zufrieden an. “Eine Fahrradtour - klingt gut.“
Er betritt den Schuppen und holt sich selbst ein Fahrrad.
Dann kommt Theo angerannt. Seine Haare sind verwuschelter als sonst und er sieht unglücklich aus. Im Haus hat man gerade keine Ruhe - das weiß ich besser als er, da er oben mit unserer kleinen Cousine gespielt hatte und nicht wie wir im Wohnzimmer war.
“Was gibt's?“, fragt Andrew, bevor ich es tun kann.
“Darf ich mit, wo auch immer ihr hin wollt? Bitte, bitte, bitte!“
Ich schüttle den Kopf und setzte mich auf das Fahrrad. “Nope. Denk nicht mal dran.“
Mein Bruder blickt flehend zu Drew rüber. Doch dieser schüttelt ebenfalls den Kopf.
“Tut mir leid, Kumpel.“
Er setzt sich ebenfalls auf das Fahrrad und zusammen fahren wir weg.
Es kostet einige Mühe, zum See hochzukommen und einmal steigen wir sogar von den Fahrrädern. Doch der Anblick, der sich uns letztendlich bietet, ist die Anstrengung wert. Durch die Sonne leuchten das Gras und die Blätter in einem schönen Grün, das Wasser glänzt und insgesamt sieht die Gegend sehr einladend aus. Wir lassen die Fahrräder fallen - obwohl mich mein Opa dafür bestimmt umgebracht hätte - und laufen zum See. Am Ufer ziehen wir die Schuhe aus und machen einige Schritte ins Wasser. Als Drew sich grinsend vorbeugt, ahne ich nichts Gutes. Und dann werde ich vollbespritzt.
“Jetzt gibt's Ärger!“, rufe ich aus und beuge mich selbst zum Wasser vor.
“Von dir?“, lacht er.
Dann wird er selbst nass und so geht es einige Zeit weiter.
Später entscheiden wir uns, eine Runde um den See zu laufen. Andrew hat den Arm um meine Schultern, mein eigener Arm liegt um seine Taille. Am der freien Seite führt jeder von uns sein Fahrrad.
“Willst du immer noch nach Stuttgart zurück?“, fragt Drew und schaut in die Ferne, als gäbe es da etwas zu sehen.
“Nein.“, antworte ich ernst. “Schon lange nicht mehr. Schließlich würdest du doch nicht mitkommen oder?“
“Hierher bin ich doch auch mitgekommen.“, erwidert er und lächelt mich an.
Egal, was er sagt, seine Mutter würde es ihm ganz bestimmt nicht erlauben. Und er würde sie auch genauso bestimmt nicht einfach so verlassen. Wegen einer Schulbeziehung... Ich glaube nicht, dass die Liebe so stark sein kann.
“Und du? Willst du zurück nach Hamburg?“, will ich wissen. “Ich meine, gibt es da noch etwas Wichtiges außer deinen Vater? Du hast mir nie von deinen alten Freunden erzählt.“
Drew lächelt knapp, aber nicht, dass er dabei glücklich aussieht. Und ich bedauere schon, die Frage überhaupt gestellt zu haben.
“Es gibt eigentlich nichts zu erzählen. Früher war ich fett und dazu auch noch ein Streber. Nicht, dass ich Freunde hatte.“ Er zuckt die Schultern. “Und meine Brille wurde ich erst letzten Sommer los. In der Zehnten hat sogar niemand gemerkt, dass ich mich im Fußball verbessert habe, dass ich gar nicht mehr fett war und dass meine guten Noten nachgelassen haben. Der Schulwechsel war ein schöner Neustart.“
Bei diesen Worten spielen seine Finger in meinem Haar und ich weiß, dass ihm die Schule eigentlich egal ist. Er freut sich einfach, mich getroffen zu haben. Das beruht auf Gegenseitigkeit.
“Ja, für mich auch. Ausgenommen die besten Noten in Französisch.“, lache ich.
Ohne es gemerkt zu haben, sind wir stehen geblieben. Nun drehe ich mich zu ihm.
“Ja, dein Französisch ist auch so eine Sache.“, grinst er. “Aber deine anderen Noten sind besser geworden, oder?“
“Weil ich ständig deine Hilfe habe, Süßer.“
Überrascht sieht er mich an. “Diese Bezeichnung gefällt mir.“
“Mir auch.“, lächle ich und trete näher an ihn heran, um im darauffolgenden Kuss zu versinken.

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So, morgen schaffe ich kein neues Kapitel und dann sind die Ferien auch vorbei. Dann wird wieder gelernt, yahoo! Wer liebt schon keine Schule?

Die Story ist länger, als ich vorgehabt hatte, aber bis zum Schluss wird es nicht mehr lange dauern.

Bis dann
Eure Once

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