Kapitel 30

Gestern war ich zu müde, um dieses Kapitel noch zu Ende zu schreiben, also gibt es ihn heute.

Eure Once

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Die Fahrt vergeht ruhig. Zuerst. In unserem Auto wird die ganze Zeit geredet und ich bin einfach froh, dass Andrew mitgekommen ist. Doch sobald wir in Erfurt sind, fängt der Stress an. Gleich in der Einfahrt gelangen wir in einen hübschen Stau, in dem wir uns eine halbe Stunde lang nur im Schneckentempo bewegen können. Dann biegen wir auch noch in eine falsche Straße ein, wodurch wir einen Hacken machen müssen.
Nachdem meine Tante und mein Cousin im Mamas Wagen sitzen und wir wieder losbrechen, müssen wir beinahe an jeder Tankstelle anhalten, damit Malex aufs Klo gehen kann.
Wie er aufregt!
Schließlich, als wir das vierte Mal auf eine Haltestelle einfahren, sagt mein Vater, dass er ab jetzt durchfährt und sie ruhig weitermachen können.
“Hast du eigentlich auch Cousinen?“, fragt mich Andrew, als wir an dem Schild 'Stuttgart' vorbeifahren.
“Drei.“, antworte ich unbegeistert. “Zwanzig, vierzehn und acht Jahre alt. Keine von ihnen hat sich das letzte Mal für mich interessiert. Und dann haben wir noch einen dreijährigen Cousin.“
“Hä?“, meint Elias und dreht sich von seinem Beifahrersitz zu uns nach hinten. “Melanie hatte doch mit dir geredet.“
Melanie ist die, die jetzt zwanzig ist. Ich kann sie nicht ausstehen, weil sie so übertrieben eingebildet ist. Ihr Vater - mein Onkel - ist ein Boss wo auch immer und verdient selbstverständlich mehr Geld als meine Eltern zusammen. Genau deswegen bekommt sie auch immer, was sie sich wünscht. Genauso wie ihre achtjährige Schwester.
“Klar.“, schnaube ich. “Um anzugeben.“ Bei meinen nächsten Worten ahme ich ihre tussihafte Stimme nach. “Ach, guck mal, ich hab dieses Jahr zum Geburtstag ein IPhone gekriegt. Was meinst du, welche Adidasjacke besser ist: die für hundert Euro oder die für hundertzwanzig? Wie findest du meine neue Tasche von Louis Vuitton? Bla bla bla. Sie regt so auf!“
Meine Mitfahrer - sogar mein Vater! - lachen.
“Andrew“, sagt Papa lächelnd. “lass dir von Lisa nicht den ersten Eindruck unserer Familie verderben. So schlimm sind wir nicht.“
Elias macht mit seiner Hand unmerklich Gänsefüßchen und zwinkert. Er weißt genauso gut wie ich, wie stressig unsere Cousins sein können. Ich hoffe immer noch, dass sie sich in diesen zwei Jahren verändert haben, doch meine Hoffnung schwingt, seitdem ich Malex gesehen habe.
Sobald ich bekannte Häuser sehe, packe ich mein Handy weg und haue Drew leicht auf den Oberschenkel.
“Noch zwei Minuten.“, lächle ich. “Ich hoffe, wir sind die Ersten.“
Mein Bruder schaut wieder nach hinten und seufzt. “Hoffe ich auch. Dann können wir uns das beste Zimmer schnappen. Weißt du noch, als wir im Keller schlafen mussten?“
Ich verdrehe die Augen in der Erinnerung daran. Es war vor fünf Jahren im Sommer. Ich hatte mich so beleidigt gefühlt, dass ich ganze zwei Tage - von insgesamt vier - sauer war und mit niemandem auch nur ein Wort gewechselt hatte.
“Macht euch bereit, Kinder.“, kündet unser Vater an und biegt nach rechts ab, bevor er immer langsamer fährt, bis wir schließlich vor einem großen Tor anhalten. Ein Weg aus einzelnen platten Steinen führt durch das bunte Blumengewächs zum großen zweistöckigen Haus, dessen hellbraune Holztür gerade geöffnet wird.
“Wir wurden bemerkt.“, grinst Drew mich an.
“Ich weiß.“, lächle ich matt. “Komm mit.“
Ich freue mich durchaus, meine Großeltern zu sehen. Es sind nur meine Cousins und Cousinen, auf die ich keine Lust habe.
Zu viert steigen wir aus. Papa öffnet den Kofferraum und Elias, Drew und ich holen unsere Taschen heraus. Dann betreten wir durch das Tor das Grundstück. Mein Opa, der vor der Tür gewartet hat, geht lächelnd auf uns zu.
“Hallo!“, ruft er freudig.
Ich winke ihm zu. “Hallo!“
Mitten auf dem Weg treffen wir aufeinander. Opa und mein Bruder tauschen einen festen Händedruck aus, ich umarme ihn und er gibt mir einen Kuss auf die Wange. Dann schaut er Drew interessiert an. Ich mache einen Schritt näher auf diesen zu und stupse ihn sogar leicht an.
“Opa, das ist mein Freund Andrew. Drew, das ist mein Opa Alexander.“
Opa lächelt breiter und hält Andrew die Hand vor. Er ergreift sie grinsend, doch ich merke, dass er ein wenig unschlüssig ist.
“Alex.“
“Drew. Freut mich, Sie kennenzulernen.“
“Schön, dass du mitgekommen bist. Meine Frau Katie liebt Gäste.“ Opa lacht. “Manchmal zumindest.“
“Opa!“, unterbreche ich ihn.
Meine Oma ist eine sehr nette und gastfreundliche Person und es ist eher mein Opa, der nach einiger Zeit eine Pause von den ganzen Freunden meiner Oma braucht. Dann flieht er aus dem Haus und macht eine Fahrradtour um den See im Norden des Dorfes.
Opa klopft Andrew dreimal auf die Schulter. “Schon gut, schon gut, mach dir keine Sorgen, Drew, du bist hier willkommen.“
Der Amerikaner lacht kopfschüttelnd. “Das wurde mir schon so oft versichert, dass ich langsam Angst bekomme, ihr würdet irgendwelche Mörder sein.“
“Die Mörder deines Nervensystems.“, entgegnet Elias.
Mein Vater schließt sich unserer Runde an, mit einer Tasche auf der Schulter. Er und Opa begrüßen sich und wir gehen langsam zum Haus.
“Wo ist eigentlich die andere Hälfte von euch?“, fragt Opa währenddessen.
Papa erklärt ihm kurz und ruhig, was auf dem Weg vorgefallen ist.
Uns wird vorgeschlagen, ein Zimmer auszusuchen und die Taschen abzustellen, doch das überlasse ich Elias, da wir sowieso die ersten Abkömmlinge sind. Er ist übrigens ziemlich unzufrieden, dass ich ihm meine Tasche zudrücke. Und dann auch noch Drews. Doch das interessiert mich nur wenig.
Ich nehme Andrews Hand und führe ihn in die Küche, wo meine Oma gerade das Abendessen macht. Ihre mittlerweile grauen Haare färbt sie blond, die leicht pummelige Figur versteckt sie unter einer schwarzen Tunika. Ich finde es süß, dass sie immer noch versucht, für Opa hübsch auszusehen. Das nenn ich mal echte Liebe!
Ich umarme sie fröhlich und sie gibt mir einen Kuss auf die Wange.
“Lisa-Schätzchen, wann seid ihr denn angekommen? Uh, was ist denn das für ein hübscher junger Mann in meiner Küche?“
“Seit einiger Zeit meine Begleiterscheinung.“, erkläre ä ich und grinse Andrew an.
“Drew.“, fügt er lächelnd hinzu.
Meine Oma blickt mich vielsagend an, geht dann auf Andrew zu und umarmt ihn ebenfalls. “Ich bin Katie. Fühl dich wie zu Hause. Lisa, zeig Drew doch mal das Haus und den Garten.“
Ich nicke. “Wollte ich auch machen.“
Wir verlassen die Küche und ich führe Andrew durch den Erdgeschoss.
“Du kannst ja auch nett sein.“, bemerkt er mit einem schiefen Grinsen.
Ich zucke die Schultern. “Bei Großeltern muss ich es sein. Wie meine Mutter einmal sagte: sie sollen in dem Glauben leben, dass ihre Enkel schön brav sind.“
Dabei ist niemand von uns acht jemals brav gewesen. Na ja, egal. Mama will einfach, dass ihre Eltern denken, sie und Papa hätten uns gut erzogen.
Drew und ich steigen die Treppe hoch in den ersten Stock, wo wir das Zimmer finden, das Elias und allen ausgesucht hat. Dann führt uns der Weg kurz auf den Dachboden, in den Keller und anschließend in den Garten. Da bleiben wir auf einer Schaukel auch sitzen. Im Haus gibt es zu viel Bewegung, seit Mamas Auto vor fünf Minuten angekommen ist.
Mein Kopf ruht auf Andrews Schulter, die Finger der linken Hand sind mit seinen Fingern der rechten verschränkt. Wir schaukeln langsam vor und zurück und blicken auf die Blumenbeete vor uns.
“Und, wie findest du es hier?“, möchte ich wissen. “Bedauerst du schon, dass du mitgekommen bist?“
Ich spüre, wie er leicht den Kopf schüttelt.
“Es ist schön hier. Zumindest eine ganz gute Abwechslung zu einer Großstadt. Außerdem scheint deine Familie nett zu sein. Nach deiner Stimme heute Morgen war ich mir da nicht so sicher. Oder findest du es peinlich, dass du mich jetzt deiner Familie vorstellen musst?“
Die Frage kommt mit einem scherzenden Unterton. Drew stellt nie ernste Fragen, ohne sie abzumildern.
“Vielleicht ein bisschen.“, antworte ich wahrheitsgemäß.“
“Kann ich nachvollziehen.“, erwidert er und ich brauche ihn nicht zu sehen, um zu wissen, dass er lächelt. “Willst du in den Sommerferien mit mir nach Hamburg fahren? Ich wollte meinen Vater besuchen.“
Mit ihm nach Hamburg fahren... Eigentlich schulde ich es ihm, da er mit mir hierher gekommen ist. Außerdem wird es ja nur sein Vater sein, und nicht seine ganze Familie, wie es jetzt der Fall ist. Ich muss lächeln.
“Warum nicht.“, sage ich dann.
“Puh.“, macht Andrew und lacht sein lockeres Lachen, das ständig meine Anspannung nimmt. “Ich dachte schon, du wirst absagen.“
Ich hebe den Kopf und sehe ihn grinsend an. “Ich bin halt eine gute Freundin.“
“Zu deinem eigenen Glück.“, grinst Drew zurück.
Ich lasse seine Hand los und boxe ihn einmal in die Schulter. “Zu wessen Glück??“
Lachend hebt er zur Abwehr die Hände. “Zu meinem, zu meinem.“
“Genau.“, nicke ich und lege den Kopf wieder auf seine Schulter.

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