Etikette und Anstand
Lyla
Und auf einmal lebte ich ein ganz anderes Leben. Nichts bleib so wie es einmal war. Das Mädchen vom Land gab es nicht mehr. Sie wohnte jetzt in einem riesigen Zimmer, welches beinahe größer als ihr ganzer Hof war. Es war eigenartig und ich konnte mich nicht daran gewöhnen.
Und widersprechen konnte ich auch nicht. Nach meiner Meinung wurde gar nicht gefragt. Meine Eltern hatte mich eingetauscht gegen Ruhm und Reichtum - so kam es mir jedenfalls vor. Obwohl es dem nicht Nahe kam. Sie hatten kaum ein Wort gesagt nach dem Besuch beim König, da sie ebenso wenig wie ich verstanden hatte, was da vor sich ging.
Es kam uns so unwirklich vor. Denn so etwas hatte es noch nie gegeben. Wenn ich dem König gefiel, dann würde er mich zu seiner Frau nehmen eines Tages. Hysterie hatte sich in mir breit gemacht und ich hatte gelacht - Stunden lang!
Meine Eltern wollten schon einen Arzt schicken lassen, doch dann hatte ich mich beruhigt, über all die Vorzüge nachgedacht, welche sich ihnen bieten würde und hatte zugestimmt, den Bedingungen nachzugehen. Besser könnte es meiner Familie nicht gehen.
Und ich würde nur einen kleinen Preis zahlen: Mein Leben aufzugeben. Das war es wert gewesen, hatte ich gedacht, bis ich hier gelandet bin.
Es war die reinste Katastrophe!
Louise, das Hausmädchen, schien genauso verzweifelt wegen mir, wie Lady Jean und Lady Edith. Und ich musste zugeben, dass ich es ihnen mit meiner chaotischen Art auch nicht leichter machte.
Jedes Mal, wenn ich eine Tasse Tee zu Mund führen sollte, machte ich etwas falsch. Entweder hob ich den kleinen Finger nicht im richtigen Winkel oder ich nahm einen zu großen Schluck. Oder aber ich saß dabei nicht gerade genug.
Warum um Gottes Namen musste man beim Tee trinken gerade sitzen?
Lady Jean, eine noch rechtverständnisvolle Frau, zeigte es mir bestimmt schon zum zehnten Mal, wie man es richtig machte, doch als ich schon wieder versagte, gaben wir es auf.
"Es ist hoffnungslos", seufzte ich und stellte die Tasse beiseite.
"Gebt nicht auf, Lyla", versuchte Jean mich lächelnd aufzumuntern. "Aller Anfang ist schwer" Eigentlich hatte sie damit vollkommen recht, aber mir gefiel es nicht, wenn etwas nicht auf Anhieb funktionierte, ganz gleich, was es war. Mein Ehrgeiz ließ kein Versagen zu.
"Wenn Ihr meint, Jean. Können wir nun zu etwas anderem übergehen?" Mir war nicht mehr nach Tee trinken zu Mute, er war auch bestimmt schon seit einigen Stunden kalt und schmeckte widerlich. Ich wollte etwas mit mehr Bewegung machen.
Louise hinter mir kicherte, als hätte ich gerade einen überaus lustigen Scherz gemacht. Als ich sie dann mit hochgezogenen Augenbrauen musterte, verstummte sie. "Verzeiht. Ich wollte Euch nur darauf hinweisen, dass wir erst am Anfang sind und noch viel vorhaben"
Stöhnend ließ ich meinen Kopf in meine Hände fallen und meckerte:" Hört das denn nie auf? Haben die Menschen denn gar keinen Spaß" Am liebsten wollte ich mich in meinem Zimmer verkriechen, mir mein Buch schnappen und in den Wald verschwinden, an meinem Lieblingsplatz Halt machen und stundenlang dort bleiben.
"Oh natürlich, finden wir auch etwas Vergnügen in unserem Leben", kam es hochnäsig von Lady Edith. Sie konnte mich auf den Tod nicht ausstehen und hatte heute schon mehrmals ihr Gesicht verzogen.
Dabei schien mir das nicht sehr damenhaft zu sein, wo wir gerade darauf zu sprechen kamen.
Sonst waren Lady Edith und Lady Jean leider das komplette Gegenteil von mir: Höflich, anmutig, hübsch und adelig. Ich wirkte neben ihnen eher wie eine tollpatschige Ente.
"Wie wäre es mit einem Ausritt?", schlug Jean freudig vor und erhob sich. "Ich würde einem Diener anweisen, die Pferde bereitmachen zu lassen. Eine Hand voll Wachen werden uns zu unserer Sicherheit begleiten."
"Das klingt hervorragend", erwiderte ich und meinte ausnahmsweise mal etwas ernst, was ich von mir gab. Ein Ausritt an der frischen Luft würde mir durchaus gut tun. Zumal ich die Wände im Schloss satt hatte. Ständig wurde ich beobachtet, überall hin begleitet und korrigiert, wenn ich mal wieder etwas tat, was sich so nicht gehörte.
Das Hausmädchen Louise nickte zustimmend und wandte sich mir zu:" Wenn Ihr gestattet Mylady, würde ich Euch angemessen ankleiden für den Ausritt"
Höflich neigte ich den Kopf und wandte das Gelernte hoffentlich erfolgreich und mit genügend Überzeugung an:" Aber natürlich, Louise. Bring mich bitte zurück in meine Gemächer"
Unsicher darüber, ob meine Antwort auch angemessen war, sah ich zu Edith und Jean herüber. Edith verdrehte die Augen, während Jean begeistert in die Hände klatschte und mich mit den Worten "Wir machen Fortschritte" lobte.
Als wir dann endlich alle im Sattel saßen und über Wiesen und Felder galoppierten, fühlte ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig frei. Der Wind spielte mit meinem Haar und riss an meiner Kleidung, während das Pferd auf dem ich saß, ich gleichmäßigen Zügen den Weg bestritt. Es war ein herrliches Gefühl.
"Nicht so schnell Lyla", hörte ich Lady Jean hinter mir her rufen. Mit einem strahlenden Lächeln drehte ich mich zu den Beiden herum. Lady Edith ritt in einem leichten Trapp auf einem weißen Pferd und starrte mit ihrem gewohnt ernsten Gesicht in die Landschaft. Lady Jean empfand wenigstens so etwas ähnliches wie überschwängliche Freude, denn sie trieb ihren braunen Hengst voran und versuchte mich einzuholen. Auf ihrem Gesicht erkannte ich ein leichtes Lächeln.
Als sie begann mich aufzuholen, lachte sie siegessicher. "Ein letzter Sprint bis zum Waldrand, Lyla. Was sagt Ihr?" Mir gefiel ihr Wille zu Siegen. Und die Herausforderung gefiel mir ebenso. Somit nahm ich sie natürlich an. "Ich sage, dass Ihr verlieren werdet, Lady Jean"
Mit diesem Worten trieb ich mein Pferd voran. Ich war mir ziemlich sicher, dass Jean sich übernommen hatte, denn als ich mich zu ihr umdrehte, verlor sie ein wenig an Tempo. Grinsend trieb ich mein Pferd voran.
"Heee, der zeigen wir es", sagte ich lesie und machte mich darauf gefasst als Erstes am Waldesrand anzukommen, als plötzlich ein Schatten in meinem Blickfeld auftauchte.
"Habt Ihr wirklich geglaubt, ich lasse Euch gewinnen?", entgegnete Lady Jean, ehe ich den Kopf zu ihr wandte und zu sehen musste, wie sie an mir vorbei ritt und als Erstes den Waldrand erreichte.
Enttäuscht von meinen Fähigkeiten ließ ich das Pferd zum Stehen kommen und gratulierte meiner verdient gewonnenen Gegnerin.
"Das war wirklich ein Spaß", lächelte Jean und klopfte ihrem Pferd zufrieden auf den Hals. Zustimmend nickte ich. Es war wirklich schön gewesen, mal wieder einen Tag an der frischen Luft zu verbringen. Meist gewährte man mir keinen längeren Ausgang und wenn, dann nur in Begleitung von meinen Anstandsdamen oder den Zofen.
Das machte mich krank. Ein wenig Einsamkeit konnte doch nicht schaden, oder? Jeder brauchte doch mal eine Pause von der Gesellschaft, nahm ich an, aber ich bekam sie nicht. Nicht eine Sekunde.
Vielleicht kam ich deshalb kaum ans große Grübeln, weil ich nie für mich sein konnte. Könnte das Absicht sein?
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