Regen über Regen
Ich führte die Zwerge sicher durch die kleinen Pfade der Wälder um Bree herum. Ich kannte hier jeden noch so versteckten Weg und wusste daher ganz genau, welche uns am schnellsten in Richtung Nebelberge brachten. Anfangs sangen die Zwerge wieder ihre Lieder, lachten und scherzten und erweckten die stillen Wälder zum Leben. Doch als dunkle Wolken den Himmel verhangen und es zu regnen begann verstummten sie nach und nach. Zuerst dachte ich, dass es bald wieder aufhören würde, doch es schüttete unerlässlich. Meine Klamotten waren langsam durchnässt, der kalte Stoff klebte auf meiner Haut und ließ meinen zarten Körper immer wieder erschaudern. Meine Fingerspitzen und Zehen waren bald taub, alles war rutschig und die Stimmung sank mit jeder Minute, bis wir alle ein wenig missmutig schwiegen. Nur die Ponys waren zu hören und ihre Hufen, die sich aus der schlammig werdenden Ede immer schwerer lösten.
„Gandalf? Kannst du nicht etwas gegen dieses Wetter tun?", rief ein Zwerg von hinten und ich schnaubte verächtlich. Die meisten hatten eine ziemlich unrealistische Vorstellung davon, was Zauberer so alles konnten.
„Es regnet, Kili. Und es wird regnen, bis es aufgehört hat zu regnen," erwiderte Gandalf und entlockte mir dabei ein Grinsen. Missmutiges Gegrummel von den Zwergen, bevor wieder Stille einkehrte. „Wenn ihr einen Zauberer wollt, der das Wetter ändern kann, dann müsst ihr euch einen anderen suchen," fügte er fast ein wenig kühl hinzu.
„Gibt es denn andere?", fragte Bilbo, wie immer ein wenig neugierig. Ich ritt weiter vorneweg, beobachtete, wie Regentropfen von meiner Kapuze auf die Erde platschten und versuchte die weiter voranschreitende lähmende Kälte in mir zu ignorieren.
„Nun ja, es gibt fünf von uns. Der höchste meines Ordens ist Saruman der weiße, dann gibt es noch zwei blaue Zauberer, die ich schon seehr lange nicht mehr gesehen habe und natürlich noch Radagast der braune," erzählte er munter.
„Sind sie mächtig oder eher...so wie du?", fragte Bilbo dann und ich grinste Gandalf ein wenig schadenfroh an. Er murrte nur und wendete sich dann wieder an den Hobbit. „Nun ja, Saruman ist definitiv sehr mächtig, aber ich finde, dass auch Radagast...auf seine Art mächtig ist. Er bevorzugt die Gesellschaft der Tiere und hat ein Auge auf den Grünwald." Er schwieg einen Augenblick, als würde er noch etwas sagen wollen, bevor er leise seufzte und mich für wenige Sekunden musterte.
Ich wandte mich von ihm ab und versuchte mich auf meine Umwelt zu konzentrieren, um die Schmerzen in meinem Körper zu vertreiben. Selbst der sachte Wind stach wie tausend Nadeln und meine Finger kribbelten, als würden sie allmählich absterben. Ich seufzte leise und hielt dann an.
„Ab hier verlassen wir Bree und sind damit offiziell in der Wildnis. Der nächste sichere Ort ist Bruchtal - ein bis zwei Tagesritte von hier entfernt," teilte ich den Zwergen mit und wartete einen Augenblick, bevor ich weiter ritt. Es klang vielleicht seltsam, aber all meine Sinne schärften sich und nahmen alles in sich auf, um Gefahren frühzeitig zu erkennen.
„Hier wird uns schon keiner angreifen," sagte Thorin fast ein wenig verächtlich.
„Ich wäre mir da nicht so sicher," wisperte ich leise. „Die Dunkelheit breitet sich wieder aus. In den Nebelbergen wimmelt es nur so von Orks." Thorin sah mich nur skeptisch an, doch ich beachtete ihn gar nicht. „Der Grünwald ist krank und in Dol Guldur..."
„Ich habe dir schon gesagt, dass Saruman unbesorgt darüber ist. Es ist ein Mensch, der sich an Hexerei ausprobiert, nicht mehr und nicht weniger," unterbrach mich Gandalf und seine blauen Augen bohrten sich in meine eisblauen. „Auch Saruman der weiße kann sich irren," giftete ich zurück und meine Hände verkrampften sich um die Zügel meines Pferdes. „Ich habe es gesehen und gefühlt, Gandalf. Es war kein menschlicher Hexer, es war nichts Menschlich an diesem Ort." Meine Gesichtszüge verdunkelten sich und ich wandte mich von ihm ab. „Ich frage mich nur, was Gandalf der graue dazu sagen würde, wenn er nicht die Meinung des weißen Zauberers kopieren würde," setzte ich hinzu. „Naira," murrte Gandalf und schnaubte leise.
„Über was redet ihr überhaupt," mischte sich Thorin ein. Er wirkte erntshaft verwirrt.
„Nichts," brummte ich nur eisig. Ich hatte Gandalf vor wenigen Monaten von den Ängsten der Waldmenschen erzählt und ihren Geschichten, dass ein namenloses Grauen in der alten Festung Dol Guldur erwacht war. Er hatte mit Saruman darüber geredet und dieser war der Überzeugung, dass wir nichts zu befürchten hatten. Also war ich selbst dort hingewandert und auch, wenn ich mich nicht hineingetraut hatte, war ich nah genug dran, um es zu fühlen. Eine Dunkelheit, so tief und abscheulich, dass es mir die Luft abschnürt hatte. Ich konnte nicht lange dort bleiben. Allein der Anblick ließ mich das Gefühl haben zu ersticken.
„Was soll es sonst sein, außer ein menschlicher Hexer?", fragte Gandalf. Ich sah ihn an, meine Augenbraue wanderte hoch und Angst flackerte in meinem Herzen auf. „Du weißt genau, wer es sein könnte." Und zum ersten Mal konnte ich Zweifel in seinen Gesichtszügen sehen, bedenken und...Angst.
„Verdammt, über was redet ihr bitte," murrte Thorin wieder und ich sah auf den Zwergenprinz hinab. „Nichts, was Euch etwas angehen würde," erwiderte ich kühl und er schnaubte erbost.
Ich wand mich von ihm ab und ritt weiter voraus. Der Regen wollte nicht aufhören, der Wind schien immer kälter zu werden und die Schmerzen ließen mich langsam erzittern. Ich hasste regen über alles, insbesondere, wenn man keine Möglichkeit hatte Schutz vor ihm zu suchen. Meine zarten Finger waren schon ganz blass, meine Klamotten mittlerweile vollkommen durchnässt und selbst meine Haare klebten eisig an meinem Rücken. Ich zählte die Minuten, versuchte meine Umwelt auf mich wirken zu lassen und die Schmerzen zu ignorieren. Und so ritten wir schweigend durch den Wald, niemand sang, Gandalf versuchte immer wieder verzweifelt sich seine Pfeife anzuzünden und manchmal tuschelte Thorin mit Dwalin, sein persönlicher Berater.
„Wenn diese Reise vorbei ist werde ich einen Blick auf die verlassene Festung werfen," sagte Gandalf dann plötzlich und ich sah ihn ein wenig verwirrt an. „Ich hoffe zwar sehr, dass es nur ein menschlicher Hexer ist, aber, wenn du Zweifel daran hast...dann sollte ich vielleicht eher auf dich hören, als auf Saruman," murmelte er leise und meine Augenbraue wanderte überrascht in die Höhe. „Seit wann hörst du denn lieber auf mich, als auf den alten weißen Zauberer?", fragte ich leicht amüsiert, ein zartes lebendiges Funkeln in meinem eisigen stechenden Augen. „Nun," begann er, begutachtete mich dabei und schwieg dann, „...man sollte niemals die Weisheit einer Waldläuferin unterschätzen, insbesondere nicht, wenn sie Naira heißt," wisperte er dann. Etwas sagte mir, dass noch mehr dahintersteckte, dass er etwas wusste, was ich nicht wusste. „Gandalf," begann ich, doch Fili und Kili unterbrachen mich von hinten.
„Können wir uns nicht kurz irgendwo unterstellen?", rief einer der Brüder und ich schnaubte leise.
„Dafür ist keine Zeit, Meister Zwerg," erwiderte ich kühl.
„Und noch immer entscheide ich, wann wir halt machen," ertönte Thorins Stimme neben mir. Ich verdrehte leicht genervt meine Augen. „Dann entscheidet, Meister Zwerg," wisperte ich, so leise, aber drohend, dass es einem direkt unter die Haut fuhr.
„Wir machen erst heute Abend halt," rief er und Gandalf lachte leise.
Die Gespräche verstummten wieder und erst, als langsam die Dämmerung einsetzte und wir wieder auf der gepflasterten Straße ritten, hörte es allmählich auf zu regnen. Mit der Dunkelheit kam allerdings eine noch viel grauenhaftere Kälte, die mir bis in die Knochen kroch und mich fast lähmte.
„Hier machen wir halt," donnerte Thorin und sprang von seinem Pony. Hier in der Wildnis gab es nicht mehr all zu viel Schutz und so stapfte er auf ein kleines Wäldchen zu, in dem er eine nicht entfernte kleine Lichtung fand.
„Bombur, mach uns was zu essen," brummte er, ziemlich schlecht gelaunt, mit nassen triefenden Haaren und sichtlich schweren Klamotten.
Ich seufzte leise und sprang von Tingilya ab. Wortlos ging ich auf ein zerstörtes und in sich zusammengefallenes altes Haus zu, von dem nur noch die Grundrisse standen. Die Zwerge wuselte um mich herum, kochten, versuchten ihre Klamotten zu trocknen und trieben die Ponys zusammen. Sachte fuhren meine Hände über das Holz, mein Tattoo leuchtete und in der Mitte meiner Hand glühte die Sternenblume auf.
„Ein Bauer und seine Familie haben hier gelebt," wisperte ich leise und drehte mich zu Gandalf um, der mich kritisch musterte, seinen Zauberstab in der Hand.
„Es passiert öfter in letzter Zeit, nicht," murrte er leise und wies mit seiner freien Hand auf das zarte Glühen meiner Haut. „Vielleicht," erwiderte ich kühl und ließ eilig den Saum meines Mantels über meine Hände rutschten. Er sah mich eine Weile an und öffnete dann seinen Mund. „Ich bin eine Waldläuferin, Gandalf, ich gehöre zu ihnen, Ende," knurrte ich leise und stapfte aus der Ruine.
„Ich würde hier nicht rasten!", rief Gandalf dann und wandte sich dabei an Thorin. „Gefahr liegt in der Luft."
Thorin wrang gerade ein Teil seiner Klamotten aus den Rucksäcken aus und sah den Zauberer dabei düster an.
„Wir sind alle müde, erschöpft und durchnässt. Wir rasten hier," murrte er und klang dabei, als würde er unter keinen Umständen diese Meinung ändern. Gandalf schnaubte verärgert. „Wenn wir ein bisschen weiterreiten könnten wir einen sicheren Unterschlupf finden. Naira hat recht, diese Wildnis hier behagt mir nicht," schlug er dann vor. Thorin richtete sich auf und in seinen hellen Augen glomm eine dunkle Wut auf, huschte durch das Meer wie ein Schatten der Finsternis. „Ich gehe nicht zu den Elben," blaffte er und jedes Wort klang wie Abschaum aus seinem Mund. „Das ist doch Schwachsinn, Thorin. Sie können uns helfen, uns eine sichere Unterkunft bieten und diese Karte lesen, die dein Vater dir vererbt hat. Was bringt dir eine Karte, wenn du sie nicht lesen kannst," rief Gandalf und richtete dabei fast verzweifelt seinen Spitzhut. „Ich werde nie wieder die Hilfe der Elben beanspruchen. Hätten sie uns damals geholfen wären wir jetzt gar nicht hier und schon gar nicht heimatlos," donnerte er zurück.
„Ihr Zwerge und eure Sturheit," murrte er sichtlich verärgert. „Ich habe genug von Zwergen." Mit diesen Worten stapfte er auf sein Pferd los und machte es bereit für einen Ausritt.
„Wo gehst du hin?", rief Bilbo, der als einziger erschrocken über Gandalfs Wut wirkte.
„Ich suche die Gesellschaft des einzigen auf, der hier noch bei Trost ist," rief er zurück und sprang auf sein Pferd.
„Und wer ist das?", erwiderte Bilbo, in seinen Augen spiegelte sich Angst und er schien doch tatsächlich verzweifelt.
„Ich, natürlich, Meister Beutlin," murrte der Zauberer, bevor er sein Pferd mit donnernden Hufen an uns vorbei galoppieren ließ und auch schon bald verschwunden war.
„Keine Sorge, Bilbo," sagte ich sehr sanft und klopfte ihm auf die Schulter. „Er kommt wieder. Er ist ein Zauberer, die kommen und gehen."
Er schien nicht ganz überzeugt, rang sich aber ein Lächeln ab und setzte sich neben Bombur auf einen Stein. Ich seufzte leise und sah in die Ferne, wo die Sonne langsam aber sicher unterging. Die Frage war nur, wann er wiederkommen würde. Seufzend suchte auch ich mir einen Sitzplatz, zog meine Knie an meine Brust und schlang meine Arme um meinen zarten Körper. Ich zitterte, die Kälte schien unaufhaltsam durch meine nassen Klamotten zu dringen und die Schmerzen lähmten mich fast. Ich schloss meine Augen, versuchte das alles zu ignorieren und das letzte bisschen Wärme in mir zu spüren, doch so ganz wollte das nicht funktionieren. Ein Räuspern ertönte und ich sah erschrocken auf.
„Hier," murrte Thorin und hielt mir einen trockenen Mantel hin. Er war ein wenig mit Pelz besetzt und schien wohl ihm zu gehören. Er selbst trug keinen mehr, sondern nur sein schwarzes Leinenhemd.
„Ist Euch nicht kalt?", fragte ich leise.
„Nicht so kalt wie Euch, nehme ich an," grummelte er nur.
Ich zog meinen eigenen blauen Mantel aus, striff mir dabei die Kapuze ab und hängte ihn zum trocknen auf. Darunter trug ich ein dunkles Leinenhemd, dass mir ein wenig zu groß war und sogar ein wenig meiner blassen Haut am Schlüsselbein entblößte, so wie meinen Hals mit dem Tattoo und meine Kette. Das alles war um meine Taille mit einem zarten Gürtel zusammengeschnürt.
„Danke," wisperte ich leise, als ich in den trockenen Mantel schlüpfte und sofort wieder ein wenig Wärme in meinem Körper zurückkehrte. Der Witz war, das ganze passte mir sogar und war mir wenn ein wenig zu groß.
„Er ist auch mir ein wenig zu groß," gestand er mit dem Anflug eines Grinsen, bevor er wieder in Richtung des Feuers stapfte. Auch ich suchte mir einen Platz dort und hielt meine zittrigen Hände an die wärmenden Flammen, während Bombur kochte.
„Woher hast du das Tattoo?", fragte mich Bilbo dann, der einen ziemlich guten Blick für so etwas hatte und dazu noch viel zu neugierig war.
„Ich weiß nicht," stotterte ich leise und räusperte mich verlegen. „Ich habe es seit ich denken kann."
Bilbo runzelte die Stirn, fragte aber nicht weiter nach, da er zu merken schien, dass es mir unangenehm war. Ich wusste selbst, dass es seltsam klang, aber dieses Tattoo begleitete mich mein Leben lang schon. Ich hatte keine Erklärung wieso ich es hatte oder wieso es manchmal aufglühte, wenn starke Emotionen mich überwältigten. Immer, wenn ich bei den Elben, bei denen ich aufgewachsen war, danach gefragt hatte, haben sie mir keine Antwort gegeben. Und auch Gandalf schien nicht wirklich dieses Rätsel für mich lösen zu wollen. Und so saß ich hier, nicht wirklich wissend, wer ich tatsächlich war oder wo ich dazu gehörte. Allerdings interessierte es mich nicht mehr. Ich hatte eine Art Zuhause gefunden, eine Gruppe, zu der ich gehörte und die mir ähnlich waren. Ich war eine Waldläuferin und mehr musste ich über mich nicht herausfinden.
„Willst du das Fili und Kili bringen, Bilbo? Sie passen auf die Pferde auf," sagte Bifur und riss mich damit aus meinem Gedanken. Der kleine Hobbit nickte und verschwand mit den zwei Schalen in den immer dunkler werdenden Wald...
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