/\ Kapitel 6/\
Für manche liegt die Zukunft im Schatten
Äste knackten leise unter ihren Schuhsohlen, als die beiden Menschen den Schmalen Pfad entlang liefen.
Die Bäume ragten hoch in den Himmel empor, riesig und majestätisch, während einzelne Lichtpunkte durch das bunte Blätterdach vielen.
Der holzige, erdige Geruch des Waldes hing in der Luft. Vögel zwitscherten leise, schon fast schläfrig vor sich hin, bereiteten sich auf den stetig Näherrückenden Winter vor.
Jasmin wusste nicht genau wie lange sie schon unterwegs waren, doch in ihrem jetzigen Zustand hatte sich eine große Lücke zu Alexo gebildet. Dieser lief einfach weiter. Ihm schien gar nicht aufzufallen das sie zurück viel. Vielleicht wollte es ihm auch gar nicht auffallen.
Und so liefen sie denn verschlungenem Pfad entlang, der wohl eher einem Wildwechsel glich, als einem wirklichen weg.
Es war nichts Außergewöhnliches. Man könnte meinen die beiden würden Wandern gehen.
Schon vor einiger Zeit war Jasmin aufgefallen, das Alexo nichtmehr humpelte, sondern ganz normal lief. Nicht so wie jemand der Bekanntschaft mit einer Mauer und einem Irren, sich in Luft-auflösenden, Wahnsinnigen gemacht hatte.
Eine weitere Sache die sie sich nicht erklären konnte, aber auf ihre Liste von Fragen setzte. Und wenn er es ihr nicht freiwillig erzählen würde, müsste sie irgendwie nachhelfen.
Sie seufzte. Ihre Füße fühlten sich wie Blei an, sie war erschöpft und Müde. Sehnlichst wünschte die blonde eine kurze Pause herbei, aber die wurde nicht gewährt.
Mit skeptischen blicken durchbohrte sie seinen Rücken.
Natürlich könnte sie es auf den Braunhaarigen Mann schieben, der sie einfach ignorierte und weiter lief, doch sie war froh, dass er sie trotz allem überhaupt mitgenommen hatte.
Aber auf der anderen Seite war sie auch froh darüber, dass Alexo ihr keine Gesellschaft leistete. Sie wusste nicht genau woran es lag, aber für Jasmin war seine Gesellschaft höchst unangenehm.
Jedoch nagte ein kleiner Zweifel, ob das überhaupt eine gute Idee gewesen war, mit einem völlig Fremden mit zu gehen, an ihr.
Ihr entwich ein Schnauben und folgte ihm weiter hin, ihre Schmerzenden Füße versuchte sie dabei zu ignorieren.
Minuten verstrichen, die Sonne sank immer tiefer am Himmel, begann alles in ein dämmriges Licht zu tauchen. Vielleicht hätte sie einen anderen Weg finden können?
Unsinn. Es gibt keinen anderen Weg. Sie musste diese Entscheidung treffen, es war die einzige, die ihrem Leben keinem Ende gesetzt hätte.
,,Ich hab eine Frage." Sie blieb stehen, nicht gewillt auch nur einen Schritt weiter zu machen. ,,Wer seid Ihr wirklich?" Alexo hielt einen Moment inne, bevor er sich herum drehte.
Grau traf auf blaugrün. ,,Wer soll ich den Eurer Meinung nach sein?", fragte er sie aufmerksam, sein Blick hatte etwas Lauerndes.
,,Ihr seid kein Mensch.", erwiderte sie. Für einen Moment setzte ihr Herz aus, als sie seinen finsteren Gesichtsausdruck bemerkte. Seine Haltung war angespannt und erinnerte sie an ein lauerndes Raubtier, das darauf wartete sich auf seine Beute Stürzen zu können.
,,Ich hab auch nie behauptet einer zu sein.", bekam Jasmin von ihm eine kühle Antwort. ,,Und selbst wenn, geht es Euch nichts an.", wies der Braunhaarige sie bissig zurecht.
,,Er nannte Euch einen Välsig. Ist da etwas Wahres dran? Seit Ihr von einem Gott auserwählt worden?" Das Wort Gott, löste Unbehagen in ihr aus. Sie kannte die Geschichten um die Välsig. Menschen die am Anbeginn der Zeit von Göttern gesegnet worden waren.
Götter. Etwas, an das sie eigentlich nicht glaubte.
,,Dann habt Ihr sicher viel von der Weltgesehen.", stellt sie fest. Schlagartig hellte sich ihr Gesicht auf, dabei betrachtete sie ihn so, als wär er die Antwort auf jedes Rätsel der Unsterblichen.
,,Wo wart Ihr schon alles? Sicherlich muss Euch euer weg schon in die entferntesten Länder gebracht haben? Legored, Craliddea, Etayd oder auch Onoresh? Oh, aber sicherlich nach Sendaw!? Wie ist es dort? Ist es da so, wie alle erzählen? Habt Ihr auch schon Mal einen echten Drachen geseh-" Ihr Redeschwall wurde von einem sehr genervten laut seinerseits unterbrochen, was ihr schlagartig die Begeisterung aus dem Gesicht wischte.
Doch, was wirklich der ausschlaggebend Grund für ihr innehalten war, waren seine Augen.
Hatte sie sie vorher für zwei Silberspeere gehalten, wurde sie jetzt eines besseren belehrt. Das was seine Augen zeigten, oder eher das was sie nicht zeigten, ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Da war nichts. Nur leere.
Leere, dass das funkelnde grau seiner Augen, wie das blanke Metall eines in der Sonne glänzendes Schwertes zeigte. Mehr nicht. Nur Kälte. Eisige Kälte.
Vielleicht sollte ich später darauf zurückkommen, überlegte sie und entschied sich etwas anderes zu fragen. ,,Was wolltet Ihr in Niwalic?"
Ein kleines bisschen viel die Anspannung von Alexo ab, seine Schultern schienen sich zu lockern, jedoch Balte er immer wieder die Hände zu Fäusten, bevor er sie wieder öffnete. Dies wiederholte sich noch drei weitere Male, bis er zu einer Antwort ansetzte. ,,Unbedeutend. Und jetzt komm."
Der Braunhaarige drehte sich herum, allerdings blieb er ein weiteres Mal stehen, denn Jasmin hatte sich nicht von der Stelle bewegt. ,,Ich kann und will nicht weiter gehen! Ich bin müde, mir ist kalt und mir tut alles weh.", sagte sie kopfschüttelnd.
,,Tragen tu ich Euch verzogenes Kind sicher nicht.", brummte Alexo abwertend, Jasmin immer noch den Rücken zugewandt. Empört schnappte die blondhaarige nach Luft.
,,Ich bin hier nicht verzogen und benehmen mich nicht wie ein Stein! Wohl eher du! Du-du...Sklaventreiber!", schleuderte sie ihm entgegen. ,,Und ich bin kein Kind!" Abwehrend verschenkte Jasmin die Arme vor ihren Körper, während sie ihn mit giftigen blicken förmlich versuchte zu erdolchen.
Schneller, als sie Zeit hatte zu reagieren, wirbelte Alexo herum und stand direkt vor ihr. Erschrocken riss sie ihre hellen, blaugrünen Augen auf und stolperte zurück. Drohend ragte der Mann über sie empor wie eine mächtige Eiche. Jetzt erst wurde ihr der Größenunterschied erst richtig bewusst.
Mit fast zwei Köpfen Unterschied überragte er Jasmin, die bei seinem emotionslosen Blick schwer schlucken musste.
,,Erst stellst du Fragen, dann beleidigst du mich als einen Golem, nur um mich einen Sklaventreiber zu nennen?!", knurrte Alexo. Seine Stimme war wütend, sehr wütend, aber sein Gesichtsausdruck war kalt und seine Worte leise.
Die Stimme des grauäugigen erinnerte sie an den kalten Wind des Ostens, der im Winter Schnee und Eis von Antorëo brachte.
Unbewusst machte sie einen Schritt zurück. Er folgte ihr nicht. Blieb genau an der Stelle stehen, jedoch ließ Alexo sie nicht aus den Augen. Aus purem Trotz versuchte sie seinem Blick Stand zu halten, doch schon nach kurzer Zeit musste sie ihn abwenden. Sie war der Klirrende Kälte und scharfe Eiszapfen nicht gewachsen.
,,Wir gehen weiter!", befahl er mit einem harschen Tonfall. Er schien sich sicher zu sein, dass er diese Auseinandersetzung gewonnen hatte.
,,Nein.", hauchte sie ihm die Worte entgegen, dabei konnte Jasmin seinen stechenden Blick spüren, der wie unzählige Nadelstiche auf ihrer Haut brannte. ,,Ich kann nicht mehr weiter, dafür bin ich zu müde. Lass uns hier bis auf den Morgen warten und dann weiter gehen, Bitte." Mit einem flehenden ausdrucken sah sie ihn wieder an. Ihr Mut hatte sie verlassen, auch wenn sie im Moment ihre große Klappe verfluchte, die sich wohl gerade irgendwo im Wald verbuddelt hatte.
Blau traf erneut auf grau.
Seine Iriden funkelten Jasmin einen Moment lang an, bis er sich abwandte. ,,Wir laufen weiter. Der Platz ist nicht gut zum Übernachten, weiter hinten müsste es besser sein."
Verwundert blinzelte sie. Zu Alexos Aussage aber sagte sie nichts, denn das war wohl seine Art einen Kompromiss einzugehen. Etwas Besseres als das würde sie wahrscheinlich auch nicht bekommen. Zwar wusste sie nicht, was mit diesem Platz zum Übernachten nicht in Ordnung war, jedoch hatte sie auch nicht viel Ahnung davon. Ihn deswegen zu nerven lag gerade nicht in ihrem Interesse.
Sie nahm jeden Wiederspruch den sie hatte, schluckte ihn mit einem bitteren Nachgeschmack runter und setzte sich wieder in Bewegung.
Stumm liefen sie nebeneinander her, sein Blick war starr nach vorne gerichtet. Ihre hellen Augen betrachteten stattdessen interessiert den Boden.
Ohne, dass sie es wollte, schwenkten ihre Gedanken zurück zu Niwalic. Ein Stich breitete sich in ihrem Herzen aus. Seid sie denken konnte hatte sie dort gelebt. Erst in einem Weißenhaus, sehr viele Jahre lang, nur um dann mit neunzehn rausgeschmissen zu werden, um auf der Straße zu landen.
Ihr Leben hatte sie einer alten Frau zu verdanken, die etwas wohlhabender war. Vor knapp zwei Jahren hatte sie sie bei sich aufgenommen, hatte ihr ein Zuhause gegeben, nur um auch dieses wieder entrissen zu bekommen.
Gute und schlechte Erinnerungen Verband sie mit diesen Ort.
Die Schicksale meinten es wirklich nicht gut mit Jasmin.
Leise begann sie die Melodie zu Summen -um sich von ihren trüben Gedanken zu lösen-, die Aylona, die nette alte Dame, immer gerne strickend vor dem Kamin gesungen hatte. Das ein oder andere Mal hatte sie sie sogar auf dem Klavier gespielt.
Das leise rascheln der Blätter, die in einer leichten Briese hin und her wippten, die rhytmischen Schritte der beiden Menschen, die dumpf auf den Waldboden trafen, all das schien perfekt zu dem alten Lied zu passen.
»Die Wolken sind rot,
Der Himmel ist schwarz,
Die Welt vergeht im nuh.«
Die klare stimme der alten Frau klang in ihren Ohren wieder. Nur um sanft von ihren Gedanken davon gespült zu werden.
»Das Feuer wütet,
Die Götter fallen,
Denn das End ist nah.
Denn das End ist nah.
Tod und Verderben,
Ritch, Ratch,
plitch, platch.
Das End ist nah.
Das End ist nah.
Die Wolken sind rot,
Der Himmel ist schwarz,
Die Welt vergeht im nuh.
Das Feuer wütet,
Die Götter fallen,
Das End ist nah.
Denn das End ist nah.«
Verträumt sah sich Jasmin um, aber unterbrach dabei nicht die Melodie, die sie summte, während die Stimme in ihrem Kopf mehr an Kraft gewann.
»Die Hände kalt wie der Tod,
Greifen Sie nach dir?
Greifen Sie nach dir?
Das Herz so hart wie Obsidian,
Schlägt nicht mehr.
Schlägt nicht mehr.
Feuer wütet.
Götter fallen.
Das End ist nah.
Das End ist nah.
Das Feuer wütet,
Die Götter fallen,
Denn das End ist nah.
Denn das End ist nah.
So nah.
So nah.
So nah.
So nah.
Denn das End ist nah.«
Die Stimme verstummte in ihrem Kopf, hinterließ eine tiefe Traurigkeit in Jasmin. Sie würde alles dafür geben wenn Aylona noch einmal dieses Lied singen würde.
,,Hier rasten wir." Überrascht zuckte sie zusammen, als er sie aus ihrem Gedanken riss. Abrupt verstummte sie, doch Alexo sagte nichts dazu, dennoch entging ihr nicht sein Aufmerksamer Blick, als er stehen blieb und seine Tasche achtlos auf den Boden warf.
,,Weiter hinten ist ein Fluss, wenn Ihr euch also Waschen wollt, solltet Ihr das jetzt tun." Er zeigte es nicht, doch sie hatte das Gefühl das er ihr mistraute.
Natürlich misstraut er mir, er kennt mich nicht und ich kenne ihn nicht, wies sie sich selbst kopfschüttelnd zurecht.
Die blauäugige nickte leicht und wandte sich in die Richtung, in die er -nach einen Fragenden blick ihrerseits- deutete. Mit erhobenem Haupt machte sie sich auf den Weg, dabei musste sie sich durch Gestrüpp schlagen.
Die dornigen Äste der Büsche verhakten sich in Jasmins Kleid, rissen wie gierige Hände an ihr, doch sie schaffte es durch zu kommen. Das Gestrüpp lichtete sich. Nun gab es den Blick auf einen breiten Fluss frei, der leise rauschte und gurgelte.
Vorsichtig stieg die blonde den leichten Abhang nach unten runter, bis sie das Ufer erreichte. Die Sonne stand schon sehr tief, weshalb das Licht von Mal zu Mal dämmriger wurde.
Vorsichtig hockte sie sich ans steinige Ufer und tauchte ihre schmutzigen Hände in das kalte Nass. Jasmin begann sich den Schmutz abzuwaschen, bevor sie sich an ihr Gesicht wandte. In der Spiegelung im Wasser sah sie, wie ihr Antlitz wieder zum Vorscheinen kam.
Asche und Dreck verschmierten sich leicht, dennoch schaffte sie es alles abzuwaschen. Einen Moment hielt sie inne, ihr Spiegelbild verwirrt betrachtend. Da war nichts. Kein Kratzer. Kein Bluterguss. Keine einzige Verletzung, selbst an ihren Händen war nichts. Lediglich waren sie vom kalten Wasser und dem reiben rot, aber sonst unverletzt.
Zögerlich stand sie wieder auf, dabei warf sie noch einen kurzen Blick auf die Flussoberfläche. Hellblaue Iriden mit einem leichten Grünstich sahen sie an. Die Farbe ihrer Haare konnte man nur erahnen, sie waren zerzaust und dreckig, wirkten mehr wie eine Mischung aus grau und dunkelblond.
Was ist hier los? Verwirrt wandte sie sich ab, stieg die Böschung wieder hoch und schlug sich erneut durchs Gebüsch.
Etwas Seltsames ging vor sich. Und sie konnte schwören, das Alexo etwas damit zu tun hatte.
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