20 - Schatten der Vergangenheit
„Zurück zum Schiff. Sofort." Mein Befehl war völlig überflüssig. Hijac hatte sich bereits das mobile Kühlelement geschnappt und sprintete auf seinen acht dünnen Beinen voraus. Ich folgte ihm so rasch ich konnte, vermisste aber den Klang von Bens schweren Stiefeln als ich halbwegs die Rampe hinunter war. Ein Blick über meine Schulter zeigte, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Der Mensch lag nur wenige Schritte zurück und holte schnell auf.
Ajs saß auf seiner Schulter. Die Tatsache, dass er der jungen Tyrinianerin erlaubte, seinen Anzug zu besudeln, sprach Bände. Vor Überraschung über diese Entwicklung stolperte ich über meine eigenen Füße.
Ben streckte die Hand aus, um mich zu stützen. „Vorsicht, Cap."
„Danke." Ich fand mein Gleichgewicht wieder und hastete weiter, Bens helfende Hand an meinem Ellenbogen. „Ajs, was wird mit den Nestlingen passieren?"
Fest auf Bens Schulter verankert, drehte sie ihre Augenstiele in meine Richtung. „Es geht ihnen gut, diese Welt gefällt ihnen und sie haben bereits mit der Anpassung begonnen."
Eigentlich wollte ich fragen, wie sie sich so sicher sein konnte, aber ich musste mit meinen Energiereserven haushälterisch umgehen. Mein Atem ging jetzt schon schneller, als es für mich als Semi-Aquatikerin gesund war. Wir hasteten nun über den offen Platz, Hijac ein gutes Stück voraus. Er war noch mehrere Schritte von der Topsy entfernt, als sich deren Luke öffnete und ihn willkommen hieß. Er warf das Kühlelement hinein und blieb auf der Rampe stehen, um sich nach uns umzusehen.
Sobald wir alle in die Luke gestolpert waren, betätigte er den Schliessmechanismus. Eine Welle der Erleichterung schwappte durch meine verkrampften Muskeln. Aber mir war klar, dass die Gefahr noch lange nicht gebannt war. „Hrrovr, wir sind alle an Bord. Wie ist der Status?"
„Ss'stabil, Captain. Die Ss'severills'ss behalten ihre Pos'ssition am Rande des Ss'sys'sstems'ss bei, gleich neben Bens'ss Plutoiden." Das waren gute Neuigkeiten, und ich verzeih Hrrovr den Gebrauch des dummen menschlichen Namens. Immerhin hatte er mir damit exakt beschrieben, wo unsere Feinde sich gerade aufhielten.
Das Siegel der Luke benötigte eine gefühlte Ewigkeit, um sich zu schließen. Das war immer so, wenn das Universum kurz davor stand, zu explodieren. Sobald der Druck in der Schleuse sich ausglich, hastete Hijac zur Dekontaminierungskammer, während ich meinen Helm absetzte. Ben folgte meinem Beispiel und ließ Ajs zu Boden gleiten. Mit einem Schmollmund betrachtete er den blauen Schleim auf seinem Ärmel. „Dieser Anzug braucht mehr als nur eine gründliche Wäsche. Unvorstellbar, dass wir nur in dieser Situation gelandet sind, weil ich versuchte, nicht in tyrinianischen Glibber zu treten."
Ajs ließ bei seiner Bemerkung die Augenstiele hängen, und Ben kratzte sich sein Stoppelkinn. „Entschuldige, Ajs, das ist nicht dein Fehler. Es ist nur..." Er verschluckte den Rest seines Satzes, und ich fragte mich, wie er diesen Fauxpas reparieren wollte. Aber er fand die passenden Worte nicht.
Ich fühlte Mitleid mit den beiden. „Ajs, bitte nimm das nicht persönlich." Die Zeit, die ich benötigte, um mich aus meinem Anzug zu kämpfen, gab mir Gelegenheit, mir eine aufmunternde Rede zu überlegen. „Du bist hier willkommen, auch wenn dein Schleim manchmal eine alte Phobie bei uns Wirbeltieren auslöst. Wie Ben gesagt hat, das ist nicht dein Fehler."
Ihre Augenstiele richteten sich zögernd auf, und Bens Lippen verzogen sich zu einem reuigen Lächeln. „Cap hat recht, Ajs. Und wir arbeiten daran, versprochen. Du hättest dabei sein sollen, als sich Lyxh und Jac zum ersten Mal begegnet sind. Ich dachte, das gibt ein Blutbad."
Ein modriger Pupser der Belustigung fand seinen Weg aus der Dekontaminationseinheit. Der Karjkaner tauchte gleich darauf auch auf. „Unsere freundliche, zivilisierte Lyxh benahm sich wie eine Rachegöttin, an diesem Tag. Ich fürchtete um mein Leben."
Ajs Augen drehten sich zwischen dem Karjkaner, Ben und mir hin und her. Ich grinste. „Jac hat recht, Lyxh war kurz vor dem Durchdrehen. Insektoiden verursachen bei ihr heftige Alpträume. Ich glaube, das ist irgendwie genetisch verankert. Aber Ben oder Jac erzählen dir bestimmt gern den Rest der Geschichte, während ich mich dekontaminiere und mich auf der Brücke um unsere ungebetenen Besucher kümmere."
Hijac hob meinen Anzug auf. „Ist gut, ich mache das. Ich packe die Anzüge auch gleich in die Dekontaminierung und zeige Ajs, wie sie die Kammer benutzen kann."
„Danke, Jac. Bis gleich auf der Brücke. Ben, wir werden so rasch als möglich starten, lass uns den Zyklus zu zweit durchlaufen." Mit unserm ähnlichen Metabolismus war das Risiko gering. Wir beendeten die unangenehme Reinigungsprozedur in Rekordzeit und machten uns auf den Weg, während Hijac und Ajs zurückblieben.
Die Atmosphäre im Kommandozentrum war so mit Spannung geladen, dass ich sie beinahe knistern hörte. Aalyxh beugte sich über ihren Schirm, vermutlich damit beschäftigt, unsere möglichen Fluchtwege und Ausweichmanöver zu kalkulieren. Ihre Glieder waren dabei in einem komplizierten Knoten verschlungen, der für jede andere Spezies in die Kategorie Folter gefallen wäre. Hrrovr presste einen Signalverstärker gegen seine Ohrmembrane. Mit halbgeschlossenen Augen war er ein Bild der Konzentration. Trotzdem drehte er sich zu mir um, als ich die Brücke betrat.
„Captain, die Ss'severills'ss haben ss'sich nicht weiter angenähert. Aber ich bin ss'sicher, dass'ss ss'sie uns'ss beobachten."
Das war ich auch. Ich kannte diese Piraten schon lange genug, um zu wissen, dass sie nicht so schnell von einer Fährte abließen. Und ganz bestimmt nicht von meiner Fährte. Abgesehen davon war ihre Technologie bestimmt deutlich moderner als unsere. Schließlich besaßen sie auch wesentlich mehr Mittel und bessere Beziehungen als eine gewisse Kalina ap'Theron von Oolia. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie uns wieder im Nacken saßen. „Keine feindseligen Aktionen?"
„Nein, bis'ssher halten ss'sie ss'sich zs'surück. Mys'ssteriös'ss."
„Kali?" Aalyxhs Stimme war sanft, beinahe verräumt. „Die Anomalie die durch Bens Missgeschick verursacht wurde. Du solltest dir das mal ansehen."
Neugierig geworden trat ich an ihre Station. Ihr Bildschirm zeigte eine strudelnde Masse von leuchtenden Partikeln. „Was ist das?"
„Es könnte tatsächlich ein Mikro-Wurmloch sein. Ich habe die Strahlungsfilter verstärkt und das Spektrum angepasst. Ansonsten wäre es auf einem optischen Kanal nicht sichtbar." Die Pilotin justierte einige Kontrollen und die Funken veränderten ihre Farbe von einem feurigen Orange zu einem eisigen Blau. „Hast du eine bessere Idee?"
„Das sieht aus wie die betrunkene Kreuzung zwischen einem Blizzard und einem Tornado. Wenn du ihn mit Benzin übergießt und anzündest." Ben war leise nähergetreten. „Die Maschinen sind in der Aufwärmphase, Cap."
„Danke. Will ich überhaupt wissen, was ein Tornado und ein Blizzy sind?"
„Blizzard, nicht Blizzy. Es ist ein Schneesturm, kann ziemlich heftig werden. Und ein Tornado ist eine Klasse für sich. Der wirbelt ein Leichtgewicht wie dich geradewegs von Kansas nach Oz — huh." Er rieb sich das Kinn. „Könnte das ein Portal sein, Lyxh?"
Die Pilotin und ich tauschten eine Blick aus. „Wenn das ein Portal ist, erklärt es, wie die Bevölkerung von dem Planeten verschwand." Eine Stelle zwischen meinen Nackenstacheln juckte so stark, das ich mich kratzen musste. „Kannst du das als Arbeitshypothese nehmen, Hrrovr? Versuche, herauszufinden ob es möglich wäre, ein Schiff durch die Anomalie zu fliegen und wie sie funktioniert."
„Aye, Captain." Ein aufgeregtes Klappern seiner Schuppen begleitete die Worte des Rr'ss'h'ss. „Ben, kannss'st du die Daten der Entwicklung der Energieschwankungen ss'sammeln? Und wir werden Jac brauchen für die Datenanalyss'se."
„Er wird jeden Moment hier sein. Lyxh, bitte überprüfe, wie es den Tyrinianern auf dem Planeten geht. Ajs glaubt, dass die Nestlinge sich ohne Probleme anpassen werden, aber ich möchte sicher sein."
Während meine Crew beschäftigt war, studierte ich die Sensordaten, die mir zum Schiff der Severills zur Verfügung standen. Viel war es nicht, aber einige Werte waren eindeutig. Mein Blut drohte in meinen Adern zu gefrieren, und zum allerersten Mal war ich geneigt, an den Fluch der Zigeunerin auf Tyrin zu glauben, als ich in dem Datensalat eine Schiffskennung erkannte.
Meine Vergangenheit hatte mich wieder einmal eingeholt. Bei unserm Besucher handelte es sich um die Bezwinger, das Schiff meines langjährigen Erzfeindes. Ich hatte schon längst gelernt, diesem Schiff und seinem Captain so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Leider ein weiteres Mal erfolglos, wie es schien. Diese Galaxie war eindeutig zu klein für uns beide. Und anstatt uns zu retten war diese Mission schneller in ein schwarzes Loch getrudelt als ein selbstmörderischer Komet.
Ich brauchte einen Plan, wie wir hier wegkamen, und zwar dringend.
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