Kapitel 37 // ... und irgendwann werden wir wieder eine Chance sehen

Ich drückte meinen Arm mit der Waffe nach vorne durch und trat langsam aus dem Dickicht. Den Finger am Abzug lächelte ich. Gleich war es vorbei. Gleich waren sie tot. So schwer konnte es doch nicht sein, den Abzug zu betätigen. Ein kleiner Ruck konnte Leben für immer auslöschen. Jedes Kind konnte das rein theoretisch tun. Weshalb sollte ich also auch nur das kleinste Problem damit haben? 

"Stehengeblieben", befahl ich. 

Die Ferrans-Brüder erstarrten. Sie standen nur wenige Meter, vielleicht sieben oder acht, von mir entfernt, doch bis jetzt hatten sie mich wohl nicht entdeckt. Sicherlich hatten sie mir nicht zugetraut, sie anzugreifen, doch da hatten sie sich sehr getäuscht. Ich würde nicht so schnell aufgeben. 

Für einen Moment genoss ich diesen Anblick. Vor mir zwei Verbrecher, die bisher alles erreicht hatten und nun um ihr Leben fürchten mussten. Sie hatten mich hier nicht erwartet, was mir einen großen Vorteil einbrachte. Dieses Mal würden sie diejenigen sein, die bis zur letzten Sekunde zitternd auf den Tod warten würden. Dieses eine Mal würden sie endgültig verlieren. 

Sie waren sprachlos, doch offenbar nicht so geschockt, wie ich gedacht hatte, denn nur Sekunden später hatte Louis Ferrans in seine Tasche gegriffen, um ebenfalls eine Pistole herauszuholen. Schneller als dass ich einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte ich schon die Hand neben seinem Körper getroffen. Kurz schrie er auf, als sich die Kugel durch die Handfläche bohrte und presste seine Hand mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Bauch. Ich hatte ideal getroffen, so wie eh und je. Jetzt nur noch ein zweiter Schuss, dann war es vorbei mit ihm. Weshalb hatte ich nicht sofort tödlich gezielt? 

 Abermals streckte ich meinen Arm vollständig durch und zielte. Eine kleine Bewegung und er wäre tot. Es war so einfach. Doch konnte ich töten? Konnte ich wirklich im Zorn ein Menschenleben auslöschen? Ich hatte keine Wahl. Wenn ich leben wollte, musste ich töten, so einfach war das. So einfach und dennoch so schwer. 

Bill begann zu grinsen. "Hast du Schiss oder was? Traust du dich etwa nicht? Willst du jetzt nachhause zu deiner lieben Frau rennen? Ich vergaß, du hast ja keine mehr." 

Wut kochte in mir hoch, doch ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich kannte diesen Trick nur allzu gut. Sie wollten mich aus der Ruhe bringen, sodass ich nicht mehr zielen konnte. Trotz meines unbändigen Hasses musste ich ruhig bleiben, sonst war ich verloren. Ich wäre nicht der erste Polizist gewesen, der darauf hereingefallen war. Aber dieses Mal würde ich nicht so leicht aufgeben niemals. 

"Im Gegenteil. Ich warte nur auf den richtigen Augenblick. Dann, wann ihr euch vor Angst kaum mehr auf den Beinen halten könnt und sich in euren Augen das Verderben widerspiegelt. Dann, wann ihr hoffnungslos um Vergebung bettelt, weil ihr wisst, dass euer Leben nur noch Sekunden andauern wird. Ist das keine schöne Vorstellung?" Ich musste das Zittern in meinen Finger unterdrücken, während ich so leise und genüsslich flüsterte, dass selbst mir die Haare zu Berge standen. Doch worauf wartete ich wirklich? 

Ich versuchte, den Abzug zu betätigen, doch ich konnte nicht. Wieso nicht? Es war doch so einfach! Eine Bewegung und ein Menschenleben wurde ausgelöscht. Es war zu einfach. Ich wusste nicht weshalb, aber ich konnte es nicht. Ich musste, doch ich konnte nicht. Es war zu einfach und dennoch zu schwer. 

Verzweifelt ließ ich die Waffe sinken und Bill griff nach seiner eigenen. Es war vorbei. Endgültig. 

Doch zum Schuss kam er nicht mehr. Von hinten hatte Lord Telleray ihm einen Schlag verpasst, der ihn zusammensacken ließ, während Caroline mit einem Kochtopf auf Louis eindrosch. Im Schatten der Dunkelheit und bei meiner Konzentration auf die Ferrans-Brüder hatte ich die beiden tatsächlich übersehen. 

Ich brachte kein einziges Wort hervor, so überrascht war ich. Ich hatte ihnen misstraut, auch wenn sie mich nun gerettet hatten. Vollkommen überfordert stand ich einfach nur da. 

"Ich habe einen Plan", meinte Lord Telleray. Vielleicht gab es doch noch eine andere Chance. 

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