Kapitel 31 // ... auch wenn wir noch immer in der Vergangenheit stehen

Ich drückte meinen Rücken durch und hob den Kopf hoch. Meine Haltung musste perfekt sein an diesem besonderen Tag. Nervös blickte ich auf die Uhr. Es war fünf vor acht, ein vernünftiger Mensch wäre jetzt schon hier gewesen. Ungeduldig trommelte ich mit den Fingern auf den Tisch, bevor ich mich daran erinnerte, dass ich möglichst ideal wirken sollte. Ich hatte nicht umsonst die jahrelange Polizeischule absolviert, um dann als Detective abgewiesen zu werden. Immerhin war ich derjenige, der früher da war, was man nur positiv beurteilen konnte. 

Die Tür öffnete sich und ein Mann trat herein. Er konnte keine zwei Jahrzehnte älter als ich sein, da war ich mir sicher. Der oberste Knopf war offen, die Krawatte war verrutscht und er atmete schwer. Wie konnte so ein Mensch Polizist sein und wenn er es nicht war, was tat er dann bloß hier? Mein erster Eindruck von ihm hätte nicht schlechter sein können. Er war hässlich, das musste selbst ich, der nicht so viel Wert auf Schönheit legte, zugeben. Außerdem war er unordentlich, undiszipliniert und das Gegenteil von einem Menschen, dem man die Sicherheit anderer Leute anvertrauen konnte. 

"Sind Sie Detective Sergeant Garvey?", fragte ich misstrauisch. Wie konnte man mir sagen, dass er der Beste in Newcastle sei? Ich traute ihm nicht einmal zu, sich seine Schnürsenkel binden zu können. Prüfend blickte ich doch noch auf seine Schuhe, man wusste schließlich nie. Die Schleife, wenn man es denn als eine bezeichnen könnte, war schlichtweg grauenhaft und würde sich in wenigen Minuten lösen. Nein, ich hatte mich sicher an der Tür geirrt. 

Als ich schon im Begriff war aufzustehen, antwortete er doch. "Natürlich. Und Sie sind Arthur Hill, nicht wahr?" 

Schrecklich. Einfach nur schrecklich. Er konnte es nicht sein. "Ja, der bin ich. Man teilte mir mit, die Stelle als Detective wäre frei, weshalb ich mich hier beworben habe." 

"Das zu erwähnen, ist vollkommen überflüssig. Immerhin sind Sie jetzt hier, nicht wahr?" Der Mann setzte sich hin und lehnte sich herausfordernd zurück. Was wagte er bloß, mich so zu provozieren? Ich war pünktlich erschienen, ich war ordentlich gewesen, ich war höflich gewesen - im kompletten Gegenteil zu ihm. 

"Ja." 

"Ja, was?" Ich wusste genau, was er erwartete. Dass ich reumütig dasaß und ihn mit Sir ansprach und mich von ihm kommandieren ließ, konnte er aber vergessen. 

"Ja, natürlich." Meine Stimme wechselte dabei zu einem zuckersüßen Tonfall, nur um ihn besser ärgern zu können. Vielleicht sollte ich mich nicht so schnell zu solchen kleinen Späßen hinreißen lassen, aber dafür war es jedes Mal einfach zu lustig. Zudem konnte ich nicht übermäßig nett sein zu einem Menschen, der mich so sympathisch war wie eine Zecke, die mir am Fuß feststeckte. 

"Ja, was?" Er verkrampfte sich und setzte sich endlich gerade hin. Bitterböse starrte er mir in die Augen. Nur mit Mühe konnte ich mir ein lautes Auflachen verkneifen. 

"Haben Sie ein Problem oder haben Sie nur die Ohrstöpsel vergessen?" Eigentlich war ich zu diesem Moment schon ziemlich frech für jemanden, der sich um eine Arbeit bewarb. Ich konnte selbst nicht verstehen, weshalb ich mich so weit hinreißen ließ und weshalb Detective Garvey nicht schon längst angefangen hatte, mich anzuschreien, mit Sachen zu bewerfen oder mich einfach hinauszuschmeißen. Um ehrlich zu sein, riskierte ich alles davon sogar absichtlich. Mir gefiel es hier nicht, nicht mehr und nicht weniger. Ich musste diesen düsteren Raum nicht, ich mochte die verstellbaren Stuhllehnen nicht, ich mochte Mister Garvey nicht. Ich mochte nicht einmal meinen Beruf, da das einzige, was ich als Polizist bisher getan hatte, aufräumen, Papierkram erledigen, tausende Sachen auswendig lernen und rennen gewesen war. Es war verdammt unfair von mir, es an meinem neuen Chef auszulassen, das wusste ich und das ignorierte ich. Verflogen war die Perfektion, die mir bisher nur stapelweise mehr Arbeit eingebracht hatte. Entweder er kam mit mir klar, oder ich würde eben etwas anderen machen. 

"Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?" 

"Ich habe bisher noch nie Geister gesehen, daher weiß ich das nicht." Immer noch wartete ich darauf, dass er vollkommen ausrastete. Vor meinem inneren Auge sah ich schon, wie er alles um sich schmiss. Beinahe tat es mir leid um die Ordnung in diesem Raum, die ich vor dem Treffen so feinsäuberlich hergestellt hatte. 

"Sind noch all Ihre Tassen im Schrank?" 

"Ich habe keine Tassen, Gläser sehen schließlich viel schöner aus." Im Kopf arbeitete ich schon alle Berufe durch, die mir einfielen. Lehrer oder Professor war nichts für mich, erstens war ich dafür viel zu jung und zweitens würde ich niemals mit so unordentlichen Wesen wie Schüler oder Studenten auskommen. Putzen konnte ich zwar gut, aber bei meinem Temperament würde ich den Boden mit Öl wischen, wenn mich jemand ärgerte. Harte Arbeit, wie Bauer, Gärtner, Handwerker oder so, ging auch auf gar keinen Fall, wie bei so vielen meiner Mitschüler. Ich konnte gut Auto fahren, vielleicht war das etwas für mich. Nein, dann würde ich alle meine Fahrgäste unbemerkt beleidigen. Buchhalter klang auch nicht gerade schlecht ... Ja, das passte mir. Ich würde Buchhalter werden. Seltsam, dass ich nicht vor der Polizeischule daran gedacht hatte, dann hätte ich längst allein in einem Büro alles ordnen und vervollständigen können. Polizisten gab es sowieso genug auf dieser Welt. 

"Was denken Sie sich jetzt wieder aus?" 

"Nichts, ich überlege nur, wie gut ein anderer Beruf passen würde." 

"Eine sehr gute Idee. Was wollen Sie denn werden?" 

"Buchhalter." Damit konnte ich zwar nichts Großes erreichen und nur in Rechnungen für Ordnung sorgen, aber immerhin etwas. Außerdem war der Job sicher nicht so anstrengend wie das hier. 

"Bei Ihrem Sinn für Ordnung würde ich Ihnen sofort zustimmen. Dann würden Sie wenigstens Ihre Arbeit machen, wenn Sie alle Papiere sortieren und einheften, anstatt es wie hier ungefragt zu tun. Allerdings ist es schade, dass Sie völlig umsonst meine Zeit verschwendet haben. Man hat zwar behauptet, Sie seien dafür geeignet, aber wenn Sie anderer Meinung sind, dann wäre es besser, nicht noch mehr Zeit zu verschwenden." 

"Sind Sie etwa nicht dieser Meinung?" Ich war vollkommen verwundert, dass er nicht wütend war. Es war, als hätte er das Spiel umgedreht. 

"Ich halte nichts von Berichten und wenn man Ihrem Wort Glauben schenken soll ..." 

"Sie glauben mir doch nie im Leben." 

"Sagen Sie denn immer die Wahrheit?" 

"Selbstverständlich." Ich konnte mich wirklich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal gelogen hatte. Allerdings hatte mir die Wahrheit schon dutzende Male höllische Probleme eingebracht, weshalb ich es eines Tages erlernen sollte. Lügen konnte schon nicht so schwer sein, es sei denn, man dachte nicht vor dem Sprechen nach, so wie ich. 

"Das sollten Sie sich dringend abgewöhnen, wenn Sie doch noch in diesem Beruf bleiben wollen. Ich glaube, Sie wissen selbst, wie beleidigend Sie sein können. Und alle um einen herum indirekt auszulachen, ist nicht wirklich von Vorteil." 

"Ich weiß." 

Detective Garvey schüttelte den Kopf und es wirkte beinahe, als würde er lächeln. Lachte er mich etwa gerade aus? Ich verkniff mir einen weiteren Kommentar, in der Hoffnung, ihn nicht doch noch zur Wut zu bringen. Ich hatte mir heute schon viel zu viel erlaubt. 

"Also gut. Falls ich Ihnen vorschlagen würde, einen Monat lang hier auf Probe zu arbeiten, wobei ich Sie jederzeit feuern lassen könnte, anstatt dass Sie sofort den Beruf wechseln, was würden Sie sagen?" 

"Einverstanden." 

"Gut. Kommen Sie morgen um halb neun wieder. Und ich meine halb neun, nicht, dass sie hier so wie heute und kurz nach sieben auftauchen. Mal sehen, ob ihr Verstand genauso groß ist wie Ihre Klappe; wenn, dann würde es mich wirklich sehr verwundern." 

"Dann bis morgen." 

"Auf Wiedersehen." 

"Auf Wiedersehen, Sir." 

Während ich schon hinaustrat, hörte ich ihn noch etwas wie "War das so schwer?" murmeln und konnte mir ein erneutes Grinsen nicht verkneifen. Ja, das war schwer gewesen. Aber vielleicht sollte ich ihn nicht für eine so lächerliche Figur halten, wie ich es eben tat. Vielleicht war er doch ganz in Ordnung. Wenn er mit mir auskommen konnte, musste er in Ordnung sein. 

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