Mit der Zeit begriff ich, worauf diese seltsamen Reden hinausliefen. Auch wenn Louis Ferrans immer wieder ein und dasselbe mit einer anderen Formulierungen sagte, so lief alles auf ein konkretes Ziel hinaus. Ich sollte ihm vertrauen und den Lord verraten. Wie genau dieser Verrat aussehen sollte und was er überhaupt angestellt hatte, das verriet er mir jedoch nicht sofort. Doch ich würde ihm sowieso nicht glauben. Wenn nicht dieser verdammte Theodor die ganze Zeit hinter mir stehen würde, hätte ich ihm längst eine Tracht Prügel verpasst, die er sein leben lang nicht vergessen würde. So wartete ich nur auf den richtigen Augenblick.
"Verstehst du jetzt, das wir eigentlich deine Freunde sind?" Damit schloss Louis Ferrans sein gefühlt ewigwährendes Gerede. Er setzte ein gekünsteltes Lächeln auf und bemühte sich offenbar immens, sich
"Nein, das ist ganz allein Ihre Sichtweise."
"Ach wirklich? Glaubst du mir etwa nicht?"
"Nein. Ich glaube nur Menschen, die wenigstens noch die Hälfte ihres Verstandes beisammen haben."
Sein Lächeln verschwand wieder. Wenn er dieses Spiel ewig spielen wollte, prima. Ich spielte gern mit. "Soll ich dir etwa erzählen, was dein lieber Lord Charles Telleray angestellt hat?"
"Wenn Sie es unbedingt wollen. Ich ändere meine Meinung dennoch nicht."
"Das wirst du schon noch, das wirst du. Eigentlich ist es ganz simpel; er ist ein Mörder. Erst hat er seine armen lieben Eltern, Grace und Edward umgebracht und dann konnte man ihn nicht mehr beruhigen. Er ist wahnsinnig. Er denkt, wir wären die Schuldigen, und dabei tun wir nur ganz harmlose Dinge. Du hast selbst herausgefunden, dass wenigstens zu Anfangszeiten immer ein Dritter in unserer Gruppe dabei gewesen sein muss. Und das war Little Charlie. Der verrückte Little Charlie, der so harmlos und verängstigt wirkt, dass man ihm nur glauben kann. Er glaubt wirklich an seine Geschichten, aber das war schon immer so. Noch in Universitätszeiten kam er mit Lügenmärchen an, wie der Geist im Keller, der jede Nacht durch die Burg schweben sollte, wenn die Lichter aus waren. Oder das Monster, das heimlich die Rentner im Dorf verspeiste und unter seinem Schranken wohnen sollte. Glaub mir, er hat nicht mehr alle Sinne beisammen. Und was die Morde angeht, so hat er einfach immer wieder übertrieben. Ja natürlich, Diebstähle und illegale Verkäufe, das machen wir und geben es auch zu, aber morden? Niemals. Das war alles er. Seine Eltern, als sie seine Geschichten an die Polizei verraten wollten, seine Freunde, als sie ihn nicht mehr unterstützen wollten, und letztendlich auch deine liebe Frau Claire, weil du ihm auf der Spur warst. Wieso hätte er dich sonst im Schloss angenommen, auch wenn du als bekannter Verbrecher giltst? Es waren nur Schuldgefühle, aber jetzt muss er dich loswerden, bevor du mit der Wahrheit zur Polizei gehst. Er will nicht verhaftet werden, deshalb inszeniert er das alles. Glaub mir, er ist hier der Mörder und es ist alles nur seine Schuld. Verstehst du jetzt, wieso du mit uns zusammenarbeiten musst?"
"Nein. Ich glaube Ihnen und Ihrem dreckigen Gefolge kein Wort." Ich wollte ihm immer noch nicht glauben, auch wenn ich an Lord Telleray zu zweifeln begann. Mehrmals hatte mich die Spur nach Telleray in Newcastle geführt. Es ergab wirklich Sinn, was sie mir erzählten. Aber ich durfte ihnen nicht glauben! Sie waren die Schuldigen, das wusste ich genau. Nur klang alles so stimmig, dass es fast zu zufällig auf mich wirkte.
"Wirklich nicht? Theodor, dein Einsatz."
Theodor Kelling hob ein Messer hoch, drehte es vor meinen Augen hin und her und hielt es dann mir vor die Kehle. Ich spürte schon einen Teil der Klinge an der Haut und zuckte unbewusst zusammen.
"Glaubst du uns jetzt?"
"Ja." Ich musste Zeit schinden, bis ich einen Ausweg finden konnte. Hoffentlich fand ich auch einen und verlor mich nicht wie so viele in diesem scheinbar endlosen Lügengeflecht. Sie durften nicht gewinnen. Aber wie es schien, konnte ich es auch nicht.
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